Immer einen Trip voraus

Doping für die nächste Generation: Wie uns Paul Austin mit LSD leistungsfähiger machen will.

Seinen Anfang nahm alles in der Schweiz im Jahr 1938. Damals, vor genau 80 Jahren, wollte der Schweizer Chemiker Albert Hofmann eigentlich ein Kreislaufstimulans (regt die im Gehirn gelegenen Zentren der Atmung und der Herztätigkeit an, Anm.) entwickeln. Er synthetisierte verschiedene Derivate der „Lyserg­säure“ (Aminosäure mit erheblicher therapeutischer Breite, Anm.), als 25. Substanz dieser Reihe war Lyserg­säurediethylamid an der Reihe. Der Chemiker testete den Stoff an Tieren, die lediglich unruhiger wurden, aber sonst keine nachweislichen Effekte zeigten.

Es dauerte schließlich fünf Jahre, bis Hofmann sich 1943 entschloss, den damals entdeckten Stoff erneut herzustellen. Schon wenig später fühlte er sich jedoch unwohl und brach seine Arbeit ab. Eine halbe Stunde später und zu Hause angekommen, hatte Hofmann intensive farbige, kaleidoskopartige Visionen. Hofmann hatte die psychedelische Substanz, die heute als LSD bekannt ist, vermutlich versehentlich zu sich genommen. Einige Tage später nahm der Chemiker die Droge dann absichtlich zu sich und dokumentierte seine Erfahrungen. Da er während seines Rausches mit dem Fahrrad nach Hause fuhr, ging dieser allererste beabsichtigte Trip auf LSD als „­Bi­cycle Day“ in die Geschichte ein.

Doch nicht Entdecker Hofmann, sondern etwas anderes kommt den meisten Menschen heute in den Sinn, wenn sie an Psychedelika wie LSD oder Psilocybin (Wirkstoff in halluzinogenen Pilzen, „Magic Mushrooms“ genannt) denken: Flower-Power, Hippies, freie Liebe. Im Rahmen der Hippie-Bewegung der 1960er-Jahre propagierte eine Gruppe in San Francisco rund um den Psychologen Timothy Leary den ­Massenkonsum von LSD, um Persönlichkeit und Bewusstsein der Menschen zu erweitern. Denn LSD ist eine lang wirkende halluzinogene Droge, die Konsumenten die Umwelt sowie ihre Gefühlswelt intensiver empfinden lässt. Die Grenzen zwischen dem Ich und der Außenwelt verschwimmen zunehmend. Vorhandene Glücksgefühle werden verstärkt, doch auch negatives Empfinden, etwa Ängste oder Depressionen, intensivieren sich. Die durch LSD-Konsum erreichte Überzeugung von Leary und seinen Anhängern war, dass Psyche­delika die Welt zum Besseren verändern könnten. Es sollte anders kommen: Die Hippies lebten außerhalb der Gesellschaft, selbst der Substanz positiv gegenüberstehende Menschen wie Albert Hofmann kritisierten den Massenkonsum von LSD scharf (man müsse vorsichtig damit umgehen, so Hofmann), die Substanz wurde in den USA und Europa verboten.

Dann passierte ziemlich lange nichts Erwähnenswertes. LSD verschwand von der Bildfläche, andere Drogen, etwa Kokain und insbesondere Cannabis, drängten in den USA und anderswo vermehrt ins Rampenlicht. Bis 2015, als der US-amerikanische Psychologe James Fadiman, einer der führenden Experten im Bereich der Wirkung von psychedelischen Substanzen, in einer Radioshow zu Gast war. Konkret sprach Fadiman mit Tim Ferriss, dem Autor der Gründerbibel „Die 4-Stunden-Woche“, über Microdosing. Und seitdem sind Psychedelika wieder ein großes Thema, insbesondere in San Francisco und dem zugehörigen Tech-Hub Silicon Valley. Doch während die Stadt und die Substanzen gleich geblieben sind, haben sich die Intentionen hinter dem Konsum von LSD und Psilocybin massiv verändert.

Paul Austin, der die Onlineplattform The Third Wave gründete und sein Geld als „Microdosing-Coach“ verdient (Austin bietet Interessierten diverse Coaching-Dienstleistungen, etwa Skype-Sessions oder Onlinekurse an, Anm.), sieht dahinter einen Paradigmenwechsel: „­Psychedelika waren früher damit verbunden, außerhalb der Gesellschaft zu leben. Heute handelt es sich aber um das genaue Gegenteil“, sagt Paul Austin. Denn im Gegensatz zu den Hippies wird LSD heute im Rahmen von Microdosing eingesetzt, um noch besser in die Gesellschaft zu passen.

