In der Poleposition Richtung Formel 1

Seit ihrem vierten Lebensjahr ist die heute 22-jährige Sophia Flörsch im Motorsport unterwegs. Trotz eines schweren Unfalls in Macau 2018 hat sie dabei nie ihr Ziel aus den Augen verloren: in der Formel 1 zu starten und gleichzeitig mehr Mädchen und Frauen für den Motorsport zu begeistern – damit sie in Zukunft in den Rennen auch mehr weibliche Konkurrenz bekommt.

Mit vier Jahren hast du dich das erste Mal in ein Kart gesetzt – damit bist du quasi auf vier Rädern groß geworden. Wie hast du den Sprung vom Kartsport zum „richtigen“ Motorsport geschafft?
Sophia Flörsch: Der Kartsport ist wie die Grundschule des Motorsports. Fast jeder, der heute in der Formel 1 erfolgreich ist, fuhr in jungen Jahren möglichst viele Kartrennen. Die Kartteams inter­nationaler Meisterschaften sind tatsächlich professionelle Rennteams. Ich war zum Beispiel als Kind schon bei Rennen in Las Vegas am Start und generell international viel unterwegs. Dementsprechend hatte ich auch in meinen jungen Jahren den einen oder anderen Fehltag in der Schule (lacht). Ir­gendwann steht man dann an dem Punkt, an dem man sich entscheiden muss, ob man das Ganze als Hobby weiterführen will oder den Sprung ins Auto wagen möchte. Da ich damals schon die Formel 1 als Wunschziel klar vor Augen hatte, gab es für mich nie Zweifel, wie es weitergehen soll. Ich bin dann mit 14 Jahren mein erstes Autorennen in England gefahren. Nach dem ersten Sieg im Jahr 2015 hatte ich die Bestätigung, dass meine Entscheidung richtig war, und ich konnte schließlich mein Hobby zu meinem Beruf machen.

Ist das der Grund, warum es auch so wenige Frauen im Autorennsport gibt – weil sie den Sprung vom Kart zum Auto nicht machen wollen?
Nein, Mädchen sind leider schon im Kartsport in der Unterzahl. Egal, ob du vier, zehn oder 15 Jahre alt bist: In jeder Altersgruppe liegt die Männerquote im Rennsport bei rund 95 %. Meiner Meinung nach hat das viel mit den Eltern zu tun: Als Kind nehmen die Eltern entscheidend Einfluss, welchen Sport ihre Kinder verfolgen. Der Motorsport ist dabei für viele augenscheinlich keine Option für ihre Töchter. Weil mein Vater aber selbst hobbymäßig Kart gefahren ist, wollte ich das als Kind auch unbedingt ausprobieren – und bin dann hängen geblieben.

Sophia Flörsch stieg im sehr jungen Alter von erst vier Jahren in den Kartsport ein.

Heute bist du in der Formel 3 im Nachwuchsteam von Alpine unterwegs. Was waren deine wichtigsten Rennen, die dich dorthin gebracht haben, wo du heute stehst?
Das ist gar nicht so leicht zu beantworten – in 18 Jahren Racing fährt man viele Rennen. Mit 22 Jahren war ich bereits dreimal beim 24-Stunden-Rennen in Le Mans dabei. Beim ersten Mal kam ich in die Top Ten (9. Platz, Klasse LMP2, Anm.) – nicht viele Frauen haben das jemals geschafft. Mit dem Grand Prix in Macau verbindet mich per­sönlich ein besonderes Schicksal; nicht nur, weil es der Weltcup der Formel 3 ist – schon Lauda und Senna sind in Macau an den Start gegangen! –, sondern weil ich dort 2018 meinen schweren Unfall hatte und dann 2019 wieder in Macau gefahren bin. In der Formel 3 erreichte ich als erste Frau die Punkteränge (7. Platz, Anm.). Der wichtigste Schritt in meiner Karriere bisher war gewiss meine Aufnahme in das Alpine-F1-Junior-Team.

