Niki Lauda: EIN LEBEN FÜR DEN WETTBEWERB

Was für viele überraschend kam, war für Niki Lauda ganz normal. Denn wie vieles im Leben des ehemaligen Rennfahrers diente auch sein jüngster Deal mit Ryanair rund um Laudamotion nur einem Ziel: dem Wettbewerb – und dem Gewinnen.

*Im April 2018, als der ehemalige Rennfahrer Niki Lauda das Cover unseres Magazins zierte, hatte er gerade wieder einen Coup gelandet: Er verkaufte Anteile an der von ihm gegründeten Airline Laudamotion an die irische Ryanair, die das Unternehmen in weiterer Folge gänzlich übernehmen sollte.

Für Lauda selbst war es das vielleicht letzte große Interview: Er starb im Mai 2019 an den langfristigen Folgen eines Lungenversagens.

Wir erinnern uns mit diesem Artikel an einen bewundernswerten Unternehmer, Athleten und Menschen.

Niki Lauda kann man ja vieles vorwerfen – und es ist bei Weitem nicht so, dass das nicht auch regelmäßig getan würde. Doch der Vorwurf fehlender Durchsetzungskraft ist einer, den sich der österreichische Unternehmer nicht gefallen lassen muss. Lauda lebt für den Wettkampf, dafür, sich zu messen. Er lebt auch und vor allem dafür, am Ende besser als die anderen zu sein und oben zu stehen. Das tut Lauda zumeist auch – vor allem, weil er bereit ist, für den Sieg mehr in Kauf zu nehmen als seine Konkurrenz. Etwa kurzerhand fast 50 Millionen € seines privaten Geldes auf den Tisch zu legen, um eine insolvente Flug­linie zu übernehmen. Denn Ende 2017 war die von Lauda 2003 gegründete und 2004 an die deutsche Air Berlin verkaufte Fluglinie Niki pleite. Die Chance, in die Flugbranche zurückzukehren, dürfte Lauda aber wohl schon früher ge­wittert haben – insbesondere, als die Niki-Mutter Air Berlin im August des Vorjahres Konkurs angemeldet hatte.

Doch zuerst musste Lauda ­etwas tun, das ihm weniger gut gefällt: ­warten. Denn das Insolvenzverfahren für Niki sollte in Deutschland abgehandelt werden, da die Fluglinie eine 100-%-­Tochter eines deutschen Unternehmens war. Dass das Verfahren letztendlich doch nach ­Österreich verlegt wurde, kommentiert Lauda so: „Für mich war die Verlegung völlig klar, Niki war immer ein österreichisches Unternehmen.“ Lauda war zur Stelle und sicherte sich seine ehemalige Linie. Es folgte die Umbenennung in Laudamotion, und Lauda traf Vorbereitungen, als kleine Linie von Wien aus zu fliegen.

Oder doch nicht? Denn so knapp, wie der nächste große Coup kam, lässt sich die Frage ­stellen, ob Lauda nicht von Anfang an eine ganz andere Konstellation geplant hatte. Im Januar 2018 hatte Lauda vom Gläubigerausschuss der ­insolventen Niki den Zuschlag erhalten, und schon im März 2018 stieg die irische Flug­linie Ryanair – mit 129 Millionen Passagieren im Jahr 2017 eine der größten Europas – unerwartet bei Lauda­motion ein. Für rund 50 Millionen € schnappte sich CEO Michael O’Leary 25 % der ­Anteile, mit einer Option, zeitnah auf 75 % der Anteile aufzustocken (die genauen Beträge werden laut Lauda noch ausverhandelt) – was Laudas Worten zu­folge auch passieren wird, sofern die EU-­Wettbewerbshüter kein Veto einlegen werden.

Die Kritik ließ nicht lange auf sich warten: Lauda habe eine österreichische Lösung versprochen, hieß es in Medien und der breiten Öffentlichkeit, würde die Linie aber nun nach Irland „verscherbeln“. Der ehemalige Rennfahrer schüttelt – angesprochen auf die Vorwürfe – müde den Kopf, auf dem er wie immer eine rote Kappe trägt. „Laudamotion bleibt ja weiterhin ein österreichisches Unternehmen, Ryanair beteiligt sich lediglich daran. Ich wollte niemals ein rein österreichisches Unternehmen besitzen. Denn wo soll ich damit denn fliegen? Von Innsbruck nach Linz?“

Porträtfoto: Niki Lauda, Laudamotion, Ryanair, Interview, Forbes

Niki Lauda
... wurde 1949 in Wien geboren. Lauda brach die Schule ab (er holte die Matura jedoch später nach), um Rennfahrer zu werden. Er gewann dreimal die Formel-1-Weltmeisterschaft (zweimal mit Ferrari, einmal mit Mercedes); heute ist Lauda Aufsichtsratsvorsitzender des Mercedes-Teams. Zudem gründete (und verkaufte) er die Fluglinien Lauda Air, Niki und Laudamotion.

