MAKING WORK A BETTER PLACE

Henning Jakob, Amelie Wiedemann und Daniel Fodor wollen gesündere Arbeitsbedingungen schaffen: Mit Dear Employee entwickelten sie eine Plattform, die die psychische Belastung von Mitarbeitern misst und passende Lösungsansätze liefert. Mit Erfolg: Im Durchschnitt können damit kritische Zustände innerhalb eines Jahres um 55 % reduziert werden.

Nicht erst seit der Coronapandemie steht das Wohlergehen von Mit­arbeitern am Arbeitsplatz vermehrt im Fokus. Denn mittlerweile sind laut der deutschen ­Krankenkasse DAK psychische Erkrankungen nach Muskel-Skelett-Erkrankungen die häufigste Ursache von Arbeitsunfähigkeit in Deutschland. Rund ein Drittel davon ist auf Depressionen zurückzuführen – und auch Burn-outs, ein Zustand der ­totalen geistigen wie körperlichen Erschöpfung, haben laut dem deutschen ­Versicherungsunternehmen AOK in den letzten zehn Jahren um das Vier­fache zugenommen. „­Psychische ­Belastungen am Arbeitsplatz waren auch schon vor der Krise ein heißes Thema, das jedoch zu ­wenig Aufmerksamkeit bekommen hat. Durch Corona ist das eindeutig ­präsenter geworden“, bestätigt Henning Jakob, CEO von Dear Employee (im Bild: rechts).

Zusammen mit seinen Mitgründern Amelie Wiedemann und Daniel Fodor arbeitet er mit dem 2017 gegründeten Start-up (das ­Unternehmen wird als „Spin-off to Watch 2021“ vorgestellt) daran, an besagten Zuständen etwas zu ändern. Dafür entwickelten die Gründer eine Plattform, über die mithilfe eines standardisierten und validierten Erhebungsverfahrens, das sich automatisch an Unternehmen und Branche anpasst, belastende Arbeitsbedingungen für Mitarbeiter in Unternehmen erkannt werden. Auf Grundlage dessen können anschließend individuell zugeschnittene Lösungen gebucht werden, etwa Teamworkshops, digitale Gesundheitsangebote oder Führungskräftetrainings. Dadurch sollen auf lange Sicht Kosten, die durch Fehlzeiten aufgrund von Krankheiten ­entstehen würden, eingespart und die Mitarbeiterleistung sowie die Arbeitgeberattraktivität gesteigert werden. „Eigentlich ist in Deutschland jedes Unternehmen dazu verpflichtet, die Belastung am Arbeitsplatz zu messen. In der Realität werden die Maßnahmen aber oft nicht umgesetzt“, meint Jakob. Dass das Konzept funktioniert, zeige sich anhand der Ergebnisse: „Im Durchschnitt konnten wir bei unseren Kunden die Arbeitsbedingungen, die durch unsere Analyse als kritisch eingestuft werden, nach einem Jahr um 55 % reduzieren, das Risiko von Burn-outs um 46 %.“

Das Berliner Start-up ist mit seinem Angebot jedoch nicht allein: Auch das 2015 gegründete Münchner Unternehmen Hanako, das unter anderem den Modehändler ­Zalando und den Schweizer Aufzughersteller Schindler zu seinen Kunden zählt, bietet eine Plattform für betriebliche Gesundheit an und wurde dieses Jahr vom führenden Marktforschungs-, Analyse- und Zertifizierungsinstitut EUPD Research als Top-Gesundheitsplattform Deutschlands ­ausgezeichnet. ­Vergangenen Dezember konnte ­Hanako zudem 750.000 € von Business Angels und dem Risikokapitalgeber Bay BG einsammeln. Auch die deutschen ­Unternehmen Aktivital und Favox analysieren und evaluieren die betriebliche Gesundheit und Arbeitsbedingungen und liefern passende Lösungskonzepte.

Von der Konkurrenz ­abheben will sich Jakob unter anderem durch den gesetzten ­Fokus: „Wir sehen, dass viele am Markt auf den Bereich Employee-Wellness und -Wellbeing abzielen und persönliche Stress­präventions- oder ­Resilienzprogramme anbieten. Wir fokussieren uns auf die Gesundheit des gesamten Teams.“ Zudem sei ein weiteres Alleinstellungsmerkmal, dass ­maßgeschneiderte Gesundheitslösungen direkt auf der Plattform gebucht werden können. „Dear Employee ist das einzige Unternehmen, das eine Verbindung von Marktplatz und wissenschaftlicher Analyse anbietet“, so Jakob.