Paul Austin (27)
wuchs in Michigan, USA, auf. Er ­bezeichnet sich heute selbst als
Außenseiter in seiner Jugend. Während eines Auslandsjahrs in der Türkei, wo er Englisch unterrichtete, gründete er sein erstes Onlineunternehmen – eine Schule für den Sprachtest Toefl. Austin zog nach Thailand, startete The Third Wave und arbeitet aktuell an der Expansion. Heute lebt er in New York City.

Austin: „Wir fokussieren uns darauf, wie man sich durch Microdosing selbst optimieren kann.“ Austin befürwortet den Konsum von Psychedelika aber nicht, um „Trips“ herbeizuführen, sondern lediglich in minimalen Mengen. Viel eher soll die Wirkung unter der Wahrnehmungsschwelle bleiben und die Nutzer kreativer, ­fokussierter und besser arbeiten lassen. Dass ein solches Versprechen in der hochkompetitiven und eiskalten Welt des Silicon Valley Anklang findet, ist nicht weiter verwunderlich. Denn in einem globalen Wettbewerb um die besten Arbeitsplätze bei Unternehmen wie Google, Apple oder Netflix ist ein entscheidender Vorsprung immer gerne gesehen.

Dabei ist der Name von Austins Unternehmen – „The Third Wave“ – kein Zufall. Laut Austin waren die Hippies nämlich nicht die erste, sondern die zweite Welle in der Konsumgeschichte von Psychedelika. Denn bereits in der Antike wurde mit solchen Substanzen experimentiert, vom alten Griechenland bis nach Indien. Und nun sei eben die dritte Welle da – jene der selbstoptimierenden Biohacker. Obwohl das so auch nicht ganz stimmt. Denn Austins Onlinekurse zum Thema teilen sich grob in zwei Gruppen: die Bio­hacker – und Menschen, die Psychedelika nutzen wollen, um psychische Krankheiten zu bekämpfen. Denn neben ­Fadimans Auftritt in Tim Ferriss’ Podcast sorgte auch ein zweites Ereignis für Aufsehen: Die israelische Schriftstellerin Ayelet Waldman verfasste 2017 ein Buch mit dem Titel „A Really Good Day – How Microdosing Made a Mega Difference in My Mood, My Marriage, and My Life“. Es ­handelt davon, wie sie ihre suizidären Depressionen erfolgreich mit Microdosing bekämpfte. Und Waldmans Erfolg könnte ein Indiz sein, dass eine steigende Anzahl an Menschen das Gefühl hat, herkömmliche Pharmazeutika und Antidepressiva könnten ihre Probleme nicht lösen. Sie suchen Hilfe bei illegalen Substanzen.

In den USA nutzten laut der National Survey on Drug Use and Health (NSDUH) aus den Jahren 2010 und 2015 rund zehn bis 20 Prozent der Befragten LSD an einem Punkt in ihrem Leben. Wie viele davon Microdosing betreiben, ist jedoch unmöglich zu beantworten, was eine statistische Größenangabe für den Trend erschwert. Der Zeitplan der Microdoser ist hingegen weniger unklar. Er entspricht zumeist jenem, den wiederum James Fadiman entworfen hat: An jedem vierten Tag nimmt man dabei eine Dosis von zehn bis 20 Mikrogramm zu sich, was etwa einem Zehntel einer „moderaten“ Dosis entspricht. Der unbedarfte Leser stellt sich wohl spätestens jetzt zwei Fragen: Sind Psychedelika nicht illegal? Und ist die Wirkung – mehr Kreativität, mehr Fokus, bessere soziale Beziehungen – wissenschaftlich erwiesen? Erstens: Ja. LSD und Psilocybin sind (wie alle anderen Psychedelika auch) illegale Substanzen. Sowohl in den USA als auch im deutschsprachigen Raum sowie den meisten anderen Ländern dieser Erde sind Herstellung, Besitz und der Konsum von LSD und Co. strafbar. In Deutschland unterliegen Psychedelika etwa dem Betäubungsmittel­gesetz, ab dem Besitz von sechs Milligramm LSD (300 volle Trips) droht eine einjährige Freiheitsstrafe. Auch in Österreich und der Schweiz ist der Umgang mit den Drogen strafbar. Doch dass diese Tatsache insbesondere in der Tech-Branche und im Silicon Valley eher weniger auf Gehör stößt, ist nicht weiter verwunderlich. Denn im Geburtsort von Unternehmen wie Uber und Google schenken die Menschen Themen wie Regulierung oder sozialen Normen eher wenig Beachtung. Und auch in diesem Fall dürfte der eigene unternehmerische Erfolg wichtiger sein als scheinbare „Details“ wie Legalität.