Als wir Niki Lauda treffen, sitzt er in einer ruhigen Ecke des Wiener Café Imperial. Die Art, wie die Kellner mit Lauda interagieren, lässt da­rauf schließen, dass es nicht der erste Besuch des Fluglinienbesitzers sein dürfte. Lauda antwortet direkt und offen auf Fragen, für die Meinung anderer scheint er sich nicht großartig zu interessieren – oder er hat keine Zeit dafür. So bezeichnet er Meldungen, selbst jene aus ­seriösen Zeitungen, während des ­Gesprächs mehrmals als „Blödsinn“ und wundert sich, wie die Menschen überhaupt auf gewisse Behauptungen kommen würden. Letztendlich findet Lauda aber immer wieder einen Weg, um zu dem für ihn alles ­bestimmenden Thema zu kommen: Wettbewerb. „Das Ziel kann nur lauten, eine europäische Airline zu werden. Um das zu tun, muss man schnell eine kritische Masse erreichen, um sich dann gegen andere durchsetzen zu können“, sagt Lauda. Durchsetzungskraft also. Und weiter: „Ich habe immer gesagt, dass der Wettbewerb das Wichtigste in meinem Leben ist.“

Das bewies Lauda in der Vergangenheit: Nach seinem schweren Unfall am 1. August 1976, als 200 Liter Benzin Feuer fingen und Lauda schwere Verbrennungen erlitt. Er war dem Sterben nahe, erholte sich aber dann doch rasch. Nur 42 Tage später fuhr er in Monza auf den vierten Rang. Beim Überqueren der Ziellinie rann ihm das Blut in die Augen. Der damals bereits ein­fache Formel-1-Weltmeister sollte nach seinem Unfall noch zweimal den Weltmeistertitel holen – 1977 und 1984.

Lauda ist es offensichtlich gewohnt, gegen alles und jeden anzukämpfen. Aufgewachsen in einer Industriellenfamilie, rebellierte Lauda gegen den übermächtigen Großvater, den Familienpatriarchen Hans Lauda. Dieser war lange Jahre bei den Veitscher Magnesitwerken tätig und Mitbegründer der Vereinigung österreichischer Industrieller (heute Industriellenvereinigung, IV). ­Vater Ernst-Peter trat in die Fußstapfen des Großvaters und verwaltete jene Papierfabriken, die Laudas Mutter Elisabeth geerbt hatte. Lauda war ein miserabler Schüler und brach die Schule ab, um Rennfahrer zu werden. Seine Karrierewahl kam beim Großvater nicht sonderlich gut an, doch Lauda setzte seinen Plan auf eigene Faust um – und brach mit seiner Familie, um seinen Traum zu verfolgen.

Was genau Lauda antreibt, ist schwer zu sagen. In seiner Rennzeit war Lauda als Perfektionist bekannt, der Strecken bis ins kleinste Detail aus­wendig lernte. Auch der Film „Rush“, in dem seine Rivalität mit dem Briten James Hunt nacherzählt wird, porträtiert Lauda so: als einen, der mehr an der technischen Perfektion im Rennsport interessiert ist als am Geschwindigkeitskick.

Und auch im Geschäftsleben ist nicht ganz klar, was Lauda letztendlich eigentlich erreichen will. Lauda hätte es nicht mehr nötig, im Alter von 69 Jahren ein solches Pensum zu fahren. So sammelte er als Aufsichtsratschef des Formel-1-Teams von Mercedes, gemeinsam mit dem Österreicher Toto Wolff, zuletzt vier Weltmeistertitel in Folge ein. Mit Ausnahme von 2017 schnappte sich Mercedes jeweils auch die Vizeweltmeisterschaft dazu. Sättigungsgefühl? Nein. Denn auch heute ist Lauda noch stets auf Achse, fliegt bereits zwei Tage nach unserem Gespräch zum Grand Prix in Shanghai – übers ­Wochenende. Auch in der Flugbranche müsste
er eigentlich niemandem mehr etwas beweisen: Bereits 1979 gründete der ausgebildete Pilot Lauda Air, ab 1990 flog das Unter­nehmen Linie. 1991 folgte dann ein dramatischer Zwischenfall, bei dem die Technologie dem Perfektionisten ­einen Strich durch die Rechnung machte: Eine Maschine der Lauda Air verunglückte in Thailand, 223 Menschen kamen ums Leben. Schuld war, wie heute bekannt ist, ein technischer Fehler des Flugzeugs, einer Boeing 767.

