Mit dem FORBES-NEWSLETTER bekommen sie regelmässig die spannendsten Artikel sowie Eventankündigungen direkt in Ihr E-mail-Postfach geliefert.
Eine Revolution des digitalen Zeitschriftenmarktes – nicht weniger als das will das schwedische Unternehmen Readly mit der größten Flatrate für Magazine erreichen, und dabei für Verlage und Leser einen Nutzen stiften.
Wachstum und Expansion sind als Ziele für ein Unternehmen per se nichts Ungewöhnliches. Doch die Geschwindigkeit, mit der der schwedische Abodienst für digitale Magazine und Zeitschriften Readly größer werden will, ist dann doch speziell: 2017 verdoppelte das von Jörgen Gullbrandson geführte Start-up seinen Umsatz auf 13 Millionen €. Kein Einzelfall: Bereits 2016 und 2015 schaffte das Unternehmen dieses Kunststück. „Unter meinem Vorgänger (Per Hellberg, Anm.) ist das Unternehmen stark gewachsen. Und das sind auch die Erwartungen des Aufsichtsrats für die Zukunft“, sagt Gullbrandson, der seit März 2018 CEO von Readly ist. Die Umsatzvorgaben zu erfüllen wird für den Schweden somit nicht gerade einfach. Mit rund 3.400 internationalen Magazinen, wovon rund 1.000 deutschsprachig sind, bietet das Unternehmen bereits heute die größte Magazin-Flatrate der Welt. Dazu kooperiert das Unternehmen mit mehr als 600 Verlagshäusern.
Der Erfolgshunger von Readly ist verständlich, denn der Flatrateanbieter bewegt sich im riesigen Zeitschriftenmarkt – der noch dazu weitreichende (digitale) Verschiebungen erlebt. Laut dem Datenabieter Statista werden die Einnahmen von digitalen Magazinen weltweit (exklusive B2B-Bereich) von insgesamt 10,6 Milliarden US-$ im Jahr 2015 auf über 26 Milliarden im Jahr 2020 ansteigen. Mit dem Potenzial zusammenpassend lautet die Vision von Readly: das digitale Lesen revolutionieren. Heißt: Leser vermehrt über neue, digitale Kanäle zu erreichen.
Jörgen Gullbrandson
Der Schwede ist seit diesem März CEO von Readly mit Sitz in Stockholm. Davor war er unter anderem bei der Beiersdorf AG in Hamburg sowie bei Boxman Ltd. und Universum tätig. Im Dezember 2017 kam er als CFO zu Readly
Wir treffen Gullbrandson im zwölften Stock der Highlight Towers, zwei der höchsten Bürotürme im Norden Münchens. Deutschland ist der größte Markt des 2012 in Stockholm gegründeten Unternehmens, gefolgt von Großbritannien und Schweden. Readly setzt aktuell voll auf internationale Expansion. Erst kürzlich erfolgte der Markteintritt in der Schweiz, wo Abonnenten für 14,95 CHF im Monat Magazine wie das Time Magazine Europe, das Computer- und Technologiemagazin Chip, den Playboy, die Vogue oder den Rolling Stone lesen können. 40 Titel stammen aus der Schweiz selbst. Das Start-up zielt damit auf das sich verändernde Nutzungsverhalten ab, das sich bei Streamingdiensten wie Spotify oder Netflix bereits in der Musik- und Filmindustrie durchgesetzt hat. So können die Kunden Magazine (nicht aber nur einzelne Artikel) auf dem Tablet, dem Computer oder dem Smartphone konsumieren. In Österreich und Deutschland liegt der monatliche Preis bei 9,99 €.
„Es wird dieses Jahr mindestens ein weiteres Land dazukommen – entweder Italien oder die Niederlande. Aber generell sehen wir uns jedes wichtige Land in Europa an, in dem wir noch nicht vertreten sind“, erläutert Gullbrandson. Denn Readly sieht sich als globales Produkt, in 46 Ländern ist die App verfügbar. In Schweden, Deutschland, Großbritannien und in den USA betreibt Readly Büros, insgesamt beschäftigt das Unternehmen mehr als 50 Mitarbeiter.
Für die weitere Expansion wird das Jungunternehmen aber auch die notwendigen Finanzmittel aufbringen müssen. Erst kürzlich schloss Readly eine Finanzierungsrunde über zehn Millionen € ab. Unter den Investoren fanden sich der größte schwedische Vermögensverwalter Swedbank Robur sowie Zouk Capital aus London. 2017 hatte das Unternehmen bereits eine Series-B-Runde über 13 Millionen € absolviert. Zu den Geldgebern zählte damals unter anderem der Commercial Growth Fund des britischen Channel 4. Die Erwartungshaltung an Gullbrandson ist dementsprechend hoch. Denn Readly ist als Marke bei Weitem noch nicht so bekannt wie jene der Pendants Spotify oder Netflix. Mit dem Hauptsitz in Stockholm besteht aber zumindest zum Platzhirsch im Musikstreaming eine gewisse Nähe. „Die Venture-Kapitalisten (VCs, Anm.) wollen, dass Dinge umgesetzt werden“, sagt der CEO. „Und das passt gut zu meiner Person“.
