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Technologieunternehmen sind weltweit unter Druck geraten. Doch Catrin Hinkel, seit zwei Jahren CEO von Microsoft Schweiz, sieht noch viel Potenzial im Markt. Denn Microsoft will in Zukunft nicht nur diverser und nachhaltiger werden, sondern vor allem auch die eigenen Kunden noch besser verstehen. Genau da setzt auch die ehemalige Beraterin Hinkel an.
Wer im Büro von Microsoft Schweiz nach der Vorstandsetage sucht, läuft im wahrsten Sinne des Wortes im Kreis – denn das Tech-Unternehmen, das im Industrieviertel „The Circle“ nahe dem Zürcher Flughafen sitzt, hat in seinem Büro nicht nur keine Vorstandsbüros, sondern überhaupt keine abgeschlossenen Büroräumlichkeiten für Mitarbeiter. Vielmehr bestehen die Arbeitsplätze der Mitarbeiter aus Open Spaces, in denen sie sich frei niederlassen können. Nur für Besprechungen gibt es abgeschlossene Meetingräume.
Genau in einem solchen Raum treffen wir Catrin Hinkel, CEO von Microsoft Schweiz. Auch sie sitzt „mittendrin“, wenn sie aus Zürich arbeitet; sonst ist sie aus dem Homeoffice oder auf Reisen aktiv. Hinkel steht seit Mai 2021 an der Spitze des Tech-Unternehmens in der Schweiz, für das rund 1.000 Mitarbeiter an fünf Standorten arbeiten. Für den Job gab es wahrlich schon einfachere Zeiten – und dennoch ist Hinkel keinesfalls verzweifelt: „Die Technologiebranche hat einiges zu schultern im Moment. In den letzten drei Jahren war die große Herausforderung, die pandemiebedingte Nachfrage zu unterstützen; jetzt sehen wir eine gewisse Konsolidierung.“ Doch Hinkel ist von den Zukunftsaussichten überzeugt: „Die Branche wächst weiterhin, und technologische Innovation bleibt die Grundlage für digitale Transformation, für Wirtschaftswachstum – und insgesamt für die Veränderung, die in der Welt stattfindet.“
Die schweren Zeiten haben auch mit einer Ankündigung zu tun, die einige Wochen vor unserem Interview von Microsoft gemacht wurde: Rund 10.000 Mitarbeiter sollen weltweit abgebaut werden. Damit ist der Technologiekonzern keineswegs alleine – und angesichts des rasanten Wachstums der letzten Jahre ist das auch nicht unbedingt überraschend. Dennoch kam die Dimension für die meisten Beobachter überraschend. In der Schweiz kündigte das Unternehmen zwischenzeitlich noch an, weitere rund 100 Mitarbeiter aufbauen zu wollen; im Forbes-Interview wollte Hinkel dann aber keine konkreten Zahlen nennen: „Wir stellen Mitarbeitende in Bereichen, in denen wir wachsen und in denen wir Zukunft sehen, ein. Und es gibt andere Bereiche, in denen wir nicht so stark wachsen und uns entsprechend besser aufstellen – genaue Zahlen kann ich nicht nennen.“
Trotz oder gerade wegen der Herausforderungen hat die Deutsche, die fast drei Jahrzehnte lang beim Beratungshaus Accenture tätig war, klare Pläne für „ihr“ Unternehmen. Denn die steigende Komplexität der Einsatzgebiete bedeutet, dass Microsoft ganz genau wissen und verstehen muss, wo die eigenen Kunden Unterstützung benötigen könnten. Hinkel betont, dass ihr Hintergrund in der Beratung auf diesem Weg vorteilhaft sein soll: „Wenn man aus der Beratung kommt, ist eine Grundvoraussetzung, dass man den Kunden sehr gut versteht; sein Geschäftsmodell, seine Prozesse, seine Risiken. Mit einer stärkeren Ausrichtung auf Industrien können wir gezieltere Lösungen für unsere Kunden schaffen. Das wird uns bei Microsoft die nächsten Jahre beschäftigen.“
Sein Geld verdient Microsoft heute in drei großen Bereichen. Von den rund 198 Mrd. US-$, die Microsoft 2022 an Umsatz erzielte, kamen 32 % (63,4 Mrd. US-$) aus dem Geschäftsbereich Productivity and Business Processes, worunter etwa Microsoft 365, Skype oder Linkedin fallen, 38 % (75,3 Mrd. US-$) entfielen auf den Bereich Intelligent Cloud rund um die Azure-Cloud, und 30 % (59,6 Mrd. US-$) stammen aus More Personal Computing, etwa PCs sowie Xbox. Dass sich das ändern soll, ist eher nicht wahrscheinlich. Die Beratung ist dann weniger ein eigenes Standbein, sondern soll den Kunden vielmehr dabei helfen, Microsofts Lösungen noch erfolgreicher einzusetzen – denn erfolgreiche Kunden führen auch zu höheren Einnahmen für den Anbieter.
