„Neni bleibt nie stehen“

Vor 13 Jahren trat Haya Molcho an, Wien mit levantinischer Küche mit Twist zu erobern. Heute ist das von ihr gegründete Neni ein schnell wachsender Gastronomiebetrieb mit 13 Standorten in Europa, und ein Familienunternehmen der ungewöhnlichen Art, denn Molcho führt den Betrieb mit drei ihrer vier Söhne als „Zwei-Generationen-Unternehmen“. Nun wollen die Molchos Europa erobern – und schielen auch nach Übersee.

Es ist ruhig an diesem Dienstag­morgen im Wiener Prater: Die Rollläden der Schießbuden sind hochgezogen, die Achterbahnen stehen still, der anhaltende Regen hat Läufer und Radfahrer weit­gehend von der Hauptallee ver­trieben. Das Treiben im siebenten Stock des Gebäudes am Rande des Vergnügungsparks in der Perspektivstraße 8 ist jedoch ein krasser Kontrast zur Stille – hier, über den Dächern des Praters und der Stadt, hört man das Klirren von Gläsern, Gelächter sowie die Schritte von Menschen, die sich am Buffet Nachschub holen. Über fehlende Kundschaft kann sich das Neni am Prater wahrlich nicht beschweren. Wir sind ein bisschen zu früh vor Ort und können so das Treiben in Ruhe verfolgen. Als erster der Interviewpartner trifft Ilan Molcho (im Bild links oben) ein, seinerseits CEO des Unternehmens, der uns – nach einem prüfenden Blick in den Raum – herzlich begrüßt, bevor er seine Runde macht, um den Mit­arbeitern Hallo zu sagen.

„Wir sind in Sachen Gäste eigentlich recht unabhängig vom Hotel“, sagt Molcho in Referenz auf das „Superbude Hotel Wien Prater“, das die ersten sechs Stöcke des Hauses belegt – „nur beim Frühstück haben wir uns geeinigt, dass die Hotelgäste zu uns kommen dürfen.“ Ilan Molcho ist der jüngste der insgesamt vier Köpfe hinter dem Unternehmen, das das Restaurant betreibt: Neni. Die anderen drei treffen nacheinander ein, erst die Brüder Elior (rechts unten) und Nuriel (links unten), später auch Haya Molcho (rechts oben), die Mutter der drei und das Aushängeschild des Hauses.

Gemeinsam führen die Molchos einen der interessantesten gastronomischen Betriebe Österreichs. 2009 gestartet verfügt Neni heute über drei Restaurants in Wien, betreibt neun weitere Standorte in Europa und verfügt zudem über ein schnell wachsendes Geschäft im Bereich der Lebensmittelproduk­tion. 2023 erwirtschaftet das Unternehmen planmäßig rund 23 Mio. € in der Neni Holding, wovon auf die Lebensmittelproduktion „Neni am Tisch“ rund 13 Mio. € entfallen (die Produkte werden in Österreich, Deutschland, der Schweiz, Italien und den Nieder­landen über Supermärkte vertrieben); der Rest stammt aus den Res­taurants Neni am Prater und Neni am Wasser (das Stammhaus am Naschmarkt ist nicht Teil der Holdingstruktur, Anm.). Die in einem Franchisesystem betriebenen Restaurants, die sich derzeit in Berlin, Hamburg, München, Köln, Zürich, Kopenhagen, Amsterdam, Paris und auf Mallorca befinden, erwirtschaften nochmal rund 24 Mio. € Umsatz. Insgesamt kommt die Marke Neni also auf rund 47 Mio. €.

Dass die drei Brüder, die zwischen Anfang und Mitte 30 sind, das Interview mit Forbes führen und die 68-Jährige Haya Molcho erst später zum Termin dazustößt, könnte für Beobachter auf eine anstehende Übergabe im Familienunternehmen hinweisen. Nuriel Molcho, der in der Geschäftsleitung für Kommunikation und Marketing verantwortlich ist, relativiert dieses Bild jedoch: „Neni war von Anfang an ein Zwei-Generationen-Unternehmen, was für Familienbetriebe eher ungewöhnlich ist.“

Die Anteile des Unternehmens verteilen sich zu je einem Drittel auf die drei Brüder Nuriel, Elior und Ilan, einzig Bruder Nadiv hat mit dem Betrieb nichts zu tun – er arbeitet als Schauspieler in Los Angeles.