Mit 26 Jahren startete Jörgen Gullbrandson seine Karriere. Die erste Station absolvierte er ab 1988 in der Lebensmittelindustrie, bei der Beiersdorf AG in Hamburg. Anschließend lernte er beim größten europäischen Online-Musikhändler Boxman und beim auf Employer Branding spezialisierten Unternehmen Universum (unter anderem als CFO, Anm.) die digitale Transformation kennen – inklusive der rasanten Veränderung des Nutzungsverhaltens von Konsumenten. Im Dezember 2017 wurde der Schwede schließlich CFO bei Readly, nur vier Monate später wurde er zum CEO bestellt.
Readly ist Gullbrandsons erste Station als CEO. „Es ist natürlich eine große Verantwortung, direkt an der Front zu stehen.“ Im Interview wirkt der Schwede für einen „Mann an der Front“ jedoch überraschend höflich und zurückhaltend. Inhaltlich scheint er aber für die Ziele von Readly zu brennen. Der Unternehmenserfolg wird sich in Zukunft somit sicherlich auch darüber definieren, inwiefern Gullbrandson seine Rolle als „neues Gesicht“ der Marke einnimmt. Denn Gullbrandson kämpft nicht nur an einer, sondern an zwei Fronten: Einerseits gilt es, die Endkunden, die Leser zu überzeugen. Nicht weniger wichtig sind jedoch die Verlagshäuser dieser Welt. Readly will diesen im Rahmen der digitalen Transformation helfen, neue Optionen für ihre unternehmerische Zukunft zu finden. Fragt sich, ob die großen Verlagshäuser das nicht selbst schaffen. „Offenbar nicht. Die Verlagshäuser versuchen es zwar alle, doch keines ist damit erfolgreich gewesen“, so Gullbrandson. Damit neue Medien – Tageszeitungen sind auf der Plattform übrigens nicht vertreten – auf der digitalen Plattform landen, müssen diese aber erst ihre Einwilligung geben. Readly unterstreicht hierbei gleich mehrere Vorteile: Der Dienst ist kostenfrei und der Versand eines PDFs des jeweiligen Magazins ist für den Upload ausreichend. Zudem sollen die Verlage durch Readly auch mehr Leser erreichen. Erst kürzlich akquirierte das Unternehmen 14 neue Verlagskunden in Deutschland, darunter etwa der Klambt Verlag (mit dem Lifestylemagazin Grazia). Große Marken wie Der Spiegel (vom Spiegel-Verlag, an dem Gruner + Jahr mit 25,5 Prozent beteiligt ist) oder The Economist (The Economist Group) sucht man bei Readly hingegen vergebens.
Denn es ist nicht immer einfach, Medienhäuser von den Vorteilen des Dienstes zu überzeugen, wie Gullbrandson zugibt: „Wenn wir mit Verlagen sprechen, sehen sie uns manchmal als potenzielle Bedrohung. ,Sie möchten mein Magazin ins Internet stellen? Das will ich nicht!‘ Ich antworte: ,Es ist besser, die Digitalisierung kontrolliert anzugehen, als abgehängt zu werden.‘ Und dann sagen sie: ,Okay.‘ Andere Verlage wiederum sind sofort dabei“.
Thematisch überwiegen bei Readly eindeutig Boulevardmagazine (von Auto- über Lifestyle- bis hin zu Pferdezeitschriften). Bei den Bereichen Politik, Wirtschaft und Wissenschaft offenbaren sich Lücken. Um auch andere Leserschichten anzusprechen – die Leser sind je zu 50 Prozent männlich und weiblich und im Schnitt zwischen 35 und 55 Jahre alt –, wäre eine breitere Fächerung wohl von Vorteil. Wirtschaftsmagazine zu abonnieren ist aber tendenziell teurer. „Das können ein paar Hundert € pro Jahr sein. Wenn Sie aber nur 120 € pro Jahr über Readly bekommen, ist das schwierig“, sagt Gullbrandson. Doch das soll langfristig sowieso kein Thema mehr sein: „Meine Vision ist, dass jedes Magazin weltweit auf unserer Plattform vertreten sein sollte.“ Was das bedeutet, zeigt ein Blick auf die Zahlen: Laut Statista gab es 2017 alleine in den USA 7.176 Magazintitel.