Im Jahr 2018 bist du in Macau mit 276 km/h zum Flugobjekt ge­worden und in der Lisboa-Kurve gegen einen Turm gekracht. Wie verlief dein Comeback nach diesem Unfall?
Wenn ich ehrlich bin, hatte ich persönlich nie große Probleme mit dem Unfall. Klar, ich war schwer verletzt, hatte mehrfache Brüche an der Halswirbelsäule und wurde 13 Stunden lang operiert. Wegen meiner Verletzung musste ich sportlich ziemlich bei null anfangen, verlor mindestens ein Jahr. Dennoch war für mich immer klar, dass ich nach dem Unfall weitermachen will. Die ständigen Fragen, ob ich wieder in ein Rennauto steigen werde, nervten mich ehrlich gesagt. Zwei Punkte waren mir besonders wichtig: erstens, dass ich nicht Schuld an dem Unfall hatte, und zweitens, dass keine außenstehenden Personen lebensbedrohlich oder lebensver­ändernd verletzt wurden. Die Reha war schmerzhaft, ich habe hart trainiert und bin an meine Grenzen gegangen, bis ich Tränen in den Augen hatte. Ich wollte möglichst schnell zurückkommen. Knapp 100 Tage nach dem Unfall bin ich dann wieder im Auto gesessen, 2019 ging ich schon wieder beim Macau-GP an den Start. Macau ist und bleibt eine meiner Lieblingsstrecken. Dass mein Unfall und meine Heilung so positiv verlaufen sind, zeigt, dass die Rennautos und unsere Ausrüstung mittlerweile derart fortschrittlich und sicher sind, dass man als Fahrer schreck­liche Unfälle überleben kann – vor 20 Jahren wäre das ver­mutlich nicht so gut ausgegangen wie bei mir. Meine Rückkehr hat Skeptikern, die meinen, Frauen seien zu weich und emotional nicht stark genug, um mit den Gefahren im Rennsport umzugehen, bewiesen, dass sich auch Frauen von brutalen Rückschlägen nicht von ihrem Ziel abbringen lassen.

Dein Ziel ist ja unter anderem die Formel 1. Wie schwierig ist denn der Aufstieg von der Formel 3 in die Formel 1?
In der Formel 1 sind die Cockpitplätze sehr limitiert. Aktuell gibt es zehn F1-Teams mit je zwei Autos, dementsprechend sind die 20 Plätze heiß umkämpft. Um einen dieser begehrten Formel-1-Plätze zu er­gattern, braucht es drei Faktoren: erstens Talent, zweitens eine per­fekte Ausbildung und drittens ein Cockpit bei einem Top-Nachwuchs-Formel-1-Team. Wenn man – meist die Eltern – das Geld hat, lassen sich Ausbildung und Team einkaufen; wir sprechen da bei sechs, sieben Jahren in der F4, F3 und F2 über eine sie­ben- bis achtstellige Summe. Die hat nicht jeder, deshalb schlägt Langzeit-Budget auch den Faktor Talent. Sichtbar wird Talent final wieder in der F1. Hat man diese Budgets nicht, kommt ein anderer wichtiger Punkt ins Spiel, nämlich die Vermarktung, also dein Image, deine Medienpräsenz und deine Beliebtheit. Ob ich es irgendwann in die Formel 1 schaffe, kann ich also nicht sagen, aber ich arbeite schon seit vielen Jahren daran. Mit Alpine habe ich jetzt einen starken Partner an meiner Seite, der mein Talent analysiert hat und an mich glaubt. Alpine hat Mut und ­Ausdauer für Investment in Frauen. Wer weiß, vielleicht gelingt mir ja nächstes Jahr der Aufstieg in die Formel 2. Dann bin ich dem Ziel Formel 1 schon einen Schritt näher.

Die Saison 2023 ist ja quasi schon vorbei. Nächstes Jahr startest du wieder in der Formel 3. Wie geht es danach für dich weiter?
Im November geht es zunächst wieder nach Macau, um mein Kapitel dort fertig zu erzählen, da ich 2019 mit technischem Defekt ausge­schieden bin. Mal abwarten, was 2024 mit meinem neuen Team Van Amersfoort Racing machbar ist. Klar will ich jedes Rennen gewinnen, realistischerweise freue ich mich über jedes Podium. Ende 2024 wäre der Aufstieg in die Formel 2 die logische Konsequenz. Ich denke lieber von Rennen zu Rennen, arbeite mit dem Team an Verbesserungen und konzentriere mich auf die kleinen Schritte. Mein Ziel ist und bleibt es, in Zukunft in der Formel 1 zu starten. Das Alpine-Team und ich arbeiten täglich für dieses Ziel und stecken ganz viel Herzblut und Schweiß in dieses Projekt. Man weiß natürlich nie, was bis dahin passiert, aber ich bin trotzdem guter Dinge, dass ich irgendwann die erste Frau bin, die so richtig in der For­mel 1 durchstartet – keine Quotensache, keine PR-Nummer, sondern weil ich es verdient habe. Ich denke, das wäre ein großer Schritt für all die Mädchen und Frauen, die nach mir kommen. Es braucht ein Vor­bild, das jungen Mädchen und deren Eltern zeigt, dass der Motorsport nicht nur ein Männersport ist und Frauen genauso erfolgreich sein können. Hoffentlich werde ich dieses Vorbild bald sein können.

Fotos: Thomas Marzusch, Jan Beyer

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