Zweitens: Nein, es existiert bis dato keine fundierte wissenschaftliche Studie, die beweist, dass Microdosing die versprochenen Wirkungen tatsächlich erfüllt. Was jedoch existiert, ist ein unendlich großer Fundus an anekdotischer Evidenz und persönlichen Berichten, die insbesondere James Fadiman hütet und verwaltet. Fadiman war es auch, der 418 Freiwillige (284 Männer, 126 Frauen und fünf Menschen, die sich als Transgender, nicht-binär oder genderqueer identifizieren) zwischen 18 und 78 Jahren einen Monat lang jeden dritten Tag eine Mikrodosis einnehmen ließ. Die Probanden berichteten in Fragebögen von einem bemerkenswerten Schub an Zielstrebigkeit und einer Abnahme depressiver Gefühle. Jene Probanden jedoch, die LSD wegen ihrer Angststörungen nahmen, verspürten diese noch stärker als zuvor.

Die Selbstberichte schließen wissenschaftliche Evidenz zwar aus, doch die Wirkung von LSD scheint zunehmend weniger umstritten zu sein. So entdeckten auch Forscher der Universität Zürich 2017 in einer ­Studie, die messen sollte, wie unser Gehirn Relevanz beimisst, dass LSD eine wichtige Andockstelle für Serotonin ist (Serotonin ist eine Komponente des Serums, das unter anderem die Spannung der Blutgefäße reguliert, Anm.). Damit wirkt das Rauschmittel genau auf jenes Netzwerk im Gehirn ein, das auch bei psychischen Erkrankungen so verändert ist, dass Empfindungen eine überhöhte Bedeutung beigemessen wird.

Austin will ­jedenfalls Menschen, die sich selbst optimieren oder heilen wollen, auf The Third Wave mithilfe von Skype-Sessions und ­Onlinekursen helfen, die positiven Wirkungen zu erreichen. Und der US-Amerikaner spricht aus ­Erfahrung. Denn Austin wuchs in einer traditionellen Region der USA, in Michigan, auf; seine Kindheit war äußerst behütet. „Ich durfte keine nicht jugendfreien Filme ansehen, keinen Alkohol trinken, das Brechen von Regeln war meinen Eltern fremd.“

Austin begann dennoch, mit Substanzen zu experimentieren. Unter anderem führte er im Jahr 2015 sieben Monate lang Microdosing durch. Ergebnis: „Ich tat mir in gesellschaftlichen Settings leichter, das Schreiben beziehungsweise die Konzentration auf bestimmte Tätigkeiten funktionierte besser.“ Mit The Third Wave will Austin, der aktuell noch quasi keine Umsätze lukriert – er führt zwei bis drei Skype-­Sessions zu 97 US-$ pro Woche durch und hat einige Hundert Anmeldungen für seine Onlinekurse –, ein Unternehmen aufbauen, das zwischen Sozialprojekt und „For Profit“ steht. Er wolle ein Geschäftsmodell aufbauen, doch auch Spenden akzeptieren. Letztendlich geht es Austin aber darum, den Umgang mit Psychedelika in der Gesellschaft nachhaltig zu verändern. Die Legalisierung von Cannabis habe Menschen die Zuversicht gegeben, offen über auch verbotene Sub­stanzen zu sprechen, sagt der Third-Wave-­Gründer: „Es wird bis zur gesellschaftlichen Akzeptanz von LSD wohl noch zehn bis 15 Jahre dauern. Das Gleiche zeigte sich bei Cannabis: Von der Medikalisierung bis zur Le­galisierung dauerte es 20 Jahre.“

Laut Austin sollten Drogen entkriminalisiert werden. Dieser Schritt habe in Portugal, wo die Regierung den Konsum jeglicher illegalen Substanzen entkriminalisierte und auf Therapiemaßnahmen setzte, gute Ergebnisse gezeigt; auch Norwegen machte positive Erfahrungen. „Dann haben wir aber noch kein reguliertes Umfeld für Psychedelika. Das Wichtigste sind daher Bildung und Information. Und wir brauchen ein Lizenzsystem, analog zu Führerscheinen.“ LSD-Entdecker Albert Hofmann würde ein solcher Vorstoß wohl gefallen. Und die Hippies der 60er-Jahre? Egal, sie wurden durch hyperkompetitive Tech-Unternehmer ersetzt. Und die machen offenbar, was ihnen gefällt – Regeln hin oder her.

Dieser Artikel ist in unserer April-Ausgabe 2018 „Regulierung“ erschienen.

Klaus Fiala,
Chefredakteur

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