Dass Readly aber neue Möglichkeiten erobert, ist Gullbrandson wichtig zu erwähnen. So erscheint im Rahmen der kürzlich abgeschlossenen Kooperation mit Axel Springer der neu gelaunchte Titel Apple Spezial exklusiv nur über Readly. Der Hintergrund von Seiten Axel Springer: Konzernchef Matthias Döpfner will die Entwicklung als „Europas führender Digitalverlag“ vorantreiben. Und generell erscheint das Geschäftsmodell von Readly auf den ersten Blick für Verlage durchaus lukrativ: „Das Geld, das wir von unseren Abonnenten erhalten, teilen wir zu 70 Prozent mit den Verlagshäusern. Die restlichen 30 Prozent behalten wir, um unsere Organisation, unseren Vertrieb und unser Marketing zu leiten – und um hoffentlich in der Zukunft auch Gewinne zu generieren“, so Gullbrandson. Doch Readly will Verlagen nicht nur neue Leser bescheren, sondern ihnen auch helfen, das Nutzungsverhalten besser zu verstehen. Somit stellt das Unternehmen den Medien in Echtzeit Daten bereit: Welche Personen lesen das Magazin, welche Artikel? Welche Anzeigen funktionieren, welche werden übersprungen? Verlagshäuser können sich im Backend von Readly anmelden und etwa Alter und Geschlecht der Leser einsehen. Privatsphäre und Datenschutz? Gullbrandson: „Wir versuchen, so viel wie möglich zu anonymisieren, etwa: ,ein Mann Mitte vierzig‘.“
Um selbst Abonnenten zu gewinnen, setzt Readly vermehrt auf digitale Kanäle – und nicht wie bisher auf TV-Marketing, wie etwa auf dem britischen Channel 4. „Wir machen dies mithilfe von Growth Hacking: Wie finden wir Menschen im Internet – und machen sie zu unseren Kunden?“ Wie stark die Leserschaft tatsächlich wachsen könnte, lässt sich nur schwer sagen. Denn die Zahl der Abonnenten verrät Gullbrandson nicht. Doch die bezahlten gelesenen Inhalte sind im dritten Quartal 2018 um zwölf Prozent auf über 7,2 Millionen Magazinausgaben gestiegen. „Ein typischer Haushalt in Europa hat durchschnittlich zwei Magazine abonniert. Unsere Abonennten aber lesen pro Haushalt achtundzwanzig verschiedene Zeitschriften über Readly. Das ist eine 14-fache Steigerung. Verlage gewinnen mit unseren Services 95 Prozent neue Nutzer“, so der CEO. So gut diese Zahlen scheinen, so sehr muss sich Readly in Sachen Benutzerfreundlichkeit verbessern. Testberichte bemängeln etwa die schwierige Nutzbarkeit am Smartphone – ein Punkt, den auch COE Gullbrandson zugesteht. Andererseits können Nutzer Zeitschriften mit einem Account auf fünf Geräten gleichzeitig lesen – und diese auch offline nutzen.
Readly ist nicht mehr alleine am Markt. Im März übernahm Apple den digitalen Zeitschriften-Aboservice Texture. Zwar hat Texture erst mehr als 200 Titel im Portfolio, dafür besteht die direkte Nähe zu den USA (was sich in den Magazinen widerspiegelt) und eine durch den neuen Eigentümer verursachte deutlich höhere Finanzkraft. Erste Maßnahme von Apple: den Preis von 14,99 US-$ auf 9,99 US-$ zu senken. Gullbrandson nimmt’s gelassen: „Wir waren im Unternehmen glücklich über diese Übernahme, denn es zeigt, dass wir auf dem richtigen Weg sind. Ich denke nicht, dass Texture in Europa eine Bedrohung für uns darstellen wird.“
Neben dem eigenen Geschick wird aber auch die Zukunft des digitalen Zeitschriftenmarktes über Readlys Erfolg entscheiden. „Vergleichen Sie das mit der Musikindustrie, bei der die digitale Nutzung heute bei weit über 50 Prozent liegt. Wir werden vielleicht nie auf 100 Prozent kommen, aber werden definitiv höher als bei den heutigen sechseinhalb Prozent sein. Im Zeitschriftenmarkt wird es in Zukunft noch mehr in Richtung digital gehen. Dennoch glaube ich, dass es Menschen geben wird, die weiterhin Printmagazine lesen.“ Bleibt zu hoffen, dass sich auch der Zeitungsmarkt in Zukunft in einem passenden Gesicht präsentiert. Vielleicht kann Readly dabei ja helfen …
Dieser Artikel ist in unserer Oktober-Ausgabe 2018 „Handel“ erschienen.