Brexit: Moving Money

Wird London als Finanzzentrum abgelöst? Dublin, Paris und Frankfurt stehen bereits in den Startlöchern.

Von einer leidenschaftlichen Ehe zu sprechen wäre übertrieben. Doch nach einigen Schwierigkeiten entwickelte sich zwischen Großbritannien und der Europäischen Union über die Jahrzehnte hinweg doch so etwas wie eine stabile Partnerschaft, die auf gegenseitigem Respekt und wohlwollendem Miteinander basierte. Beide Seiten nutzten die Vorteile, die die Beziehung ihnen brachte – Großbritannien hatte sich die wohl besten Bedingungen aller Mitgliedsstaaten im europäischen Staatenverbund ausgehandelt, die EU durfte wie­derum ein globales Schwergewicht zu seinem Bündnis zählen.

Inmitten dieser Beziehung blühte London, die „City“, vollends auf. Die Stadt, die aufgrund ihrer kulturellen und politischen Vormachtstellung in Großbritannien sowieso schon als Hub in Europa galt, wurde noch stärker zum Finanzzentrum des Kontinents und beheimatete so ziemlich alle großen Finanzakteure. Junge, hungrige Universitätsabsolventen zogen nach London, um in die Finanzbranche einzusteigen, Banker machten die Pubs der Stadt unsicher, London stand in finanzbezogenen Diskussionen stets im Mittelpunkt.

Doch diese Hegemonie kommt nun ins Wackeln – und zwar gehörig. Der Grund ist ein recht einfacher: der Brexit. Am 23. Juni 2016 stimmten 51,9 Prozent der britischen Wähler in einem Referendum dafür, aus der Europäischen Union auszutreten – der von vielen gefürchtete Brexit war damit Realität. Großbritannien, Europa, ja die ganze Welt rieb sich am Morgen des 24. Juni ungläubig die Augen. Während viele Fragen auftauchten, war eine der am meisten gestellten: Was heißt das für das Finanzzentrum London?

Es war klar, dass der Brexit vor allem auch die Hauptstadt treffen würde. Denn um als Finanzinstitution in Europa tätig sein zu dürfen, benötigt es eine Genehmigung, beispielsweise eine Banklizenz. Im internationalen Geschäft benötigen Unternehmen für jedes einzelne Land, in dem sie operativ tätig werden wollen, eine solche Zulassung. Doch aufgrund der Freizügigkeitsbestimmungen der EU reicht es innerhalb des Staatenverbundes aus, in einem einzelnen Land eine Zulassung zu erhalten – und seine Dienstleistungen und Produkte dann im gesamten EU-Binnenmarkt anbieten zu können. Das bedeutet, dass etwa die US-Großbank JPMorgan sich in London niederließ, eine Lizenz erhielt und aus Großbritannien ihr gesamtes Europa-Geschäft steuerte. Diese Praxis nennt sich „Passporting“.

Die Europäische Union zu verlassen bedeutet in der Regel aber auch, den Binnenmarkt zu verlassen. Daraus folgt wiederum, dass Finanzunternehmen, etwa ausländische Investmentbanken, sich einen neuen Standort für ihr europäisches Hauptquartier suchen müssen.

Und da wird es spannend: Denn klarerweise wollen nun alle EU-Finanzhubs die Bankriesen aus den USA oder Asien in die eigene Stadt locken. „Das Geld“ in Europa beginnt sich also zu bewegen. Nur: Wohin bewegt es sich? Was bedeutet das für die Städte, Länder, Regulatoren und die Finanzstabilität in Europa an sich? Und wieder: Was geschieht mit London?

Die Trennung

„Es ist verwirrend, weil es verwirrend ist.“ Garvan Walshe versucht gar nicht erst, den Zustand von Großbritanniens Innenpolitik schönzureden. Und all jene, die die Verhandlungen rund um Großbritanniens EU-Austritt etwas genauer verfolgen, wissen, was der Brite meint. Walshe, Gründer und CEO von Brexit Analytics, einem Beratungsunternehmen, das sich auf die Auswirkungen des Brexits auf Unternehmen spezialisiert hat, scheint sich nämlich selbst nicht mehr ganz sicher zu sein, was eigentlich los ist.

