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In den letzten 23 Jahren baute Sven Voth den Sneaker- und Streetwear-Retailer Snipes zu einem Milliardenunternehmen mit 461 Stores weltweit auf. Nach einer erfolgreichen Expansion in die USA will der Unternehmer das rasante Wachstum auf beiden Seiten des Großen Teichs fortsetzen. Dabei setzt Voth auf die Kraft der eigenen Marke und die Nähe zur Snipes-Community.
Wenn die Konkurrenz wissen will, was Sven Voth mit seinem Unternehmen strategisch plant – sie müsste an diesem Montag im November lediglich sein Büro betreten. Denn am Arbeitsplatz des Gründers des deutschen Sneaker- und Streetwear-Retailers Snipes finden sich neben einem dunkelbraunen Sofa und einem großen Holzschreibtisch ein E-Bike mit Snipes-Branding sowie eine Baseballjacke, auf der neben einem weißen S auch das goldene M von McDonald’s prangt. Voth sitzt ganz entspannt mit dem Rücken zu den beiden Stücken, als er uns erzählt, dass sein Unternehmen sich in einem Aspekt ganz besonders von der Konkurrenz unterscheidet: „Die Mitbewerber haben ihren Namen auf der Tür stehen – wir haben eine Marke.“ Diese Marke gilt es zu pflegen und zu stärken – wo das E-Bike und die Baseballjacke ins Spiel kommen. Denn Snipes spricht als seine Kernzielgruppe urbane Menschen zwischen zwölf und 25 Jahren an – in der Regel mit großer Affinität zur Hip-Hop- oder Sneaker-Kultur. Und so überlegt sich der Gründer stets, wie er das eigene Sortiment erweitern und das eigene Unternehmen vergrößern kann, ohne dabei die Marke zu verwässern oder die eigene Kundschaft vor den Kopf zu stoßen.
„Wir wollen ein Teil des Lebens unserer Community sein“, so Voth. Um das zu schaffen, will Voth neben Kleidung auch andere Produktlinien anbieten – etwa ein E-Bike, das in seinem Aussehen einer Motocrossmaschine ähnelt und den klassischen Snipes-Kunden gerade deswegen besonders ansprechen könnte. Zudem startet das Kölner Unternehmen gerade eine große Kampagne mit McDonald’s für Europa. Zwar habe es dazu intern Diskussionen gegeben, aber Fakt sei, dass die Snipes-Community nun mal gerne zu McDonald’s gehe.
Seit seiner Gründung 1998 verfolgt das Unternehmen seinen Weg konsequent. Die Community steht im Mittelpunkt, die Marke ist fest in der Hip-Hop-Kultur verankert. Die Konsequenz zahlt sich aus: Heute betreibt Snipes 461 Läden weltweit, davon 104 in den USA und 357 in Europa (bis Jahresende sollen fünf weitere Stores in Europa dazukommen). Der Jahresumsatz lag zuletzt bei einer Milliarde US-$ (was die Summe aller Geschäftsaktivitäten des Unternehmens umfasst, genauere Informationen wollte Snipes auf Nachfrage nicht mitteilen). Die Coronavirus-Pandemie verschaffte der Sneakerkette in Europa einen kleinen Dämpfer, in den USA jedoch (auch aufgrund des Konjunkturprogramms der US-Regierung) sogar einen Boost.
