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New York gilt zumindest in Amerika als Vorreiter beim Klimaschutz. Nicht zuletzt sozialpolitische Probleme machen die diesbezüglichen Projekte jedoch komplizierter.
Die Frau, ganz in Rot gekleidet, steht im Wasser des East River. Um sie herum stehen ein knappes Dutzend Männer und Frauen, bauch- bis brusthoch reicht ihnen das Wasser, die meisten sind voll bekleidet. Es ist einer dieser strahlend schönen Septembertage in New York, eine Wärme, die nicht mehr feucht und drückend ist. Noch ist auch das Wasser hier in Astoria in Queens warm genug für die Performance der Frau im Fluss: Sarah Cameron Sunde. Sie will auf den durch den Klimawandel steigenden Meeresspiegel aufmerksam machen, stand schon auf allen Kontinenten im Wasser, jeweils für einen vollen Zyklus von Ebbe und Flut. Sie macht das seit neun Jahren, und heute, für die letzte Aufführung, schließen sich zeitgleich Menschen in Brasilien, Bangladesch, Kenia, Neuseeland und den Niederlanden an. Sunde bleibt zwölf Stunden und 39 Minuten im Wasser. „Ich versuche, ein Bild von Stadtbewohnern, die versinken, zu erzeugen “, sagt die Künstlerin, die in New York zu Hause ist. Dass ihre Reise hier endet, ist passend, weil die Stadt eine Vorreiterrolle beim Kampf gegen die Erderwärmung spielen will – und das aufgrund ihrer Lage und Größe auch spielen muss.
Am anderen Ufer des East River in Manhattan setzt man sich damit dieser Tage weniger subtil auseinander. An der Lower East Side sind viele Menschen einfach nur wütend: Die Stadtverwaltung hatte Ende vergangenen Jahres damit begonnen, den 82 Jahre alten East River Park mitsamt dem Amphitheater von 1941 zu demolieren. Arbeiter mit Baggern und Kreissägen rückten an, und trotz mehrerer Gerichtsverfahren taten sie, was der frühere Bürgermeister Bill de Blasio noch abgesegnet hatte: 991 Bäume fielen dem Hochwasserschutzplan der Stadt zum Opfer. Heute ist die Fläche am Ufer eine staubige Baustelle, hier soll ein neuer Park entstehen, als Teil des 1,45 Mrd. US-$ teuren East Side Coastal Resiliency Project. Wenn alles nach Plan läuft, was bei New Yorker Bauprojekten selten der Fall ist, gibt es 2026 einen neuen Park mit 1.000 jungen Bäumen. Darunter soll dann ein massiver Flutwall die Stadt vor dem steigenden Pegel und vor Sturmfluten schützen. Im nahen Einzugsgebiet leben 100.000 Menschen, sie sollen laut der Stadt so davor bewahrt werden, dass sich eine Katastrophe wie der Hurrikan Sandy von 2012 wiederholt. Doch viele Anwohner sind untröstlich über den Verlust des Parks und organisierten eine Protestinitiative namens East River Park Action, die auch jetzt noch demonstriert.
Die Gegner der Flutbefestigungen bezeichnen sich als die wahren Klimaschützer, denn sie kämpfen ja für die alten Bäume.
Malcolm Araos
Malcolm Araos, Soziologe an der New York University, begleitet den Konflikt wissenschaftlich. Er beobachtet, dass es tendenziell die Menschen in den Eigentumswohnungen in Parknähe seien, die die Bäume behalten und nicht dem Hochwasserschutz opfern wollten. Die Bewohner der umliegenden „Projects“, der Sozialwohnungen, nutzten die Anlagen genauso, stünden dem Umbau aber positiver gegenüber. Dabei geht es auch um die Sorge, dass der Wert der Eigentumswohnungen sinken könnte, wenn der Park nicht mehr da ist oder lange umgebaut werden muss. Das werde allerdings auch ideologisch verbrämt, so Araos: „Die Gegner der Flutbefestigungen bezeichnen sich als die wahren Klimaschützer, denn sie kämpfen ja für die alten Bäume.“ Im öffentlichen Aushandlungsprozess um das Projekt sei es bislang nicht gelungen, diese Fronten aufzubrechen.
Ganz ähnliche Auseinandersetzungen wie um den East River Park beginnen unterdessen auch im Westen New Yorks, dort, wo in Battery Park City nach dem 11. September 2001 ein großer Park entstanden ist. Mit seinen japanisch anmutenden Gärten und schattigen Wiesen ist der Wagner Park mit Blick auf die Freiheitsstatue ein Anziehungspunkt für Touristen wie Einheimische. Aber auch am Hudson River steht langfristig ein flutsicherer Umbau an – am Ende soll es einen erhöhten Park geben, doch der bisherige muss dafür zerstört werden.
