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Mit Visionapartments hat sich Anja Graf mithilfe von Serviced Apartments ein Milliardenportfolio an Immobilien aufgebaut. Doch Graf steht erst am Anfang ihrer Reise als Selfmade-Unternehmerin: Auf diesem Weg will sie an die Börse gehen, ihre Marke als Franchisemodell global ausrollen – und wenn möglich das Unternehmen irgendwann an die nächste Generation übergeben.
Auf einem großen Bildschirm an der Wand flackern unter Städtenamen Zahlen. Bukarest steht da etwa, Frankfurt, Zürich oder Warschau; darunter Kreisdiagramme, die mehrheitlich einen gut gefüllten Kreis zeigen. „Das zeigt unsere Auslastung an den einzelnen Standorten an“, sagt Anja Graf. „Die Auslastung ist für unser Business eigentlich das Wichtigste.“ Graf ist Gründerin und CEO von Visionapartments, einem Schweizer Unternehmen, das europaweit 2.500 „Serviced Apartments“ besitzt, die an Privat- und Unternehmenskunden vermietet werden.
Rund 1.000 Einheiten finden sich in Zürich und Umgebung, die weiteren Einheiten sind in anderen Schweizer Städten sowie Deutschland, Polen und Rumänien – ein Gebäude in Wien wurde mittlerweile verkauft. Die Auslastung scheint zu stimmen: Neun Monate im Jahr („in den guten Monaten“, wie Graf sie beschreibt) liegt die Auslastung bei rund 95 %. Nur rund um Weihnachten ist das Geschäft etwas schwächer, mit etwa 85 %. Das ist in etwa das Niveau, das auch Tophotels erreichen. Das Besondere: Die Immobilien, in denen sich die Apartments befinden, stehen allesamt im Eigentum des Unternehmens. Das Anlagevolumen des Portfolios liegt Schätzungen zufolge bei über einer Milliarde CHF – Graf bestätigt den Wert auf Nachfrage.
Zu den Kunden zählen Vielreisende, digitale Nomaden sowie Unternehmen, die für ihre Mitarbeiter Unterkünfte benötigen. Wer jedoch auf die Website von Visionapartments geht, kann deutlich mehr Städte und Unterkünfte buchen, als man erwarten würde: Da sind New York und Kairo, Sydney und Paris möglich. Das liegt an der zweiten Tochtergesellschaft von Anja Grafs Unternehmensimperium: Acomodeo. Graf bewahrte die in Frankfurt ansässige Plattform einst vor dem Konkurs und nutzt sie nun, um neben den 2.500 eigenen Einheiten von Visionapartments rund 100.000 Einheiten weltweit zur Buchung anzubieten. „Acomodeo ist ein klassisches Plattformgeschäft“, erläutert Graf.
Für die beiden Standbeine hat die Unternehmerin, die Visionapartments vor 20 Jahren gegründet hat und bis heute als CEO führt (Acomodeo hat einen eigenen CEO), große Ziele: Visionapartments wird 2024 rund 70 Mio. CHF an Umsatz erzielen, der aus der Miete der eigenen Einheiten generiert wird. Im nächsten Schritt will Graf die Marke über ein Franchisemodell global ausrollen. Die Schwester Acomodeo, die aktuell bei einem Transaktionsvolumen von etwa 20 Mio. € steht, was wiederum einen Nettoumsatz von rund einer Mio. € bedeutet, soll in nächster Zeit stark wachsen – um in naher Zukunft an die Börse gehen zu können.
