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Linx4 verarbeitet Echtzeitdaten aus der Maschinenproduktion und eröffnet damit Banken und Versicherungen neue Geschäftsfelder.
Man stelle sich vor, ein Industrieunternehmen kauft eine neue Maschine und lässt diese bei der Bank durch einen Kredit vorfinanzieren. Sollte diese Maschine zu Beginn noch nicht gänzlich ausgelastet sein, wäre es für das Unternehmen nicht sinnvoll, die Tilgungsrate des Kredits senken zu können, bis die Produktion voll anläuft und wieder mehr Geld zur Verfügung steht? Damit die Bank eine derart personalisierte Dienstleistung aber überhaupt erst anbieten kann, bräuchte sie die Echtzeitdaten aus der Produktion, und sie müsste außerdem in der Lage sein, diese Daten auch interpretieren zu können. Genau an dieser Schnittstelle setzt die IoT-Lösung des dreiköpfigen Gründerteams des niederösterreichischen Start-ups linx4 an. Mit der Bereitstellung von Produktionsdaten an Dritte besitzt das Unternehmen laut den Gründern ein Alleinstellungsmerkmal in Österreich.
„Ich habe schon im Studium (Master in Unternehmensführung & Entrepreneurship an der FH Wien, Anm.) gelernt: Daten sind der Treibstoff für neue Geschäftsmodelle“ – mit diesen Worten empfängt uns Paul Bruckberger in den Räumen von riz up, der Gründeragentur des Landes Niederösterreich – und bringt so auch gleich seinen Vater und Mitgründer Michael Bruckberger ins Spiel. Denn dieser kann auf 15 Jahre Erfahrung im Bereich von Industrie 4.0 sowie eine Unternehmensgründung (MIM.365) zurückgreifen und hat überdies laut eigenen Angaben weltweit 4.000 Maschinen in Unternehmen digitalisiert. Somit ist der Weg zu den – angenommenen – „Datenbergen“ nicht ganz so weit. Gemeinsam mit Christoph Rößner (wie Paul Bruckberger ebenfalls 25 Jahre alt), der wegen Kundenterminen während unseres Interviews in Deutschland unterwegs war, begannen die drei vor rund einem Jahr darüber nachzudenken, was sie aus diesen Daten machen könnten.
Dass im Team zwei Generationen aufeinandertreffen, hat laut den Gründern keine Nachteile: „Es wird oft gefragt: ‚Vater und Sohn, gibt es da Reibungen?‘ Die gibt es eigentlich überhaupt nicht!“, so Paul Bruckberger, und fügt hinzu: „Klar, Christoph und ich preschen manchmal vor, während Michael uns dann eher daran erinnert, auf die Marktperspektive zu achten. Aber das sind normale Diskussionen.“ Zumal die Rollen nach außen hin ohnehin klar verteilt sind: Die Jungen stehen im Rampenlicht. Paul Bruckberger ist Geschäftsführer und übernimmt auch in unserem Gespräch die aktivere Rolle. Christoph Rößner ist – als „Zahlenmensch“ – CFO und Michael Bruckberger, das „Industrial-IoT-Genie“, unterstützt mit seiner Erfahrung eher im Hintergrund. Drei Techniker und ein weiterer Mitarbeiter im Verkauf unterstützen das Gründerteam. Und im Beirat sitzen Branchengrößen wie der ehemalige T-Systems-Geschäftsführer Franz Grohs.
Das Ganze begann vor einem Jahr mit zwei Fragen: Wo sollen wir in den Markt eintreten? Und wo liegt der Mehrwert unseres Produkts? So würde linx4 den Produzenten zwar grundsätzlich die Möglichkeit bieten, mittels einer eigenen Lösung noch nicht digitalisierte Maschinen „datenfähig“ zu machen; auch richtete sich das Start-up eine Zeit lang unter dem Namen nxtbox dementsprechend aus. Letztlich fokussierte man sich aber doch auf die Datenaufbereitung: Informationen aus der Industrieproduktion (beispielsweise aus dem Automobil- oder Lebensmittelsektor) werden mittels einer digitalen Plattform für Drittparteien, vorrangig Banken und Versicherungen, nutzbar gemacht – und das laut den Gründern in einer vertrauenswürdigen Umgebung.