Um diese Nähe und das Verständnis zu verbessern, arbeitet Microsoft nicht nur mit mehreren Zehntausend Kunden in der Schweiz, sondern ist auch indirekt mit Endkunden in Kontakt – über insgesamt 4.600 Partnerunternehmen. Hinkel: „Der Einsatz der Technologie muss das Geschäftsmodell und die Prozesse unterstützen. Unsere Partner spielen hier eine wichtige Rolle, weil sie uns mit ihrer detaillierten Kundenkenntnis unterstützen, die Lösungen richtig einzusetzen.“
Neben ambitionierten wirtschaftlichen Erfolgen setzt sich Microsoft auch in anderen Bereichen hohe Ziele. So will das Unternehmen bis 2030 CO2-neutral agieren und bis 2050 jegliches jemals vom Unternehmen in die Atmosphäre ausgestoßene CO2ausgeglichen haben. Doch was bedeutet es für das Geschäftsmodell, wenn die Nachhaltigkeitsdebatte, die die Flugbranche oder viele Industrieunternehmen bereits voll beschäftigt, auch auf Microsofts Geschäftsfall Anwendung findet?
Denn es braucht viel Energie, um Datencenter, E-Mail-Server, Videokonferenzen und Cloudlösungen zu betreiben – je nach Energiemix können diese deutliche Belastungen für die Umwelt bedeuten. Hinkel ist sich dessen bewusst: „Unser Impact ist es, die Optimierung voranzutreiben, egal, ob das ein E-Mail oder 100 sind. Wir müssen zusehen, dass das mit dem geringsten Impact passieren kann.“
Dabei geht Microsoft auch in der Schweiz tief in die Materie. Doch Kritiker sind nicht sicher, ob der Tech-Riese weit genug geht. Ein Artikel in der Neuen Zürcher Zeitung stellte etwa die Frage, wie energieeffizient die Datencenter in der Schweiz (von Microsoft und anderen Technologieunternehmen) betrieben werden. Angeblich, so der Artikel, könnten diese Center etwas weniger stark gekühlt werden, was viel Energie sparen würde.
Marc Holitscher, der bei Microsoft Schweiz als National Technology Officer für die Er- und Aufklärung der eigenen Technologien zuständig ist, sagt jedoch, dass der Aufwand, der betrieben wird, enorm sei. Holitscher: „In einem der Schweizer Rechenzentren wurden die Racks, auf denen die Server stehen, weiß angemalt – schwarz absorbiert viel Helligkeit, stärkeres Licht wäre nötig, was wiederum höhere Temperaturen und mehr Bedarf an Kühlenergie bedeutet. Sogar die Maschengröße der Raumabtrennungen wurde optimiert, denn sind diese zu klein, ist der Energieaufwand für die Luftumwälzung höher.“ Hinkel betont zudem, dass es sehr schwer sei, solche Beurteilungen zu treffen, wenn man das System dahinter nicht genau kenne: „Diese Zusammenhänge sieht man nicht, wenn man nur ein Kriterium ansieht. Man muss das gesamte System ansehen und optimieren.“
Auf ihre eigenen Ziele bei Microsoft angesprochen sagt Hinkel, sie wolle sich selbst obsolet machen: „Mein Leadership zielt darauf ab, dass ein Team gut funktioniert. Ich bin happy, wenn ich nicht mehr notwendig bin. Wenn wir als Team erfolgreich sind und mein Einfluss nicht mehr so wichtig ist, dann bin ich zufrieden.“ Doch die CEO zeigt auch, dass sie nicht gekommen ist, um den Status quo zu perpetuieren: „Ich möchte nicht nur mitlaufen, sondern Akzente für eine Veränderung setzen.“
Catrin Hinkel studierte an der European Business School in Reutlingen und London. Ihre Karriere startete sie 1993 bei Accenture, wo sie schließlich 28 Jahre lang arbeiten sollte, zuletzt als Europe Cloud First Strategy & Consulting Lead. Im Mai 2021 wurde Hinkel CEO von Microsoft Schweiz.
Fotos: Lukas Lienhard