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Guillaume Le Cunff, CEO Nespresso Global, geht mit der Nestlé-Kaffeemarke den Schritt in Richtung Nachhaltigkeit: Von der ökologisch angebauten Bohne aus dem Ostkongo bis in die Tassen der Konsumenten soll jede Station in der Wertschöpfungskette transparent gemacht werden. Den Kritikern zum Trotz, die von Umweltverschmutzung bis Wasserverschwendung auch die Mutter Nestlé konstant unter Beschuss halten, will Le Cunff diese neue Strategie durchziehen – und gibt sich siegessicher.
Lausanne am 30. Juni 2022, es ist 11 Uhr, Guillaume Le Cunff trinkt bereits seinen dritten Espresso. Zwei bis drei trinkt er heute sicher noch, und das bereits seit über 20 Jahren. Der CEO von Nespresso habe sich der Bohne – ihrer Erhaltung, Wiederbelebung und Bedeutung für die Umwelt – verschrieben, sagt er. Die 70 Bohnen in seiner Tasse haben einen langen Weg hinter sich: Unzählige Stationen (Anbau, Handel, Transport, Verarbeitung etc.) in mehreren Ländern haben sie innerhalb vieler Monate durchlaufen, um heute in Lausanne ihre Wirkung zu erzielen – geht es nach Le Cunff, eine nachhaltige.
Am Ufer des Kiwusees im Ostkongo geht die Reise einer Nespresso-Kaffeebohne los (natürlich gibt es noch viele andere Sorten in anderen Gebieten): Die reichhaltigen Böden der regenreichen Kiwu-Region sind die ideale Anbaugegend für die Arabica-Kaffeepflanze. Doch durch die jahrelangen politischen Konflikte in der Region liegen viele Plantagen brach. Das vom Nestlé-Konzern ins Leben gerufene Nespresso-Programm „Reviving Origins“ arbeitet bereits seit mehreren Jahren an einer Wiederherstellung der Kaffeewirtschaft in solchen Regionen, wo der Anbau durch Konflikte, wirtschaftliche Probleme oder Umweltkatastrophen bedroht oder eingebrochen ist. In der Kiwu-Region konnten so über 2.800 Bauern und Handelspartner bei der Wiederbelebung des Kaffeeanbaus unterstützt werden. „Reviving Origins“
sei eine von vielen nachhaltigen Initiativen von Nespresso, so Le Cunff; doch den Grundstein für die Implementierung des Nachhaltigkeitsgedankens habe das AAA-Programm („Triple A“) gelegt, holt er aus. Bereits 2003 mit der amerikanischen NGO Rainforest Alliance ins Leben gerufen konnte die Nestlé-Tochter bisher mit mehr als 140.000 Kaffeebauern in 18 Ländern – darunter Kolumbien, Simbabwe und der Sudan – zusammenarbeiten und sie beim ökologischen, sozialen und wirtschaftlich nachhaltigen Kaffeeanbau unterstützen.
Doch was bedeutet das konkret? Nespresso versucht über Jahre hinweg, direkte, langfristige Beziehungen zu den Bauern aufzubauen und implementiert dort anschließend nachhaltige Kaffeeanbaumethoden. Um die Gemeinschaften zu stärken, werden umfangreiche Investitionen in die lokale Infrastruktur getätigt – insgesamt zehn Mio. Schweizer Franken (8,78 Mio. €) nimmt das Unternehmen im Zeitraum 2019 bis 2024 dafür in die Hand –, etwa in Anlagen, die die Verarbeitung des Kaffees effizienter gestalten, eine höhere Kaffeequalität ermöglichen und dadurch für ein höheres Einkommen der lokalen Bevölkerung sorgen. Zusammen mit den Gemeinschaften werden auch Pensionssparpläne entwickelt, Schulungen und Fachwissen zu nachhaltigen Anbaumethoden angeboten und Frauen dabei unterstützt, Führungsrollen in Kaffeekooperativen zu übernehmen.