Nachdem sich im Sommer 2016 der Schock über den Sieg der „Leave“-Kampagne gelegt hatte, fing die britische Regierung rund um die damals neue Premierministerin Theresa May – Vorgänger David Cameron hatte sein Schicksal an das Brexit-Votum geknüpft – an, sich Überlegungen zu den Details des Brexits zu machen. Nach langem Hin und Her, einigen Diskussionen um ein erneutes Referendum sowie ausgiebigem politischem Hickhack reichte May schließlich am 29. März 2017 in Brüssel das offizielle Austrittsgesuch ein. Somit haben beide Parteien – Großbritannien und die EU – nun zwei Jahre Zeit, um die Bedingungen zu verhandeln. Fest steht – Stand heute – jedenfalls nur eines: Großbritannien muss die EU bis 29. März 2019 verlassen.

Das war es dann aber auch schon mit den Sicherheiten. Walshe: „Die wahrscheinlichste Variante ist, dass es ein gemeinsames Freihandelsabkommen zwischen den beiden Regionen gibt. Dennoch raten wir unseren Klienten, dass sie sich für das extremste Szenario vorbereiten sollen.“ Dieses extremste Szenario wäre der Fall, wenn Großbritannien mit der EU lediglich unter den Regeln der Welthandelsorganisation WTO handeln könnte. „In diesem Fall würde sich die Handelsbeziehung der beiden Regionen nicht von jener zwischen der Europäischen Union und den USA oder Australien unterscheiden“, sagt Ian Stewart, Chefökonom des Beratungshauses Deloitte UK.

Auch Andreas Dombret, Vorstandsmitglied der Deutschen Bundesbank, rät Banken, sich vorzubereiten: „Die wichtigste Versicherung gegen Risiken aus einem harten Brexit ist eine akribische Vorbereitung. Deshalb rate ich allen Banken, für ein solches Szenario vorzusorgen.“

Der Knackpunkt für die Finanzindustrie – und viele andere Aspekte der zukünftigen Beziehungen – ist jedenfalls Großbritanniens potenzieller Zugang zum EU-Binnenmarkt. Ihn aufrechtzuerhalten würde einen sogenannten „Soft Brexit“ bedeuten, also eine weniger radikale Form der Trennung. Labour-Chef Jeremy Corbyn hatte im vergangenen Sommer seine Position relativ unerwartet drastisch geändert und plädiert seither für einen solchen weichen Austritt. Konservative britische Kräfte bevorzugen hingegen tendenziell einen glatten Schnitt, also einen harten Brexit.

Doch während Corbyns Gegenüber, etwa Premierministerin Theresa May oder der „Brexit Secretary“ David Davis in den Verhandlungen bereits Hoffnungen auf einen harten Austritt mit gleichzeitiger Möglichkeit für die Finanzindustrie, in London zu bleiben, schürten, schob EU-Chefverhandler Michel Barnier dem sofort einen Riegel vor: „Es gibt kein Handelsabkommen, das die Finanzbranche inkludieren würde. Es existiert schlicht nicht.“ Und weiter: „Durch Verlassen des Binnenmarkts verlieren sie (Großbritannien, Anm.) den europäischen Reisepass für die Finanzbranche.“ Auch wenn Prognosen schwierig sind: Es scheint wahrscheinlich, dass in London angesiedelte Banken ihre Koffer packen müssen.

Lebenskosten im Vergleich
Quelle: Savills, Bloomberg

Ausziehen

Finanzinstitut ist nicht gleich Finanzinstitut, Bank ist nicht gleich Bank. Deswegen muss man bezüglich der umzugspflichtigen Unternehmen unterscheiden: Den größten Effekt hat das Brexit-Referendum auf große, nicht europäische Banken mit starken Investmentabteilungen. Dazu gehören etwa US-Banken wie JPMorgan, Citigroup und Goldman Sachs oder japanische Institute wie Nomura oder die Mitsubishi UFJ Financial Group.

Ian Stewart von Deloitte: „Die größte Herausforderung stellt sich für Investmentbanken, insbesondere amerikanische. Diese Unternehmen steuern ihre europäischen Aktivitäten aus London. Für Großbanken wie die Deutsche Bank ist der Brexit hingegen keine ganz so große Sache – denn sie steuern auch heute schon große Teile ihres Geschäfts aus Kontinentaleuropa, in diesem Fall Frankfurt.“ Retail-Banking sei vom Brexit-Votum laut Stewart hingegen kaum betroffen, ebenso wenig der Bereich des Asset-Managements. Bei Versicherungskonzernen kommt es wiederum darauf an, in welcher Region sie ihr Geschäft abwickeln.