„Neuere Maschinen in der Industrie sind schon alle digitalisiert“, erklärt Michael Bruckberger, „viele Betriebe haben also jetzt bereits die Möglichkeit, Daten von ihren Maschinen generieren zu lassen und in Datenbanken zu speichern. Es hat sich aber herausgestellt, dass auch Dritte derartige Informationen benötigen. Warum? Weil beispielsweise Banken oder Versicherungen beim Thema IoT sehen: Da bewegt sich etwas!“ So können Versicherungen beispielsweise auf Basis von Daten ihre Versicherungsprämien je nach Nutzung anpassen oder sogar aussetzen.
Auch für linx4 bewegte sich bald einiges. Auf eine erste finanzielle Förderung von aws folgte diesen März die Aufnahme in den zweiten Batch von weXelerate. Paul Bruckberger kündigte daraufhin seinen Job bei Red Bull, um noch mehr Zeit in das Start-up investieren zu können. Im Juni wählte riz up linx4 (damals noch nxtbox, Anm.) im Rahmen seines GENIUS Ideen- und Gründerpreises zum „genialsten Start-up“.
Paul Bruckberger (vorne)
hat den Master in Unternehmensführung & Entrepreneurship an der FH Wien absolviert. Zusätzlich war er unter anderem bei Red Bull tätig.
Michael Bruckberger (hinten)
hat 15 Jahre Erfahrung im Bereich von Industrie 4.0, zudem gründete er bereits das Unternehmen MIM.365.
Gründung von linx4
Finanzierte sich linx4 zu Beginn noch selbst und später dann eben über die Förderungen, konnte das Team bereits einige Projekte mit Kunden initiieren. Und auch die nächste, im Januar 2019 schließende Finanzierungsrunde klingt – so viel verraten die Gründer an dieser Stelle bereits – erfolgversprechend. „Bis Mitte 2020 sind wir für vier bis fünf Leute durchfinanziert“, sagt Michael Bruckberger und fügt an: „Jetzt können wir abheben.“ Das passt zum Selbstverständnis der Firma: Möglichst rasch soll skaliert werden.
Dafür monetarisiert linx4 seine Plattform über Datenpunkte, also beispielsweise Kennzahlen im Bereich der Produktionsauslastung, die für eine monatliche Gebühr an Drittparteien zur Verfügung gestellt werden. Die eigene Plattform kann diese KPIs automatisiert aufbereiten – das soll für Skalierbarkeit sorgen. Hierbei stellt sich jedoch die Frage: Wie steht es um den Wettbewerb mit anderen Unternehmen in diesem Bereich? Dieser fällt laut den Gründern eher mager aus, zumindest im deutschsprachigen Raum. „Ein großer Mitbewerber (das Berliner Tech-Start-up Relayr, Anm.) wurde im September für 300 Millionen US-$ von der Münchener Rück (Münchener Rückversicherungs-Gesellschaft Aktiengesellschaft, Anm.) gekauft. Das hilft uns auch deshalb, weil es zeigt: Unser Thema wird mittlerweile ernst genommen“, sagt Paul Bruckberger.
