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Seit 2008 entwickelte sich Hodinkee von einem kleinen Uhrenblog zu einem Unternehmen, das 100 Mio. US-$ Umsatz macht. Jetzt will Ben Clymer aus seinem Herzensprojekt ein hochprofitables Unternehmen machen – ohne Hodinkee dabei seine Seele zu nehmen. Das Ziel: die „New York Times für Uhren“ zu werden.
Wer nicht genau weiß, wo er hin muss, kann das Hodinkee-Büro leicht übersehen. Denn ähnlich wie bei seiner auf Uhren spezialisierten Medien- und E-Commerce-Marke setzt Hodinkee auch in Sachen Büro nicht unbedingt auf Protz. Das zweistöckige Büro liegt zwar mitten in Downtown New York, ist aber in dem Ziegelgebäude, das es beheimatet, von außen kaum erkennbar.
Auch innen ist alles weitgehend ruhig. Es ist spät am Freitagabend, die meisten der Mitarbeiter sind im Homeoffice oder im Feierabend. Einer der wenigen Anwesenden ist Ben Clymer, der das Unternehmen vor 15 Jahren gründete. Clymer hat keine operative Rolle mehr, die Leidenschaft für sein „Erstgeborenes“, wie der zweifache Vater Hodinkee liebevoll nennt, ist aber ungebrochen. Nach einer Auszeit vom operativen Geschäft, die er sich selbst gönnte, scheint es nun aber, als würde Clymer wieder stärker bei Hodinkee aktiv. „Das Unternehmen ist viel größer als zu Beginn. Aber in Hodinkee steckt bis heute viel von mir selbst, und diese Authentizität wollen wir bewahren und stärken.“
Denn Clymer machte aus dem schrulligen Uhrenblog, den er als Student startete, über die Jahre ein Unternehmen, das mit E-Commerce, Versicherungen und Mediengeschäft rund 100 Mio. US-$ Umsatz erzielt und rund 100 Mitarbeiter beschäftigt. In der letzten Finanzierungsrunde (2020) wurde der Unternehmenswert mit 100 Mio. US-$ beziffert.
Dass er nicht dafür gemacht ist, ein solches Schiff auch zu navigieren, wurde Clymer bald klar. Als CEO agiert daher nun Jeffery Fowler, der vom E-Commerce-Konzern Farfetch zu Hodinkee kam, Clymer selbst ist offiziell als Executive Chairman tätig. „Ich arbeite mit unserem CEO an strategischen Themen, spreche mit unseren Investoren – und kreiere Content“, so Clymer, der von der Hodinkee-Community bis heute als Seele der Marke gesehen wird. Kurz vor unserem Interview schloss er etwa die Aufzeichnung seines neuen Video-Podcasts ab. Sein Gast? Porsche-Enkel und Uhrensammler Ferdi Porsche. Unternehmerisch geht es für Clymer und Fowler vor allem darum, die Profitabilität zu steigern. Genaue Angaben zur Marge macht Clymer nicht, sagt aber: „Ich glaube, dass wir eine echte Chance haben, in naher Zukunft hochprofitabel zu sein.“ Doch Clymer betont im nächsten Atemzug, dass die Ursprünge dabei nicht verloren gehen dürfen. „Wir wollen die New York Times für Uhren sein. Uhren zu verkaufen ist ein guter Weg, um dieses Ziel zu erreichen.“
Ein Großteil der Umsätze von Hodinkee, Clymer spricht von rund 90 %, stammen heute aus dem E-Commerce-Geschäft. Hodinkee verkauft neue wie auch gebrauchte Uhren, wobei erstere rund 50 % und letztere rund 40 % der Umsätze ausmachen. Dass die Käufer so loyal sind und Hodinkee genug vertrauen, um mehrere tausend Dollar teure Produkte zu kaufen, liegt aber an einer anderen Tätigkeit. Denn Hodinkee ist eines der führenden Medienhäuser, wenn es um Uhren sowie die zugehörige Branche geht. Rund 20 Redakteure und Fotografen arbeiten für das Unternehmen und publizieren Content in Text, Bild, Video und Audio – immer rund um das Thema (Luxus-)Uhren.