Der „Preis“ sind somit die großen (Investment-)Banken. Wie groß der Abzug aus London potenziell sein könnte, ist jedoch noch völlig unklar, die Schätzungen schwanken massiv. So geht eine Studie des globalen Beratungsunternehmens EY davon aus, dass bereits bis zum „Day 1“ des Brexits, also dem 1. April 2019, bis zu 10.500 Mitarbeiter London verlassen könnten. Allein die Deutsche Bank, deren Problem laut Stewart durch die starke Präsenz in Frankfurt ja eigentlich nicht so massiv sei, könnte laut Aussagen von Sylvie Matherat, Head of Regulation, rund 4.000 Mitarbeiter aus London absiedeln. JPMorgan gab eine ähnlich hohe Zahl an. Der Nachrichtendienst Bloomberg schätzte die Gesamtzahl auf über 13.000 Mitarbeiter.

Doch es gibt auch weniger dramatische Sichtweisen: Die britische Tageszeitung Financial Times schrieb im Dezember 2017, dass lediglich 4.600 Jobs aus London abgezogen würden – was nur etwas mehr als sechs Prozent des gesamten in London stationierten Mitarbeiterstands der Großbanken (insgesamt rund 72.000 Personen) bedeuten würde. Im Fall der Deutschen Bank wären es demnach sogar nur fünf Prozent, sprich 350 Personen; JPMorgan könnte das Doppelte, also 700 Mitarbeiter umziehen lassen. Das Problem dabei ist, dass diese Schätzungen zumeist vom kurzfristigen Bedarf der Institute ausgehen. Sprich: Wie viele Mitarbeiter müssen die Banken umsiedeln, um im April 2019 in Sachen EU-Geschäft handlungsfähig zu sein? Langfristige Planungen, wonach wohl deutlich mehr Personen umsiedeln könnten, sind deutlich ungewisser.

Ein nicht weniger wertvoller Schatz ist das Euro-Clearing-Geschäft. Damit ist der Handel mit Finanzprodukten, etwa Derivaten, gemeint, die in Euro bepreist werden. Clearinghäuser treten als Käufer und Verkäufer in solchen Transaktionen auf, haften für einen möglichen Ausfall für die tatsächlichen Käufer (etwa Investmentbanken) und erhalten im Gegenzug eine Zahlung. Londons Häuser wickeln den Löwenanteil dieses Euro-Clearings ab, das Volumen beläuft sich auf eine satte Billion € pro Tag. Das Geschäft ist daher heiß begehrt. So lancierte die Deutsche Börse mehrere Kampagnen, um für Frankfurt zu werben – und bekam prominente Unterstützung, denn der Europäischen Zentralbank (EZB) ist es schon lange ein Dorn im Auge, dass das Euro-Clearing außerhalb der Eurozone passiert.

Bereits 2015 versuchte die Notenbank, das Clearing in die Eurozone zu holen – ohne Erfolg. Es scheint wahrscheinlich, dass Mario Draghi und Co. nach dem Brexit einen neuen Versuch starten.

Banker suchen neue Heimat
Quelle: Bloomberg

Neue Verehrer

Wie nach dem Ende einer Liebesbeziehung sahen sich die Finanzinstitute, nachdem sie realisiert hatten, dass der Brexit kein schlechter Scherz ist, punkto Standorten nach potenziellen neuen Partnern um. Die Liste der „Verehrer“ ist lang, einzige Bedingung ist eine Mitgliedschaft in der Europäischen Union. Mit Frankfurt, Paris, Dublin, Amsterdam oder Luxemburg bleiben immer noch genügend Möglichkeiten, die europäischen Operationen aus einem globalen Finanzzentrum zu steuern.

Doch in den letzten Monaten zeigte sich, dass keine der infrage kommenden Städte die eindeutige Wahl ist. Paris, Frankfurt, Dublin, Amsterdam und Luxemburg finden sich daher in einem heftigen Standortwettbewerb wieder. Während Paris mit aggressiven Werbekampagnen versuchte, sich als einzige echte Metropole Europas neben London zu positionieren („Wann haben Sie das letzte Mal mit Ihrer Partnerin ein Wochenende in Frankfurt verbracht?“, fragten die Franzosen grinsend) waren die Deutschen überraschend zurückhaltend.