Zudem habe sich zum Thema Industrie 4.0 in Österreich ohnehin ein viel größeres Bewusstsein entwickelt, als es noch vor fünf Jahren vorhanden war – insbesondere in Betrieben ab 500 Mitarbeitern. Dennoch: Die Möglichkeiten, die durch den neuen Datenfluss aus der Produktion an Dritte entstehen, sind so neuartig, dass die daraus resultierenden Business Cases teilweise erst erschlossen werden müssen. Das Unternehmen setzt dabei bereits heute auf technologische Zukunftsthemen, so spielt Blockchain ein wichtige Rolle. Der Einsatz der Blockchain ist laut den Gründern für die Datenweitergabe in manchen Projekten eine Schlüsselkomponente. Und da ist nicht zuletzt die Kreativität der Kunden gefragt. „Diese sind dann gleichzeitig unsere besten Vertriebspartner“, so Michael Bruckberger, „denn von den gemeinsamen Erfahrungen, die wir in den Pilotprojekten machen, können internationale Unternehmen ja nicht nur lokal profitieren, sondern auch weltweit.“
Kooperation
Eine erste Kooperation startete linx4 gemeinsam mit EY Österreich und der Erste Group. „Wir waren einfach zur richtigen Zeit am richtigen Ort“, schmunzelt Michael Bruckberger. Auf einem Event traf er Michael Schramm, den Leiter des Blockchain-Kompetenzzentrums für den DACH-Raum bei EY. Dieser hatte in der darauffolgenden Woche einen Termin mit der Erste Group und stellte dort das Projekt vor. In anschließenden Workshops entwickelte sich zwischen Datenspezialisten, Beratern und Bankexperten eine Zusammenarbeit, die laut den Beteiligten großes Potenzial für die Entwicklung neuer Geschäftsmodelle besitzt. Clemens Müller, Executive Assistant to the Board bei der Erste Group, sieht darin einen zukünftigen strategischen Wettbewerbsvorteil: nämlich, auf die richtigen Daten im richtigen Format zurückgreifen zu können – was für mehr Transparenz und beschleunigte Prozesse sorgt. Und: „Das Internet der Dinge beeinflusst bereits jetzt unsere Welt und hat das Potenzial, auch das traditionelle Bankengeschäft grundlegend zu verändern."
riz up Gründeragentur
„Linx4 ist ein Leuchtturmprojekt für unser Land“, sagt riz up-Berater Christoph Radon, „zumal wir hier gut sehen können, dass es Digitalisierungsprojekte gibt, bei denen vom Produzenten über den Berater bis hin zum Bank- oder Versicherungskunden wirklich alle profitieren.“ Radon begleitet und unterstützt die Gründer seit Sommer 2018 im hauseigenen Business-Development-Programm. „Häufig ist es so, dass Gründer in dieser späteren Phase schon so tief in ihrem Thema drinnen sind, dass sie gewisse Kleinigkeiten gar nicht mehr sehen. Als Externe sind wir da natürlich gute Sparringspartner.“Beraten wird beispielsweise beim Geschäftsplan, bei der Präsentationsvorbereitung für Events, bei der strategischen Ausrichtung – oder aber riz up fungiert als Drehscheibe und vernetzt die Gründer mit wichtigen Kontakten.
Und wie wird es mit linx4 weitergehen? „Das kann international in ganz kurzer Zeit ein Top-Start-up werden“, glaubt Radon. Die Marktaussichten scheinen ihm jedenfalls recht zu geben. Laut einer von creditshelf und der TU Darmstadt durchgeführten Studie „Industrieller Mittelstand und Finanzierung 4.0“ können sich mittlerweile 92 Prozent der mittelständischen Industrieunternehmen vorstellen, Echtzeitdaten aus ihrer Produktion für Kreditgeber zur Verfügung zu stellen. „Banken in Deutschland haben 500.000 Industriekunden“, rechnet Paul Bruckberger vor, „und ziemlich schnell Zugang zu mindestens einer Million Maschinen, davon sind 70 Prozent kreditfinanziert.“ Potenzial gäbe es also genug. Und das nicht nur im deutschsprachigen Raum. Nachdem Ende Januar 2019 die erste Finanzierungsrunde abgeschlossen sein wird, reist das Gründerteam im April ins Silicon Valley. „Maschinen gibt es auf der ganzen Welt, und Banken und Versicherungen natürlich auch“, so Paul Bruckberger. „Was hält uns also auf? Wir müssen es nur richtig angehen.“
Text: Clemens Gatzmaga
Fotos: David Višnjić
Dieser Artikel ist in unserer Dezember-Ausgabe 2018 „Sharing Economy“ erschienen.