NEELEMANS FRISCHE BRISE

David Neelemans neue Low-Cost-Airline Breeze setzt ihre Hoffnungen auf von Pandemiemüdigkeit angetriebene Freizeitreisen – und auf Studenten als Flugbegleiter.

Es ist Ende März und David Neeleman versammelt seine Mit­arbeiter in einem Hangar des Long Island MacArthur Airport. Der schlaksige 61-Jährige ist gut gelaunt und reißt Witze mit der Crew, die er für den Launch seiner fünften Fluggesellschaft Breeze Airways zusammen­gestellt hat. Neeleman kehrt 14 Jahre nach seinem Rauswurf als CEO von Jetblue – dem Unternehmen, in dem er seinen Ruf als manischer Airlinemacher gefestigt hat – in den US-Himmel zurück und hat viele bekannte Gesichter von damals zur Unterstützung mitgebracht. Nach einem frustrierenden Jahr voller Verzögerungen, geprägt durch die Pandemie und Remote-Arbeit, kann die Belegschaft endlich zusammenkommen. Auf dem kleinen Flughafen 50 Meilen westlich von New York City arbeiten sich Neelemans Leute nun durch eine Reihe von Sicherheitstests der Bundesbehörden, die es für den anstehenden Flugbetrieb braucht.

Eine Fluggesellschaft zu gründen mag nach 2020, dem schlechtesten Jahr in der Geschichte der Luftfahrtindustrie, bei vielen einfach nur Kopfschütteln hervor­rufen. Die sechs größten US-Flug­gesellschaften machten zusammen einen Verlust von 35 Milliarden US-$, und das, obwohl sie 25 Milliarden US-$ an staatlichen Zuschüssen erhielten. Breeze, das mit etwa 100 Millionen US-$ von externen Investoren und aus Neelemans eigenem Vermögen finanziert wird, soll bis Ende 2021 voraussichtlich über 200 Millionen US-$ an Kosten verursachen.

„Kümmere dich zuerst um deine Mitarbeiter – sie kümmern sich um deine Kunden, und deine Kunden kümmern sich um die Aktionäre.“

David Neelemann

Die Grenzen für internationale Reisende öffnen gerade wieder – doch ob die Zahl der Geschäfts­reisenden jemals wieder wie vorher sein wird, steht noch in den Sternen. Neeleman aber setzt fest auf die aufgestaute Sehnsucht seiner Landsleute, an den Strand zu fahren und Freunde und Familie zu besuchen, während im Hintergrund steigende Impfraten die Sorgen über das Coronavirus verblassen lassen. Die Passagierzahlen in den USA sind in den letzten zwei Monaten bereits angestiegen und lagen an einem der letzten Frühlingsferiensamstage bei 31 % des Niveaus vor der Pandemie.„Der Mensch ist ein soziales Wesen und nicht dazu bestimmt, in Häusern eingesperrt zu sein und mit Masken herumzulaufen“, sagt Neeleman, der mit Breeze einerseits jene Städte, die derzeit keinen Nonstop-Service anbieten, anfliegen und andererseits Freizeitreisende doppelt so schnell und weit günstiger als Delta, United und American an ihr Ziel bringen will.

Breeze startet mit einem Netzwerk von höchstens zwei­stündigen Routen – bis Juli soll es auf 15 Städte ausgeweitet werden. Die Airline konzentriert sich darauf, Amerikaner aus kleineren Städten, auch im Norden, zu den Urlaubs­destinationen im Südosten des Landes zu bringen. Die Fluggesellschaft hofft, dass die Preise („weit unter“ 100 US-$ pro Strecke) und die Direktflüge mehr Menschen als vor der Pandemie davon überzeugen werden, die wenig frequentierten Strecken zu nutzen.