Ab 1997 wurde die Lauda Air dann stückweise an die AUA verkauft, 2003 ging die Flug­linie in die Austrian Airlines Group über. Noch im gleichen Jahr gründete Lauda schon die nächste Fluglinie mit seinem Namen: Flyniki (später nur noch Niki). 2010 folgte das gleiche Spiel: Air Berlin kaufte erst 50 % der Anteile der neuen Flug­linie, wenig später übernahmen die Deutschen das Unternehmen zur Gänze.

Nahezu die exakt gleiche Schablone wandte Lauda auch beim dritten Streich an: Er gründete eine Airline mit seinem Namen, baute sie auf – und verkaufte dann. Der Unterschied: Laudamotion wäre als eigenständige Airline nicht konkurrenz­fähig gewesen. Denn dem Unternehmer war klar, dass die kritische Masse, die eine Fluglinie im europäischen Wettbewerb heutzutage benötigt, alleine nur schwer zu erreichen sei. Die Vorteile der Partnerschaft mit Ryanair liegen für Lauda auf der Hand: Lauda und seine ­Fluglinie erhalten dringend benötigtes Kapital (neben dem Kapital für die Anteile erhielt Laudamotion eine Anschubfinanzierung in Höhe von 50 Millionen €), Zugang zu Ryanairs Buchungsmaschine sowie die Nähe zu bzw. Allianz mit einem starken Partner. Und: Ryanair ermöglichte Lauda­motion die schnelle Flugsicherung. Denn im Paket mit Niki hatte Lauda auch 60.000 Slots (so nennen sich Zeitfenster, während denen eine Fluggesellschaft einen Flughafen zum Starten oder Landen eines Flugzeugs benutzen darf) für die ­großen Flughäfen in Deutschland (Frankfurt, München, Düsseldorf, Berlin etc.), aber auch weniger res­triktive Feriendestination in Spanien (Ibiza, Palma etc.) übernommen. Um diese Anzahl an Slots zu decken, benötigte der Unternehmer die 21 Flugzeuge, die damals im Besitz von Niki standen. Aus der Konkursmasse von Niki erhielt er von der Lufthansa jedoch nur elf Flieger, hätte also sein Kontingent kurzfristig nie erreichen können. Mit Ryanair ließ sich diese Lücke im Handumdrehen füllen. „So hatte ich die Slots in Deutschland wieder abgedeckt“, so Lauda.

Ich habe immer gesagt, dass der Wettbewerb das Wichtigste in meinem Leben ist.

Fest steht, dass ­Laudas Ziel eines erhöhten Wettbewerbs – aktuell zumindest auf den ­Wiener Flughafen bezogen – mehr als erreicht wurde: Neben Laudamotion dockten auch zwei neue Lowcoster – Wizz Air aus Ungarn und Vueling aus Spanien – an. So herrscht in Wien ein ­ordentliches Gedränge. Denn zu den Genannten kommt natürlich noch die Lufthansa hinzu, die mit dem Premium-Carrier Austrian Airlines sowie dem haus­eigenen Lowcoster Eurowings auch um Passagiere in Wien buhlt. Was nicht zu bösem Blut zwischen Lauda und Ryanair geführt haben dürfte, erzürnte die spanische Vueling sehr wohl. Denn Vueling bzw. der Mutterkonzern IAG, dem unter anderem auch British Airways und die spanische Iberia gehören, hatte Ende Dezember bereits einen Kaufvertrag mit Niki ausverhandelt. Als das Bieterverfahren nach Österreich verlegt wurde, erhielt Lauda den Zuschlag und stach die Spanier aus. Daraufhin kündigte die Fluglinie an, dennoch in Wien eine Basis eröffnen zu wollen. Sechs Vueling-Flugzeuge sollen in Zukunft von Wien aus starten. Wettbewerbsfan Lauda versteht die Entscheidung nicht: „Vueling kann Wien auch aus Spanien bedienen. Man kann in Europa ja frei herumfliegen.“

Doch Lauda wäre nicht Lauda, würde er letztendlich nicht auch hier ein fast schon naives Vertrauen in die ­reinigenden Kräfte seines geliebten Wettbewerbs legen. „Wie komme ich am besten durch diese neue Entwicklung? Wir werden sehen, wie lange Vueling in Wien fliegen wird, wenn Laudamotion hier schnell wächst. Es geht letztendlich nur um den Verdrängungswettbewerb.“ Ab dem Sommerflugplan wird Lauda­motion mit 21 Flugzeugen aus sieben deutschen Städten (Berlin/Tegel, Köln, Düsseldorf, Frankfurt, München, Nürnberg, Stuttgart), Wien und Zürich 65 Strecken bedienen. Doch das ist erst der Anfang, denn die Flotte soll innerhalb der nächsten drei Jahre auf rund 40 Flieger wachsen. Laut Lauda ist der große Gewinner dieser Entwicklung also nicht er selbst, sondern der Kunde – denn die Preise für Flug­tickets müssten durch die erhöhte Konkurrenz fallen.