Andreas Dombret, Vorstandsmitglied der Deutschen Bundesbank, zu dem Thema: „Ich habe in der Vergangenheit stets unmissverständlich gesagt, dass sich die Bundesbank nicht an Standortwerbung beteiligt. Das wäre auch nicht unsere Aufgabe.“ Dem Aufseher liegt laut eigener Aussage vor allem die Finanzstabilität in Europa am Herzen. „Entscheidend ist für mich, dass Banken und andere Finanzmarktteilnehmer unter einer soliden Regulierung und Aufsicht stehen. Das ist im gesamten Geltungsgebiet der Europäischen Union gewährleistet.“

Ian Stewart
Ian Stewart studierte an der London School of Economics. Nach einigen Stellen in der Politik war er Chief Economist for Europe bei der Investmentbank Merrill Lynch, bevor er zu Deloitte UK wechselte, wo er die gleiche Position bekleidet

Doch auch die betont diplomatischen Aufseher in Deutschland sind sich durchaus bewusst, was für eine Chance der Brexit für Frankfurt bedeutet. Dombret: „Dass es einen Standortwettbewerb gibt, ist nicht überraschend, denn natürlich birgt der Zuzug von Finanzunternehmen – und mit ihnen der von qualifiziertem Personal – Chancen für europäische Finanzzentren.“

Dennoch bleibt man in Frankfurt, zumindest auf Aufsichtsseite, hart. Auch der Chef der deutschen Finanzmarktaufsicht Bafin, Felix Hufeld, warnte ausländische Banken davor, dass Deutschland keine Briefkastenfirmen akzeptieren würde. Die Institute müssten also, wollen sie sich in Frankfurt ansiedeln, voll regulierte, funktionierende Tochterunternehmen gründen, deren Management und IT-Systeme in Kontinental­europa angesiedelt sind. Die Europäische Zentralbank stimmte Hufelds Vorstoß ohne Zögern zu, und auch Andreas Dombret will keinesfalls, dass ein Name an der Haustür ausreicht, um sich als Bank in Frankfurt niederzulassen.

Garvan Walshe
Als CEO von Brexit Analytics berät Walshe in London und Brüssel Unternehmen zu den Auswirkungen des Brexit. Der Doktor der Philosophie war bereits zuvor in diversen Beratungsfunktionen tätig, zumeist an der Schnittstelle zwischen Politik und Wirtschaft.

Keine Werbung

Andreas Dombret
Andreas Dombret, Vorstandsmitglied der Deutschen Bundesbank, will keine Goodies an Banken verteilen, um sie nach Frankfurt zu locken. Der Aufseher erkennt das Potenzial des Brexit zwar – betont aber, dass der Bundesbank Finanzstabilität wichtiger sei.

Der Brexit lässt zahlreiche Banken aus London abwandern. Der Standortkampf zwischen Frankfurt, Dublin, Paris etc. ist voll im Gange. Wie steht die Bundesbank dazu? Welche Chancen – und Risiken – sehen Sie?

Ich habe in der Vergangenheit stets unmissverständlich gesagt, dass sich die Bundesbank nicht an Standortwerbung beteiligt. Das wäre auch nicht unsere Aufgabe. Entscheidend ist für mich, dass Banken und andere Finanzmarktteilnehmer unter einer soliden Regulierung und Aufsicht stehen. Das ist im gesamten Geltungsgebiet der Europäischen Bankenunion gewährleistet.

Wie schwierig ist es für Geldhäuser, dass die Verhandlungen derzeit noch völlig im Dunklen tappen?

Tatsächlich ist die britische Verhandlungslinie noch nicht erkennbar. Auf welche Art Brexit wir zusteuern, hart oder weich, ist derzeit nicht sicher. Das bedeutet für Finanzinstitute, dass sie im Zustand der Unsicherheit entscheiden müssen. Ein Spekulieren auf einen weichen Austritt ist dabei keine Option, denn die Zeit läuft. Die Institute müssen sich deshalb wohl oder übel auf einen harten Schnitt vorbereiten. Das bedeutet für manche von ihnen den Auf- oder Ausbau von Geschäftseinheiten und die Beantragung von Lizenzen an einem neuen Standort innerhalb der EU.

