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Ein Wiener Start-up setzt im Zeichen der Zero Waste Initiative auf den Anbau von Pilzen auf Kaffeesatz. Schafft die Idee den Schritt aus dem Souterrain ins Rampenlicht?
Es ist eine Szene wie aus dem Bilderbuch: Mit im Wind wackelndem Männerdutt und flatterndem Holzfällerhemd tritt Florian Hofer in die Pedale seines Lastenfahrrads. Er transportiert eine außergewöhnliche Fracht: Kaffeesud der zahlreichen Wiener Bürogebäude und Traditionslokale, der bald als Nährstoff für Austernpilze dienen wird, die auf den Märkten der Stadt zum Verkauf angeboten oder weiterverarbeitet werden. Vor dem Eingang ihres Büros in einem gemeinschaftlich betriebenen Bauernhaus an einem stillen Nebenarm der Donau wartet sein Geschäftspartner Manuel Bornbaum; Schiebermütze auf dem Kopf und Dreitagebart. Gemeinsam verladen sie den Sud in einen alten, feuchten Weinkeller, wo die Pilze wachsen werden. So darf man sich den romantischen Alltag der beiden Gründer von Hut & Stiel vorstellen.
Das Wiener Start-Up hat sich vor fünf Jahren die Vision gesetzt, im Zeichen der Nachhaltigkeit mit auf Kaffeesatz gewachsenen Pilzen eine Alternative zum Fleischkonsum zu bieten. Dem klassischen Stereotyp-Unternehmer - in Anzug im Büro anzutreffen - entsprechen die beiden nicht. Dennoch behaupten sie sich regelmäßig bei Preisverleihungen für Start-Ups und sind auf dem besten Wege, ihre Philosophie in alle Winkel und Gassen der österreichischen Hauptstadt zu tragen. Wie funktioniert also dieses ausgefallene Beispiel einer Kreislaufwirtschaft?
Den Kaffeesud erhält das 2015 gegründete Unternehmen kostenlos von Großküchen, Pensionistenheimen und Bürokomplexen. Keiner dieser Zulieferer ist weiter als 15 Kilometer entfernt und kann somit bequem mit dem Lastenrad oder (dem aufgrund des starken Unternehmenswachstums auf 3 Tonnen Sud pro Woche kürzlich angeschafften) Elektrobus erreicht werden. Zweimal pro Woche wird so der Kaffeesatz – ein Abfallprodukt, das für gewöhnlich im Restmüll landet und als solcher schließlich ungenutzt verbrannt wird – zur Kleinen Stadtfarm transportiert. Der alte Biobauernhof liegt malerisch am Schillerwasser, wo sich Hut & Stiel das Gelände mit Vereinen ökologischer Zielsetzung und zivilgesellschaftlichen Initiativen teilt und gemeinsam bewirtschaftet.
Hier im 22. Wiener Gemeindebezirk wird der Sud in einer großen Mischmaschine mit Kaffeehäutchen (die Samenschale der Kaffeebohne), Kalk und Stroh durchmengt. Der wesentlichste Bestandteil für diese Melange ist jedoch das sogenannte Pilzmyzel. Es handelt sich dabei um das Wurzelsystem der Pilze, das durch die Vermengung die reichhaltigen Nährstoffe in den Kaffeeresten aufnehmen und zum Wachstum nutzen kann. Nachdem das Gemisch in Säcke abgefüllt wurde, folgt eine erste Wachstumsphase in warm-feuchter Umgebung am Gemeinschaftshof, in der das Myzel des Austernpilzes den Kaffeesud vollständig durchdringt und dabei alle anderen Sporen möglicher Pilze wie parasitären Schimmel gänzlich verdrängt. Nach dieser Inkubationszeit von drei Wochen werden die Kulturen in alte Weinkeller Wiens umgelagert, in denen perfekte Wachstumsbedingungen herrschen; hier in der feuchten Dunkelheit unter den Straßen der Stadt kann der Austernpilz seine Magie entfalten: Nach zwei weiteren Wochen des Wachstums lugen dichte Trauben an weiß strahlenden Schwammerlköpfen durch die Löcher der Säcke. Nun kann geerntet werden.
Wie die meisten Pilze eignen sich auch Austernpilze nicht für eine lange, unverwertete Aufbewahrung und verlieren rasch ihre leuchtende Frische. Es muss demnach zügig gehandelt werden. Noch am Erntetag werden die Pilze für die Kunden ausgeliefert, auf den Markt geradelt, zu Restaurants und den Einzelhandel gefahren oder direkt am Hof verkauft. Frische ist bei Hut & Stiel folglich garantiert. Ein anderer Teil der Pilze wird zu Pesto, Sugo oder Gulasch verkocht und damit haltbar gemacht.
Sämtliche Angebote können auf der Webseite des Unternehmens erworben werden. Eine Besonderheit im Sortiment ist der „Pilz aus dem Kübel“: ein Kit für den Eigenanbau von Austernpilzen. Anschaulichkeit und Praxisnähe haben bei Hut & Stiel höchste Priorität; Sie möchten das Naturschauspiel, wie aus Abfall Leben entsteht und geerntet werden kann, erlebbar machen. Wem das nicht genug ist, ist eingeladen, bei den Workshops in der Kleinen Stadtfarm noch mehr über Pilze zu erfahren und die Gründer Flo und Manuel einen ganzen Tag lang zu begleiten. Das Interesse ist groß: Bislang war jeder der mittlerweile knapp 50 Workshops bis auf den letzten Platz restlos ausverkauft.
