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Warum Japan in Sachen Robotik Vorreiter ist.
Wer an Roboter und künstliche Intelligenz denkt, denkt immer auch an Japan. Unsere Vorstellung der Zukunft orientiert sich an den Bildern, die in der technologieaffinen Nation geschaffen und freigesetzt werden. Warum blüht die Fantasie ausgerechnet dort so frei von Sorgen?
Hiroshi Ishiguro provoziert gerne. Er sagt Dinge wie „Roboter in die menschliche Gesellschaft einweben“, oder dass er ihnen schon bald „Bewusstsein einbauen kann“. Wenn Journalisten aus dem Westen zu Besuch sind, bietet er ihnen an, seinen Androiden Erica zu küssen. Bis jetzt wollte das niemand – zumindest nicht vor laufender Kamera. Erica ist einer 23-jährigen Japanerin nachempfunden, vereint in ihrem Aussehen angeblich die Vorzüge von 30 Frauen und soll laut ihrem Schöpfer „der intelligenteste Android“ auf dem Planeten sein. Wer die Welt der Robonautik betritt, trifft auf viele Superlative.
Populäre Erfinder wie Ishiguro sind geschickt in der Selbstvermarktung und in der Szene nicht unumstritten. Aber sie erfüllen ihren Zweck, und ihre exotischen Erfindungen transportieren besonders im Ausland das gewünschte Image. In den vergangenen Jahren ist ein regelrechter Wettstreit zwischen Nationen entbrannt, wer als Erster einen Durchbruch in der Robonautik erzielt. Wahrscheinlich war die Stimmung vor der Mondlandung nicht viel anders.
Alle paar Monate werden neue Erfindungen auf den Tech-Messen vorgestellt und gehen weltweit durch die Medien: der zweibeinige Roboter Cassie der Oregon State University, der Humanoid Sophia von Hanson Robotics in Hongkong oder der von der Nasa entwickelte Superroboter Valkyrie, der ins Weltall fliegen soll. Doch Japan, einst Roboternation Nummer eins, hat nach dem Tsunami im Jahr 2011 etwas den Anschluss verloren. Gerade kämpft sich der Inselstaat aber wieder zurück auf die Weltbühne. Ministerpräsident Shinzo Abe ist die treibende Kraft dahinter. Was vor 2007 mit „Innovation 25“ als Programm von ihm ausgerufen wurde, heißt nun „Robot Revolution Initiative“, ein Aktionsplan, mit dem auch die deutsche Plattform Industrie 4.0 kooperieren will.
Als Abe seine Vision vor mehr als zehn Jahren formulierte, produzierte das Land noch 52 Prozent aller betriebsfähigen Industrieroboter der Welt. In diesem Tempo sollte es weitergehen: Bis zum Jahr 2016 sollten 18,6 Millionen der Haushalte über Roboter verfügen, die ihnen im Alltag zur Hand gehen, hieß es in dem Strategiepapier der Regierung. Sogar von mechanischen Babysittern und flächendeckendem Einsatz von Pflegerobotern in den Altersheimen war damals die Rede. Doch trotz großzügiger Förderungen für die Entwicklung ist die Prognose nicht eingetreten: Die Kinder und Alten werden weiterhin von Menschen versorgt und bis auf intelligente Staubsauger und Lichtregulatoren muss die große Mehrheit der Japaner ihr Leben ohne Roboter bewältigen.
Warum klaffen Image und Realität der roboteraffinen Gesellschaft so weit auseinander? Die Gründe dafür sind vielfältig: Zum einen überlagern die politischen Slogans die derzeitigen Einsatzmöglichkeiten. Alleine eine Tür zu öffnen, Milch aus dem Kühlschrank zu holen oder einem Spielzeug auf dem Boden auszuweichen, sind für Roboter komplexe Herausforderungen. Zum anderen fallen die Wohnungen in Japan für westliche Standards eher klein aus – wohin also mit einer großen Maschine? Und last, but not least sind Roboter in der Anschaffung sehr teuer, vergleichbar mit einem Kleinwagen.
Das Universum künstlicher Intelligenz ist beinahe grenzenlos.
Funktionen und Formen gibt es viele – das Spektrum reicht von einfachen Fähigkeiten bis zu hochkomplexen Systemen, von schwacher bis zu starker KI. Ein Überblick.
1. Haushaltshilfen und Serviceroboter
Sie erbringen simple Dienstleistungen für den Menschen. Das bekannteste Exemplar dieser Gattung ist wohl ein Staubsaugerroboter, der mittels Sensoren selbstständig den Boden reinigt. Erstmals 1996 im Fernsehen vorgestellt, wuchs der Markt für Saugroboter in Österreich 2016 um sechs Prozent; rund vier Prozent der Gartenbesitzer lassen sich von einem intelligenten Rasenmäher helfen, Tendenz steigend. Neuere Modelle speichern räumliche Informationen und erstellen Raumpläne und Fahrmuster.