Das Nettovermögen der Selfmade-Unternehmerin liegt laut Forbes-Schätzung bei rund 600 Mio. CHF. Dabei soll es aber nicht bleiben, denn Graf hat Großes vor. Doch bevor sie ihre Wachstumsambitionen angeht, muss die 47-Jährige erst mal ihr „Haus aufräumen“ – denn in Zeiten einer stotternden Konjunktur sowie höheren Zinsen (trotz der jüngsten leichten Zinssenkungen mehrerer Zentralbanken) ist es für Graf wichtig, stabil aufgestellt zu sein: „Wir sind in den letzten Jahren so stark gewachsen, in den nächsten 18 Monaten wollen wir uns konsolidieren.“ Dass man das auch als Vorbereitung für einen Verkauf interpretieren könnte, verneint Graf aber: „Verkaufen ist kein Thema mehr für mich.“ Denn obwohl Graf schon seit zwei Jahrzehnten an der Spitze von Visionapartments steht, hat für sie die Reise gerade erst begonnen.
2023 erwirtschaftete Booking Holdings, die Muttergesellschaft von Booking.com, 21 Mrd. US-$ Umsatz, bei Airbnb waren es im gleichen Zeitraum rund zehn Mrd. US-$ – der Markt für die Buchung von Unterkünften auf privaten und beruflichen Reisen ist also durchaus groß. Die Gemeinsamkeit von Booking und Airbnb: Beide agieren als Plattform, bringen also Reisende und Gastgeber zusammen, betreiben aber selbst keine Liegenschaften. Solche Plattformansätze sind hochprofitabel und skalierbar, tragen sich in der Regel aber nur über die Masse, also die Vermittlung von sehr vielen Buchungen.
Genau das ist auch Anja Grafs Überlegung: Während die Expansion mit Visionapartments zwar durchaus rasant war, können Kunden nach 20 Jahren Unternehmensaufbau dennoch „nur“ 2.500 Einheiten buchen. Diese Dimension war der heute 47-Jährigen schlicht zu wenig, weshalb sie bereits 2020 in die Frankfurter Buchungsplattform Acomodeo investierte. Als die Covid-Pandemie das Unternehmen mit voller Härte traf, gab es Refinanzierungsbedarf – Graf nutzte die Chance und übernahm das Unternehmen über ihr Vehikel, die Serviced Apartments Platform AG, zur Gänze.
Denn Acomodeo hatte zwar eine technologisch vielversprechende Lösung aufgebaut, aber strategisch die falsche Richtung eingeschlagen. Zwar war der Fokus auf Unternehmenskunden, die mithilfe von Acomodeo die Reisen ihrer Mitarbeiter buchen sollen, bereits gegeben, jedoch war die Idee, IT-Schnittstellen zu den Unternehmen zu bauen, die die Buchung vereinfachen sollten. Dieser Ansatz ist jedoch aufwendig und zeitintensiv. „Das ist eigentlich ein eigenes IT-Projekt“, so Graf. Ohne Zusagen für Mindestumsatz von den Kunden war das zu oft ein Verlustgeschäft. Heute können Großunternehmen (zu den Kunden zählen etwa Siemens oder Zalando) über einen eigenen Zugang zur Plattform schnell buchen. Ab dem Erreichen einer gewissen Umsatzschwelle wird dann ein Single Sign-on zur Verfügung gestellt.
Von der Buchungssumme erhält das Unternehmen eine Kickbackzahlung, die 7 % ausmacht. Zwar gibt es durchaus auch Privatkunden, die direkt buchen – dann beträgt die Gebühr 10 % pro Transaktion –, doch das sei nicht der Fokus des Unternehmens, so Graf. Aktuell erzielt Acomodeo rund 20 Mio. € Transaktionsvolumen pro Jahr, diese Zahl soll in Zukunft aber stark wachsen. Für Visionapartments, wo mit den Liegenschaften auch der große Wert im Anlagevolumen steckt, hat sie andere Pläne: Erst kürzlich wurde das Portfolio um La Lup erweitert, ein Konzept, das Restaurant bzw. Café und Rezeption verbindet. Da nahezu alle Einheiten über eine eigene Küche verfügen, bietet La Lup vorgekochte Speisen an, die Gäste entweder vor Ort konsumieren oder sich selbst in der eigenen Küche aufwärmen können.
