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Wer Führungskraft sein will, muss sich wohl oder übel daran gewöhnen, nicht zu wissen, was morgen kommt – das sagt zumindest Barbara Stöttinger. Die Dekanin der WU Executive Academy weiß, wovon sie spricht, führt sie doch eine der erfolgreichsten Business Schools der DACH-Region und Europas. Für Stöttinger steht die Welt vor einem Umbruch – einem, der für Führungskräfte anstrengend wird. Doch er bedeutet auch die Chance, die Zukunft mitzugestalten.
Beim Thema „New Leadership“ sitzt Barbara Stöttinger quasi an der Quelle, und zwar in zweierlei Hinsicht: Einerseits lernt Stöttinger als Dekanin der WU Executive Academy jedes Jahr einen neuen Schwung an Führungskräften aus aller Welt kennen, die an die Business School kommen, um einen MBA zu machen; andererseits ist Stöttinger als Professorin an der WU Wien permanent in den Hörsälen mit neuen Generationen an Mitarbeitern und Führungskräften in Kontakt.
Stöttinger sieht, auf das Thema „New Leadership“ angesprochen, vor allem eines: eine höhere Geschwindigkeit und Unberechenbarkeit. Das bedeutet für Führungskräfte vor allem, dass sie sich anpassen, umdenken und reagieren können müssen. Und: Sie müssen gut kommunizieren, damit die Mitarbeiter nicht die Nerven wegwerfen. Drei-, Fünf- oder gar Zehnjahrespläne gehören der Vergangenheit an, so Stöttinger. „In Zeiten von Unsicherheit wünschen sich die Mitarbeitenden natürlich Stabilität. Da ist ein Plan ein willkommenes Werkzeug“, so Stöttinger. Doch: „Zu wissen, was in fünf Jahren ist – das ist heute ein Ding der Unmöglichkeit.“
Für Stöttinger lässt sich der aktuelle Umbruch am besten so beschreiben: von VUCA zu BANI. Das Akronym VUCA wurde in den 2000er- und 2010er-Jahren verwendet, um unsere Welt zu beschreiben; die Buchstaben stehen für Volatility, Uncertainty, Complexity, Ambiguity. Nun hält laut der Dekanin aber die BANI-Welt Einzug: Brittle, Anxious, Nonlinear, Incomprehensible – die Welt ist also brüchig, angespannt, nicht linear und nicht mehr zu verstehen. Doch was bedeutet das alles für Führungskräfte? Wie sieht der zugehörige Leadership-Typus aus? Und welche Herausforderungen und Chancen haben Menschen mit Führungsverantwortung heute und morgen? Wir haben Stöttinger an der WU Executive Academy besucht und genau diese Fragen gestellt.
Was verstehen Sie unter dem Paradigma „New Leadership“? Wo fängt das Thema an, wo hört es auf, wo würden Sie das einordnen?
Wir sehen im Grunde genommen Bruchlinien zwischen dem, was vielleicht vor fünf oder zehn Jahren war, und dem, was heute ist. Wir haben schon vor der Pandemie viel Veränderung durch Digitalisierung und digitale Geschäftsmodelle erlebt; mit der Pandemie wurde das schneller und es kam das Thema New Work dazu. Das zusammen führt dazu, dass die Herausforderungen in Sachen Führung heute gegenüber jenen von vor zehn Jahren doch andere sind – alles wird schneller, alles wird unberechenbarer und weniger vorhersehbar.
Diese Situation, in der man sich auf nichts verlassen kann, macht natürlich auch Führung unheimlich schwierig, und die Frage ist, was braucht man in einer solchen Situation? Was früher mit dem Akronym VUCA – Volatility, Uncertainty, Complexity, Ambiguity – beschrieben wurde, dafür steht heutzutage BANI: Brittle, Anxious, Nonlinear, Incomprehensible.
Sind diese großen Ereignisse deckungsgleich mit der Pandemie?
Aus meiner Sicht hat die Entwicklung schon vorher begonnen. Vor der Pandemie war die Frage, wie Digitalisierung in traditionellen Unternehmen stattfinden kann – Industrie 4.0 etwa. Wie kann ein Unternehmen im Verkauf, im Marketing et cetera digital agieren? Die Pandemie hat die Digitalisierung vom Business- auch in den Arbeitskontext ausgeweitet – zur Frage, wie Prozesse und Kundenbeziehungen digital stattfinden können, kam eine neue: Wie arbeiten wir digital zusammen?