Dass umweltbewusstes Wirtschaften keine unprofitable Utopie sein muss, beweist die genossenschaftlich organisierte Lebensmittelmarke Organic Valley. Das Biobauernkooperativ spezialisiert sich auf die umweltfreundliche Produktion von Lebensmitteln aller Art: von Eiern und Milch bis zu Proteinshakes und Bio-Snacks. Die Idee einer solchen Kooperation ist in der englischsprachigen Welt bereits weit verbreitet. Organic Valley selbst exportiert in über 25 Länder. Mit einem 2018 verbuchten Umsatz von 1,157 Milliarden USD scheint das Konzept vielversprechend zu sein. Auch bei Hut & Stiel steigt der Umsatz jedes Jahr um bis zu 50% und das Team zählt mittlerweile sieben Köpfe. Die Produktpalette wird laufend erweitert – pflanzenbasierte Würstel sollen als nächstes das Sortiment ergänzen. Diese werden bereits in ausgewählten Imbissbuden Wiens erfolgreich angeboten. Hauptsache: vegetarisch oder gar vegan!
Der Gedanke der Nachhaltigkeit zieht sich von der Beschaffung des eigentlichen Abfallprodukts Kaffeesud über die Produktion in leerstehenden Kellern bis zum lokalen Vertrieb. Die Vision hinter Hut & Stiel ist, das Faszinosum der in der asiatischen Küche bereits breit eingesetzten Pilze in Mitteleuropa bekannt zu machen und fest in hiesigen Speiseplänen zu verankern, um damit eine schmackhafte Alternative zu Huhn, Schwein und Rind zu bieten. Es soll jedoch nicht wegen eines schlechten Gewissens zu den Produkten gegriffen werden. Ohne den mahnenden Zeigefinger zu erheben, möchte Hut & Stiel zeigen, dass Pilze nicht nur nahrhaft und vielfältig einsetzbar sind, sondern zudem auf eine um- und mitweltschonende Weise gezogen werden können – selbst von zuhause aus. So verursacht jedes Kilogramm Rindfleisch beispielsweise 36kg Kohlenstoffdioxid, während der Fußabdruck bei einem Kilogramm Austernpilze deutlich darunter liegt. Jedes durch Pilze ersetzte Kilogramm Fleisch spart 16 Kilogramm an Kraftfutter, 15.000 Liter Wasser, von den wegfallenden Transportkosten ganz zu schweigen. Ferner reduziert der Abtransport des Kaffeesuds allein beim größten Partner „Erste Bank“ etwa 30 Tonnen an Restmüll pro Jahr. „Live in a way so they can live again tomorrow“ prangt in goldenen Lettern über der Idee von Hut & Stiel.
Von Schulfreunden zu Geschäftspartnern: Die beiden Oberösterreicher Florian Hofer (31) und Manuel Bornbaum (31) kennen sich bereits seit der fünften Schulstufe, entschieden sich jedoch für unterschiedliche akademische Laufbahnen. So verschlug es Flo an die Technische Universität Wien zum Studium des Maschinenbaus und des Wirtschaftsingenieurwesens, während sich Manuel den Agrarwissenschaften an der Universität für Bodenkultur widmete. Die Wege kreuzten sich indes bald wieder in einer universitätsübergreifenden Lehrveranstaltung. Hier wurde die Idee von Hut & Stiel geboren und seitdem mit großer Leidenschaft verfolgt.
Gemeinsam können sie auf stattliche Erfolge zurückblicken. So wurde ihre Geschäftsidee mit dem Green Star 2017 ausgezeichnet und von der Wirtschaftsagentur Wien mit einem Kreativpreis prämiert. Das Ziel ist klar: in Zukunft möchte Hut & Stiel Marktführer für Pilze in Wien werden. Dies soll vor allem durch eine Verbreiterung der Kundenzielgruppe erreicht werden. Die Gründer sind zuversichtlich, dass ihr Konzept auch in anderen größeren Städten funktionieren wird - und planen dementsprechend. Immerhin ist die Grundvoraussetzung für eine solche Expansion lediglich der Konsum von Kaffee. Kapselkaffee ist für die weitere Verwendung für den Pilzanbau jedoch vollkommen ungeeignet.
In den nächsten Jahren werden sich im Produktportfolio zu den Austernpilzen auch ein bis zwei weitere Pilzarten gesellen. Die Sorten werden auf alternativen, aber dennoch nachhaltigen Nährboden wie Sägespäne oder Stroh wachsen. Neben der Marktexpansion steht jedoch auch die Findung neuer Vetriebswege auf der Agenda der Jungunternehmer: in der vergangenen Weihnachtszeit wurden die Produkte in einem Pop-up Café im neunten Wiener Gemeindebezirk Alsergrund angeboten, um einen weiteren Vertriebsweg aufzubauen. Aufgrund des durchschlagenden Erfolgs dieser Unternehmung werden im kommenden Jahr geschlossene Eisdielen in den kalten Monaten des Jahres in Pop-up Stores verwandelt.
Am meisten freut sich Manuel Bornbaum aber über die Würstel, die das Angebot des Lebensmittelbetriebes bald bereichern und wohl auch den ein oder anderen Karnivoren überzeugen werden. Nachdem er uns in der Küche des Hauptgebäudes der Kleinen Stadtfarm eine Kostprobe angeboten hat, macht er sich wieder an die Arbeit, um der Erfüllung seiner Vision ein weiteres Stück näher zu kommen.
Text: Niklaus Straussberger, Janosch Erstling, Helene Lessiak
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Fotos: Karin Hackl Photography, Elena Seitaridis, Raffaela Schumer