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In unserem F15’-Interview sprach Chefredakteur Klaus Fiala mit Nestlé-Chairman-Emeritus Peter Brabeck-Letmathe über seine Einschätzung der Coronakrise. Im Zuge dessen stellte sich heraus, dass der ehemalige CEO bereits persönlich Bekanntschaft mit dem Virus gemacht hatte und deswegen sogar auf der Intensivstation gewesen war. Ein Gespräch über den Ernst der Lage, darüber, wie sich Brabeck-Letmathes Alltag verändert hat – und über die Folgen der Pandemie für die Wirtschaft.
Peter Brabeck-Letmathe hat Nestlé wohl mehr geprägt als jeder andere. Er war fast ein halbes Jahrhundert für den Konzern tätig, viele Jahre davon als CEO und Verwaltungsratspräsident. Im Ruhestand ist der Österreicher aber keineswegs untätig und hat sich ein Portfolio an Aktivitäten zusammengestellt. Darunter finden sich Investitionen in Start-ups, etwa die Lausanner Start-ups Gamaya (digitale Landwirtschaft) und Abionic (Medtech) oder das US-Unternehmen Moderna (Biotech) bzw. der vom Risikokapitalunternehmen SOSV lancierte Food-Accelerator Food-X.
Zudem ist Brabeck-Letmathe Verwaltungsratspräsident beim Schweizer Telekommunikationsriesen Salt, Präsident des Verbier Festival, Vizepräsident des Stiftungsrats des World Economic Forum (WEF) und Präsident des Beirats der spanischen Business School San Telmo. Wie sieht er mit seiner Erfahrung die Coronakrise – und wie wird sich die Wirtschaft dadurch verändern?
Wie sehen Sie Covid-19 – ist die Pandemie eine von vielen Krisen oder eine revolutionäre, die alles, was wir wissen, auf den Kopf stellt?
PBL: Ich habe das Gefühl, dass es eine einmalige Krise ist – in dem Sinn, dass wir sie durch unsere Handlungen so einmalig gemacht haben. In der Geschichte der Menschheit hat es bisher keinen anderen Moment gegeben – vielleicht mit Ausnahme der zwei Weltkriege –, in dem die Menschheit sich freiwillig so einen großen wirtschaftlichen Schaden zugefügt hat. Die Auswirkungen werden Jahre, wenn nicht Jahrzehnte bestehen.
Glauben Sie, dass die Maßnahmen, die getroffen wurden, falsch sind?
Wenn die Politik im Allgemeinen die Gefahr zur richtigen Zeit ernst genommen und Vorsorge getroffen hätte, hätte man nicht diese drastischen Maßnahmen einführen müssen. Dann wäre uns das weltweite Stilllegen der Wirtschaft erspart geblieben – davon bin ich überzeugt.
Peter Brabeck-Letmathe
...war von 1968 bis 2017 bei Nestlé tätig; u. a. von 1997 bis 2008 als CEO und von 2005 bis 2017 als Verwaltungsratspräsident. Heute ist er „Chairman Emeritus“ – und in zahlreiche andere Projekte involviert.
Wie haben Sie denn die letzten Wochen erlebt, und wie hat das Virus Ihren Arbeitsalltag verändert?
Ich war am Anfang – Ende Februar – ein sogenanntes Opfer des Virus. Ich hatte mich in Südtirol beim Skifahren angesteckt und war dann zwei Wochen lang auf der Intensivstation. Ich habe dort ziemlich lange kämpfen müssen und war dann anschließend drei Wochen in der Rehabilitationsklinik, bevor ich wieder ins normale Leben zurückkehren konnte.
Ich kenne also das Virus persönlich und kann nur eines sagen: Von all meinen Erfahrungen, die ich je gemacht habe, war das wohl eine der heftigsten und aggressivsten. Ich hatte das Gefühl, dieses Virus will töten. Meine Altersgruppe ist natürlich vulnerabel, ich habe in den zwei Wochen einige Todesfälle erlebt – der Tod ist sehr nahe bei diesem Virus. Und daher kann ich nur anraten – auch jetzt, wenn alles wieder leichter wird und wir offener sind –, Social Distancing respektive Entfernungen einzuhalten. Das ist meiner Meinung nach immer noch sehr wichtig – und das wird es auch für lange Zeit bleiben.