Die letzte Zeit war für das Unternehmen nicht einfach, wie Ilan Molcho sagt: „Wir haben drei sehr harte Jahre hinter uns, das war fast nur Krisenmanagement. Jetzt wollen wir einfach Gas geben.“ Sein Bruder Elior sagt das Gleiche, in etwas anderen Worten: „Vor zehn Jahren hätten wir sicher nicht voraussagen können, wo wir heute stehen. Wir haben einfach ein enormes Wachstum erlebt. Wir haben eher wenig strategisch gedacht, vielleicht auch zu wenig. Nun ist klar, dass wir uns fokussieren wollen. Die Frage, die wir uns nun stellen, ist: Was wollen wir
mit unserer Marke eigentlich erreichen?“

Fast ein Jahr lang putzte Haya Molcho Ende der 2000er-­Jahre am Wiener Naschmarkt Klinken. Sie machte zu diesem Zeitpunkt bereits seit einigen Jahren Caterings, entschloss sich dann jedoch, ein eigenes Restaurant zu eröffnen. Da Molcho unbedingt am berühmten Markt im Zentrum Wiens an­gesiedelt sein wollte, war das jedoch kein leichtes Unter­fangen – denn die Plätze sind heiß begehrt und werden nur selten an „Außen­stehende“ vergeben. Doch irgendwann fand Molcho einen Betreiber, der verkaufen wollte. „Der Platz war damals nicht be­sonders attraktiv, aber ich wusste damals schon, was daraus werden könnte“, erzählt sie.

Ihre Söhne waren damals gerade mit ihrem Studium fertig – alle drei hatten in unterschiedlichen Städten gelebt. Sie halfen der Mutter aus; schnell wurde klar, dass das Konzept – leistbare, hochqualitative levantinische Küche – viel Potenzial hatte. Es folgten nicht nur weitere Restaurants, sondern auch ein weiteres Standbein in der Lebensmittel­produktion: Zufällig ergab sich damals der Kontakt zu Spar; die Neni-Erzeugnisse hätten ursprünglich nur in einer Pre­mium-Filiale angeboten werden sollen, es kamen aber rasch weitere Filialen dazu, bis Neni-Produkte schließlich in allen Spar-Filialen Wiens angeboten wurden. „Wir produzierten damals alles noch im Neni am Naschmarkt. Die ganze Familie sowie Freunde – und ich übertreibe nicht! – standen zwei Wochen lang von früh bis spät im Restaurant und haben Hummus in Plastikbecher gefüllt. Wir haben alles in ein Auto gepackt und mit Google Maps eine Tour erstellt, damit wir alle 50 Spar-Märkte beliefern können.“

Die Ausgangslage ist stets die gleiche, doch die Restaurants außerhalb Öster­reichs können die Neni-Küche durchaus lokal interpretieren, so Haya Molcho.

An diesem Punkt stellte sich die Familie die Frage, ob sie diese Mengen tatsächlich selbst stemmen kann. Statt auszulagern, entschied sich Neni dafür, die Produktion weiterhin selbst zu betreiben. Das Unternehmen mietete eine Halle am Rande Wiens an, um die Produktion zu professionalisieren. Bis heute werden die Lebensmittel für den gesamten europäischen Markt in Guntramsdorf produziert. „Das war sieben Jahre lang harte Arbeit.“ Heute produziert Neni am Tisch zwölf Tonnen Lebensmittel pro Tag und ist neben Spar in Österreich etwa auch in den rund 650 Filialen des Schweizer Einzelhändlers Migros verfügbar.

Die Expansion bei den Res­taurants funktioniert in einem Franchisesystem. In einer Koope­ration mit der Hotelkette 25 Hours, die seit 2021 vollständig zur fran­zösischen Hotelgruppe Accor ge­hört, betreibt Neni alle Standorte in Europa. Nur die drei Restaurants in der Heimatstadt Wien werden direkt von Neni betrieben.