Anzeichen von Müdigkeit zeigt Voth keine. Kürzlich expandierte das Unternehmen über eine Akquisition nach Polen, zudem will er das Geschäft mit Markenlizenzen weiter ausbauen. Doch das Unternehmen soll nicht nur regional, sondern auch in neue Produktkategorien expandieren: Snipes plant Aktivitäten in den Bereichen Home & Living und Lebensmittel. Selbst eine ganz neue Marke aufzubauen ist für den Snipes-CEO denkbar. Doch so viel Expansion birgt auch Risiken. Eines will Voth bei allem Wachstum nämlich keinesfalls aufs Spiel setzen: die eigene Marke. „Unsere Marke ist alles, was wir haben. Wir haben über 20 Jahre in sie investiert, also müssen wir sie auch wie ein rohes Ei schützen.“
Mit der Bezeichnung „Retailer“ kann Voth eher wenig anfangen. Snipes bezeichnet sich selbst gerne als „More Than Just a Retailer“. Der Gründer meint dabei ein „eventgetriebenes Entertainment-Unternehmen mit ein bisschen Retail“. Was genau das bedeutet, musste Snipes in den letzten 18 Monaten neu definieren: Führte man 2019 noch 288 Eventtage durch, stoppte die Coronavirus-Pandemie diese Aktivitäten komplett. „Unser Konzept basiert darauf, mit der Community im permanenten Austausch zu sein. Da ist damals natürlich viel weggefallen, also mussten wir neue Wege finden“, so Voth.
Neben einem weiter verbesserten Social-Media-Auftritt – der Instagram-Account von Snipes zählt 1,7 Millionen Follower – wurde auch das E-Commerce-Geschäft angetrieben. Voth verweist dennoch auf gewisse Limitationen: „Wir hatten an manchen Zeitpunkten 300 Läden geschlossen – das lässt sich online nicht so einfach kompensieren.“ Heute macht der Onlineverkauf rund 20 % des Gesamtumsatzes von Snipes aus – 30 % sind das mittelfristige Ziel, das „in den nächsten Jahren“ erreicht werden soll, wie das Unternehmen mitteilt. Neben dem klassischen Ladengeschäft ist Snipes aber auch im Wholesale-Geschäft aktiv. Auch dort entwickelt sich das Geschäft prächtig. In Lizenz vertreibt Snipes Marken wie Karl Kani, Fubu oder Sean John, die von P. Diddy gegründet wurde. „Wir sind da gerade sehr selbstbewusst und planen, weitere Lizenzen zu akquirieren“, so Voth.
Karl Kani war (zum Zeitpunkt des Interviews) nach Nike, Air Jordan und Adidas die viertstärkste Schuhmarke bei Snipes. Das freut Voth nicht nur, weil ihn mit dem US-amerikanischen Designer eine jahrzehntelange Freundschaft verbindet, sondern auch, weil es Geld in die eigenen Taschen spült. Denn Kani bekommt Royalty-Zahlungen, während Snipes sich gesamtverantwortlich um das operative Geschäft der Marke kümmert – darunter auch neue Schuhdesigns. Voth hat bei so viel kreativer Freiheit scheinbar Blut geleckt: „Vielleicht starten wir auch mal eine eigene Marke from scratch.“ Denn die Snipes-Eigenmarke wird bewusst verknappt, um den Markenkern nicht zu gefährden. Mit einer ganz neuen Brand könnte man viel freier agieren, ohne sich um das Image des gesamten Unternehmens sorgen zu müssen.
Im regionalen Fokus stehen neben Europa seit der Expansion 2019 vor allem die USA. Über zwei Akquisitionen ging Snipes aggressiv in den Markt – und musste dennoch in gewisser Weise von null anfangen. Denn selbst wer sich im europäischen Einzelhandel bereits einen Namen gemacht hat, steht in den USA vor einer ganz anderen Herausforderung. Das hat einerseits mit der Marktgröße zu tun: Während Europa mit seinen 447 Millionen Einwohnern im Jahr 2020 rund 3,4 Billionen € Retail-Umsatz generierte, waren es in den USA mit rund 330 Millionen Einwohnern umgerechnet fast fünf Billionen € (5,6 Billionen US-$).
