kein sicherer Hafen

Die Coronapandemie hat die globalen Lieferketten kräftig durcheinandergewirbelt, vor allem die Containerschifffahrt kämpfte mit großen Problemen. Jetzt laufen die Versorgungs­wege wieder rund, doch am Horizont ziehen schon wieder dunkle Wolken auf. Forbes hat mit dem Logistikexperten Alexander M. Till (Headerbild) und mit Spar-Vorstandsvorsitzenden Hans K. Reisch gesprochen.

Leere Regale, lange Wartezeiten und trübe Aussichten: Die internationalen Lieferketten sind während der Coronapandemie ordentlich ins Stocken geraten. Viele Konsumenten konnten ihre Einkäufe gar nicht mehr erledigen oder mussten monatelang auf das Objekt ihrer Begierde warten; viele Handels­unternehmen konnten sogar alltägliche Waren nicht mehr auftreiben. Seitdem vor einem halben Jahr das Ende der Pandemie ausgerufen wurde, laufen die Lieferketten wieder normal, die Situation hat sich entspannt. Dem Handel bleibt aber kaum Zeit zum Verschnaufen, denn auf ihn kommen bereits neue Probleme zu.

Statt einer Verknappung besteht jetzt ein Überangebot. Die Händler haben, sobald es wieder möglich war, so viel eingekauft, dass ihre Lager randvoll sind und sie jetzt froh sein müssen, wenn sie nicht auf ihren Waren sitzen bleiben. „Spätestens seit den Lockdowns 2021, als die Menschen in Österreich nicht mehr so verunsichert waren, kam es zu einem wahren Bestellboom“, sagt Alexander M. Till, Logistikexperte und Repräsentant des Hamburger Hafens in Wien. Es gab fast nichts, was nicht wie verrückt gekauft wurde. Auf den Kaufrausch musste zwangsläufig eine Katerstimmung folgen, sagt Till. Die Konsumenten sind ­gesättigt.

Für die Logistiker hat die der­zeitige Flaute aber auch Vorteile: Die rückläufigen Bestellungen haben geholfen, die Lieferketten zu entspannen und Container-Rückstaus in den Häfen abzubauen, sodass es derzeit so gut wie keine Verzögerungen mehr gibt.

Besorgniserregend ist für Till allerdings, dass sich im globalen Containerschiffsverkehr drei große Allianzen herausgebildet haben, die auf der Strecke Asien–Europa 95 % und auf der Strecke Asien–USA 90 % des Warenverkehrs kontrollieren. Damit hat sich ein Oligopol gebildet, bestehend aus 2M (obwohl die Allianz sich 2025 trennen will), The Alliance und Ocean Alliance, in dessen Hand fast die gesamte Seewirtschaft liegt – vor 20 Jahren gab es noch 30 relevante Reede­reien. Preisabsprachen sind zwar verboten, doch könnten die drei Allianzen zum Beispiel bestimmte Güter oder Rohstoffe nicht liefern oder Mängel erzeugen und damit die Wirtschaft oder Politik beeinflussen. „Es gibt keine Beförderungspflicht – die drei Allianzen haben den Welthandel unter Kontrolle“, sagt Till.

Politik und Wirtschaft haben auf die Probleme mit den Liefer­ketten und die dadurch sichtbare Abhängigkeit Europas von Asien laut Till bisher noch nicht reagiert. Sie hätten es aber tun sollen, denn fast alle Konsumgüter, die in Öster­reich gekauft werden, kommen aus Asien: Gartenmöbel, Elektro­geräte, Mountainbikes, Küchen, Sneakers, Bekleidung, Decken­beleuchtungen, Kabelkanäle, Boden­beläge – die Liste ließe sich fast beliebig fort­setzen. „Ob in Einrichtungshäusern oder Baumärkten, man muss geradezu suchen, was nicht aus Asien kommt“, sagt Till. Wenige Aus­nahmen sind lokale Produkte, wie beispielsweise Waldviertler Schuhe, Ski, hochwertige Tischlerprodukte, Getränke und Lebensmittel.

Für Österreichs Wirtschaft sind funktionierende Lieferketten lebenswichtig, denn das Land ist ein Exportland – es liegt im weltweiten Ranking der Pro-Kopf-Exporte an achter Stelle. 720.000 Container verlassen jährlich Österreich; ­weltweit sind derzeit 27,5 Millionen Container unterwegs, 7,6 Millionen sind zusätzlich bestellt. Wertmäßig zählen im österreichischen Export erstklassige Anlagen und Maschinen zu den größten Gruppen, mengenmäßig ist die Nummer eins Red Bull vor sägerauen Holzbrettern, die in Asien reißenden Absatz finden.

