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Das Austrian Institute of Technology (AIT), Österreichs größtes außeruniversitäres Forschungsinstitut, schmiedet an den Innovationen der Zukunft. Vor allem Lösungen im Bereich Cybersicherheit sind gefragt, denn die Vernetzung von Maschinen wird rasant steigen – und damit auch die potenziellen Gefahren.
Im neuen Gebäudekomplex des Austrian Institute of Technology (AIT) im 21. Wiener Gemeindebezirk sitzend, spricht Ross King leidenschaftlich über hochkomplexe Themen. Er erklärt die Relevanz von Predictive Maintenance („Das ist der Renner zurzeit“), erzählt, dass Industrial Data Science der größte Auftragsforschungsmarkt ist, und erläutert, welche Lösungen das AIT der österreichischen Industrie im Bereich Cybersecurity bieten kann. Spricht man mit King, merkt man eines sofort: Der Wissenschaftler ist ganz in seinem Element. Über Themen wie Digitalisierung und künstliche Intelligenz (KI) könnte er wohl stundenlang sprechen, versucht dabei aber stets, seinem Gegenüber alle Details bestmöglich zu erklären. King ist Head of Competence der Unit Data Science & Artificial Intelligence im AIT und arbeitet mit seinem Team in drei Bereichen: Cultural Data Science, Industrial Data Science und Data Science for Public Security.
„Predictive Maintenance zählt zu den Anwendungsfällen von Industrie 4.0. Es handelt sich dabei um KI-basierte Vorgänge, bei denen Prozess- und Maschinendaten in Echtzeit ausgewertet werden. Durch entsprechende Lernverfahren können dadurch Wartungsabläufe verbessert werden“, so King. Auch potenzielle Ausfallzeiten können so verringert werden, da mögliche Problementwicklungen rechtzeitig von den KI-basierten Prozessen identifiziert werden. Auf diese Weise können frühzeitig Wartungsmechanismen gestartet beziehungsweise Wartungsintervalle verlängert werden, um damit ökonomische Vorteile zu erzielen. Predictive Maintenance wird von österreichischen Unternehmen bereits genutzt. Laut einer von IPN – Intelligent Predictive Networks gemeinsam mit der Österreichischen Vereinigung für Instandhaltung und Anlagenwirtschaft (ÖVIA) im Jahr 2018 durchgeführten Studie sagen 90 % der Führungskräfte, dass sich ihr Unternehmen mit Predictive Maintenance beschäftigt; 31 % gaben an, dass ihr Unternehmen einen hohen Reifegrad im Umgang mit dieser Thematik erreicht hat.
Ross King
... forscht seit 2002 auf dem Gebiet Data Science, seit 2009 ist er am AIT im Center for Digital Safety & Security tätig. Seit 2020 leitet King die neu gegründete Competence Unit Data Science & Artificial Intelligence.
Willibald Krenn
... ist seit 2009 am AIT aktiv und als Thematic Coordinator auf das Thema Dependable Systems Engineering spezialisiert. In seiner Forschung fokussiert Krenn sich heute auf den neuen Schwerpunkt rund um das Testen und Verifizieren von AI in safety-kritischen Anwendungen.
Bei diesem Thema angekommen, hakt Willibald Krenn ein. Krenn ist als Thematic Coordinator auf den Bereich des Dependable Systems Engineering spezialisiert, der eng mit dem Forschungsbereich von King verwoben ist. Insgesamt arbeiten im Bereich Data Science & Artificial Intelligence für safety-kritische Anwendungen rund 60 Experten aus aller Welt auf hohem wissenschaftlichem Niveau. „Wir entwickeln Methoden und Werkzeuge, damit man Systeme effizient bauen kann, die wiederum hohe Anforderungen an Verlässlichkeit erfüllen“, so der Forscher. „Dependable systems“ seien dabei nicht nur Industrie-4.0-Anwendungen im Rahmen der Mensch-Maschine-Kommunikation, vernetzte IoT-Services oder Geräte, sondern auch selbstfahrende Autos. „Allgemein spielen hier die Faktoren Safety (Betriebssicherheit, Anm.) und Security (Cybersicherheit, Anm.) eine wesentliche Rolle – denn man muss Safety und Security immer als holistisches Konzept betrachten statt getrennt voneinander. In Österreich ist das Bewusstsein dafür gestiegen“, so Krenn.