Viele der Themen waren zuvor schon da, nun gibt es eine neue Dynamik. Und sobald die Pandemie „vorbei“ war, kam der Krieg in der Ukraine. Da merkt man diese neue BANI-Welt – was es ist, ist dann gar nicht so wichtig; es kommt mit Sicherheit die nächste Krise, nach der Krise ist vor der Krise. Das merken wir in einem sehr verdichteten Zeitraum hautnah. Genau darauf vorbereitet zu sein ist es, was New Leadership bedeutet. Man muss das Rad auch nicht neu erfinden: Es gibt Dinge, die wir bereits wissen – und dazu braucht es eben neue Perspektiven, die das ergänzen.
Kann man einen Zeitpunkt beschreiben, als die VUCA- von der BANI-Welt abgelöst wurde?
Beides sind Konzepte, um die Realität zu erklären, und beide laufen sicher in gewisser Weise auch parallel ab.
Ein Team auf eine gemeinsame Vision einzuschwören ist aber deutlich schwieriger, wenn man nicht weiß, was morgen kommt …
Genau davon müssen wir uns ein Stück weit verabschieden. Wenn jemand sagt, dass er weiß, was in fünf Jahren passieren wird – das ist ein Ding der Unmöglichkeit. Man muss große Pflöcke einschlagen, und dann aber so flexibel sein, dass man auf sich verändernde Bedingungen reagiert. Denn kein Plan ist auch kein Plan. Natürlich wollen Mitarbeitende in Zeiten der Krise Stabilität spüren – da ist ein Plan ein gern genutztes Werkzeug. Es braucht aber vielmehr eine Vision, wo man in fünf Jahren sein kann, und der Weg dorthin muss jedes Jahr evaluiert werden.
Es gibt in der Diskussion fast eine Zweiklassengesellschaft zwischen jenen, die über Homeoffice und Co diskutieren, und jenen in Berufen, wo das aufgrund der Natur der Tätigkeit kein Thema ist. Wie reagieren Führungskräfte auf diese unterschiedlichen Bedürfnisse?
Ein Kollege ist Geschäftsführer eines großen Industrieunternehmens in Rumänien. Er sagte, man müsse auf unterschiedliche Bedürfnisse eingehen: Die Produktion muss sicher sein für die Mitarbeiter, die Art der Arbeit muss mit ihnen gemeinsam entworfen werden. Überhaupt kann nicht jeder zu Hause arbeiten, nicht jeder will zu Hause arbeiten. In all diesen Fällen braucht es ein Wechselspiel zwischen einem Vorgeben der Richtung – das müssen die Führungskräfte tun – und dann aber einer Kollaboration, um den Weg gemeinsam zu entwerfen.
Die „alten“ Chefs waren stereotypisch meist alte weiße Männer, die autoritär geführt haben. Braucht New Leadership auch einen neuen Typus Führungskraft?
Ich bin gegen solche Klischees, denn das hat nichts mit Alter oder Geschlecht zu tun. Es geht einfach um Führung auf Augenhöhe – und es geht darum, wirklich viel und gut zu kommunizieren, insbesondere dann, wenn unterschiedliche Herkünfte, Altersgruppen und Tätigkeiten zusammenkommen. Und: Gerade in Zeiten der Unsicherheit sind viele Emotionen im Spiel; Unsicherheit, Angst et cetera. Damit gut umgehen zu können, ist ebenfalls ein wesentlicher Aspekt.
Fehlende Bindung zum Unternehmen durch Homeoffice, aber auch der Fachkräftemangel machen Arbeitgeber nicht nur austauschbarer, sondern erhöhen vor allem auch die Verhandlungsmacht von Mitarbeitern. Welche Rolle spielt das in Sachen Leadership für die nächsten Jahre?