Welche Strategie Ryanair mit der Partnerschaft verfolgt, ist aber nicht so klar, wie Lauda meint. Da ist etwa die Frage, ob Laudamotion als Marke verschwinden könnte, also vollständig in den Ryanair-Kozern integriert wird. Laut dem Laudamotion-CEO ist das jedoch absolut nicht der Plan: „Das wird nie so sein, das will O’Leary nicht. Ryanair will sich diversifizieren und beteiligt sich, weil man eine neue Marke braucht.“

Porträtfoto: Niki Lauda, Laudamotion, Ryanair, Interview, Kaffeehaus
Niki Lauda (1949 – 2019)

Credit-Suisse-Analyst Neil Glynn schätzt diesen Sachverhalt hingegen ganz und gar nicht so deutlich ein: „Es ist unklar, ob die beiden Marken auch weiterhin separat bestehen. In der Vergangenheit hat Ryanair die Linie Buzz, die man 2003 von KLM kaufte, vollständig integriert. Heute geht der Trend aber stärker in Richtung mehrerer Marken unter einem Dach. Das zeigt sich auch bei IAG mit den Fluglinien Iberia, British Airways, Vueling et cetera.“ Egal, in welcher (Marken-)Kon­stellation: Der große Konkurrent am deutschen Markt, und auch in Europa, bleibt für Lauda und O’Leary die Lufthansa-Gruppe. Nachdem Lauda die ersten Gespräche über eine Kooperation mit den Deutschen führte, greift er nun mithilfe des irischen Riesen voll an. Denn ein Antreiber für sein Engagement sei auch die gefühlte Entwicklung eines Monopols gewesen: „Mich hat die Wettbewerbsverzerrung durch die damalige Situation – die Übernahme der Air Berlin durch die Lufthansa – in Richtung eines Monopols von Anfang an gestört“, sagt Lauda. Dass ihm sein aktueller Job als CEO von Laudamotion angesichts der Doppelbelastung mit seiner Rolle beim Formel-1-Team von Mercedes zu viel werden könnte, denkt Lauda nicht: Die Formel 1 würde sich vorrangig am Wochenende abspielen, ansonsten würde er selbst sich – gemeinsam mit Managing Director Andreas Gruber – ausschließlich um die Geschäfte der Laudamotion kümmern. „Meine Aufgabe ist es, das Tages­geschäft zu beobachten. Ich fliege beispielsweise am Donnerstagabend zum Rennen nach Shanghai und Sonntagabend wieder zurück – das beeinflusst mich nicht. Das steht sich nicht im Weg.“

Auch Ryanair macht sich mit ­Sicherheit ­Gedanken darüber, wie man gegen die Lufthansa bestehen kann. Denn 2017 übertrafen die Deutschen Ryanair nach deren Stoß an die Spitze punkto Anzahl der transportierten Passagiere wieder: Der Lowcoster Ryanair transportierte 2017 129 Millionen Menschen, während die Lufthansa 130 Millionen Gäste verbuchte. In Sachen Profita­bilität hat Ryanair gegenüber den Deutschen wiederum die Nase vorne, macht aber auch nur weniger als ein Fünftel des Lufthansa-Umsatzes: Die Lufthansa verdiente im Vorjahr 35,6 Milliarden €, während Ryanair 6,6 Milliarden € Umsatz generierte.

Eine Monopolbildung ist am Flugmarkt ­derzeit also nicht zu erkennen. Doch Neil Glynn erwartet sehr wohl eine Markt­bereinigung: „Es gibt einige potenzielle Übernahmeziele – wir werden noch viel Aktivität in diesem Bereich ­sehen.“ Friss oder stirb, Survival of the fittest, Verdrängungswettbewerb: Die Flugbranche wird auch weiter äußerst kompetitiv sein. Da setzen sich nur die Stärksten, Schnellsten, Besten durch, alle anderen bleiben auf der Strecke – ideal für ­einen Menschen wie Niki Lauda.

Text: Klaus Fiala
Fotos: Christian Wind

Der Artikel ist ursprünglich in unserer April-Ausgabe 2018 erschienen und wurde ein weiteres Mal in unserer Jubiläums-Ausgabe im April 2020 – leicht abgeändert – veröffentlicht.

Klaus Fiala,
Chefredakteur

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