Alle Restaurants sollen sich als Kern die Neni-Küche bewahren, dürfen aber durchaus Lokalkolorit aufweisen. „Wir lassen uns gerne inspirieren“, so Nuriel – und Mutter Haya Molcho ergänzt: „In unserem Restaurant auf Mallorca wird es natürlich mehr Fischgerichte geben, weil dort das Meer direkt vor der Tür ist.“

Dass das große Wachstum in den letzten Jahren durchaus auch seine Herausforderungen mit sich brachte, verschweigt die Molcho-­Familie nicht. Insbesondere die steigende Nachfrage in der Lebensmittelproduktion – einer sowieso nicht ganz einfachen Branche – ist kein einfaches Unterfangen. Einen externen Manager ins Unternehmen zu holen war bisher dennoch noch nie Thema. Elior: „Im Nachhinein kann man nicht wissen, ob es mit einem externen CEO besser oder schlechter gewesen wäre. Vielleicht wären wir schneller gewachsen oder hätten Fehler vermeiden können. Was aber sicher ist: Wir wären heute nicht auf dem Wissensstand, den wir haben.“

Wenn es in Zukunft Sinn ergibt, den CEO-Posten extern zu besetzen, sind die Molchos dafür offen – aktuell bleibt der Betrieb aber fest in Familienhand. Das hat auch damit zu tun, dass die Brüder über die Jahre ihre Rollen gefunden haben. Nuriel: „Wir haben mit Anfang 20 begonnen, unserer Mutter zu helfen. Wenn wir bei Lieferanten waren, um Verhand­lungen zu führen, kam immer die Frage: ‚Wann kommt Haya?‘ Wir wurden oft nicht ernst genommen.“

2009 gründete Köchin Haya Molcho das erste Neni-Restaurant am Wiener Naschmarkt.

Dass der jüngste der drei Brüder heute die Geschäftsführung innehat, liegt daran, dass sich alle auf ihre Kompetenzen fokussieren, wie Haya Molcho sagt: „Jeder macht das, was er am besten kann.“ Wäh­rend Ilan als CEO fungiert, kümmert sich Elior als Prokurist um das operative Management der Res­taurants. Nuriel verantwortet Marketing und Kommunikation und Haya Molcho dient als Aus­hängeschild und Gesicht der Marke.

Doch auch in Zukunft werde sich die Rolle der Gründer weiter verändern, schildert Ilan Molcho: „Vor fünf Jahren drehte sich alles nur um die Arbeit. Natürlich fragt man einander dann auch mal, warum der eine weniger arbeitet als der andere. Heute ist die Frage aber, wie wir klüger und somit weniger arbeiten und den Betrieb dadurch auch weniger von uns abhängig machen.“

Die Zukunftspläne des Unternehmens sind durchaus ambitioniert. Dass das in einer Zeit passiert, in der die Branche durchaus zu kämpfen hat, spürt aber auch Neni, obwohl die Marke durchaus helfe, wie betont wird. „Mitarbeiter zu finden ist und bleibt hart“, so Elior. Nuriel ergänzt: „Wir haben dennoch Mitarbeiter, die seit vielen Jahren bei uns sind. Wir müssen uns aber nicht nur Gedanken machen, wie wir neues Personal bekommen, sondern auch, wie wir das be­stehende Personal halten. Und da bieten wir viele Entwicklungs­möglichkeiten.“

Neben einem weiteren Res­taurant auf Mallorca, das bereits fix geplant ist, kann sich die Familie Molcho noch viele andere Standorte vorstellen. Angesprochen auf die „Wunschdestination“ äußern sie neben London auch die eigene Heimat Tel Aviv. Doch Ilan Molcho eröffnet auch eine ganz andere Perspektive: „Ich kann mir gut vorstellen, einmal in New York City ein Neni zu eröffnen“, sagt er. Bruder Elior beschreibt die Ziele der nächsten zehn Jahre so: „Wenn ich heute sagen müsste, wo wir in zehn Jahren stehen, dann haben wir hoffentlich ein starkes Wachstum mit unserer Lebensmittelproduktion in Europa, haben dafür bereits einen Vertriebspartner in den USA sowie weitere zehn Neni-Franchise-Stand­orte.“

Wichtig ist den Molchos nur, dass trotz allen Wachstums die Werte nicht verwässert werden dürfen. Für die Zukunft steht also lediglich fest, dass es bei Neni und Familie Molcho auch weiterhin turbulent bleibt – oder, wie es Elior Molcho zusammenfassend beschreibt: „Neni bleibt nie stehen!"

Text: Klaus Fiala
Fotos: Philipp Horak
Infografik: Emin Hamdi

Klaus Fiala,
Chefredakteur

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