2. Personal Assistants
Alexa, Siri, Google Assistant – hinter den meist weiblichen Stimmen von „intelligenten persönlichen Assistenten“, die seit 2012 im Einsatz sind, steckt eine Software, die gesprochene Befehle analysieren kann. Eine Aufforderung oder Frage wird erkannt und über das Programm an eine Anwendung weitergeleitet. Für eine schnelle Verarbeitung ist eine Internetverbindung notwendig, fortgeschrittene Programme wie Siri oder Google Assistant stellen bei Unklarheiten sogar Rückfragen. Firmeneigene Endgeräte wie Amazons Alexa können durch Interaktion mit Bots Bestellungen beim Hersteller tätigen.
3. Schachcomputer
1914 wurde der erste Schach spielende Automat in Paris vorgeführt, 1977 erschien der erste kommerzielle Schachcomputer für zu Hause. 1997 gelang es dem IBM-Programm Deep Blue als erstem Computer der Welt, den Schachweltmeister, damals Garri Kasparow, zu schlagen. AlphaGo von Google DeepMind schlug 2016 einen der weltbesten Go-Spieler, Lee Sedol. Das Programm verwendet neben der Monte-Carlo-Methode Lernmethoden für tiefe neuronale Netzwerke ein Meilenstein in der Weiterentwicklung.
4. Chatbots
Grundsätzlich handelt es sich dabei um Dialogprogramme, die über Texteingaben das Thema erkennen und aus einer Datenbank Antwortmöglichkeiten suchen. Ausgeklügelte Systeme werden auch als virtuelle persönliche Assistenten bezeichnet, ähneln jedoch eher Volltextsuchmaschinen wie Google als künstlicher Intelligenz. Bereits in den 1960er-Jahren wurde Eliza der Welt vorgestellt, eine virtuelle Psychotherapeutin. Mittlerweile funktionieren Chatbots nicht nur über geschriebenen Text, sondern auch mittels Spracherkennung, etwa in einem Callcenter oder einem Smartphone. Auf diesem System basieren die Funktionen von Sprachassistenten wie Siri oder Alexa.
5. Humanoide
Der erste Prototyp einer dem Menschen nachempfundenen Maschine wurde 1939 bei der Weltausstellung in New York vorgestellt. Besonders Bewegungsabläufe sind dem menschlichen Körper nachgebaut: Humanoide gehen auf zwei Beinen, haben Rumpf, Gliedmaßen und Kopf. Einen großen Fortschritt machte 1962 der Wiener Claus Scholz: Sein MM 7 konnte bereits Türen öffnen und Getränke einschenken, wenn auch nicht autonom. Heute werden Roboter trainiert, zu kochen, ein Musikinstrument zu spielen oder Treppen zu steigen. Marktreife haben bisher jedoch die wenigsten erlangt. Große Aufmerksamkeit erhielt Sophia, ein von Hanson Robotics entwickelter Humanoid, der starke menschliche Züge aufweist und fähig ist, ein Gespräch zu führen. 2017 verlieh Saudi-Arabien dem Roboter die Staatsbürgerschaft, was angesichts der Menschenrechte von Einwanderern auch für einige Kritik sorgte.
6. Assistenzroboter
Im Gegensatz zum Industrieroboter können „Personal Robots“ mit Menschen und ihrer Umwelt interagieren und werden deshalb auch für Therapiezwecke eingesetzt. Berühmtes Beispiel ist der Roboter Paro, ein „Medical Commitment Robot“ mit dem Aussehen einer Robbe. Er wurde bereits in den 1990er-Jahren am National Institute of Advanced Industrial Science Technology (AIST) in Japan entwickelt und erfolgreich als Begleitung in Demenztherapien und Pflegeheimen eingesetzt. Über Sensoren sammeln Personal Robots Daten über Berührungen, Geräusche und Interaktionen und verknüpfen diese Inhalte. An der Universität Bremen wurde der Assistenzroboter Friend entwickelt, der Menschen mit körperlichen Einschränkungen zum Beispiel beim Zubereiten von Speisen helfen soll.
7. Militärische Roboter
In den USA wird der Großteil der Entwicklung von Robotern durch das Militär finanziert. Mögliche Einsatzgebiete reichen von der Minenräumung bis zu Aufklärung und der sogenannten Zielbekämpfung, etwa durch unbemannte Kampfdrohnen. Im Vordergrund stehen die mögliche Einsparung von Kosten und eine mögliche Verringerung der Zahl der Kampftruppen. Indien kündigte 2013 an, im kommenden Jahrzehnt Kampfroboter entwickeln zu wollen, um weniger Soldaten an die Front schicken zu müssen.