„Unsere gesamte Erfolgsgeschichte basiert auf unserem Versprechen, unseren Kunden Qualität zu gewährleisten. Und wenn ich von Qualität spreche, geht es um mehr als nur Geschmack; es geht um die Orte, Gemeinden und Menschen, die für diesen Geschmack sorgen“, so der CEO im Brustton der Überzeugung. Laut Le Cunff gehe es nicht darum, „Kaffee als Ware zu kaufen, sondern ihn von einem bestimmten Ort auf der Welt zu kaufen, wo er ethisch hergestellt wird“. Qualität, Geschmack, aber auch Marketing gehören zur Erfolgsstrategie. Einen besonderen Beitrag leisteten die Kaffeekapseln.
Mit der Idee, Kaffee in Aluminiumkapseln zu portionieren, die ausschließlich in speziellen Kaffeemaschinen zubereitet werden können, leistete Nespresso Pionierarbeit. Entwickelt wurden diese vor über 45 Jahren von Eric Favre, einem Ingenieur beim Mutterkonzern Nestlé, in einer Zeit, in der Kaffee noch in seiner Instantvariante der Vorzug gegeben wurde. Heute ist Nespresso in 81 Ländern vertreten und beschäftigt über 13.000 Menschen weltweit.
Das revolutionäre Kapselprodukt wurde bereits von zahlreichen Konkurrenten – Kaffeekonzernen wie Dallmayr und Lavazza, aber auch Supermarktketten und Eigenmarken verschiedener Drogerien – imitiert. Jede zweite in einer Nespresso-Maschine verwendete Kapsel ist heute eine Kopie. Die Konkurrenz profitiert davon, dass Nespresso-Kapseln zwar mit hoher Qualität und einem ansprechenden Design überzeugen, jedoch sehr kostenintensiv und mit Hürden in der Beschaffung verbunden sind: Nespresso-Kapseln können ausschließlich in Nespresso-Boutiquen oder im Onlineshop erworben werden (eine Ausnahme ist der Verkauf in Filialen der größten Schweizer Warenhauskette Manor). Als Kapselpionier verstand Nespresso es lange, sich als Premiumkaffee der Elite zu inszenieren (mit hoch bezahlten Werbegesichtern wie George Clooney machte man den Kapselkaffee zum Statussymbol), doch die Schattenseite ist, dass die kleinen abgefüllten Dosen die Umwelt verschmutzen – und zwar in erheblichem Maß.
Der Schweizer Lebensmittelhändler Migros beispielsweise hat jüngst ein neues Produkt vorgestellt, das all die Vorteile der Kapseln ohne ihre lästigen Probleme liefern soll. Mit „Coffee B“ hat Migros Kugeln (das Aussehen erinnert an Schokoladekugeln) erfunden, die aus Kaffee und Algen bestehen. Eine weitere Firma, die Ethical Coffee Company (ECC), will mit ihren Kaffeekapseln auch ohne Aluminium auskommen und stattdessen ökologisch abbaubares Material einsetzen: Dank Maisstärke und Pflanzenfasern soll der Kapselmüll von alleine verrotten. Statt Kapselkaffeemaschinen werden nun auch verstärkt wieder professionelle Siebträgermaschinen für zu Hause angeschafft und Filterkaffee getrunken, ergeben Umfragen – das Zeit- und Portionsargument, das lange für Aluminumkapseln sprach, wird zunehmend vom Nachhaltigkeitsgedanken überschattet. Eine kürzlich vom Österreichischen Kaffeeverband veröffentlichte Studie zeigt, dass sich der österreichische Konsument mehr Transparenz, Fairness und Ressourcenschonung entlang der Wertschöpfungskette in der Kaffeewirtschaft wünscht.
Und obwohl es so aussieht, als würde der Kapseltrend abnehmen, verbraucht man in Deutschland beispielsweise – eines der Länder mit dem höchsten Kaffeekonsum weltweit – immer noch jährlich circa 3,5 Milliarden Kapseln. Dieser Müllberg wiegt 14.000 Tonnen, wie die Deutsche Umwelthilfe ausgerechnet hat. Etwa 8.800 Tonnen davon sind Abfall aus Aluminium oder Kunststoff, der Rest ist Papiermüll der Verpackungen. Dazu kommt, dass die Herstellung von Aluminium mit einem extrem hohen Energieaufwand verbunden ist.