Dass Hodinkee überhaupt im E-Commerce mitmischt, geht auf eine Erfahrung Clymers zurück. Denn als ihm ein Leser sagte, dass er wegen eines Blogposts eine bestimmte Uhr gekauft hätte, ging dem Uhren-Fanatiker ein Licht auf. Die Gefahr, die Integrität der eigenen Berichterstattung durch das neue Standbein zu gefährden, war zu Beginn ein großes Thema, so Clymer. „Wir haben anfangs fast täglich dazu diskutiert. Heute ist das aber kein großes Thema mehr.“
Neben E-Commerce und klassischem Mediengeschäft – Hodinkee hat keine Paywall, aber verdient Geld mit Werbung – hat das Unternehmen einen dritten Umsatzstrom: Versicherungen. Diese sind heute zwar noch vernachlässigbar, für Clymer aber ein Wachstumsgebiet. So können Uhrenbesitzer ihre Stücke über die Hodinkee-App völlig dynamisch versichern lassen. „Viele Nutzer haben einen Teil ihrer Uhren in einem Safe. Sobald sie diese aber aktiv tragen, können sie sie versichern – und zahlen auch nur dann dafür.“
Dass Hodinkee so groß werden konnte, liegt nicht nur, aber auch am Marktumfeld. Die Uhrenbranche erlebte im letzten Jahrzehnt einen enormen Boom, Marken wie Rolex, Audemars Piguet oder Omega wurden zu Statussymbolen. „Als wir anfingen“, sagt Clymer, „sprach niemand über Uhren. Nicht auf Youtube, auch nicht bei Partys. Heute ist das anders.“ Durch Kooperationen mit Marken, wodurch Hodinkee-eigene Kollektionen entstehen, aber auch durch die Nutzung von prominenten Uhrensammlern – etwa Ed Sheeran, Kevin Hart oder John Mayer, der auch Hodinkee-Investor ist – baute sich Hodinkee auch über die Szene hinweg eine Community auf. Doch auch hier sieht Clymer Möglichkeiten, besser zu werden. „Wir wollen mit jeder einzelnen verkauften Uhr profitabel sein.“
Ben Clymer stammt aus einer „middle-class family“, wie er selbst sagt. Beide Eltern sind Lehrer, sein Interesse für Uhren wurde früh geweckt, als ihm sein Großvater eine Omega Speedmaster schenkte. Clymer fing an zu sammeln, entschied sich nach der Universität jedoch bei der Schweizer Großbank UBS in New York anzuheuern. 2008 verließ er die Bank im Zuge der Finanzkrise mit einer Abfertigung. Er schrieb sich an der Columbia University ein, wo er Journalismus studierte, und startete parallel dazu Hodinkee. Die Plattform wuchs kontinuierlich, heute ist Hodinkee ein kleines Uhrenimperium.
Doch der Erfolg des Unternehmens hatte für Clymer auch negative Seiten. „Ich habe mich zehn Jahre lang jeden Tag mit Hodinkee beschäftigt“, sagt Clymer. „Und zwar auf Kosten meiner physischen und mentalen Gesundheit. Ich brauchte eine Pause.“ Clymer überließ dem damaligen CEO die Führung des Unternehmens und widmete sich (auch) anderen Themen. Er verbrachte mehr Zeit mit seiner Familie und gründete zudem die Golfplattform Fairgame, seine zweite Leidenschaft. Neben Eric Mayville ist auch Golfprofi Adam Scott Teil des Gründerteams, das eine Community rund um den Sport aufbauen will – ähnliche wie Strava für Radfahrer und Komoot für Wanderer.
Für Clymer ist all das aber erst der Anfang. Der Hodinkee-Gründer kann sich vorstellen, noch lange ein Teil der Hodinkee-Geschichte zu sein. „Ich mache das gerne und bin auch gut darin. Ich hätte kein Problem damit, noch lange eine Rolle bei Hodinkee zu spielen – welche auch immer das sein mag.“
Ben Clymer startete Hodinkee 2008 als Student an der Columbia University. Seit 2020 ist er Executive Chairman. Hodinkee hat rund 100 Mitarbeiter und erzielt einen Jahresumsatz von 100 Mio. US-$.
Foto: Sasha Charoensub