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Dona Bertarelli ist Unternehmerin, Investorin – und eine der engagiertesten Philanthropinnen unserer Zeit. Statt sich auf ihrem Milliardenvermögen auszuruhen, verfolgt sie eine Mission: den Schutz der Ozeane und die Sicherung unseres Planeten. Doch um ihre Ziele zu erreichen, braucht es mehr als gute Absichten – Tempo, Hartnäckigkeit und Weitsicht sind gefragt.
Ihr Büro wurde ganz neu eingerichtet, erzählt Dona Bertarelli, als sie Forbes zum Interview empfängt: «Wir weihen es quasi mit diesem Gespräch ein.» Das Mobiliar stammt grossteils aus dem Park Hotel in Gstaad, das Bertarelli besitzt und das aktuell umgebaut wird. «Ich finde es schön, wenn Gegenstände ein zweites Leben bekommen», sagt die 57-Jährige. Gleich zu Beginn gibt sie somit einen Einblick in ihr Denken. Ihr Zugang zieht sich durch das gesamte Gespräch und kommt, in unterschiedlichen Facetten, immer wieder zur Sprache. Auf ihrem Instagram-Account fasst Bertarelli ihre Mission so zusammen: «Finding balance between people & nature».
Dabei ist Bertarelli kein unbeschriebenes Blatt. In der Forbes World’s Billionaires List scheint die Schweizerin mit einem Nettovermögen von 6,2 Mrd. US-$ auf. Diese Summe basiert auf dem Verkauf des Familienunternehmens Serono, das 2007 als damals drittgrösstes Biotech-Unternehmen und führender Akteur im Bereich der Reproduktionsmedizin an den deutschen Konzern Merck KGaA verkauft wurde. Der Kaufpreis des Unternehmens, das die Bertarelli-Familie 1906 gegründet hatte, betrug über 13 Mrd. US-$.
«Wir müssten das, was wir in 15 Jahren geschafft haben, jedes Jahr schaffen, um unser Ziel zu erreichen.»
Dona Bertarelli
Nach dem Verkauf entschloss sich Bertarelli, sich der Philanthropie zu widmen. Sie blieb erst dem Thema Reproduktionsmedizin treu, dem sie sich mit der Bertarelli Foundation widmete. Seither hat die Familienstiftung ihren Fokus erweitert – wie auch Dona Bertarelli selbst: Ergänzend zu ihrer Arbeit mit der Bertarelli Foundation im Bereich der Life Sciences und überzeugt von der Notwendigkeit eines Gleichgewichts zwischen Mensch und Natur gründete sie 2016 Dona Bertarelli Philanthropy. Insbesondere der Schutz der Weltmeere spielt seit 15 Jahren eine wichtige Rolle in ihrem Tun. Die passionierte Seglerin, die unter anderem zweimal den Bol d’Or Mirabaud gewann, will mithelfen, die Ozeane zu schützen – und damit die Klimakrise abwenden. Mitten in einer Zeit, in der Nachhaltigkeitsinitiativen oft als teure Ausgaben gesehen werden, wiederholt Bertarelli immer und immer wieder, dass effektiver Naturschutz und blühende Wirtschaft kein Widerspruch sind, sondern einander bedingen. Bertarelli: «Jeder Industriezweig ist von der Natur abhängig. Wer das nicht versteht, wird langfristig nicht erfolgreich sein.»