Mit dieser Strategie ist Neeleman aber nicht alleine. Gemeinsam mit Avelo, einer Ultra-Low-Cost-Fluglinie des Ex-Allegiant-Präsidenten Andrew Levy, die ebenfalls dieses Frühjahr an den Start ging, gibt es mit einem Schlag sechs Billigflug­gesellschaften in Amerika. „Es wird ein Blutbad geben“, so Henry Harteveldt von Atmosphere Research, der nicht erwartet, dass „die Fluggesellschaften ihren Marktanteil kampflos an Breeze abgeben.“

Die günstigen Tarife von Breeze werden unter anderem durch die niedrigen Kosten der 15 gebrauchten Embraer-E190- bzw. -195-Jets ermöglicht. Einige der Flieger wurden von Azul, der brasilianischen Fluggesellschaft, die Neeleman nach Jetblue gegründet hat, übernommen. Andere werden für einen Spottpreis aus dem riesigen Kontingent der weltweit geparkten Flugzeuge geleast. Für die älteren Jets, die Breeze nutzt, sind die Leasingraten während der Pandemie um 23 % auf 88.000 bis 100.000 US-$ pro Monat gefallen, so der Luftfahrtdaten­anbieter Cirium.

David Neeleman (61)
...ist Mitgründer von Westjet Airlines und der Fluglinie Jetblue. 2008 gründete er die heute drittgrößte Airline Brasiliens, Azul. Neeleman ist auch an TAP Air Portugal und an Aigle Azur beteiligt.

Durch moderne Technologien, um die das Unternehmen konzipiert ist, will Neeleman zudem langfristig sowohl Kosten als auch den Personalbestand verringern. Dabei spielt eine Smartphone-App, mit der er alle Interaktionen mit den Kunden, bis sie das Flugzeug betreten, abwickeln will, eine große Rolle.

Diese App, so Neeleman, soll Kunden davon überzeugen, Upgrades und Extras zu kaufen, von denen Breeze abhängig ist, um Gewinn zu machen – von Verköstigung bis zu einem Mietwagen soll alles nur einen Klick entfernt sein. Zusätzliche Gebühren sind zwar
der Wind unter den Flügeln vieler Fluggesellschaften, Breeze verspricht allerdings, die Kunden nicht auszubeuten: Eingechecktes Gepäck wird auf Flügen unter drei Stunden 20 US-$ kosten, und es werden keine Änderungs- oder Stornierungs­gebühren eingezogen. Oder: Sitze
in der ersten Klasse in den A220-Flugzeugen werden für nur 50 bis 100 US-$ Aufpreis zu haben sein – deutlich geringer als bei anderen Fluggesellschaften.

Neu ist: An Bord werden die Reisenden von Collegestudenten aus Utah begrüßt, die Breeze als Teilzeitflugbegleiter rekrutiert hat; ein Job, den Neeleman im Wesentlichen als Praktikum beschreibt. „Es ist nichts politisch Korrektes, aber etwas, an das David von ganzem Herzen glaubt“, sagt Trey Urbahn, ein Vorstands­mitglied von Breeze, der mit Neeleman bei mehreren anderen Fluggesellschaften zusammen­gearbeitet hat.

Breeze zahlt einen monatlichen Fixlohn von 1.200 US-$ für 15 Tage Arbeit, stellt eine Firmenunterkunft zur Verfügung und übernimmt 6.000 US-$ an Studiengebühren für Onlinekurse. Die größte US-Flug­begleitergewerkschaft beurteilt Breezes Programm als Versuch, staatliche Work-Study-Subventionen zu missbrauchen, um die Lohnkosten niedrig zu halten: „Wir werden hart daran arbeiten, das nicht zuzu­lassen“, so Sara Nelson, Präsidentin der Gewerkschaft AFA-CWA.

Die Freude in der Branche über Neelemans neueste Airline hält sich laut Insidern in Grenzen – der Unternehmer wird von der Kon­kurrenz gefürchtet. Neeleman baute bisher vier erfolgreiche Fluggesellschaften in drei Ländern auf – eine beeindruckende Erfolgsquote.

Michael Lazarus, ein Risiko­kapitalgeber, der bislang alle Flug­gesellschaften von Neeleman unterstützt hat, sagt dem 61-Jährigen nach, noch immer die gleiche hyperaktive Energie zu haben wie bei seiner ersten Gründung mit 25 Jahren. „Er ist von der Überzeugung getragen, dass die Zu­friedenheit seiner Mitarbeiter zu zufriedenen Kunden führt. Er sagt den Leuten: ‚Das wird der beste Job sein, den Sie je hatten‘ – und das stimmt.“

Text: Jeremy Bogaisky
Fotos: Aaron Kotowski für Forbes

Dieser Artikel erschien in unserer Ausgabe 5–21 zum Thema „Travel & Tourism“.

Forbes Editors

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