„It looks like they clean up their act, but …“

Caroline Flammer ist eine der weltweit führenden Forscherinnen in Sachen Sustainable Investing. In ihrer wissenschaftlichen Arbeit untersucht die Schweizer Ökonomin, wie nachhaltiges Investieren helfen kann, eine bessere Welt zu schaffen. Im Interview mit Forbes spricht sie über falsche Anreize, fehlende Zeitdimensionen – und ein radikales Umdenken in der Wirtschafts- und Finanzwelt.

„Wir sind mittendrin“, sagt Caroline Flammer geradeheraus. „Klimakrise, Verlust von Biodiversität, Armut, soziale Ungleichheit und so weiter: Der Druck auf Unternehmen und die Finanzbranche, etwas zu tun, steigt.“ Natürlich hat die Schweizerin, die seit 2022 als Pro­fessor of International and Public Affairs and of Climate an der Columbia University in New York City tätig ist, damit recht – denn insbesondere große Unternehmen (aber auch der Finanzsektor) müssen sich neben der Frage nach Wachstum und Gewinnen für Investoren von Medien und neuen Mitarbeitern zunehmend die Frage stellen lassen, welchen Impact auf Umwelt und Gesellschaft sie haben.

Ganz untätig waren große Corporates und Finanzinvestoren in den letzten Jahren nicht. Zahlreiche Wall-Street-Größen, darunter Blackrock-Chef Larry Fink, haben sich öffentlich klar geäußert, dass die Kurzfristigkeit sowie die Profitorientierung der letzten Jahrzehnte enden müssen. Das zeigte Wirkung: Nachhaltige Investitionen nahmen kontinuierlich zu, 2022 hatte der Markt ein Volumen von 37 Bio. US-$ an Assets under Management – das ist nicht wenig Geld. Flammer: „Meine Forschung zeigt, dass Initiativen in den Bereichen Corporate Social und Environmental Responsible Practices den Wert von Unternehmen langfristig steigern können. Wenn das aber so ist, dann stellt sich die Frage, warum diese Themen nicht essenzieller Bestandteil von Unternehmens­­strategie und Governance sind?“

Flammer hat drei Heraus­forderungen identifiziert. Erstens: Anreizsysteme für Manager sind fast immer monetär ausgeprägt und kurzfristig orientiert. „Die Boni be­stehen in der Regel aus variablen Zahlungen in Relation zu den momentanen Profiten und sind nicht an langfristigere finanzielle oder gesellschaftliche Ziele geknüpft. Da ist überhaupt keine Zeitkomponente enthalten. Dazu kommt noch, dass die durchschnittliche Verweildauer von CEOs in großen Unternehmen lediglich zwischen vier und fünf Jahren liegt. Infolge verwundert es auch nicht, wenn die CEOs eher kurzfristig denken und nicht in langfristige Unternehmensstrategien investieren, auch wenn sie sich langfristig positiv auf die Gesellschaft und Umwelt sowie den Unternehmenswert auswirken würden.“ Lang­fristige Incen­tivierung könnte das ändern. Doch das Problem ist ein größeres, wie die Forscherin erläutert: „Auch in den meisten unserer Managementtheorien existiert keine Zeitdimen­sion. Irgendwie haben wir das nicht berücksichtigt.“ Flammer schlägt vor, umzudenken: „Wir sollten die Bezahlung von Managern an die langfristige Performance des Unternehmens koppeln – und zwar in finanzieller, ökologischer und sozialer Hinsicht.“

Unternehmen erleben Ausfälle in der Wertschöpfungskette, Ernteausfälle etc. Wenn wir nichts tun, werden diese Risiken und Kosten immer größer.

