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Mit Thomas Birtel als Vorstandschef hat sich der Aktienkurs der Strabag mehr als verdoppelt. Doch kann er den österreichischen Baukonzern fit für die Zukunft machen?
47 €. Von seinem Büro im Dachgeschoss der Firmenzentrale in der Donau City im 22. Wiener Gemeindebezirk hat Konzernchef Thomas Birtel nicht nur einen schönen Ausblick auf die vorbeifließende Donau. Immer im Blick hat er auch den Angebotspreis der Strabag-Aktie vom Börsengang im Jahr 2007. Der prangt nämlich auf einem Bild direkt über einem Besprechungstisch an Birtels Bürowand. „Das Bild habe ich von einem Freund zum Börsengang geschenkt bekommen“, erzählt der 64-jährige Deutsche. „Und es mahnt mich immer ein bisschen daran, dass es ein Ziel sein muss, den Aktienkurs zu verbessern.“ Denn obwohl die Aktie seit Birtels Amtsantritt im Juni 2013 deutlich von rund 16 auf 34 € gestiegen ist – den Angebotspreis hat sie nicht mehr erreicht. Zwar hatte sie am ersten Handelstag noch ein Kursplus von über sechs Prozent verzeichnet. Schon wenige Monate danach schlitterte die Weltwirtschaft aber in die Krise. Der Aktienkurs der Strabag brach zwischenzeitlich auf unter 10 € ein, das Unternehmen verlor 80 Prozent seines Börsenwerts.
Doch für Birtel geht es um viel mehr als lediglich die Anleger am Kapitalmarkt zufriedenzustellen. Er muss den traditionsreichen österreichischen Baukonzern sattelfest für das 21. Jahrhundert machen. Die Wurzeln der Strabag reichen bis ins 19. Jahrhundert zurück. Aus einem 1835 gegründeten Kärntner Handwerksbetrieb wurde in den 1970ern das Unternehmen Ilbau, auf dessen Chefsessel 1974 Hans Peter Haselsteiner Platz nahm. Dieser führte das Unternehmen Ende der 1990er-Jahre mit der heute namensgebenden deutschen Strabag aus Köln (führendes deutsches Unternehmen im Verkehrswegbau, Anm.) zusammen, deren Ursprünge sich ebenfalls bis ins 19. Jahrhundert zurückverfolgen lassen. 2013 machte Haselsteiner an der Unternehmensspitze Platz für Birtel, der schon seit 2006 ebenfalls Vorstandsmitglied gewesen war.
Die Strabag war mittlerweile zu einem der größten Baukonzerne in Europa aufgestiegen und scheint in der „Forbes Global 2000“-Liste auf.
Doch wie zukunftsfit ist die Baubranche aufgestellt? „Bauen ist Old Economy, ich bezeichne die Bauwirtschaft oft als das zweitälteste Gewerbe der Welt“, sagt Birtel. „Aber das Image ist heute falsch.“ Die Fortschritte bei der Produktivität seien in den vergangenen Jahren zwar langsamer erfolgt als etwa in der Automotive-Industrie, räumt der Strabag-Konzernchef ein. Allerdings ließen sich in Fabriken Abläufe leichter optimieren, weil sie sich immer wiederholen. Nicht so in der Baubranche: Dort beginnt man immer neu und muss sich mit anderen externen Partnern abstimmen. „Da müssen wir Boden wettmachen“, sagt Birtel. Die Digitalisierung am Bau sei aber eines der großen Themen, die das Unternehmen beschäftigen.
Die Vielfalt, dass wir alles bauen, ist sehr wichtig für unsere große Stabilität.