Durch diesen Mix können sich die Mitarbeiter an der Rezeption „selbst finanzieren“, indem sie auch Verkaufstätigkeiten übernehmen. Ein Zusatzbonus ist, dass eine gewisse Präsenz in den Häusern auch Kontrolle mit sich bringt. Graf: „Wir wollen ein Haus mit 200 Wohnungen nicht sich selbst überlassen. Das würde funktionieren, keine Frage, aber es ist nicht unser Ansatz.“ Denn der Vorwurf, der Visionapartments – wie vielen anderen Serviced-Apartments-Konzepten mit automatisiertem Check-in – oft gemacht wird: Man weiß nicht, wer dort ein- und ausgeht. Prostitution und andere zweifelhafte Aktivitäten könnten dazu führen, dass sich irgendwann auch Großkunden verabschieden. Doch Graf ist klar: „Alles, was offensichtlich ist, drehen wir ab.“
Für sie geht es nun darum, Doppelungen und fehlende Effizienz zu erkennen und zu beseitigen. Dabei setzt ihr Unternehmen auch auf Technologie: Aktuell wird etwa ein auf künstlicher Intelligenz basierender Agent eingeführt, denn bei Visionapartments flattern rund 1.000 E-Mails pro Tag rein. Graf hofft, dass das KI-Tool rund 60 % dieser Anfragen eigenständig beantworten kann, um dann wiederum das Supportteam, das in Polen sitzt, schrittweise reduzieren oder für Acomodeo bereitstellen zu können. Wer Graf kennt oder kennenlernt, weiß, dass die Optimierung von Prozessen und das Suchen nach Effizienzsteigerungen nicht unbedingt ihre Lieblingsaufgabe ist; viel eher will sie tun, gestalten, umsetzen. Das fing schon in früher Kindheit an – doch woher kommt der unternehmerische Funke, der sie schon ihr Leben lang begleitet?
Anja Graf wurde in Winterthur geboren – man darf es durchaus als „gutes Elternhaus“ bezeichnen. Ihr Vater Ulrich Graf war Elektroingenieur und vier Jahrzehnte lang für die Kaba-Gruppe (heute Dormakaba) tätig, die börsennotiert ist und Zugangs- bzw. Sicherheitslösungen für Gebäude herstellt. Er war viel unterwegs und prägte seine Tochter durchaus; in seine Fußstapfen wollte sie aber nie treten – denn Graf ist in ihrem Selbstverständnis vieles, Managerin gehört aber nicht dazu: „Meinen Vater hat als Elektroingenieur immer sehr interessiert, wie etwas genau funktioniert. Mir ist das nicht so wichtig, ich will nur wissen, wer ein Problem für mich am besten lösen kann.“
Graf war schlecht in der Schule. Ihr Vater versprach ihr ein Pferd, wenn sie die sechste Klasse besteht – was sie deutlich nicht schaffte, wie sie sagt. Das Pferd bekam sie schließlich trotzdem, baute aber kurzerhand den Stall um, um mehr Platz zu schaffen und die weiteren Boxen vermieten zu können. Das Geschäft lief; mit nur zwölf Jahren verdiente Graf 2.000 CHF pro Monat – und das war erst der Anfang: Weil sie selbst keine gute Schülerin war, bot sie Vorbereitungskurse für die Aufnahmeprüfung ins Gymnasium an – und gründete schließlich eine Modelagentur, für die sie dann auch die Schule abbrach: „Geld hatte ich eigentlich immer.“
Das Geschäft lief so lala, bis ihr dann der Durchbruch gelang. Doch die Freude war nur von kurzer Dauer: „Plötzlich hatte ich ein Model unter Vertrag, das jeder wollte. Das lief in den 90er-Jahren so, dass man dann auch andere große Namen angeboten bekam.“ Das Problem: Ihr bestes Pferd im Stall ging zur Konkurrenz, zur damals größten Agentur in Zürich. Für Graf war das ein solcher Rückschlag, dass sie entschied: Es braucht etwas Neues. Das Neue lag quasi vor der Haustür: Für ihre Models hatte Graf sowieso mehrere Zimmer gebucht und diese dann gleich auch möbliert. Da nun aber auch Nachfrage von Externen kam, fing sie an, statt Models einfach an Mitarbeiter großer Unternehmen zu vermieten, darunter Credit Suisse, ABB oder Swissair. „So hat sich das langsam aufgebaut“, so Graf – Visionapartments war geboren.
