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Wie Gawain Morisson menschliche Emotionen automatisch erkennen will.
Gawain Morrisons bis zum Bund seiner Hose reichender geflochtener Bart ist nur eines von mehreren optischen Merkmalen des Iren, die einen dazu veranlassen, sich zu fragen: Was macht dieser Mensch eigentlich beruflich? Doch zuerst erzählt der Happy Man ausgiebig von seiner Familie und seiner Work-Life-Balance. Er spricht darüber, wie man mit einfachen Tricks viel ausgeglichener sein kann, und davon, dass es im Leben auch Wichtigeres gibt, als immer nur zu arbeiten. So freundlich seine Botschaften den Zuhörer zum Zurücklehnen einladen, so hart fordert sein nordirischer Dialekt das aufmerksame Zuhören.
Letztendlich wird das Geheimnis dann gelüftet: Er und Co-Gründer und CFO Shane McCourt haben das irische Software-Start-up Sensum gegründet. Sensum soll die Gefühle von Menschen automatisch erkennen. Morrison: „Wir können alle Signale messen, die der Körper erzeugt.“ Er und McCourt kommen aus Belfast – und kennen einander bereits seit Jungendtagen. Die beiden sind wohl die irische Interpretation des Silicon-Valley-Entrepreneur: Kennengelernt haben sie einander vor 20 Jahren auf einer Party. Ein „pretty messy start“, wie sie lachend offenbaren. Die beiden verband ihre Leidenschaft für Synthesizer und elektronische Musik. Aus der Leidenschaft wurde Ernst: Das Duo gründete ein Plattenlabel. „Das haben wir ziemlich in den Sand gesetzt“, sagen sie, schon wieder lachend. Auch den T-Shirt-Handel, den sie danach gründeten, sowie ihre Filmproduktionsfirma wurden keine Erfolge. Vor fünf Jahren versuchten sie es dann mit Sensum. „Wir sammeln Daten über Gesichtsausdrücke, die Stimme, Biometrik und Stimmungen und werten sie aus – so messen wir Emotionen in der natürlichen Umgebung.“ Doch nicht jeder trägt zum Beispiel Wearables oder Devices, die Facial Recognition anbieten. Deswegen sind auch nicht immer alle Daten verfügbar. „Wir bilden die empathische Schnittstelle zwischen Menschen und der Software, den Maschinen oder den Interfaces.“ Seit 2012 vertreibt Morrison die Software. „Zu unseren Kunden gehören Unilever und Cisco. Mit Red Bull haben wir zudem das erste emotionale Virtual-Reality-Erlebnis der Welt kreiert. Man setzt ein Headset auf – und findet sich in einer virtuellen Szene wieder. Dafür haben wir Mountainbiker beim Red Bull Fox Hunt aufgenommen.“ Wer ein Headset aufsetzt, ist sogleich in der Welt des Fahrers: Man hört und sieht alles so, als würde man selbst die Strecke fahren. Auf einem Headdisplay werden Emotionen und biometrische Daten des Fahrers angezeigt.
Sieben Jahre dauerte die Entwicklung der Software bis heute – und sie geht ständig weiter. „Es kommen immer wieder neue Player und Produkte auf den Markt. Zudem verändert sich die Art und Menge der Daten ständig.“ Wie viel Geld sie mit Sensum verdienen, erzählen die Iren jedoch nicht. Ihren Anfang fand diese Entwicklung übrigens als Film. „Wir produzierten den weltweit ersten Horrorfilm, der auf die Emotionen seiner Zuseher reagiert. Damals dachten wir, dass wir die Unterhaltungsbranche revolutioniert hätten. Doch die Menschen konnten mit dem Film nicht so viel anfangen. Zudem gab es nicht ausreichend Wearables, die Daten geliefert hätten.“ Also machten die Gründer zwei Schritte zurück. „Wir haben Marktforschung betrieben und begonnen, Marken interaktiv erlebbar zu machen – experimentelles Marketing. Wir hatten stets die Vision, dass das die Zukunft der Mensch-Maschinen-Interaktion sein wird. Eine digitale, messbare Form des Selbst.“ Neben der Anwendung für Marken macht der Unternehmer die Mensch-Maschinen-Interaktion im Autobereich als nächsten großen Treiber seines Business aus. „Ich kann mir eine Box vorstellen, mit der man während der Fahrt spricht und die trackt, wenn sich Stimme oder Gesichtsausdruck verändern.“ Die Technologie würde etwa bei selbstfahrenden Autos das Fahrzeug von innen bedienen, und so auch Müdigkeit, Wut oder Rauschzustände erkennen und dementsprechend agieren. Morrison: „So erhöht sich die Sicherheit von Insassen und Passanten.“ Trotz der positiven Aspekte stellt sich die Frage, was es bedeutet, wenn ein Device eigenmächtig entscheidet. Wie viel Bewusstsein und Mitbestimmung bleibt beim Nutzer? „Technologie wird uns in Zukunft mehr und mehr umgeben – sichtbar und unsichtbar. Es kommt eine große Automatisierungswelle, die viele Vorgänge unsichtbar macht: das Aufladen von Batterien, die Kommunikation, das Bestellen und Wiederauffüllen von Gütern und auch das ‚Messen‘ von Menschen. Die Kontrolle entfernt sich zunehmend vom Individuum. Das stellt uns vor die nächste große Herausforderung: Wie gibt man Menschen die Kontrolle über ihre Daten wieder zurück? Unsere Philosophie mit Sensum ist, dass alle Daten den Nutzern gehören, nicht den Unternehmen.“ Demnächst entwickeln die Iren übrigens eine Plattform, um auf Sensum basierende Apps programmieren lassen zu können. Es darf davon ausgegangen werden, dass der Happy Man gerne teilt.
Dieser Artikel ist in unserer Februar-Ausgabe 2018 „Künstliche Intelligenz“ erschienen.