Die Herausforderung ist enorm: Bis 2030 sollen laut dem Kunming-Montreal Global Biodiversity Framework, dem sich mehr als 190 Staaten verpflichtet haben, 30 % der Weltmeere vollständig und höher geschützt sein. Zum Vergleich: Heute sind effektiv nur etwa 2,9 % unter vollständigem oder hohem Schutz. Dabei zeigen die Anstrengungen, die Bertarelli gemeinsam mit der US-amerikanischen Non-Profit-Organisation Pew Charitable Trusts seit 2011 unternommen hat, Wirkung. Aber Bertarelli weiss, dass das alleine nicht ausreicht: «Wir haben es geschafft, 13 Millionen Quadratkilometer Ozean zu schützen. Das ist eine Fläche, die grösser ist als Europa. Aber das ist nichts im Vergleich zu dem, was noch geschützt werden muss.» Die Ozeane haben eine Fläche von über 360 Mio. Quadratkilometern, 30 % wären also über 120 Mio. Quadratkilometer. Ohne Schutz der Ozeane, so Bertarelli, sei der Kampf zur Bewahrung der Biodiversität und zur Stärkung der Widerstandsfähigkeit gegen den Klimawandel aussichtslos. Doch das Tempo muss drastisch steigen. Bertarelli: «Wir müssten das, was wir in 15 Jahren geschafft haben, jedes Jahr schaffen, um dieses Ziel zu erreichen.»
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Um das zu bewerkstelligen, setzt Bertarelli nicht auf Geschenke. Vielmehr will sie ihr unternehmerisches Denken und ihre Erfolge als Investorin nutzen, um ihr Geld möglichst effektiv einzusetzen. Und sie setzt auf Optimismus: «Ich bin keine Idealistin, sondern Realistin – aber eine, die an Veränderung glaubt. Ich bleibe positiv, weil wir es müssen.»
Bertarelli betont, dass sie keine klassische Philanthropin ist: «Ich bin eine überlegte Investorin. Für mich ist ESG kein Marketingbegriff, sondern eine Notwendigkeit, um meine Ziele zu erreichen.» Ihr Engagement folgt einer klaren Linie: Wirtschaftlicher Erfolg und nachhaltige Entwicklung müssen Hand in Hand gehen. Dies zeigt sich auch in ihrer Detailtreue – so gibt es in ihrem gesamten Büro etwa keine einzige Plastikflasche. Und ihre Prinzipien gelten ebenso für ihre Investitionen: Sie vermeidet Unternehmen aus der fossilen Brennstoffindustrie ebenso wie Beteiligungen an Aquakulturen oder industrieller Fischerei. «Ich habe eine gewisse Verantwortung und muss meinen Werten treu bleiben. Wenn man etwas einmal weiss, kann man es nicht mehr nicht wissen. Es sei denn, man lügt sich selbst an», so Bertarelli.
Doch für sie endet ihre Verantwortung nicht bei der Finanzierung. Erst wenn Projekte tatsächlich umgesetzt, abgeschlossen und auch entsprechend evaluiert sind, sieht sie ihre Arbeit als erfolgreich umgesetzt an. «Das bedeutet für mich Erfolg: Wir werden von einer Regierung oder der lokalen Gemeinschaft um Unterstützung gebeten, begleiten den wissenschaftlichen Prozess. Danach soll die Finanzierung sowie die Durchsetzung des Schutzplans besorgt werden. Erst dann ist der Kreislauf wirklich geschlossen.»
Und weiter: «Wir (das Pew Bertarelli Ocean Legacy Project; Anm.) haben bei der Schaffung von neun der zehn grössten Meeresschutzgebiete weltweit mitgewirkt und sind einer der grossen Akteure in diesem Bereich. Doch wenn man sich die 100 grössten Schutzgebiete ansieht, dann ist ein Viertel davon noch gar nicht umgesetzt – sie existieren nur auf dem Papier. Das bedeutet, dass es weder einen tatsächlichen Schutz des Wassers gibt noch eine Verbesserung der Existenzgrundlagen für die Menschen vor Ort.»
