ISTANBULS TOWER-FRAU

Seit gut zwei Jahrzehnten arbeitet  die aus Vorarlberg stammende Architektin Brigitte Weber am Bosporus. Im Leben der Entwerferin der dortigen „Trump Towers“ gibt es keinen Erfolg ohne Glück.

Eine Portion Neugier, eine Prise Mut und „das Glück, im richtigen Moment die richtigen Leute zu treffen“ – das sind laut Brigitte Weber die drei Hauptfaktoren ihrer erfolgreichen Karriere. „Jugendlichem Übermut und schicksalhaftem Zufall“ sei es zu verdanken, dass die Vorarlbergerin ihren Lebensmittelpunkt 1995 nach Istanbul verlagerte, um dort mit 30 Jahren ein eigenes Büro aufzubauen. Forbes sprach mit ihr während eines Aufenthaltes in Kitzbühel. Hier möchte sie interdisziplinäre Expertise für ein Projekt in der Türkei einholen: „Unser Team soll nicht nur aus Architekten, sondern auch aus Experten aus ökologischer Landwirtschaft, Tourismus und Bildung bestehen.“ Mehr könne sie dazu allerdings noch nicht verraten, da man sich erst in der Entwicklungsphase befinden würde.

Die Architektin der Istanbuler „Trump Towers“ ist die erste – und bis dato einzige – ausländische Architektin (männliche Kollegen eingerechnet), die sich in der Türkei selbstständig machte. Und das sehr erfolgreich: Webers Portfolio umfasst inzwischen über 150 finalisierte Projekte, darunter viele Geschäftsimmobilien, Wohngebäude und ein internationales Reitsportzentrum. Aktuell arbeitet ihr Team von rund 15 Mitarbeitern an einem Gebäudekomplex mit 1.800 Wohnungen und 450.000 Quadratmeter Fläche. Bauvorhaben in dieser Größenordnung in Österreich umzusetzen wäre laut Weber, der 2014 das Goldene Ehrenzeichen für Verdienste um die Republik verliehen wurde, kaum möglich, denn die Mentalität der Investoren am Bosporus sei eine ganz andere. Hierzulande würden Projekte der Nachfrage entsprechend gestaltet; in der Türkei baue hingegen „jeder, der es sich leisten kann“.

Fokus auf Luxusimmobilien

„Das bedeutet nicht, dass wir keine kleinen, intimeren Projekte machen wollen. Leider haben wir in den letzten Jahren nur sehr große Aufträge erhalten, weil sich Geldgeber für die kleinen erst gar nicht interessierten“, so die Architektin. Der Hintergrund: In den vergangenen zwei Jahrzehnten spezialisierten sich türkische Investoren auf Luxusimmobilien. Vor drei Jahren, wohl auch infolge des Putschversuches 2016, brach dieser Highend-Markt ein. „Nun ist das große Potential nicht mehr vorhanden“, sagt Weber: „Die Verkaufsrate beläuft sich auf maximal 70 Prozent. Da bereits ausreichend Wohnungen für die nächsten fünf Jahre am Markt sind, konzentrieren sich Großinvestoren nur auf die Fertigstellung laufender Projekte. Unserem Büro geht sehr gut, aber das wird auch uns noch treffen.“

Die Architektin sieht dennoch positiv in die Zukunft: „Wir sehen uns nach alternativen Quellen um, auch nach Investitionen aus dem Ausland – und wir werden uns wieder auf kleinere, speziellere Aufträge konzentrieren. Beispielsweise ist die Planung eines Einfamilienhauses eine der größten Herausforderungen in der Architektur. Man muss all die Bedürfnisse der Menschen in diesem Haushalt mit einbeziehen – auch ihre Beziehungen, die oft in Spannungsverhältnissen stehen.“ Weber lacht: „Im Grunde braucht man dafür immer auch einen Psychologen.“

Foto: Brigitte Weber, Architektin

Architektur ist für sie viel mehr als eine Disziplin. Man könne sie nicht einfach als Handwerk erlernen, sondern müsse sich auch privat mit ihren vielen Dimensionen auseinandersetzen. „Es ist ein sozialer Beruf, der eng mit Psychologie, Ökologie und anderen Bereichen verbunden ist“, sagt Weber. Gute Architektur brauche daher intensive Beschäftigung mit sämtlichen Bereichen des Lebens.

Anfänge als Architektin

Doch wie kam Weber denn eigentlich zu diesem Beruf? Sie wuchs in der 2.000-Seelen-Gemeinde Sulz nahe Feldkirch auf. Nach der Schule besuchte sie das Fremdenverkehrskolleg in Innsbruck. Dort lernte sie Architekten kennen, die ihr eindrucksvoll von ihrem Alltag erzählten. Weber, die sich selbst als kompromisslosen Menschen, der Angefangenes gerne zu Ende bringt, beschreibt, war von den Schilderungen begeistert. Nach ihrem Tourismus-Diplom zog sie nach Wien, um sich an der Technischen Universität (TU) für Architektur einzuschreiben.