New York City allein hat mehr als 800 Kilometer Ufer an Flüssen und Meer, mitgerechnet ist jedes kleine Inselchen, etwa in der Jamaica Bay. Überschwemmungen sind aber nur ein Bereich des Klimaschutzes, den die Stadt angehen muss. Schließlich geht es nicht nur darum, die Bewohner zu schützen, sondern auch darum, den Beitrag einer Stadt mit mehr als acht Millionen Einwohnern zur Erderwärmung zu reduzieren. Im Jahr 2019 verabschiedete das Parlament des Bundesstaates den Climate Act, der umfassende Emissionsschutzmaßnahmen vorsieht. So sollen öffentliche Gebäude klimafreundlich saniert und Unternehmen für die Nutzung sogenannter „sauberer“ Energien belohnt werden – unter diese subsumiert man in den USA nach wie vor häufig Atomenergie. Der Rat der Stadt beschloss sein eigenes Klimaschutzprogramm und schreibt etwa der Behörde für Sozialwohnungen, der NYCHA, vor, die Treibhausgasemissionen in ihrem Gebäudebestand bis 2030 um 40 Prozent zu senken. Vor zwei Jahren verklagte die Verwaltung auch BP, Exxon und weitere Konzerne wegen ihrer Mitverantwortung für die Erderwärmung. Andere Kommunen und Bundesstaaten taten dies ebenfalls – man erhofft sich einen ähnlichen Effekt wie bei den großen staatlichen Klagen gegen die Tabakkonzerne in den 1990er-Jahren.
Die Stadt New York will ihre eigenen CO2-Emissionen bis 2050 um 80 Prozent gesenkt haben. Viele der Klimabeschlüsse sehen aber zunächst einmal vor, dass die einzelnen städtischen Behörden entsprechende Pläne entwickeln. Wie schon mehrere Bürgermeister vor ihm bezeichnet der aktuelle „Mayor“, Eric Adams, den Klimaschutz als zentrale Herausforderung der Stadtpolitik. Manchen Kritikern fehlt aber ein umfassendes Gesamtkonzept – sie sehen eher ein Sammelsurium unterschiedlicher Projekte.
Eines davon, das ähnlich hart umkämpft ist wie die Flutbefestigungen, ist das sogenannte Congestion Pricing: Bürgermeister und Ratsmehrheit wollen in Manhattan ein Mautsystem einführen, das es auf den umliegenden Autobahnen bereits gibt. So sollen die Bürger ermutigt werden, noch häufiger vom Auto auf Subways und Busse umzusteigen. Überlastet und in Teilen marode ist das öffentliche Verkehrssystem allerdings ohnehin schon.
Neben den umstrittenen Projekten gibt es aber auch solche, mit denen sich viele New Yorker identifizieren können. Besonders viel mediale Aufmerksamkeit bekommt zum Beispiel das private, von der Stadt unterstützte Billion Oyster Project – es hat sich zum Ziel gesetzt, eine Milliarde Austern in den Gewässern um New York anzusiedeln; zurzeit sei man bereits bei 75 Millionen. Austernbänke sorgten hier früher für eine Verlangsamung der Strömung, bevor man den Hafen für Schifffahrt und Industrie immer weiter ausbaggerte. Landschaftsarchitektin Kate Orff hatte die Idee, die Unterwasserbarrieren neu aufzubauen. Inzwischen züchten Ehrenamtliche Austern in großen Tanks, bevor diese dort, wo die beiden Flüsse sich mit dem Meer vereinigen, neue Austernbänke bilden – und diese könnten tatsächlich eine Flut verlangsamen, wenn eine solche auf die Metropole zurollt.
Dort, wo die gefürchteten Stürme und der Anstieg des Meeresspiegels die drastischsten Auswirkungen haben, hat man seit dem Hurrikan Sandy nie mit der Präventionsarbeit aufgehört: Auf der Halbinsel Rockaway, die zum Stadtteil Queens gehört, baute die Stadt in den vergangenen Jahren den neun Kilometer langen Boardwalk, die Promenade am Strand, flutresistenter um. Hier liegen einige der ärmsten Postleitzahlenbereiche der Stadt – die Erholung von mehreren Wirbelstürmen dauerte für viele Familien hier Jahre. Die Ecke leidet unter Leerstand, doch kürzlich bewilligte der Stadtrat ein neues Großprojekt: 2050 Sozialwohnungen werden neu entstehen, ein zweiter Komplex ist bereits im Bau. Viele Menschen sind skeptisch, ob es angesichts der Bedrohungen durch den Klimawandel klug ist, hier weitere Zehntausende anzusiedeln.
Solche Bauprojekte müssen den Klimaschutz nun zumindest immer einbeziehen, betont Steven A. Cohen, Direktor des Earth Institute an der Columbia University. Cohen erforscht, wie Städte zu nachhaltigen Gemeinwesen werden können, und verglich New York mit zahlreichen anderen Metropolen. Um sich erfolgreich auf den Klimawandel einzustellen, müsse eine Stadt beides gut organisieren: Anpassung und Schadensbegrenzung. New York, das nach dem Hurrikan Sandy nicht nur politisch aufgewacht, sondern auch finanziell gut ausgerüstet sei, stehe unzweifelhaft an der Spitze der amerikanischen Städte – aber den Europäern hinke man wiederum zehn Jahre hinterher, sagt Cohen.
Text: Frauke Steffens
Fotos: Mike Yi