Überhaupt ist das AIT eine wahre Schmiede an talentierten Forschern und Entwicklern. Im Center for Digital Safety & Security, dem der Forschungsschwerpunkt von King und Krenn zugeordnet ist, forschen über 200 Experten. Als Österreichs größte außeruniversitäre Forschungseinrichtung gehört das AIT zu den führenden Forschungsinstitutionen Europas. Gesellschafter des AIT sind die Republik Österreich, die 50,46 % hält, sowie der Verein zur Förderung von Forschung und Innovation der Industriellenvereinigung Österreichs mit 49,54 % der Anteile. Der zentrale Auftrag des AIT ist es, Innovationen und Technologien zu entwickeln, die den Standort Österreich verbessern. Die Forschungseinrichtung ist in acht Center (Energy; Mobility Systems; Low-Emission Transport; Health & Bioresources; Digital Safety & Security; Vision, Automation & Control; Technology Experience und Innovation Systems & Policy) unterteilt, die sich wiederum in Subeinheiten gliedern. Rund 1.400 Mitarbeiter arbeiten insgesamt am AIT, an sechs Hauptstandorten in Österreich.
King erzählt angeregt, welche Bandbreite seine Unit abdeckt: Da gehe es um neue Technologien bei der Aufrechterhaltung von Sicherheit, etwa bei der Ermittlung nach einem terroristischen Anschlag, den Kampf gegen Desinformationen in sozialen Medien und die Analyse von Transaktionsketten bei Kryptowährungen. Dazu kommt – wie bereits erwähnt – der zentrale Auftragsforschungsbereich der Steigerung der industriellen Produktivität.
Der gebürtige Amerikaner King studierte ursprünglich von 1984 bis 1988 Engineering Physics an der Colorado School of Mines sowie zwischen 1988 und 1994 Physik an der Stanford University. Im Jahr 1994 kam er nach Wien, wo er zunächst an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften arbeitete; seit 2002 forscht er auf dem Gebiet Data Science, seit 2009 am AIT. King geht speziell auf den dritten Teilbereich seiner Unit, Data Science for Public Security, ein: Hier arbeitet das AIT an Projekten mit nationalen und internationalen Behörden und Regierungen sowie auf EU-Ebene. Das Thema digitale Forensik von Kryptowährungen beschäftigt den Forscher sichtlich – er erzählt davon, dass das AIT soeben das internationale Forschungsprojekt Titanium gegen die kriminelle Nutzung des Darkweb sowie virtueller Währungen abgeschlossen habe. „Das AIT entwickelt unter anderem KI-Tools, um illegale Transaktionen von Bitcoin oder anderen virtuellen Währungen ausmachen zu können. Grundsätzlich ist es schwierig, Bitcoin-Transaktionen im dezentralisiert aufgebauten System zuordnen zu können. Das bedeutet, dass keine Entität Kontrolle über das Netzwerk, das auf der Blockchain-Technologie basiert, erlangen kann. Im Rahmen des Projekts Graph Sense (begann im September 2015 und dauerte zwei Jahre, Anm.) haben wir algorithmische Lösungen entwickelt. Diese können genutzt werden, um virtuelle Währungstransaktionen zu analysieren“, so der Forscher. Darüber hinaus können Einblicke in die Funktionsweise und in Transaktionsabläufe gegeben werden. Ein besonderes Augenmerk wird darauf gelegt, „Anomalien“ zu erkennen – Transaktionen und Transaktionsmuster werden ausgemacht, die von den üblichen Abläufen abweichen. So können etwa potenzielle Betrugsfälle früh genug identifiziert werden. Generell werden den Polizeibehörden damit Algorithmen-Werkzeuge an die Hand gegeben, die diese für ihre Ermittlungen verwenden können.
