Hollywoods Lieblings-italiener

Massimo Bottura ist Italiens berühmtester Koch. Sein Drei-Sterne-Lokal Osteria Francescana hat die Küche seiner Heimat revolutioniert. Jetzt baut er sein Portfolio aus und bietet mit einem Luxus-Gästehaus bei Modena Feinschmeckern die ultimative Dolce-Vita-Erfahrung. Ein Besuch in der Emilia-Romagna.

Neun Uhr früh an einem Oktobertag nahe Modena. Der Duft von Lagerfeuer und Gebäck zieht durch den Hof der Casa Maria Luigia. Das Licht ist sanft, die Luft schmeckt frischer als ein kühles Glas Lambrusco. Im Luxusgästehaus wird nun das Frühstück serviert – und schon das erste Mahl des Tages hat mehr als ein Dutzend Gänge.

Die Kellner tragen Erbazzone-Küchlein mit Spinatfüllung herbei, servieren Frittata mit Parmesancreme und confiertem Knoblauch; danach kommen Teller mit gegrillten Zucchini und Datterini-Tomaten, dazu luftige Focaccia aus dem Holzofen und hauchdünne Mortadellascheiben, veredelt mit ein paar Tropfen feinstem Aceto balsamico; zum Schluss noch eine Tasse dampfender Cappuccino.

Willkommen in der Casa Maria Luigia, dem Herz italienischer Lebensart in der Emilia-Romagna, willkommen bei den Gastgebern Massimo Bottura und Lara Gilmore, dem Power Couple der internationalen Gourmetwelt. Er ist der laute und exzentrische Drei-Sterne-Impresario, dessen Lebenswerk darin besteht, die traditionelle Küche seiner Heimat neu zu erfinden; sie ist die elegante New Yorker Kunstkennerin, die als oberste Managerin den Laden schmeißt. Unter dem Logo ML exportieren Massimo und Lara eine kulinarische Edelvariante des Dolce Vita in alle Welt.

Lara Gilmore, 54, lässt sich einen Espresso bringen und erklärt, wie sie mit dem 250 Jahre alten Landhaus eine neue Art der kulinarischen Erfahrung schaffen will: Die Casa Maria ­Luigia sei „ein Experiment“ und „ein Spielplatz“ für eine neue Art von Gastfreundschaft. Feines Essen, teure Kunst und traditionelle Lebenskultur – alles zusammen sorge für eine „emotionale und tiefgreifende Erfahrung“.

Längst ist Fine Dining mehr als ein edles Dinner mit ausschweifender Weinkarte. Sterne­köche weltweit, unter anderem Österreichs Gourmet-Starkoch Wolfgang Puck, investieren ihren ­Unternehmergeist und ihre Kreativität zunehmend auch in Hotelprojekte, schnüren ein kulinarisches Rundumpaket.

Die Casa Maria Luigia bietet zwölf individuell gestaltete Apartments (ab 500 € pro Nacht), die allesamt sehr persönlich wirken; als würde man bei Freunden übernachten. In einem Zimmer ist etwa Botturas Plattensammlung untergebracht. Zum Areal gehören auch die beiden Gourmet­restaurants Al Gatto Verde und Francescana at Maria Luigia. Der Ableger von Botturas welt­berühmter Osteria Francescana in Modena serviert den Hotelgästen für 450 € inklusive Wein die ikonischen Bottura-Gerichte, darunter „Tortellini spazieren in die Brühe“ (fünf Teigtaschen, aufgereiht in einer Spur eingedickter Brühe) oder das Dessert „Oops! I Dropped the Lemon Tart“ – eine klassische Zitronentarte, auf den Teller geklatscht wie ein modernistisches Gemälde, inspiriert von einem echten Küchenunfall.

Das nach Botturas Mutter benannte Gästehaus ist auch eine Kunstgalerie, mit Werken von Beuys, Hirst und Ai Weiwei. In der restaurierten Aceita lagern 1.400 Balsamico-Fässer, in denen der edelste Essig der Emilia reift, unter Lampen von Davide Groppi und Olafur Eliasson. Hotelgäste können auch Botturas Fuhrpark bewundern: Maseratis, Ducatis, Vintage-Ferraris und Lamborghinis, viele Modelle sind individuelle Sammlerstücke.

Wenn du arbeitest, um deine Träume wahr zu machen, dann gibst du nicht schnell auf.

 

Massimo Bottura

Botturas Osteria Francescana wurde zweimal auf Platz eins der 50 besten Restaurants der Welt gewählt. Nebenan in Maranello betreibt der Meisterkoch direkt neben dem Ferrari-Werk eine Edelkantine für Autoliebhaber. Mit der Luxus­modemarke Gucci hat er Osterias in Seoul und Beverly Hills eröffnet, dazu das Strandlokal Torno Subito in Dubai.