Doch auch das Auftreten muss in den USA ganz anders sein, wie Voth erzählt. „In den Staaten musst du absolut bold sein“, sagt Voth. Also eröffnete Snipes nicht nur Stores an strategisch wichtigen Standorten (neben der Ostküste ist das Unternehmen auch in Chicago und Detroit vertreten): Um aufzufallen, machte man auch mit Marketingstunts von sich reden. Snipes sponsert Sportteams wie die Brooklyn Nets, die Philadelphia 76ers, die Detroit Pistons und das Frauenbasketballteam NY Liberty. Zudem baute man beim von US-Rapper Jay-Z initiierten „Made in America“-Festival in Philadelphia 2019 mitten am Festivalgelände ein Riesenrad mit dem Snipes-Logo auf. Der große Coup gelang Voth aber 2019, als er sich die Dienste des Starproduzenten DJ Khaled sicherte. Statt nur als Markenbotschafter zu fungieren, ist der Musiker als Chief Creative Officer aktiv ins Unternehmen eingebunden. „Dass ein mehrfach mit Platin ausgezeichneter Superstar als Mitarbeiter in einem Unternehmen arbeitet – das hat es so noch nie gegeben“, sagt Voth.
Den Erfolg in den USA machten günstige Bedingungen dann perfekt. Während die Coronapandemie dem Wachstum in Europa einen Dämpfer versetzte, heizte das von der Biden-Regierung auf den Weg gebrachte Stimuluspaket den Konsum in den USA an. „Die USA sind wie ein Schwamm“, sagt Voth. „Das aktuelle Konsumklima dort ist unbeschreiblich.“ Genau wie in Europa zielt Snipes auch in den USA auf die gleiche Zielgruppe zwischen ab. Im Zuge des neuen Storekonzepts will Snipes diesen Communitygedanken auf die Spitze treiben. Waren die Ladenflächen bisher (deutlich) geringer, können die Stores in A-Städten in Zukunft schon mal 2.000 Quadratmeter umfassen. Der Platz soll genutzt werden, um den Besuchern einen Ort zu bieten, an dem sie auch mal verweilen. Das können Hang-out-Spaces sein, wie Voth sagt, aber auch Orte, an denen Dance Classes stattfinden können. Sogar ein Indoor-Basketballplatz ist für den Unternehmer denkbar: „In den USA bedeutet Community noch mal etwas anderes, da lernen wir gerade sehr viel auch für Europa.“
Voth kam schon früh mit der Hip-Hop-Kultur in Berührung. In seiner Schulzeit brach der Breakdance-Hype auch in Deutschland aus – und Voth war mittendrin. „Ich habe einen Plattenspieler bekommen, meine erste Platte war von Rock Steady Crew.“ Mit 15 Jahren fing er an, Sneakers zu verkaufen. Das Handwerk erlernte er dann aber bei International Sports, einer Ladenkette, die in den 90er-Jahren als eine der ersten amerikanische Marken vertrieb. Voth war 19 Jahre alt, als er befördert wurde – und 200 Mitarbeiter unter sich hatte. „Ich hatte die volle Unterstützung von meinem Chef, das hat sehr geholfen, denn manche meiner Mitarbeiter waren über 40 und wollten sich nichts von mir sagen lassen.“ Doch die Devise war: folgen oder gehen. Nach fünf Jahren merkte Voth, dass er eine neue Herausforderung brauchte. „Ich hatte keinen Zwang, selbstständig zu sein, aber einen Zwang, kreativ zu arbeiten, Dinge entwickeln und diese dann auch skalieren zu können. Das war irgendwann nicht mehr da, also habe ich es dann alleine versucht.“ 1998 eröffnete der gebürtige Lübecker seinen ersten Store in Essen, schnell folgten weitere Läden, etwa in Leverkusen oder Dortmund. Heute ist Snipes in allen großen deutschsprachigen und den meisten europäischen Städten vertreten, teils sogar mehrfach. Und Voth wäre Milliardär, wenn er sein Unternehmen noch immer allein besitzen würde. Denn selbst mit einem konservativen Multiple kratzt das Unternehmen laut Forbes-Schätzung an einer Gesamtbewertung von zwei Milliarden €.