Das ist eine große Herausforderung, auf vielen Ebenen. Der demografische Wandel zeigt, dass die Arbeitskräfte nicht mehr werden – und mehr Fokus auf Work-Life-Balance führt womöglich dazu, dass die Menschen keine 40 Stunden mehr arbeiten möchten. Jedes Unternehmen muss sich dabei überlegen, wo die eigenen Stärken liegen, was es anbieten kann und wie die Arbeit attraktiver wird. Da braucht es ein Umdenken.
Gerne wird über die Generation Z geschrieben, die angeblich anders tickt als vorhergehende Generationen. Ist da ein ernsthafter Wandel zu sehen oder sind solche Schlagworte ein reiner Marketing-Gag?
Ich komme aus dem Marketing, natürlich lässt sich damit auch gutes Geld verdienen. Aber ich bin mit dieser Generation auch über den Hörsaal sehr verbunden und merke, dass sich etwas ändert: Die wollen Sinn in ihrem Job haben und vielleicht nicht mehr 70 Stunden pro Woche arbeiten.
Und da kommen wir wieder zur Führungskraft, die sich überlegen muss, was eigentlich der Sinn ist in dem, was das eigene Unternehmen macht. Aber auch mehr Babyboomer steigen aus dem Hamsterrad aus und überlegen sich, was ihr Impact in den nächsten Jahren ist.
Was beschäftigt die Studierenden an der WU Executive Academy denn am meisten? Mit welchen Herausforderungen kommen diese Menschen zu Ihnen in die Kurse?
Die meisten haben schon einige Jahre einer erfolgreichen Karriere hinter sich und fragen sich, was sie die nächsten 25 Jahre machen sollen und welchen Impact sie haben können. Die wollen etwas Neues sehen, Menschen kennenlernen und über den Tellerrand schauen. Wir haben einen Alumnus, der von einer sehr erfolgreichen Karriere im Banking eine Position in der Regierung seines Landes übernommen hat – er wollte seine Erfahrungen und seinen Business-Background einbringen, um einen Beitrag zu leisten, sein Land in eine gute Zukunft zu führen. Und er wollte das dann nicht anderen überlassen, sondern selbst gestalten.
Wo sehen Sie denn ganz generell die größte Herausforderung und vielleicht auch Chance für Leadership in den nächsten Jahren?
Das ist sicher der Bereich Nachhaltigkeit. Die Herausforderungen angesichts der Klimakrise sind enorm, Unternehmen müssen etwas tun. Das wird auch für die Arbeitskräfte der Zukunft das größte Thema sein. Daran wird in Zukunft niemand vorbeikommen.
Was beschäftigt Sie selbst als Führungskraft am meisten?
Alle Themen, die wir angesprochen haben! (lacht) Es geht mir einfach darum, alle Generationen gut abzuholen und für alle einen guten Arbeitsplatz zu schaffen. Gleichzeitig will ich aber auch allen klarmachen, dass es uns als Business School nur gibt, wenn wir auch Kunden haben und es einen Markt für das, was wir anbieten, gibt. Das ist bei uns als Teil einer großen Universität noch einmal ein bisschen anders als in einem Unternehmen, wo das für alle Beteiligten völlig logisch ist. Und natürlich betreffen uns auch die Umstände – der Krieg in der Ukraine hat unmittelbare Auswirkungen auf uns und unsere Studierenden und Alumni.
Dazu kommt, wie ebenfalls schon angesprochen, das Thema Sustainability: Wir machen in unseren Programmen viele Reisen, um andere Wirtschaftsräume kennenzulernen – kann man das in Zeiten wie diesen noch machen? Darf man noch in ein Flugzeug steigen? Gleichzeitig braucht es natürlich den physischen Austausch. Da müssen wir eine gute Balance finden.
Was erwarten Sie denn in Sachen New Leadership in den nächsten Jahren? Wie wird die Zukunft für Führungskräfte?
In erster Linie anstrengend – und ich glaube, das muss auch mal gesagt werden dürfen. Niemand hat sich diese ganzen Veränderungen ausgesucht, aber es braucht auch niemand glauben, dass die Eier legende Wollmilchsau kommt und alles für einen löst. Die Zeiten werden auch interessanter, denn in seiner Komfortzone zu bleiben ist wahrscheinlich keine Option mehr. Dafür haben wir die spannende Möglichkeit, die Zukunft neu zu gestalten.
Fotos: Katharina Gossow