Die zweite Herausforderung: Investoren müssen umdenken. Das oft praktizierte Desinvestieren, also der Verkauf von Aktien von Unternehmen, die etwa mit fossilen Brenn­stoffen arbeiten, sei nicht unbedingt die beste Idee, so Flammer: „Dann kauft ein anderer Investor die Anteile, die Situation wird nicht besser oder schlechter. Vielmehr müssen Investoren in einen aktiven Dialog mit ihren Portfolio­unternehmen gehen, damit diese ihre Praktiken ändern.“ Diesen Ansatz nennt man auf Neudeutsch auch Shareholder Activism. „So kann man Veränderung ermöglichen“, so Flammer. Dritter Punkt: Es braucht ein radikales Umdenken in Wirtschaft, Wissenschaft und Gesellschaft – statt bei Entscheidungen nur das Wohl einzelner Portfolios oder Unternehmen zu berücksichtigen, müssten Entscheidungsträger eine Systemperspektive einnehmen. Flammer: „Unser Denken und Handeln ist immer nur auf einzelne Unternehmen oder unser Portfolio ausgerichtet. Was es braucht, ist eine Ausrichtung auf das System.“ In der Verantwortung sieht Flammer die Politik, durch Regulierung die richtigen Rahmenbedin­gungen zu schaffen. Dass das nicht immer klappt, weiß Flammer. Sie gibt ein Beispiel: „In den USA wird überlegt, Unternehmen zu verpflichten, nur ihre Scope-1- und eventuell Scope-2-Emissionen zu veröffentlichen. Das kann aber in die falsche Richtung führen.“ Zur Erklärung: Emissionen von Unternehmen werden aktuell in drei Kategorien eingeteilt. Scope 1 sind Direktemissionen der Unternehmen, Scope 2 entfällt auf die Energie, die der Betrieb benötigt; Scope 3 sind Emissionen, die Konsumenten und Zulieferer produzieren. Wenn nun verpflichtend nur Scope-1-Emissionen deklariert werden müssen, kann dies dazu führen, dass emissionsintensive Bereiche ausgelagert werden, wodurch sie aus der Kategorie 1 verschwinden. Für den Planeten ändert das aber nichts. „It looks like they clean up their act“, sagt Flammer, die im Gespräch immer wieder mal ins Englische verfällt. „Es ändert sich aber gar nichts bezüglich Klimawandel. Ideal wäre es, wenn die Unternehmen verpflichtet wären, alle Emissionen, d. h. Scope 1–3, zu deklarieren.“ Regeln werden gerne um­gangen – denn das Finanzsystem misst bei der Bewertung von nach­haltiger Unternehmensführung in der Regel nicht, inwieweit Unternehmen die Umwelt und Gesellschaft ins­gesamt – d. h. inklusive durch ihre Zulieferer und Konsumenten – be­lasten und ob sie die Umwelt- und Sozialpolitik des Staates unterstützen oder sich dieser eher entgegenstellen. Auch hier ist der Fokus auf kurzfristige Profite der einzelnen Unternehmen und Portfolios laut Flammer zu groß, jener auf lang­fristige systemische Risiken zu gering: „Unternehmen erleben zunehmend Ausfälle in der Wertschöpfungskette, Ernte­ausfälle etc. Wenn wir nichts tun, werden diese Risiken und Kosten immer größer.“ Dass dieses Bewusstsein noch nicht ausreichend vorhanden ist, lastet die Ökonomin auch der Akademia an: „Wir müssen den Systems-focused Approach ins Klassenzimmer holen und die zu­künftigen Manager und Investoren darauf aufmerksam machen, dass sie diesen ebenfalls verfolgen sollten.“

Ganz unten in ihrem Lebenslauf hat Caroline Flammer eine Zeile eingefügt: „First-generation student.“ Denn die Schweizerin, die im Thur­gau aufgewachsen ist, war die Erste in ihrer Familie, die überhaupt ins Gymnasium ging. „Das schreibe ich, um anderen Mut zu machen.“ Tat­sächlich wollte Flammer ursprünglich Theater­wissenschaften studieren, entschied sich aber dagegen. „Ich wusste lange nicht, was ich eigentlich machen will“, sagt sie heute. Flammer jobbte als Hotel­direktorin in Costa Rica nach ihrem Ökonomiestudium in St. Gallen und ihrem Lehrdiplom an der Universität Zürich, bevor sie ihr PhD-Studium begann. Es folgte ein Aufenthalt in New York, bevor sie 2011 als Postdoc an die MIT Sloan School of Management ging. Danach war sie an der University of Western Ontario sowie der Boston University aktiv, bevor sie 2021 an die Columbia University kam. Die Frage, ob sie angesichts ihrer Arbeit Optimistin ist, beantwortet sie grinsend – und erneut teilweise auf Englisch: „Ich bin Optimistin. Hope dies last.“

Caroline Flammer wurde im Thurgau geboren und studierte Ökonomie in St. Gallen, Zürich und New York. Seit 2022 ist sie Professor of International and Public Affairs and of Climate an der Columbia University in New York City.

Foto: Urs Jaudas

Klaus Fiala,
Chefredakteur

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