In Interviews sprachen Sie von rund 20 Finanzinstituten, mit denen sich die Bundesbank in Gesprächen befinde. Gleich­zeitig lehnen Sie es laut eigener Angabe ab, Goodies an Banken zu verteilen, um sie nach Frankfurt zu locken. Worum geht es denn in den Verhandlungen konkret? Warum wollen Sie nicht aktiv um Institute werben?

Der Brexit darf keinen Deregulierungswettbewerb auslösen – weder zwischen dem Vereinigten Königreich und der EU noch zwischen den EU-Staaten –, um umzugswillige Institute anzu­locken. Dank der weitreichend harmonisierten europäischen Regulierung und der gemeinsamen Aufsicht gäbe es dafür in der EU aber ohnehin kaum Spielraum. Das ist nicht nur wichtig, um gleiche Wettbewerbsbedingungen für die Institute sicherzustellen; eine strenge Aufsicht ist auch für die Finanzstabilität erforderlich.

Es verbietet sich daher schon aus meiner Verantwortung als Bankaufseher gegenüber der Allgemeinheit, „Goodies“ an Banken zu verteilen. Zu meinem Verständnis einer guten Aufsichtsarbeit gehört der enge Kontakt mit Instituten. Deshalb sprechen meine Kollegen und ich regelmäßig mit Bankvertretern. Insbesondere zum Thema Brexit haben uns in den vergangenen Monaten viele Institute kontaktiert, davon etwa 20 Großbanken. Dabei handelt es sich aber nicht um Verhandlungen, sondern um Informationsgespräche.

Was müssen Banken erfüllen, damit die Bundesbank grünes Licht für die Ansiedlung in Frankfurt gibt?

Der erste Schritt besteht für die Institute darin, sich über die Dienstleistungen klar zu werden, die sie hierzulande erbringen möchten. Das ist von zentraler Bedeutung, weil unterschiedliche Geschäftsmodelle unterschiedliche Lizenzen erfordern. Dann müssen die Banken nachweisen, dass sie über ausreichende finanzielle und personelle Kapazitäten verfügen, um einen ordentlichen Geschäftsbetrieb sicherstellen zu können. Und schließlich muss die Organisation des Geschäftsbetriebs angemessen sein, die Institute müssen also etwa ein Risiko­management und interne Steuerungsstrukturen vor Ort vorhalten, die den Umfang und die Komplexität ihres Geschäftsbetriebs widerspiegeln. Bei Instituten, die über weitere Konzernstrukturen im Ausland, insbesondere außerhalb der EU, verfügen, spielen die Möglichkeiten und Grenzen des Outsourcings eine wichtige Rolle. Grundsätzlich muss nämlich die Verantwortung für die hier betriebenen Geschäfte auch bei der hier ansässigen Einheit liegen – leere Hüllen und Briefkastenfirmen darf und wird es hier nicht geben.

Wie wichtig wären zusätzliche Finanzinstitute für das Finanzzentrum Frankfurt? Wie kann die Bundesbank davon profi­tieren? Hoffen Sie dadurch auch auf eine gewichtigere Stimme in der globalen Finanzbranche?

Deutschland hat natürlich ein Interesse an einem starken, diversifizierten Finanzplatz, der auch international Bedeutung hat. Die Rolle der Bundesbank in der Banken- und Finanzaufsicht ist allerdings klar abgegrenzt. Unsere Aufgabe liegt in der Sicherstellung der Finanzstabilität. An Standortwerbung für den Standort Frankfurt beteiligen wir uns nicht. Aber natürlich beeinflusst der Brexit die Bundesbank. Es werden Finanz­institute nach Frankfurt kommen, die nicht nur sehr große, sondern auch sehr komplexe Bilanzen haben. Das wird uns als Aufseher vor neue Herausforderungen stellen. Wir sind uns dessen bewusst, deswegen verstärken wir bei der Bundesbank und bei der EZB un­sere Aufsichtskapazitäten.