Neun Jahre später arbeitete sie im Büro Wilhelm Holzbauer, wo sie ihre Projektleiterin Elke Delugan-Meissl kennen lernte. „Sie war eine Leitfigur, von der ich sehr viel lernte – etwa, wie ich mich als weibliche Führungskraft durchsetze“, beschreibt Weber ihr Verhältnis zur Star-Architektin, die vor zwei Jahren in den österreichischen Kunstsenat berufen wurde. Sie selbst habe sich im Berufskontext als Frau zwar nie benachteiligt gefühlt, doch es sei erschreckend, wie wenige Büros von weiblichen Partnerinnen gegründet werden: „Generell gibt es sehr viele Frauen in der Architektur, auch in der Türkei. Wenn es aber darum geht, ein eigenes Büro zu gründen, sehen sich weltweit viele mit großen Barrieren konfrontiert. Worauf diese im Detail zurückzuführen sind, ist schwer zu sagen. Fest steht, dass Männer meist mit männlichen Partnern gründen, viele auch mit Frauen. Doch nur sehr wenige Frauen eröffnen Büros mit nur weiblichen Partnerinnen.“

Gründung des eigenen Architekturbüros

Auch Weber gründete ihr erstes Büro mit einem Mann, Arif Suyabatmaz, einem jungen Architekten aus der Türkei, den sie an der TU Wien kennengelernt hatte. Auf seinen Vorschlag, gemeinsam ein Büro in Istanbul zu gründen, reagierte sie zuerst belustigt – nach einiger Bedenkzeit, nahm sie jedoch an. Denn da Suyabatmaz in seiner Heimat bereits zeichnungsberechtigt war, kam sie als seine Partnerin der Selbstständigkeit sehr viel näher als in Wien. Nun stellt sich jedoch die Frage, ob sie nicht längerfristig in Österreich auch so eine erfolgreiche Karriere gehabt hätte? „Schwierige Frage. Ich glaube, dass jede einzelne kleine Entscheidung im Leben wichtig ist und ich hatte bei meinen oft viel Glück. Ich lernte großartige Menschen genau am richtigen Ort und zum richtigen Zeitpunkt kennen“, antwortet Weber.

Doch nicht nur Glück – auch Durchhaltevermögen und Verbissenheit spielen im Leben der Architektin eine zentrale Rolle: „Mit der Planung von Bauwerken hatte meine Arbeit in der Türkei in den ersten Jahren nicht viel zu tun. Projekte geleitet haben dort damals die Baufirmen; wir Architekten waren ausschließlich für innenarchitektonische Aspekte zuständig.“ Die frühen 2000er-Jahre waren für Weber beruflich gesehen frustrierend. Sie machte zwar mit Bebauungsstudien auf sich aufmerksam und erhielt zunehmend verlockende Angebote, musste diese jedoch stets ablehnen, weil sie als Ausländerin keine Erlaubnis hatte, Projekte selbst zu unterzeichnen. „Potenzial, Möglichkeiten und praktische Erfahrung hatte ich genug“, so Weber: „Mir fehlte die rechtliche Grundlage“.  

Foto: Trump Tower

Realisierung der „Trump Towers“

2005 wurde diese endlich geschaffen: Eine Gesetzesnovelle, die infolge der Beitrittsverhandlungen zwischen Europäischer Union (EU) und Türkei auf den Weg gebracht worden war, erlaubte es ihr, den Antrag auf Zeichnungsberechtigung zu stellen – um sogleich auch das Büro „Brigitte Weber Architects“ ins Leben zu rufen. Die Neo-Büroleiterin hatte – ganz in ihrem Sinn – wieder einmal Glück, denn sie erhielt die Lizenz gerade noch rechtzeitig, um jenes Angebot anzunehmen, das ihr zu ihrem großen Durchbruch verhalf: Die Realisierung der „Trump Towers“ in Mecidiyeköy, einem stark frequentierten Istanbuler Bezirk an der Transitroute zwischen Asien und Europa. Das vom Milliardär und Medienmogul Aydın Doğan finanzierte Megaprojekt umfasst 37 Stockwerke mit Büros, 200 Luxusresidenzen, ein Einkaufszentrum, ein Kino sowie einen Keller mit der ersten und einzigen dauerhaften Wein-Kollektion im Land.  