Nespresso hingegen wehrt sich gegen das Image des Energieverbrauchers und Müllverursachers. „Die Kaffeebohne wächst in der Kaffeekirsche an einem Strauch, ist also Teil einer frischen Frucht. Aluminium ist das beste Material, um die Frische der gerösteten Kaffeebohne vor Oxidation zu schützen. Außerdem werden unsere Aluminiumkapseln mit 80 % recyceltem Material hergestellt“, so Le Cunff. Nespresso bietet diverse Recyclinglösungen – u. a. die Gelbe Tonne, Sammelstellen und Lösungen in den Boutiquen etc. – an und verweist auf eine Recyclingrate von 32 % weltweit. Umweltlobbyisten aber merken an, dass das recycelte (Sekundär-)Aluminium von Nespresso nicht geeignet sei, um filigrane Kapseln herzustellen, sondern nur für die Herstellung von Leitern, Transportboxen oder Fensterrahmen zu gebrauchen sei. Sie stellen den von Nespresso proklamierten relativ hohen Anteil von 80 % Recyclingmaterial infrage. Das sei Greenwashing, so das Echo online. Als hätte Nespresso nicht genug mit kritischen Stimmen zu kämpfen, wird das Unternehmen (klarerweise) immer mit seiner Muttergesellschaft Nestlé assoziiert. Der weltgrößte Nahrungsmittelkonzern mit einem Marktwert von 360 Mrd. US-$ ist auf Platz 46 der Forbes 2000, der Liste der größten Börsenunternehmen der Welt, und steht ständig unter Beschuss. Die Vorwürfe: Wasserverschwendung, Abholzung des Regenwalds, Tierversuche und Kinderarbeit etc. Zu der Kritik am Mutterkonzern möchte sich der Nespresso-Chef nicht äußern, lieber nimmt er Stellung zur Kritik am eigenen Unternehmen: „In der Vergangenheit wurden wir oft wegen der Kapseln angegriffen. Um ehrlich zu sein, hatte ich, als ich bei Nespresso begonnen habe, die gleiche Wahrnehmung. Ich möchte beweisen, dass Nespresso Abfallvermeidung wichtig ist. Das mag wie eine Provokation klingen, ist es aber nicht.“
Im April dieses Jahres überragten positive Schlagzeilen die vielen kritischen: „Wir haben die B-Corp-Zertifizierung erhalten, darauf sind wir sehr stolz“, sagt Le Cunff. „Vor 30 Jahren haben wir diese Reise begonnen, ich persönlich vor 15 Jahren. Es ist also großartig, Unterstützung zu bekommen; eine Bestätigung für das, was wir tun und wer wir sind.“ Die Zertifizierung als B Corp ist eine der höchsten inter nationalen Auszeichnungen für sinnstiftend wirtschaftende Unternehmen. Der Kaffeeproduzent schließt sich damit einer internationalen Bewegung von über 5.000 Unternehmen an, die aktiv eine nachhaltige, soziale und faire Zukunft vorantreiben wollen; darunter Patagonia und The Body Shop.
Le Cunff will aber mehr: Ab Ende 2022 wolle Nespresso komplett klimaneutralen Kaffee verkaufen, betont er im Verlauf des Gesprächs wiederholt. „Rund 50 % des CO2-Fußabdrucks entstehen auf den Farmen, wo wir Kaffee anbauen.Wenn wir also den CO2-Ausstoß reduzieren wollen, müssen wir die Landwirte von der konventionellen Landwirtschaft zu regenerativen oder naturbasierten Praktiken bewegen.“ Auch das Pflanzen von Bäumen auf den bzw. rund um die Kaffeefarmen, von denen Nespresso seinen Kaffee bezieht, soll weiter vorangetrieben werden. Seit 2014 hat Nespresso bereits sechs Millionen Bäume pflanzen lassen.