Einziehen

„Just left Frankfurt. Great meetings, great weather, really enjoyed it. Good, because I’ll be spending a lot more time there. #Brexit.“, twitterte Goldman-Sachs-Chef Lloyd Blankfein im Oktober 2017. Als sich die Frankfurter Standortförderung jedoch schon die Hände rieb, legte Blankfein knapp einen Monat später nach: „Struck by the positive energy here in Paris. Strong govt and biz leaders are committed to economic reform and are well thru the first steps. And the food’s good too!“

Der Chef des US-Investment­riesen Goldman Sachs wollte sich offensichtlich nicht entscheiden. Das Institut, das erst kürzlich einen teuren Neubau in London begann, spaltet also jene Geschäfte, die ab April 2019 nicht mehr aus London durchgeführt werden können, zwischen Paris und Frankfurt auf. Den Mitarbeitern wird es laut Blankfein freigestellt, in welcher Metropole sie arbeiten wollen – wobei die aus den USA stammenden Kollegen wohl tendenziell Paris vorziehen dürften.

Andere Institute waren da entscheidungsfreudiger. Ein Großteil der Banken hat sich bereits für eine einzige Destination als neue Heimat entschieden. Und dabei hat sich Frankfurt tatsächlich als heißeste Aktie am Standortmarkt herausgestellt. UBS, Morgan Stanley, Standard Chartered, Citibank, die südkoreanische Woori Bank und die japanischen Institute Sumitomo Mitsui Financial Group und Nomura siedeln entweder ihr europäisches Hauptquartier oder zumindest größere Sparten nach Deutschland um.

Die Gründe dürften neben der Nähe zur Europäischen Zentralbank (EZB) sowie dem Gewicht, das Deutschlands Stimme in der EU hat, auch die niedrigen Lebenskosten, leistbaren Büromieten und ein stabiles regulatorisches Umfeld sein. Anekdotisch zeigt sich das Interesse auch an den Berichten von Frank­furter Immobilienmaklern sowie den Betreibern von Eliteschulen in der Stadt, die seit dem Brexit von einer deutlich gestiegenen Nach­frage sprechen.

Markus Kullmann, Immobilien­experte bei Jones Lang LaSalle in Frankfurt, sagte gegenüber der Financial Times: „Wir erleben derzeit die größte Nachfrage­steigerung nach Büroobjekten seit vielen Jahren.“ Auch das Prestigeprojekt Tower 185, das kürzlich für 775 Millionen € verkauft wurde, stieg in den letzten Jahren – auch angetrieben durch den Brexit – um rund 50 Prozent im Wert.

Doch es ist nicht alles rosig, denn Privatwohnungen sind in Frankfurt rar gesät. Jochen Möbert von der Deutschen Bank schätzt, dass Frankfurt rund 30.000 Wohnungen zu wenig hat – vor den durch den Brexit verursachten Neuankömmlingen. Dass die Mieten also günstiger werden, ist nicht zu erwarten.

Die Wohnungsnot ist in Paris noch ein deutlich heikleres Thema, was die Franzosen aber nicht daran hindert, ebenfalls zu buhlen. Mit Erfolg, denn der Sieg von Emmanuel Macron, der Reiz einer kulturellen Top-Metropole sowie die gut ausgebildeten Kapitalmärkte sind auch für Banken und ihre Mitarbeiter hochinteressant.

Das strenge französische Arbeitsrecht scheint den Banken hingegen weniger gut zu gefallen. Dennoch: Die britische HSBC, die französische Société Générale sowie die Bank of America wollen in Paris aufstocken. Die anderen Konkurrenten gehen derzeit eher leer aus: Nach Dublin zieht bisher als einzige Großbank die britische Barclay’s, Amsterdam und Luxemburg konnten zu Redaktionsschluss noch keinen Finanzriesen von einem Zuzug überzeugen.

Lloyd Blankfein
Aus einfachen Verhältnissen stammend; studierte Rechtswissenschaften in Harvard. 1981 bewarb er sich bereits bei Goldman Sachs – jedoch ohne Erfolg. Als Goldman dann seinen Arbeitgeber kaufte, begann sein Aufstieg: Er arbeitete sich stetig hoch, 2006 wurde Blankfein CEO.