Gerade bei der Abstimmung zwischen den involvierten Partnern eines Bauprojekts kann die Digitalisierung nutzen: Bauwerke werden mittlerweile virtuell vorweggenommen – und zwar nicht nur die klassischen drei Dimensionen Höhe, Breite und Länge, sondern beispielsweise auch Baufortschritt, Materialien und Kosten. „Es geht dabei darum, dass alle Informationen um ein Bauwerk all denen sofort zukommen, die es angeht“, erklärt Birtel. Auch die Abläufe an der Baustelle selbst sollen mit der Digitalisierung optimiert werden: „Man kann in Echtzeit verfolgen, wo sich der Lkw mit den Materialien befindet, in welchem Zustand sie sind.“ Damit soll beispielsweise vermieden werden, dass Lkws bei der Asphaltmischanlage oder beim Abladen an der Baustelle im Stau stehen. Noch nicht durchgesetzt haben sich laut Birtel Betonmischungen aus dem 3D-Drucker oder Maurer-Roboter. Drohnen zur exakten Vermessung von Baustellen wurden von der Strabag in einem Pilotprojekt eingesetzt. „Aber bei selbstlernenden humanoiden Robotern sind wir noch nicht angekommen“, sagt Birtel.
Wie gebaut wird ist aber nur die eine Frage. Die andere ist, was gebaut wird. Und hier hat sich die Strabag breit positioniert. Sie deckt die gesamte Wertschöpfungskette im Bau ab: Hoch- und Ingenieurbau (dazu zählen etwa Brückenbau, Fertigteilproduktion, Gewerbe- und Industriebau, Anm.), Verkehrswege (unter anderem Bahnbau, Leitungs- und Kanalbau sowie Straßenbau, Anm.) – und in geringerem Ausmaß sogar Immobilienentwicklung. So hat die Strabag etwa in Hamburg die „Tanzenden Türme“ an der Reeperbahn als Projektentwickler umgesetzt. In Köln wird mit der „MesseCity“ derzeit das größte zusammenhängende Hochhausprojekt in Deutschland gebaut. „Das wird ein eigenes Stadtquartier, das wird Köln auch prägen“, sagt Birtel. In der für das Unternehmen deutlich wichtigeren Bausparte hat die Strabag hingegen nicht den Anspruch, Städte mitzugestalten: „Wir bauen, was der Kunde bei uns bestellt.“
Für die Strabag ist es Teil ihrer Diversifizierungsstrategie, in allen Bausegmenten vertreten zu sein: „Die Vielfalt, dass wir alles bauen, ist sehr wichtig für die große Stabilität, die wir seit vielen Jahren bei den Zahlen zeigen können.“ Das Bauen für die öffentliche Hand macht mit 55 Prozent etwas mehr aus – und darin ist der Straßenbau das dominierende Geschäftsfeld, sagt Birtel. Die unterschiedlichen Bausegmente verhalten sich aber auch in einzelnen Märkten unterschiedlich. „In Deutschland boomt der Hochbau seit Jahren, aber bei der Infrastruktur haben wir bis 2016 wenig gesehen.“ In Ungarn wiederum gebe es hohe öffentliche Infrastrukturausgaben, während private Projekte kaum eine Rolle spielen würden.
Die Staaten des ehemaligen Ostblocks sind bei der Infrastruktur auch nach über einem Vierteljahrhundert noch immer im Rückstand gegenüber Westeuropa. „Man sieht das sehr gut etwa an der Autobahndichte in Polen, da besteht noch für Jahrzehnte Aufholbedarf“, sagt Birtel. Während etwa in Deutschland mittlerweile Ersatz- und Erweiterungsbauten das größere Thema sind, geht es in Ost- und Mitteleuropa noch immer auch um Neubauten – vor allem beim Straßennetz, aber auch bei Eisenbahnstrecken, Hafeninfrastruktur und Kraftwerken.
Allerdings ist hier die Baubranche einem starken Einfluss der Politik ausgesetzt: Denn viele Projekte in Ost- und Mitteleuropa werden von den EU kofinanziert. Im Schnitt steuert die EU laut Birtel rund drei Viertel der Ausgaben bei. Und mit dem Austritt Großbritanniens aus der EU muss nun auch erst geklärt werden, wie die Beiträge des bisher zweitgrößten Nettozahlers ersetzt werden – kompensieren andere Mitglieder die Zahlungen oder wird gekürzt? „Sollte der Brexit zu niedrigeren Förderungen führen, würde das auch die Infrastruktur treffen“, sagt Birtel.