Im eigenen Geschäftsbetrieb ist die Nestlé-Tochter bereits seit 2017 klimaneutral. 2020 verpflichtete sich der Konzern, bis Ende 2022 entlang der gesamten Lieferkette klimaneutral zu sein. Ob das gelingt, ist noch unklar. Langfristig hat Nespresso vor, die Vision „Net Zero“ zu erreichen, ein Ziel, das nochmals deutlich über die CO2-Neutralität hinausgeht. „Seit 2009 konzentrieren wir unsere Maßnahmen auf die Ursachen und Folgen des Klimawandels sowohl innerhalb als auch außerhalb unserer direkten Kontrolle. Die Herausforderung der Zukunft liegt in der Entkoppelung unseres Geschäftswachstums von den Treibhausemissionen. Dies erfordert ein grundlegendes Umdenken in der Wertschöpfungskette“, so der CEO.
Von einem Umdenken bei der Wertschöpfungskette von Kaffee spricht auch Holger Preibisch, Geschäftsführer des Deutschen Kaffeeverbands. „Wir müssen es schaffen, dass wir im Kaffeeanbau weniger Ressourcen verbrauchen, neben dem Kohlenstoff betrifft das aber auch die Ressource Wasser. Man darf nicht vergessen, dass die Kaffeepflanze recht wasserintensiv ist; allein das Entfernen der Kaffeekirsche aus dem Fruchtfleisch bedarf schon relativ hoher Wasserressourcen.“ Zudem gelte es, zu optimieren, was man künftig mit den Abfällen innerhalb der Produktion, unter anderem mit dem Kirschfruchtfleisch, macht. In seinen Augen ist Transparenz das wichtigste Mittel für die Kaffeeproduzenten: „Alle Unternehmen haben ein Interesse, ihre Lieferketten offenzulegen – denn nur dann kann man sicher sein, dass dieser Kaffee für Mensch und Umwelt adäquat angebaut wurde“, so Preibisch weiter. Viele Röster wären heute gar nicht mehr in der Lage, Kaffee einzukaufen, wenn nicht klar ist, ob er nach guten ökologischen Standards angebaut worden ist, ob die Löhne ordnungsgemäß gezahlt und die Rechte der Kaffeebauern gewahrt werden.
Guillaume Le Cunff zählt zu den Urgesteinen bei Nestlé: 1998 trat er bereits bei Nestlé Waters ein, 2007 wurde er Head of International Marketing bei Nespresso, 2015 dann Präsident von Nespresso USA und 2020 schlussendlich CEO Global. Der gebürtige Franzose erwarb seinen Bachelorabschluss an der Ecôle Supérieure des Sciences Commerciales d’Angers und seinen MBA in Business and Management an der HEC School of Management in Paris.
Transparenz schafft Nespresso beispielsweise mit jeder Tasse des zertifizierten Biokaffees „Kahawa ya Congo“ (einer Produktlinie aus dem „Reviving Origins“-Programm). Dabei arbeitet das Unternehmen
mit Open SC, einem Start-up mit Blockchain-Expertise, zusammen. Mittels QR-Code-Scans auf der Kaffeepackung kann der Weg des Kaffees von Süd-Kiwu bis in die Tasse der Konsumenten digital sichtbar gemacht werden.
Mit dem Kiwusee im Ostkongo verbindet Le Cunff auch seine schönste Erinnerung während seiner gesamten Nespresso-Karriere: „Ich war eingeladen, eine Kaffeefarm am Kiwusee zu besuchen – und da war eine Frau, die schon seit Langem Kaffee anbaute, aber noch nie die Gelegenheit hatte, ihren eigenen Kaffee zu probieren. Wir durften also ihren ersten Kaffee-Moment miterleben, an den ich mich für den Rest meines Lebens erinnern werde. Das sind persönliche Erinnerungen, die ziemlich gut zusammenfassen, was Kaffee für mich bedeutet.“
Fotos: Nespresso