Das Leben als Single

Fest steht, dass die Karten in Sachen europäische Finanzzentren neu gemischt werden. Die überragende Vormachtstellung Londons der Vergangenheit scheint durch den Brexit durchaus in Gefahr zu geraten. Während der in Brüssel ansässige Thinktank Bruegel schätzt, dass der Brexit Londons Status als vorherrschender Finanzhub tatsächlich gefährden könnte, sehen Deloittes Ian Stewart oder Garvan Walshe von Brexit Analytics das weniger dramatisch: London werde weiterhin das dominante Finanzzentrum in Europa bleiben.

Die Verluste sind in jedem Fall schmerzhaft: Laut Bruegel könnten 30.000 Jobs (10.000 aus dem Bankensektor, 20.000 aus finanznahen Branchen, etwa Beratung) aus der City verschwinden. Den Umsatzverlust bezifferte die Denkfabrik auf acht Milliarden € pro Jahr, 1,8 Billionen € an Assets könnten zudem aus Großbritannien abfließen. Und damit ist Bruegel noch auf der konservativen Seite: EY ging in einer Studie 2016 davon aus, dass der Brexit Großbritannien auf lange Sicht rund 83.000 Arbeitsplätze kosten könnte.

Was bringt die Zukunft?

Ohne konkretes Verhandlungsergebnis und Wissen um den zukünftigen Handelsdeal zwischen Großbritannien und der EU ist es nahezu unmöglich, Entwicklungen vorauszusagen. Die europäische Finanzstabilität dürfte jedenfalls nicht in Gefahr sein, wenn man Andreas Dombret Glauben schenken darf: „Insgesamt sind die Risiken für die Finanzstabilität aus meiner Sicht begrenzt. Der Brexit ist kein unerwartetes Ereignis; und das schließt die Möglichkeit eines harten Austritts ein.“ Für Großbritannien ist der langfristige wirtschaftliche Effekt zwar nicht dramatisch, aber doch signifikant: Deloitte schätzt, dass der Brexit alleine das Land bis 2030 im Schnitt 0,2 Prozent an BIP-Wachstum pro Jahr kosten wird.

Die Aufseher stehen indes vor ganz eigenen Herausforderungen. Denn die Banken, die nun in andere Städte ziehen, haben komplexe Bilanzen und Verflechtungen. Dombret: „Das wird uns als Aufseher vor neue Herausforderungen stellen. Wir sind uns dessen bewusst, deswegen verstärken wir bei der Bundesbank und bei der EZB unsere Aufsichts­kapazitäten.“

Und: Trotz des bisherigen Erfolgs könnte Frankfurt unter Druck geraten. Während Frankreichs Wirtschaft unter Emmanuel Macron zunehmend liberalisiert wird und in Europa wieder vermehrt eine Führungsrolle einnimmt, steht Deutschland noch ohne Regierung da. Das Dilemma zeigte sich auch in der Bewerbung um die Europäische Bankenaufsicht (EBA): Frankfurt war von Anfang an äußerst ­siegessicher, schaffte es dann aber nicht einmal ins Finale.

Dort standen sich vielmehr Paris und Dublin gegenüber – wo Paris den Zuschlag durch ein glücklicheres Händchen beim Los erhielt. Doch abgesehen davon müssen Frankfurt und Paris sowieso über den Tellerrand hinausblicken, denn letztendlich kann sich Europa nicht vom Rest der Welt isolieren. Denn je nach Brexit-Deal könnten sich Banken auch entscheiden, Geschäfte gänzlich aus Europa abzuziehen und diese etwa in New York, Hongkong oder Singapur anzusiedeln. Klar ist einzig, dass das Geld in Bewegung bleibt.

Einig sind sich so ziemlich alle Beteiligten, mit denen man spricht, nur bei einer Sache: Selbst diejenigen, die gehörig vom Brexit profitieren, hätten sich eine andere Entscheidung der Briten gewünscht. Garvan Walshe war in der „Remain“-­Kampagne aktiv, Andreas Dombret hätte sich „ein anderes Ergebnis beim Referendum gewünscht“. Selbst die Trennung einer leidenschaftslosen Beziehung kann Schmerzen und Reue hervorrufen, so scheint es. Wie sich die Partner mit der neuen Situation zurechtfinden werden, muss sich erst zeigen.

Illustrationen: Valentin Berger

Dieser Artikel ist in unserer Januar-Ausgabe 2018 „Forecasting“ erschienen.

Klaus Fiala,
Chefredakteur

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