Bottura wurde dank der Netflix-Doku „Chef’s Table“ auch im Mainstream bekannt und zum ­idealen Botschafter des italienischen Lebens­gefühls. Sein Vermögen wird auf 235 Mio. US-$ geschätzt. Gilmore und Bottura feiern in ihrem neuen Buch „Slow Food, Fast Cars“ das Land von Ferrari und Maserati, von Parmigiano und Mortadella – ML steht für genau dieses Lebensgefühl.

„Unser Erfolg beruht auf der Emotion, die unser Essen auslöst. Ohne Emotionen ist ­Essen entweder gut oder schlecht – aber eben nicht denkwürdig“, sagt Gilmore. Ihre Gäste reisen oft aus Übersee nach Modena, sie bezahlen viel Geld, opfern kostbare Zeit, haben einen Tisch Monate im Voraus gebucht. Respekt, Verantwortungsbewusstsein und Demut, sagt Gilmore, seien die Schlüssel, um aus dem Gastgeber-Job eine Kunst zu machen.

Gilmore und Bottura wurden in den 1990ern in New York ein Paar. Ohne seine spätere Frau, so erzählt der Koch, wäre sein Erfolg unmöglich gewesen. Die Amerikanerin öffnete ihm die Augen für die Welt der Avantgarde, des Theaters und der modernen Kunst. Das Paar hat zwei Kinder, Alexa und Charlie.

Als Restaurateurin müsse man immer auf Überraschungen gefasst sein, müsse mit dem ­Unerwarteten umgehen können und ­Risiken ­eingehen, erzählt Gilmore. Zwar wirke ihre Welt glamourös, doch „Gastgeben“ auf höchstem ­Niveau erfordere „viele Opfer, vor allem Zeit und Energie“. Das meiste lerne man im Job.

Am Abend treffe ich Bottura auf der Terrasse des Al Gatto Verde („Zur grünen Katze“), des neuesten Nobellokals. Botturas breites Italo-Englisch klingt warm und weich, er plaudert viel und schnell, und ist er erst einmal in Fahrt, kann ihn nichts stoppen. Sein Redefluss erinnert an seine geliebten Motorradtouren durch den Apennin, wenn er sich auf seiner Ducati halsbrecherisch in die Kurven legt. Er braucht „diesen Tanz“, wie er sagt – den Fuß vom Gaspedal nehmen, das kann er in keiner Lebenslage.

Wieder steigt der Duft von Grillfeuer in die Nase. Dort, wo früher die Ställe des alten Herrenhauses waren, lässt Chefköchin Jessica Rosval, eine Kanadierin, avantgardistische Grillkunst mit lokalen Klassikern servieren. Cotechino-Wurst in einem süßsauren Zwetschgensud mit Hibiskusblüten etwa, oder geräuchertes Lamm mit Birnen­mostarda und verbrannten Brotenden.

Als die ersten Gäste erscheinen, winkt ­Bottura einen Kellner herbei, weil dieser eine ­Sekunde lang gezögert hat, den Neuankömm­lingen den Weg zur Garderobe zu weisen. In diesem Moment blitzt Botturas Perfektionismus auf – und seine hohen Erwartungen an sich und seine Mitarbeiter. In einem Interview sagte der Fan von Inter Mailand einmal: „Ich sehe mich als einen Trainer wie Mourinho: Ich will noch das kleinste Detail kontrollieren, denn damit stimulierst du das Team, und dann gibt es dir alles.“

Bottura war lange ein verkanntes Genie, er wurde verlacht und angefeindet, weil er es wagte, die heilige italienische Küche zu ­revolutionieren. Italiens Geschmack ist erzkonservativ – nur was die Nonna, die Großmutter, zu Hause auf den Tisch stellt, kann wirklich gut sein. Bottura ging bei Frankreichs Küchenikone Alain Ducasse in Monaco in die Lehre und brachte die Avantgarde zurück nach Modena; und er zerlegte die Leibspeisen der Emilia in ihre Einzelteile, und damit auch ihre Traditionen: Er servierte nur den knusprigen Teil der ­Lasagne, als nostalgische Kindheitserinnerung an das leckerste Stück des Nudelauflaufs. Die Mortadella verwandelte er in einen rosa Klecks auf einem getoasteten Brotwürfel, mit den Pistazien als krümelige Spur daneben. Doch seine Nachbarn sahen in den kulinarischen Kunstwerken einen Frevel. Der Koch wolle die Leute wohl vergiften, hörte man in den Straßen von Modena raunend.