Doch nicht nur in diesem Zukunftsmarkt stellt das AIT KI-basierte Dienste und Lösungen bereit. Vielmehr ist es auch – laut eigenen Angaben – einer der Vorreiter bei der Entwicklung von Systemen für autonomes Fahren. Krenn erklärt die neuesten Entwicklungen: „Unsere Lösung für die Überprüfung von Cybersicherheit von Fahrzeugen, ,Threatget‘, wurde soeben mit dem E-Award 2020 ausgezeichnet. Ende 2020 wird die Europäische Union weitreichende neue Sicherheitsrichtlinien für Fahrzeuge nach UN-ECE-Level (ECE-Regelungen betreffen bestimmte Vorschriften für Kfz, Anm.) einführen, die ab 2022 für alle neuen Fahrzeugtypen verbindlich nachzuweisen sein werden. Erst dann kann das Produkt zugelassen werden. Das AIT hat gemeinsam mit Lieber Lieber Software (einem Spezialisten für modellbasierte Systementwicklung, Anm.) Threatget entwickelt“, sagt Krenn. Und das funktioniert so: Das Cybersecurity-Management-System ermöglicht es Fahrzeugentwicklern, bereits in der Designphase frühzeitig Cyberrisiken zu erkennen. Sicherheitsvorkehrungen können daher von den Autoherstellern bereits im Designstadium getroffen werden. Dazu nutzt Threatget eine Bedrohungsdatenbank, die eine automatische Cybersicherheitsanalyse ermöglicht und Lösungsvorschläge gibt. „Das Tool ist auf dem Markt erhältlich, Lieber Lieber ist unser Vermarktungspartner. Der Automobilbereich hat bisher am meisten Interesse signalisiert, aber auch andere Industriesektoren, die – zum Beispiel durch die IEC 62443 – verpflichtet werden, auf ihre Cybersicherheit zu achten, werden ein Anwendungsfeld sein“, so Krenn. Auch die Landwirtschaft nennt er als mögliches Einsatzfeld.
Damit trifft das AIT eindeutig einen Nerv der Zeit. Denn autonomes Fahren gilt als einer der Zukunftstreiber der Mobilität. Im Fall von autonomen Systemen steuert eine KI das Auto, die wiederum aus selbstlernenden Algorithmen besteht. Die Algorithmen verbessern sich zusehends, je öfter man mit ihnen übt. Zudem ist diese Art von Autos vernetzt: Es bestehen Kommunikationsschnittstellen zwischen den Fahrzeugen (Fahrzeug-zu-Fahrzeug-Kommunikation) sowie zwischen Fahrzeug und Infrastruktur (Fahrzeug-Umwelt-Kommunikation). Über Funktechnologie und auf Basis von Sensordaten werden Informationen über Verkehrslage, Unfälle oder Wetterbedingungen ausgetauscht. Noch ist das vollautonome Fahren ohne Fahrer am Steuer im üblichen Straßenverkehr ein Zukunftsthema – dennoch zeigen die gegenwärtigen Entwicklungen, dass dies einmal fixer Bestandteil unseres Alltags sein wird.
Schließlich kommt King auf ein weiteres hochaktuelles Thema zu sprechen – jenes der Desinformation im virtuellen Raum beziehungsweise von Fake News. Dabei gibt er sich aber zur Abwechslung einmal bedeckt. „Wir haben derzeit ein Forschungsprojekt mit dem Bundeskanzleramt dazu. Auf der einen Seite versuchen wir, Trends in sozialen Medien zu erkennen – ob es womöglich Versuche gibt, unsere demokratischen Prozesse zu beeinflussen. Auf der anderen Seite forschen wir daran, wie man gefälschte Inhalte, zum Beispiel ,Deepfakes‘ (realistisch wirkende Medieninhalte, die durch KI verfälscht wurden, Anm.), automatisiert erkennen kann“, so King. Hier werde an Prototypen im Bereich der Medienforensik gearbeitet.
Es gibt also genug zu tun für King und Krenn. Denn auch mit ihren nächsten Projekten wird es weiterhin darum gehen, was das AIT am besten kann: forschen, entwickeln – und Österreichs Unternehmen und Institutionen handfeste Lösungen für verschiedenste Themenbereiche an die Hand geben.
Text: Niklas Hintermayer
Fotos: David Višnjić