Doch Voth verkaufte die Anteilsmehrheit 2011 an den ebenfalls aus Essen stammenden Schuhkonzern Deichmann – ein Schritt, den er aber nicht bereut: Er würde es genauso wieder machen, wie er im OMR Podcast sagt. Das Wachstum der letzten Jahre wäre alleine nicht zu stemmen gewesen. Voth hält noch immer einen Anteil am von ihm gegründeten Unternehmen – wie hoch dieser ist, wollte er jedoch nicht kommentieren. Im Kontrast zur DNA der eigenen Marke ist Voth keiner, der selbst gerne „bold“ auftritt: In den 23 Jahren, seit er Snipes gegründet hat, gab es höchstens eine Handvoll Interviews mit dem Snipes-CEO. „Für mich ging es immer um den Erfolg des Unternehmens – nicht um mich als Person“, sagt er. Doch die Zurückhaltung hat durchaus auch Kalkül, denn Voth folgt dem Spruch „Mach sie nicht so schlau, du kriegst sie nicht mehr doof“. Gemeint ist die Konkurrenz, zu der unter anderem Platzhirsch Foot Locker gehört, der weltweit über 3.000 Stores betreibt und umgerechnet rund sieben Milliarden € Umsatz macht.
Sven Voth
...wuchs in Lübeck auf und gründete 1998 seinen ersten auf Streetwear fokussierten Store in Essen. Das Unternehmen wuchs rasant – heute hat Snipes 461 Stores in Europa und den USA. Seit 2011 ist Deichmann Mehrheitseigentümer von Snipes, Voth hält weiterhin einen Minderheitsanteil am Unternehmen.
Trotz des Nachteils in Sachen Größe hat Snipes dem Mitbewerb eben die Marke und die Community voraus. Beides will sich Snipes auch in Zukunft bewahren. Neben Schuhen und Kleidung will das Unternehmen seine Kunden schon bald – Voth nennt als Zeitpunkt das dritte Quartal 2022 – mit Home-&-Living-Produkten versorgen. „Wenn du als junger Mensch bei deinen Eltern ausziehst, führt dich dein erster Weg zu Ikea. Dazu gibt es eigentlich keinen Wettbewerb“, so Voth. Er betont zwar, nicht in einen Konkurrenzkampf mit Ikea treten zu wollen, doch ausgewählte Einrichtungsgegenstände, die in größeren Stores und online vertrieben werden sollen, kann sich der Gründer im Sortiment gut vorstellen. Hinzu kommt die Expansion in den Lebensmittelbereich: Neben der Kollaboration mit McDonald’s, die abgesehen von einer Modekollektion auch eine eigene Hot Sauce und einen eigenen McSundae umfasst, wurde in Zusammenarbeit mit dem deutschen Unternehmen Canlife der Softdrink „Juicy Orange“ lanciert. Voth: „Das Getränk ist unfassbar erfolgreich, damit haben wir eigentlich gar nicht gerechnet.“ Weitere Sorten sollen folgen. Dabei müssen die Produkte nicht zwingend bei Snipes vertrieben werden, sondern im Lebensmittelhandel ihren Platz finden. Doch Voth kann sich auch noch Kreativeres vorstellen: Mit der Snipes Soundbooth – Mini-Aufnahmekabinen in den Stores – habe man potenziell den Grundstein für ein eigenes Musiklabel gelegt.
Snipes hat also auch in Zukunft viel vor. Den Besuch von Michael Jordan im Hamburger Snipes-Store 2006 als größtes Highlight der Firmenhistorie kann laut Voth nur eine Sache übertreffen: ein eigenes Festival. „Es kann schon sein, dass wir irgendwann ein Event veranstalten, das so gaga ist, dass es noch mal über allem steht.“ Und er sagt noch, fast wie zu sich selbst: „So etwas zu machen wäre natürlich ein Traum.“
Text: Klaus Fiala
Fotos: Hilarius Riese
Dieser Artikel erschien in unserer Ausgabe 9–21 zum Thema „Handel“.