Die Containerpreise befinden sich derzeit auf einem niedrigen Stand. Der Transport eines 40-Fuß-Containers kostet 2.000 US-$; wäh­rend der Coronapandemie waren es 15.000 US-$, wer es ganz dringend brauchte, war sogar bereit, 20.000 US-$ und mehr zu bezahlen. Vor der Pandemie lagen die Preise rund 20 Jahre lang zwischen 2.000 und 4.000 US-$.

Die Lieferketten sind laut Till nachhaltig beruhigt, der schwache Konsum sorgt automatisch für deren Entspannung. Wie es mit der wirt­schaftlichen Entwicklung weitergeht, sei jedoch sehr schwierig zu prognostizieren. Hier spielen der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine, der wieder aufgeflammte Nahostkonflikt und die hohen Energiekosten eine Rolle. Ab 2025 könnte es wieder aufwärtsgehen, meint Till.

Eine Sorge quält viele Handelsakteure dennoch: Es ist fraglich, ob die Konsumenten wieder in Kauflaune kommen. Viele Händler befürchten, dass sich vor allem bei jungen Menschen das Mindset verändert hat, dass viele bewusst auf Konsum verzichten und stattdessen mehr Geld für Freizeitaktivitäten ausgeben.

Die Politik habe zu wenig getan, damit die Lieferketten besser laufen, meint Hans K. Reisch, Vorstandsvorsitzender von Spar.

Ähnlich wie Till ortet auch Hans K. Reisch, Vorstandsvor­sitzender von Spar, Versäumnisse seitens der Politik bei der Liefer­kettenproblematik. Große Liefer­kettenprobleme gebe es zwar im Lebensmittelhandel weniger, dafür aber in anderen Handels­branchen, etwa bei Medikamenten. „Da muss ­etwas getan werden“, sagt Reisch.

Er beobachtet, dass die Konsumenten auch im Lebens­mittelhandel mehr auf ihr Geld achten. „Es wird derzeit mengen­mäßig nicht weniger gekauft, aber wir spüren schon, dass verstärkt zu den günstigeren Alternativen gegriffen wird“, sagt Reisch.

Für den Lebensmittelhandel sei vor allem der russische Angriffskrieg in der Ukraine ein Thema, weil die ­österreichische Energie­versorgung nach wie vor sehr stark von den Entwicklungen in diesem Krieg abhänge. „Was das mit den Energiekosten macht, hat man ja gesehen – wir haben heuer einen Mehr­aufwand von 247 Mio. € für Energie“, klagt Reisch. Sorgen be­reiten der Branche die kommenden Kollektivvertragsverhandlungen, bei denen wegen der hohen Infla­tion Forderungen nach hohen Lohn- und Gehaltserhöhungen erwartet werden. Ein wichtiges Detail werde in diesem Zusammenhang gerne vergessen, meint Reisch: „Es geht hier nicht um die paar großen Händler, es geht vielmehr um die vielen kleinen Händlerinnen und Händler, Boutiquen, Schuh­geschäfte, Schreib­warengeschäfte und so weiter.“ Auch sie müssten es sich angesichts der schwierigen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen leisten können, ihre Angestellten in Zukunft bezahlen zu können.

Einem jüngsten Bericht der Bundeswettbewerbsbehörde (BWB) steht Reisch differenziert gegenüber. Demnach gebe es trotz hoher Inflation im Handel keine versteckten Preiserhöhungen, wohl aber starken Druck der vier größten Handelsketten, die in Österreich tätig sind, auf die Lieferanten. „Die Bundeswettbewerbsbehörde hat endlich mit einem Vorurteil ­gegenüber dem Handel aufgeräumt. Das ist gut so“, meint Reisch. Die BWB habe zwar gesagt, dass Beschwerden von Lieferanten vorliegen würden, sie habe aber weder eine Zahl noch betroffene Händler genannt. Man solle hier mit Vorverurteilungen sehr vor­sichtig sein.

Wie es für Handelsunter­nehmen im kommenden Jahr weitergehen werde, werde daran liegen, in welchem Bereich sie tätig sind. „Hier muss man klar zwischen den einzelnen Handelsbranchen unterscheiden “, sagt Reisch – ­Bekleidungs- oder Elektrohandel hätten es beispielsweise schwerer als der Lebensmittelhandel, denn dieser gilt als stabiler, auch in wirtschaftlich schwierigeren Zeiten. Und das nicht zuletzt dank seiner größeren Unab­hängigkeit von den internationalen Lieferketten.

Fotos: Katharina Gossow, „Eva trifft. Fotografie“

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