Sollten die Förderungen gekürzt werden, könnte dies zu einer Renaissance sogenannter PPP-Modelle führen – Public-Private-Partnerships. Dabei werden Ausgaben vom Staat gemeinsam mit Privatunternehmen finanziert. In Polen wurde etwa der Bau der Autobahn A2 von der Strabag mit einem Konsortium umgesetzt. Die Strabag hat dabei nicht nur gebaut, sondern ist noch bis 2037 an der Betreibergesellschaft der Autobahn beteiligt. Erst danach geht die A2 in das Eigentum des polnischen Staates über. Ganz generell seien PPP-Projekte in den vergangenen Jahren aber etwas ins Hintertreffen geraten, sagt Birtel. Wegen der niedrigen Zinsen sei es für Staaten attraktiver gewesen, Projekte konventionell zu finanzieren, sagt Birtel. Steigen die Zinsen wieder, könnte sich das aber ändern.
Einen Konjunkturabschwung in Europa fürchtet der promovierte Wirtschaftswissenschafter hingegen nicht. Das Baugewerbe gilt als klassische zyklische Branche – wenn die Wirtschaft gut läuft, profitiert die Baubranche überdurchschnittlich. Im Abschwung ist sie jedoch auch stärker betroffen als andere Branchen. Dass in den vergangenen Monaten einige makroökonomische Frühindikatoren eine Verlangsamung des zuletzt sehr starken Wachstums in Europa anzeigen, bringt Birtel dennoch nicht aus der Ruhe. Die verschiedenen Märkte würden sich meist unterschiedlich entwickeln, sagt er. In Deutschland etwa werden die Infrastrukturausgaben bis 2030 hoch bleiben – unabhängig von der Konjunktur: „Deutschland wird das durchziehen, egal, was makroökonomisch passiert.“ Hintergrund: Die Infrastrukturausgaben haben sich nach der Wiedervereinigung lange Zeit auf den Osten konzentriert. Mittlerweile besteht aber auch im Westen Handelsbedarf. Daher werde der wichtige deutsche Markt ein „stabiles Rückgrat“ sein, glaubt Birtel. Derzeit entfällt fast die Hälfte der Bauleistung des Unternehmens auf den deutschen Markt. Rund ein Fünftel machen Märkte in Ost- und Mittelosteuropa aus – etwa Polen, Tschechien und die Slowakei.
Thomas Birtel
Der gebürtige Deutsche (64) promovierte an der Ruhr-Universität Bochum zum Doktor der Wirtschaftswissenschaften. 2002 zog er zunächst in den Vorstand der deutschen Strabag AG ein und 2006 zusätzlich in jenen des Gesamtkonzerns. 2013 folgte er Hans Peter Haselsteiner als Vorstandsvorsitzender der Strabag SE nach.
Rund sechs Prozent der Bauleistung nehmen Märkte außerhalb Europas ein. In Chile hat die Strabag etwa kürzlich einen rund 800 Mio. € schweren Folgeauftrag für ein Wasserkraftwerk erhalten. In Südafrika baut das Unternehmen derzeit die höchste Straßenbaubrücke Afrikas. Lediglich ein Prozent der Bauleistung entfällt hingegen auf den russischen Markt. Als die Strabag 2007 an die Börse gegangen war, galt Russland noch als der große Hoffnungsmarkt. Der Baukonzern war nicht das einzige Unternehmen, das im Osten das große Geld witterte: Der Wiener Leitindex ATX stieg beflügelt von der sogenannten „Ostfantasie“ zwischenzeitlich auf über 5.000 Punkte. Die Spekulationsblase platzte jedoch – und auch für die Strabag erfüllten sich die Erwartungen nicht.