Aufgrund ihrer dynamisch verspielten Komposition aus Hügeln, Kuppeln und Minaretten beschrieb Le Corbusier die Metropole am Bosporus einst als eine „Silhouette“. Als Studentin konnte Weber den Werken und der Lehre des französisch-schweizerischen Architektur-Granden viel abgewinnen – als Architektin wurde ihr nun ebenso eine große Verantwortung zuteil. Ihre beiden Hochhäuser mit insgesamt 50 Stockwerken sollten diese Komposition nachhaltig verändern. Also versuchte Weber und ihr Team, die Erscheinung des riesigen Komplexes (260.000 Quadratmeter) durch prismatische und angulare Fassaden an die dynamische Kraft der Stadt anzupassen. Diese sollten den „Trump Towers“ den Anschein statischer Türme nehmen und sie wie bewegliche Skulpturen anmuten lassen.  

Dieses Beispiel zeigt, dass Architekten viel soziale Verantwortung tragen. Sie müssen nicht nur Bauherren und Investoren zufriedenstellen, auch der Nutzen für Endverbraucher und nächste Generationen sollte immer in der Planung bedacht werden. In der Türkei gestalte sich dieser Balanceakt oftmals schwierig, sagt Weber. So sei etwa Landflucht laut Weber ein viel größeres Problem als in der EU: „Alle Großstädte, auch Izmir und Ankara, sind überlaufen, weil es am Land keine Struktur gibt, die den Menschen ein wirtschaftliches Überleben ermöglicht. Als genügend Geld vorhanden war, wurde nur in kurzfristig profitmaximierende Projekte investiert, also in Luxusimmobilien statt Wohnungen und Fabriken, wo die Rückflüsse viel länger auf sich warten lassen“. Hier sei insbesondere die Politik gefordert. Sie müsse Unternehmen dazu bewegen, (auch) in den Regionen für Arbeitsplätze zu schaffen.  

„Smarte Siedlungen“

Wenn einmal die Infrastruktur vorhanden sei, die ein wirtschaftliches Überleben ermöglicht, dann müsse auch die Architektur ihren Beitrag zur Problemlösung leisten. Denn „smarte“ Siedlungen könnten nicht einfach „von Beamten auf dem Reißbrett gezeichnet werden, wie die Satellitenstädte in den 1960/70er-Jahren“, die völlig isoliert von sozialen Knotenpunkten waren. Attraktive Lebensräume könnten laut Weber nur dann entstehen, wenn sie von Menschen mitgestaltet werden, die mit den „alltäglichen Maßstäben des sozialen Lebens an die Sache herangehen“ – sprich, von Architekten.

Foto: Brigitte Weber, Architektin

Auch an der „Öko-Front“ stellt das kurzfristige Denken von Investoren in der Türkei die Architektin vor Herausforderungen. Denn insbesondere, wenn es darum geht, rasch Profite zu machen, werden Investitionen in Nachhaltigkeit oft nur als reine Mehrkosten betrachtet. Ihr Team versucht daher von Anfang an so umweltfreundlich wie möglich zu planen: „Das bedeutet etwa, dass wir eine effiziente und logische Gebäudehülle entwerfen, die in die richtige Himmelsrichtung ausgerichtet und auf das lokale Klima zugeschnitten ist. Hier leisten wir einen Beitrag, ohne dass Geldgeber zusätzlich belastet werden.“

Weber verbindet in ihrer Arbeit zwei unterschiedliche Kulturen – jene aus der Türkei und jene aus ihrer Heimat, Vorarlberg. Das kleine Bundesland gilt in Sachen zeitgenössische Architektur und nachhaltiges Bauwesen als ein weltweiter Vorreiter: „Ich finde es jedes Mal sehr unterhaltsam und spannend, wenn ich daheim herumfahre und die perfekt durchgeplanten, super-ökologischen Häuser sehe. Zwar interessieren sich immer mehr türkische Endverbraucher für dieses Thema, doch das Bewusstsein sei noch nicht so in Fleisch und Blut übergangen wie in Europa.“ Weber sei daher sehr froh darüber, „beider Welten Philosophien zu verinnerlichen“.

An neuen Herausforderungen mangelt es der Österreicherin in ihrer Wahlheimat jedenfalls nicht. Die zeitgenössische Architektur stecke dort noch in Kinderschuhen: „Natürlich hatte die Architektur schon immer einen großen Stellenwert in der Türkei, man betrachte all die prächtigen Moscheen.“ Doch die Jahrzehnte des Rückschritts in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts müssten erst aufgeholt werden. „Die türkische Architektur sucht nach einer eigenen modernen Identität. Das wird noch ein bisschen dauern, aber die Branche ist auf einem sehr guten Weg“, resümiert Weber.

Text: Florian Peschl
Fotos: beigestellt

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