Es wird eine Impfung geben, diese Impfung wird meiner Meinung nach Ende des Jahres in den USA bereit sein und etwas später in Europa. Aber zunächst werden das Krankenhauspersonal und die Ärzte geimpft werden, sodass wir mit einer größeren, allgemeineren Impfung erst in einem Jahr rechnen können. Bis dahin wird das Virus weiterhin bestehen und unser Leben beeinflussen.
Bei diversen Konzernen gibt es derzeit große Strategieänderungen. Wie sehen Sie es als ehemaliger CEO, wenn die Krise genutzt wird, um die Richtung komplett zu ändern?
Als Verantwortlicher für ein Unternehmen muss man sich um die Gesundheit der Mitarbeiter und Konsumenten kümmern, das ist der erste Punkt. Der zweite Punkt ist, dass bei denjenigen, die lebenswichtige Produkte erzeugen, die Kontinuität beibehalten wird. Hätten wir zusätzlich zu den Beschränkungen ein Lebensmittelversorgungsproblem, könnte das zu einer Panik führen, die nicht mehr wirklich zu regulieren wäre. Der dritte Punkt ist: Jede Firma hat irgendeinen Zweck, und diesen Zweck sollte man weiterentwickeln und nachdenken, was sich hier ändern wird. Die letzten 40 Jahre ist Just-in-time wahrscheinlich eine der treibenden Kräfte für Effizienzverbesserung gewesen. Man kann sich fragen: Wird das in Zukunft auch so sein? Oder ist es vielleicht besser, man hat einen Sicherheitsstock? Und ist die Supply Chain so die beste – oder sollte man Teile davon wieder eingliedern? Das sind lauter strategische Fragen, die man sich wird stellen müssen.
Wir dürfen eines nicht vergessen: Das weltweite Outsourcing ist in den 90er-, Anfang der 2000er-Jahre aufgekommen und war hauptsächlich durch die niedrigen Lohnkosten und in weiterer Folge die niedrigen Preise begründet. Heute sind die Lohnkosten in China fast so hoch wie bei uns und die Neuentwicklung von Technologien macht die Lohnkosten weniger wichtig. Ich kann heute Fabriken bauen, durch die viel weniger Lohnkosten entstehen als früher. Dadurch ist die Idee des Insourcing und der Verkleinerung der Supply Chain eine absolute strategische Möglichkeit.
Flexibilität spielt eine wichtige Rolle, das haben wir nun gesehen. Wer anstelle des niedrigsten Preises die höchste Flexibilität aufweist, ist besser geschützt.
Glauben Sie, dass – nachdem eine Impfung entwickelt und das Virus eingedämmt wurde – gewisse angestoßene Änderungen auf lange Frist bleiben könnten?
Die strategische Ausrichtung einer Firma muss sich anpassen, die Digitalisierung wird sich wahrscheinlich beschleunigen – in allen Bereichen. Auf die Produktion bezogen müssen wir heute Prozesse anders aufstellen, damit der soziale Abstand eingehalten werden kann. Nach der Impfung wird dieser nicht wieder zurückgestellt werden, sondern das wird so belassen.
Ich glaube auch, dass gewisse Aktivitäten, die man automatisch gemacht hat, hinterfragt werden: ob sie wirklich notwendig sind oder ob sie anders geregelt werden können. Bezogen auf Reisen wird wahrscheinlich doch viel mehr über digitale Medien kommuniziert und vielleicht weniger gereist werden. Aber trotzdem wird der persönliche Kontakt weiterhin notwendig und wichtig sein. Es wird wahrscheinlich eine andere Balance geben.
Text: Klaus Fiala
Fotos: Christian Wind
Dieser Artikel erschien in unserer Forbes Daily "Health & Wealth".