Botturas Vater wünschte sich, dass sein Sohn als Anwalt oder Manager in der Erdölbranche Karriere macht. Bottura hatte andere Pläne und versprach dem Vater: Ich bringe drei Michelin-Sterne in die Emilia. Drei Monate vor dem Tod des Vaters, Bottura erinnert sich genau an den Zeitpunkt, bekam die Osteria Francescana tatsächlich den dritten Stern verliehen.

Inzwischen ist Bottura „die Lichtgestalt der avantgardistischen Kochkunst“ (New Yorker) – und Hollywoods Lieblingsitaliener: Neulich mietete sich Patrick Dempsey für mehrere Wochen ein; auch die Crew von Michael Manns Biopic „Ferrari“, unter ihnen Penélope Cruz, die gerne im Pool in der weitläufigen Gartenanlage planscht. Justin Timberlake und Ehefrau Jessica Biel kommen auch gerne, Stanley Tucci ist ein Freund des Hauses, genauso wie David und Victoria Beckham.

„Du musst dir die Zukunft immer wieder neu erträumen“, sagt Bottura. Und: „Ich habe Verantwortung.“ Durch seinen Weltruhm fühlt er sich dazu berufen, noch mehr zu tun, als für die Reichen und Einflussreichen zu kochen. Er will auch die Gourmetindustrie grüner und nach­haltiger machen. Doch wie passt das zum eher verschwenderischen Fine Dining? Und wie passt sein Werk überhaupt zu einer Welt, die zunehmend abgas-, laktose- und spaßbefreiten Veganismus predigt und mitunter einfordert?

Bottura wirkt bei dieser Frage fast empört und feuert umgehend los: Nur noch Pflanzen servieren und dabei Hunderte Jahre an Tradition und Erfahrung seiner Zulieferer aussterben lassen? Impossibile! „Unsere Milchbauern, unsere Fischer, unsere Käser, das sind unsere Helden. Wir müssen sie schützen!“ In der Emilia war man schon immer regional und nachhaltig. Man sei ja nicht in Brasilien, wo man den Regenwald für Weideland abholze.

Bottura hat der Essens­verschwendung schon lange den Kampf angesagt – seine ­Non-Profit-Organisation Food for Soul speist Bedürftige mit überschüssigen Lebensmitteln in Suppenküchen zwischen Rio und Mailand. In den Refettorios, benannt nach den Speisesälen der Mönche, rette man „die verletzlichsten Seelen mit der Kraft der Gastfreundschaft“.

Für seine Zero-Waste-Projekte hat Bottura die größten Namen seiner Branche gewonnen. Aus den überschüssigen Lebensmitteln der Milan Expo 2015 kochten René Redzepi (Noma), Ferran und Albert Adrià (El Bulli) und sein Mentor Alain Ducasse (Le Louis XV) Mailänder Kindern, Schülern und Obdachlosen bescheidene, aber leckere Gerichte; die Sterne-Resteküche servierte Popcorn-Pesto und Graupensuppe, natürlich stets mit einem Gourmet-Twist wie einer gelatinierten „Ziegenmilch Royal“.

Bottura hat damit bewiesen, dass die oft ­dekadente Sterneküche gesellschaftliche Ver­antwortung übernehmen und zum Gemeinwohl beitragen kann – und das in Zukunft vielleicht umso mehr tun sollte. Bottura erinnert auch an die Tortelliniwerkstatt in Modena, wo Menschen mit Einschränkung Teigtaschen formen und verkaufen; unter ihnen sein Sohn Charlie, der mit ­einem Gendefekt zur Welt kam.

Kochen sei ein Akt der Liebe, das schreibt Bottura gerne ins Vorwort seiner Bücher – Liebe zu den Menschen, für die man kocht. Und auch um die Liebe und den Respekt für die Zutaten, die uns die Erde schenkt, geht es ihm.

Dafür steht auch die Casa Maria Luigia, Herz und Hauptquartier seines Imperiums. Ein weiteres Lokal, weitere Zimmer, eine Galerie – das sind die Projekte für die nahe Zukunft. Die Arbeiten haben längst begonnen, und sie werden wieder Opfer verlangen. Doch das wird Lara ­Gilmore und Massimo Bottura nicht bremsen. Gilmore sagt: „Wenn du arbeitest, um deine Träume wahr zu machen, dann gibst du nicht schnell auf.“ Und wenn man die Träume wahr gemacht hat? „Dann will man erst recht weiterschuften!“

Fotos: Marco Poderi, Paolo Terzi, Stefano Scatà, Osteria Francescana

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