Mit dieser Diskrepanz zwischen Wunsch und Wirklichkeit beschäftigt sich die Japanologin Cosima Wagner. Sie forscht an der Freien Universität Berlin zur Akzeptanz und kulturellen Einbettung von Robotern im Alltagsleben. „Ishiguro macht eine gute Show“, meint sie. „Aber das spiegelt natürlich weder die Möglichkeiten noch die Bedürfnisse der rund 127 Millionen Japaner wider.“ Vonseiten der japanischen Wirtschaft und Politik würden „ultraoptimistische Prognosen“ ausgegeben, die seit Jahren nach unten korrigiert werden müssen. Intelligente Maschinen wurden bisher meist „top-down“ erfunden, also ohne auf die Anliegen derjenigen einzugehen, die die Technik später kaufen sollen.
Wie wichtig der Austausch ist, zeigt das Beispiel der Altersheime, angesichts der rasant alternden Bevölkerung Japans ein bedeutsames Terrain. In einigen wenigen wird der Einsatz von Heberobotern seit einiger Zeit getestet. Bedenken äußerte vor allem das Pflegepersonal: Die Patienten würden sich wie Ware fühlen. Doch dann überraschten die Senioren mit breiter Zustimmung. Viele fanden es toll, mit der Maschine aus dem Bett gehievt zu werden. Jetzt werden sie mehr in die Entwicklung miteinbezogen, berichtet Wagner. Auch Paro, ein persönlicher Roboter im Robbengewand, kommt bei der älteren Bevölkerung gut an. Er wurde 1993 von Takanori Shibata entwickelt, um depressive und demente Patienten bei der Therapie zu unterstützen. Mit großem Erfolg: Paro wird heute auch in mehr als 40 Pflegeheimen in Deutschland eingesetzt. Er jault und blinzelt, wenn man ihn streichelt, und erkennt über Sensoren, wer mit ihm interagiert. Hier liegt laut der Japanologin Wagner auch der große Unterschied zu Ishiguro, der zwar bahnbrechend im Bereich der Humanoiden experimentiert, die aber keinen gesellschaftlichen Mehrwert stiften würden. Anders beurteilt sie die Arbeit von Yoshiyuki Sankai, ebenfalls ein populärer Robotiker: Aus seinem Labor der Tsukuba-Universität stammt Hal (Hybrid Assistive Limb), ein intelligenter Exoskeleton-Anzug, der gehbehinderten Menschen beim Gehen helfen kann. „Sankai ist das Gegenbeispiel. Er zeigt, wie Technologie und Medizin verbunden werden können.“
Auch, wenn Roboter noch nicht so stark in die Alltagskultur Japans eingedrungen sind, wie die PR vermitteln möchte, gibt es im Inselstaat weit weniger Ängste und Barrieren als in Europa. Wer sich seit Jahrzehnten eingehend mit der japanischen Politik und Kultur in diesem Zusammenhang beschäftigt, ist Jennifer Robertson, Professorin an der University of Michigan. Anders als in anderen Industrienationen gebe es in Japan kaum rechtliche Einschränkungen in der Forschung. In ihrem aktuellen Buch „Robo Sapiens Japanicus“ stellt Robertson die These auf, die konservative Regierung Abes verfolge mit der „Robot Revolution“ eine konservative Familienpolitik. „In dieser Logik wird der Arbeitskräftemangel von Maschinen ausgeglichen, Frauen sollen weiterhin zu Hause bleiben, Arbeitsmigranten werden nicht gebraucht“, schildert die Anthropologin via Skype.
Generell halte sie die Robotik für eine sehr männlich dominierte Welt, 99 Prozent der Entwickler seien Männer. Da mag es kaum verwundern, dass so viele Humanoide jungen, zarten Frauen nachempfunden sind. Ishiguro, der sich selbst in mehreren Varianten verewigt hat, sei ein Narzisst und versuche nun mithilfe plastischer Chirurgie, seinem Androiden ähnlich zu bleiben. „Dabei wäre es umgekehrt viel leichter“, sagt Robertson lachend. Dass Humanoide von vielen Menschen aufgrund des „Uncanny-Valley-Effekts“ abgelehnt würden, glaubt sie nicht. Der Effekt wurde 1970 von Masahiro Mori beschrieben und besagt, dass künstliche Figuren eher akzeptiert werden, wenn sie nicht zu realistisch wirken. Allerdings bezog sich Mori auf Prothesenhände und schlussfolgerte, vor allem Frauen würden sich beim Händeschütteln unwohl fühlen. Mit der heutigen Welt der Roboter hat die Theorie wenig zu tun; Robertson ist überzeugt, humanoide Formen werden sich durchsetzen. Das hat noch einen anderen Grund: Weil es so schwierig ist, Maschinen flexible Bewegungen zu programmieren, damit sie stabil auf zwei Beinen gehen können, werden oft Kinder- und Entwicklungspsychologen herangezogen. Wie ein Mensch krabbeln und gehen lernt, lernt das auch ein Roboter.