Auf der Plattform von Dear Employee werden über ein eigens konzipiertes Erhebungsverfahren die Belastung am Arbeitsplatz gemessen und anschließend Lösungsvorschläge geliefert.

Henning Jakob ­absolvierte ein Economics-Bachelorstudium am Goucher College in Baltimore, USA; daran anschließend folgte ein Masterstudium in Industrial & Network Economics an der TU ­Berlin. Schließlich stieg er im Quality-Management bei Rolls-Royce Deutschland ein und fand über eine Anstellung bei Trust 2 Core, einem Spin-off der deutschen Telekom, die Mitgründung des Virtual-Reality-­Start-ups Tweagle Labs und eine Anstellung als Product and Technology Manager bei der XU ­Exponential University schließlich zu seinem ­Interesse für gesunde Arbeitsbedingungen.

Über seinen Freundeskreis lernte Jakob Daniel Fodor ­kennen, der zu der Zeit gerade gemeinsam mit Mitgründerin Amelie Wiedemann an der Berliner Charité zur Wirksamkeit von Gesundheitsprogrammen forschte. Als die beiden Männer erkannten, dass sie die gleichen Interessen verfolgen, fiel gemeinsam der Entschluss zur Unternehmensgründung. Zwei Jahre lang ­finanzierten die Gründer das Start-up selbst, 2019 folgte dann eine siebenstellige Seed-Finanzierung über den deutschen Frühphaseninvestor High-Tech Gründerfonds (HTGF) und Impact 51, eine Schweizer Partner­schaft von Business Angels. Im zweiten Quartal dieses Jahres soll eine ­Series-A-Finanzierung abgeschlossen werden.

Einnahmen generiert das ­Unternehmen über verschiedene Angebote: So gibt es eine Freemium-Version, mit der Unternehmen direkt auf den Marktplatz für Gesundheitsmaßnahmen gelangen können, oder Abomodelle für die fortlaufende Messung und Evaluation der Arbeitsbedingungen. Der Einstiegspreis inklusive 100 Lizenzen (eine Lizenz entspricht einem Mitarbeiter für ein Jahr) liegt bei 1.800 € pro Jahr, das Premiummodell bei 4.800 €. Bei Letzterem ist die Software noch individueller an die jeweiligen Unternehmen angepasst und es wird intensivere Kunden­betreuung geboten.

Im Zuge der Pandemie ­wurde außerdem ein spezielles Corona-Care-Paket entwickelt, das eine auf die Krise angepasste Version der ­Arbeitsbedingungenanalyse und Lösungen enthält – etwa Beratungen zum Thema Ergonomie oder Remote-­Leadership-Workshops. „Immer mehr Unternehmen ­kamen auf uns zu und fragten, was sie jetzt akut für ihre Mitarbeiter im Home­office machen können“, so Jakob. ­Einen Einbruch nach der ­Krise ­befürchtet der CEO des Start-ups nicht: 2020 konnte Dear Employee über 100 Neukunden gewinnen und verzeichnet damit momentan über 170 Kunden. Durch die Pandemie und die damit einhergehende intensivere Auseinandersetzung mit der Thematik Gesundheit am Arbeitsplatz könne man auch langfristig von der Krise profitieren, so Jakob.

Henning Jakob
... absolvierte ein Masterstudium in Industrial & Network Economics an der TU Berlin. Bevor er 2017 zusammen mit Amelie Wiedemann und Daniel Fodor Dear Employee gründete, war er unter anderem als Quality Manager bei Rolls-Royce Deutschland tätig und gründete das Start-up Tweagle Labs mit.

Derzeit ist Dear Employee in Deutschland, Österreich und der Schweiz in sieben verschiedenen Sprachen vertreten. In den nächsten zwei Jahren will das Start-up Marktführer in der deutschsprachigen Region werden. Danach ­möchte man nach Frankreich und in die USA expandieren und langfristig die führende Corporate-Health-Plattform werden. Für die weiteren Pläne soll das Team noch in diesem Jahr von aktuell 14 auf 30 Mitarbeiter erweitert werden. Das ­Potenzial der Branche sowie das positive Feedback der Kunden motiviert Jakob: „Jeden Tag bekomme ich mit, wie viele Menschen über ihren Job meckern. Da sehe ich noch viel Potenzial nach oben. Und bis ich höre, dass sie gerne zur Arbeit gehen, tolle Kollegen und einen motivierenden Chef haben, gibt es noch einiges zu tun.“

Text: Sophie Ströbitzer
Fotos: Dear Employee

Dieser Artikel erschien in unserer Ausgabe 2–21 zum Thema „Health & Wealth“.

Sophie Ströbitzer

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