Das Pew Bertarelli Ocean Legacy Project bildet einen zentralen Bestandteil von Bertarellis Arbeit. 2017 gemeinsam mit The Pew Charitable Trusts gegründet konzentriert sich das Projekt auf den Ausbau von Marine Protected Areas (MPAs) – Meeresschutzgebieten, die der Erhaltung der Artenvielfalt und der Bekämpfung des Klimawandels dienen. Doch Bertarelli setzt nicht auf Symbolpolitik. Stattdessen bringt sie Methoden aus der Privatwirtschaft in den Naturschutz ein. Ein Beispiel dafür ist das Programm Global Fishing Watch Marine Manager, eine digitale Plattform, die von über 30.000 Nutzern und zehn Regierungen weltweit eingesetzt wird. «Schutzgebiete auf dem Papier bringen nichts. Sie müssen aktiv verwaltet und durchgesetzt werden», wiederholt Bertarelli.
Dass die Schweizerin über den Ansatz klassischer Philanthropie hinausgeht, zeigt auch die grösste «Debt-for-Nature-Conversion» der Geschichte – eine Finanztransaktion, die Regierungen dabei hilft, den Schutz natürlicher Lebensräume langfristig zu finanzieren. Gemeinsam mit technischen Partnern hat Pew Bertarelli Ocean Legacy die Regierung Ecuadors dabei unterstützt, dieses Modell 2023 für die Galápagos-Inseln, die für ihre aussergewöhnliche Artenvielfalt bekannt sind, zu realisieren.
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Das Projekt erforderte mehrere Jahre Vorarbeit und führte schliesslich zur Umwandlung von 1,63 Mrd. US-$ an Schulden in ein 656 Mio. US-$ umfassendes Darlehen, bekannt als «Galápagos Marine Loan». Die Transaktion wurde durch die U.S. International Development Finance Corporation hinsichtlich des politischen Risikos abgesichert, von der Inter-American Development Bank (IDB) garantiert und basierte auf einer von Credit Suisse ausgegebenen Anleihe (Galápagos Marine Bond), die über das EU-basierte Finanzvehikel GPS Blue abgewickelt wurde. Ecuador hat insgesamt 18 Jahre Zeit, das Darlehen zurückzuzahlen, verpflichtet sich jedoch gleichzeitig, jährlich rund 17 Mio. US-$ in den Schutz der Natur zu investieren. Davon fliessen etwa zwölf Mio. US-$ in laufende Schutzmassnahmen, während rund 5,4 Mio. US-$ in einen langfristigen Fonds (Endowment) gehen. Bis zum Jahr 2040 soll dieser Fonds auf über 220 Mio. US-$ anwachsen – eine nachhaltige Finanzierung, die sicherstellt, dass die Naturschutzmassnahmen auf den bzw. rund um die Galápagos-Inseln auch über die Laufzeit des Kredits hinaus gesichert bleiben – und de facto ewig weitergeführt werden können.
«Wir haben die grösste Debt-for-Nature-Conversion der Welt unterstützt, um die langfristige und nachhaltige Finanzierung des Schutzes der Galápagos-Inseln zu gewährleisten», so Bertarelli. Diese Art von Finanzinstrumenten ist nicht neu: Seit 1987 wurden weltweit rund 50 Debt-for-Nature-Deals in 16 Staaten abgeschlossen. Doch die Grössenordnung des Galápagos-Deals übertrifft alle bisherigen Transaktionen zusammen. Neben dem Schutz der Meere engagiert sich Dona Bertarelli Philanthropy auch für den Erhalt von Landökosystemen. Projekte wie das Vanga Seagrass Project in Kenia oder Patagonia Azul in Argentinien testen neue Methoden zur Renaturierung und zum Erhalt der Biodiversität. Dabei setzt Bertarelli auf eine enge Zusammenarbeit mit lokalen Gemeinschaften, um langfristig tragfähige Lösungen zu entwickeln.