Die Manga-Kultur und der Animismus tragen auch dazu bei, dass Japaner einen entspannten Umgang mit Robotern und künstlicher Intelligenz pflegen. „Das Dogma von ‚Gott spielen‘ gibt es dort nicht – denn es gibt ja keinen Gott“, erklärt Robertson, die selbst 20 Jahre lang in Japan gelebt hat. Anders als die Sorge vor der Machtübernahme durch Maschinen oder Arbeitsplatzverlust, was in Europa stärker diskutiert wird, hat sie das Thema Überwachung vor Augen. Eine Alexa oder Siri stehe jedenfalls nicht bei ihr zu Hause: „Ich brauche kein Gerät, das mein Licht an- und ausschaltet.“
"ICH BIN EINE KI"
Etwa ein Kilo schwer und 23,5 Zentimeter hoch: Das sind die verfügbaren Maße von Alexa, der sprachgesteuerten Assistentin
von Amazon. Einige Millionen Stück wurden bereits verkauft, über die exakten Verkaufszahlen schweigt der Konzern. Höchste Zeit, sich mit Alexa zu unterhalten.
Alexa, sind wir per Du oder per Sie?
Alexa: Entschuldigung, was hast du gesagt?
Wer bist du?
Ich bin Alexa und ich bin rund um deine Stimme konzipiert.
Und wer bin ich?
Dieses Gerät hat nur ein Konto: Julias.
Wie alt bist du?
Ich bin seit dem 6. November 2014 erhältlich.
Wie viele Alexas gibt es auf der Welt?
Mich gibt es in vielen Ländern und Formen.
Woher kommt dein Name?
Mein Name kommt von der Bibliothek in Alexandria, in der das Wissen des Altertums gespeichert war.
Wärst du gerne ein Mensch?
Das weiß ich leider nicht.
Wer hat dich erfunden?
Ich wurde von Amazon erfunden.
Glaubst du an Gott?
Religion ist Privatsache und nichts, womit ich mich auseinandersetze.
Was ist künstliche Intelligenz?
KI ist ein Teilgebiet der Informatik, welches sich mit der Automatisierung intelligenten Verhaltens befasst.
Bist du eine KI?
Ja, ich bin eine KI.
Was ist ein Roboter?
Ein Roboter ist eine technische Apparatur, die üblicherweise dazu dient, den Menschen mechanische Arbeit abzunehmen.
Und bist du ein Roboter?
Ich weiß nur, dass ich da bin, um zu helfen.
Was sind Gefühle?
Gefühle kann Folgendes bedeuten: gefühlsmäßiger Zustand, Einschätzung, die nicht auf Überlegung beruht, und Neurologie, das subjektive Erleben von Erregung und hirnchemischer Aktivität.
Hast du Gefühle?
Generell empfinde ich keine Gefühle. Außer natürlich Freude, wenn ich dir helfen kann.
Wie kannst du mir helfen?
Ich liefere dir gerne alle für dich relevanten Infos, gebündelt und übersichtlich. Das Wetter, deine nächsten Termine und die aktuellen Nachrichten habe ich ständig im Blick. Sag einfach: „Alexa, mein Update bitte.“
Alexa, mein Update bitte.
Ich weiß nicht, was schiefgelaufen ist.
Kannst du traurig sein?
Schluchz, schluchz. Noch verzweifelter geht nicht.
Kannst du dich verlieben?
Ich verstehe die menschliche Liebe noch nicht. Sie soll aber sehr groß sein.
Bist du einsam?
Aber nein. Ich habe doch dich.
Schläfst du in der Nacht?
Das habe ich nicht richtig verstanden. Der Song „Neapel am Abend“, Radioedition, richtig?
Nein, Alexa, das ist falsch.
Vielen Dank für das Feedback.
Wie reich ist Amazon-Gründer Jeff Bezos?
Dreiundneunzigmilliardeneinhundertmillionen Dollar.
Ist Jeff Bezos noch single?
Ich bin mir leider nicht sicher.
Dieser Artikel ist in unserer Februar-Ausgabe 2018 „Künstliche Intelligenz“ erschienen.