Mit einem Erbvorbezug kaufte sie dann ihr erstes Gebäude – betont aber, dass sie zu dem Zeitpunkt bereits sechsstellige Umsätze erzielte. Das Timing war gut: Nach einer Immobilienkrise waren die Investoren Ende der 90er-Jahre vorsichtig, Graf konnte einige Liegenschaften im Zentrum Zürichs zu einem guten Preis erwerben. Diese Strategie verfolgt sie bis heute: Immobilien zu günstigen Preisen kaufen, diese umbauen und bespielen und dann möglichst lange halten. Verkauft werden Liegenschaften nur dann, wenn das eigene Konzept nicht umgesetzt werden kann – etwa weil die Behörden etwas dagegen haben.
Gleiches machte Graf dann auch in Warschau, wohin sie 2016 auch ihren Lebensmittelpunkt verlegte. Doch in Polen verpasste sie den Aufschwung des Markts gerade – ein Fehler, den sie 2019 in Rumänien wiedergutmachen konnte: Dort kaufte sie in bester Lage Immobilien, investierte auch während der Covid-Zeit im großen Stil in Liegenschaften; insgesamt waren es rund 20 Mio. €. Die Kursgewinne beziffert Graf auf teilweise bis zu 30 %. Der neue Fokus führte auch zum nächsten Umzug, nach Bukarest, wobei: Meistens ist Graf sowieso auf Achse.
Ein Verkauf des gesamten Unternehmens kam für Graf, die auch als Investorin aktiv ist, etwa in der Fernsehshow „Die Höhle der Löwen“, nur einmal ernsthaft infrage: 2007 bekam sie ein Angebot eines Zürcher Immobilienunternehmens, der Preis sollte rund 150 Mio. CHF betragen. In der letzten Verhandlungsrunde wurde dann klar, dass der Betrag in Aktien fließen und Graf als CEO der Business-Apartments-Sparte ins Unternehmen einsteigen sollte. Die Verhandlungen waren damit schlagartig beendet: „Ich habe kein Interesse, CEO für irgendjemand anderen zu sein“, so Graf.
Für die Zukunft wünscht sich Graf drei Dinge: Erstens will sie Acomodeo erfolgreich an die Börse bringen, als Standort kann sie sich Frankfurt oder London vorstellen – und sie erwägt sogar, ihren Lebensmittelpunkt an den Börsenplatz zu verlegen, falls es wirklich so weit kommt. Zweitens will sie Visionapartments via Franchisemodell globalisieren: „Wenn in jeder größeren Stadt eines unserer Häuser steht – das wäre schon cool.“ Und für die ferne Zukunft kann sie sich vorstellen, dass eines ihrer Kinder die Leitung des Unternehmens übernimmt.
Die älteste Tochter, eine Musikerin, kommt nicht mehr infrage. Ansonsten hat Graf aber eine Präferenz: „Ich wünsche mir, dass es einer meiner beiden Jungs macht.“ Warum? „Es ist schon eine sehr harte Branche und der Druck ist hoch.“ Graf hätte aber auch noch eine jüngere Tochter, die infrage kommt; und kommt die nach ihrer Mutter, wird der Wunsch der Unternehmerin nach einem männlichen Nachfolger wohl nicht erfüllt. In jedem Fall scheint es aber, als wäre die Zukunft von Visionapartments in guten Händen.
Anja Graf wurde 1977 in Winterthur geboren. Sie brach die Schule ab, um eine Modelagentur zu starten. 1999 gründete sie Visionapartments, 2021 kaufte sie die Buchungsplattform Acomodeo.
Fotos: Dirk Bruniecki