Zuletzt geriet der Baukonzern in Zusammenhang mit Russland wieder in die Schlagzeilen, allerdings auf eine andere Art als erwünscht: Kernaktionär Oleg Deripaska, dem gut ein Viertel des Unternehmens gehört, steht auf einer Sanktionsliste der USA, weshalb ihm sein Anteil am Gewinn derzeit nicht ausbezahlt wird. Denn die Sanktionen betreffen keineswegs nur US-Unternehmen – auch europäische Unternehmen können von der US-Regierung belangt werden, wenn sie mit Personen auf der Liste größere Transaktionen durchführen.
Keine Freude hatte die Strabag zuletzt außerdem mit einer anderen Regierung – und zwar der chinesischen. Bei einem Brückenprojekt in Kroatien wurde das Unternehmen von einem staatlich gestützten chinesischen Konsortium unterboten. Dieses bot zu wirtschaftlich nicht rentablen Preisen an, argumentiert die Strabag. Möglich sei das nur mit staatlicher Unterstützung der Regierung – was aber EU-Recht widerspreche. Die Strabag wandte sich daher an die EU-Kommission. „Geld verdienen kann man mit diesen Preisen nicht, das steht fest“, sagt Birtel. Wenn sie jemand anbiete, müsse es andere Absichten geben. Was ihn ebenfalls wundert: Chinesische Unternehmen habe bisher keinerlei Referenzen, was Brückenbau in Europa angeht.
Nichts zu ärgern gab es hingegen bei den jüngsten Jahresergebnissen der Strabag. 2017 erreichte das Unternehmen nicht nur bei der Bauleistung und beim Auftragsbestand, sondern auch beim operativen Gewinn Rekordwerte. Die Leistung lag 2017 bei 14,62 Milliarden €, der Auftragsbestand bei 16,16 Milliarden €. Operativ meldete das Unternehmen einen Gewinn von 448 Millionen €. Seit Birtels Amtsantritt im Jahr 2013 ist er damit um rund 70 Prozent gestiegen.
An der Börse spiegelten sich die guten Zahlen zuletzt jedoch kaum wider: Nach der starken Performance der Vorjahre hat die Strabag-Aktie seit Juli 2017 über sechseinhalb Prozent ihres Werts verloren. Im selben Zeitraum stieg der Aktienkurs des größten österreichischen Konkurrenten Porr um über elf Prozent – die Titel zogen Ende Juni sogar in den österreichischen Leitindex ATX ein. Die Strabag hingegen ist trotz ihrer Größe schon länger nicht mehr im führenden Aktienindex der Wiener Börse vertreten. Birtel sieht den niedrigen Streubesitz als Hauptgrund dafür. Der ist neben dem Handelsumsatz das Hauptkriterium für die Aufnahme in den Index. Bei der Strabag sind derzeit nur rund 13 Prozent der Aktien frei handelbar. Die restlichen Anteile liegen bei vier über einen Syndikatsvertrag verbundenen Kernaktionären: bei der Familie Haselsteiner, der Raiffeisen Holding Niederösterreich-Wien, der Versicherung Uniqa und der Rasperia-Gesellschaft von Oleg Deripaska.
„Mit einem höheren Streubesitz würde auch der Kurs steigen“, meint Birtel. Weil derzeit so wenige Aktien frei handelbar seien, sei die Strabag für viele institutionelle Anleger nicht attraktiv. „Viele US-Fonds dürfen uns nicht einmal anschauen.“ Die Kennzahlen würden einen höheren Aktienkurs jedenfalls rechtfertigen, ist Birtel überzeugt: „Wir halten uns für fundamental unterbewertet.“ Was auch die meisten Analysten so sehen würden – und tatsächlich liegen die Kursziele durchwegs über dem aktuellen Kurs. Die jüngsten Rekordergebnisse scheinen dem CEO ebenfalls recht zu geben. Im April dieses Jahres verlängerte die Strabag Birtels Vertrag um weitere drei Jahre bis 2022. Vielleicht steigt bis dahin auch der Aktienkurs wieder an – und die 47 € am Bild seines Büros sind dann nur mehr eine Erinnerung an ein bereits erreichtes Ziel.
Dieser Artikel ist in unserer Sommer-Ausgabe 2018 „Stadt – Land – Berg“ erschienen.