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Ein weiterer Schwerpunkt liegt auf der Sensibilisierung der Öffentlichkeit. Programme wie Sow My Dream, Scienscope oder Biodiversity Through the Lens verbinden Sport, Kunst und Wissenschaft, um Menschen für den Schutz der Umwelt zu begeistern. Besonders junge Generationen sollen durch interaktive Bildungsangebote dazu inspiriert werden, sich aktiv für den Erhalt der Natur einzusetzen. Doch Bertarelli sieht in der heutigen Jugend zwei Entwicklungen: «Öko-Angst ist real. Einige kämpfen, andere ziehen sich zurück, doch viele halten durch – müde, aber widerstandsfähig. Veränderung erfordert sowohl Diplomatie als auch Ausdauer.»
Geboren wurde Bertarelli 1968 in Rom. Ihre Familie widmete sich zu diesem Zeitpunkt bereits seit über 60 Jahren der Pharmabranche. Das Familienunternehmen Serono mit Sitz in Genf erwirtschaftete vor der Übernahme einen Umsatz von rund 2,5 Mrd. CHF. Bertarelli studierte Kommunikation an der Boston University und war dann als Executive Director for Public and Professional Affairs bei Serono aktiv. 2007 folgte der Verkauf an die deutsche Merck KGaA.
Gemeinsam mit ihrem Bruder Ernesto Bertarelli (Nettovermögen laut Forbes: 11,2 Mrd. US-$) verwaltet das Family Office B-Flexion die gemeinschaftlichen Assets der Familie Bertarelli. 2012 gründete Dona Bertarelli das Family Office Ledunfly mit Sitz in Nyon, das seither auch die Interessen ihres Ehemanns Yann Guichard sowie ihrer drei Kinder vertritt. Dort sind auch ihre philanthropischen Aktivitäten angesiedelt.
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In Sachen Philanthropie erhielt sie einige Ehrungen und Auszeichnungen: Von 2020 bis 2023 war sie Special Adviser for the Blue Economy for the United Nations Conference on Trade and Development (UNCTAD). Zudem wurde sie mit dem Wilson Award for Corporate Citizenship und der Prince Albert I Grand Medal sowie mit der Ernennung zur Kommandeurin des Nationalen Ordens von Honorato Vasquez in Ecuador und zur Ritterin des Nationalen Ordens der Ehrenlegion in Frankreich gewürdigt.
Ihre Arbeit beschreibt Bertarelli als Mischung aus Wissenschaft, Wirtschaft – und Diplomatie. «Ich sehe mich als Diplomatin für den Ozean», so die Schweizerin. «Diplomatie bedeutet, Kompromisse zu finden. Manchmal sind diese Kompromisse nicht leicht einzugehen, aber letztendlich geht es um Balance.» Dass Bertarelli, die bestens vernetzt ist und mit einem Milliardenvermögen auch die nötigen Finanzmittel mitbringt, um Impact zu generieren, alle Türen offen stehen und sie Probleme im Alleingang lösen kann, ist jedoch ein Irrtum: «Als ich in diesem Bereich anfing, hatte ich ein Dollarzeichen auf der Stirn. Viele wollten nur mein Geld.» Doch anstatt einfach Geld zu verschenken, entschied sie sich, selbst aktiv zu werden und sich persönlich zu engagieren.
Oft wird Bertarelli gefragt, warum sie nicht mehr Projekte unterstütze. Doch sie sieht den Fokus als notwendig an, um das zu erreichen, was sie wirklich antreibt: Impact. «Ich bin sehr wählerisch, ich will nicht einfach Geld verteilen. Ich will Wirkung erzielen.» Denn es gehe um die Zukunft von uns allen: «Wir müssen bis 2030 diese 30 % (an vollständig und höher geschützten Anteilen des Ozeans; Anm.) erreichen. Denn wenn die Natur verliert, verlieren wir alle.»
Dona Bertarelli wurde 1968 in Rom geboren und studierte an der Boston University. Später trat sie ins Familienunternehmen Serono ein, das 2007 verkauft wurde. Seither widmet sich die Schweizerin der Rettung der Ozeane. Ihr Nettovermögen beträgt laut Forbes-Schätzung 6,2 Mrd. US-$.
Fotos: Remo Neuhaus