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Die Schlüssel für seinen Tesla erhielt Constantin Schwaab – als einer der Ersten in Deutschland – noch von Elon Musk persönlich. Doch er konnte den Wagen nirgendwo laden, weshalb das Auto wochenlang herumstand. Schwaab erkannte seine Chance und gründete das Münchner Start-up Wirelane, das sich auf Ladestationen spezialisiert. Die Konkurrenten sind namhaft, doch Schwaab weiß, wie man Unternehmen richtig groß macht.
Bereits 2013, also vor acht Jahren, kaufte sich Constantin Schwaab ein E-Auto. Es war ein Tesla Model S, einer der ersten Wagen der US-Marke in Deutschland. Damals übergab Tesla-Chef Elon Musk den Schlüssel an Schwaab höchstpersönlich, im Rahmen einer Zeremonie für Tesla-Besitzer in München. An die Feier denkt Schwaab gerne zurück: „Meine Frau und ich reden heute noch darüber.“ Nun war Musk damals noch nicht ganz der Messias, als der er heutzutage von vielen gesehen wird – doch bereits damals hatte der Unternehmer eine leidenschaftliche Fangemeinde, die im Wesentlichen aus Techies bestand. „Und ich war definitiv ein Teil davon und bin bis heute Fanboy“, sagt Schwaab und lacht.
Die Euphorie war jedoch schnell verflogen, denn weit kam Schwaab mit seinem Tesla nicht. Denn vor acht Jahren war es de facto unmöglich, ein E-Auto zu laden – zwei Wochen lang stand der Wagen nur herum. Statt lautlos über die deutschen Autobahnen zu fliegen, füllte Schwaab Formulare aus und faxte sie, um sich bei den Stadtwerken registrieren zu lassen. Andere hätten es dabei belassen, doch Schwaab, der zum Interview im schwarzen Hoodie und mit seinem Markenzeichen, einer schwarzen Baseballkappe, erscheint, hatte zu diesem Zeitpunkt bereits drei Unternehmen gegründet, wovon er wiederum zwei verkauft hatte. Der Deutsche erkannte eine Marktlücke – und gründete 2016 Wirelane. Der Durchbruch gelang dann Ende 2018, als Wirelane das Ladegeschäft des Münchner Start-ups Eluminocity aufkaufte.
Fünf Jahre später ist nicht nur Musks Fanbase deutlich gewachsen, auch E-Mobilität ist kein Nischenthema mehr – die Ladesituation ist trotz aller Euphorie dennoch noch immer verheerend. Schwaabs Instinkt war jedenfalls richtig. Aktuell gibt es in Deutschland laut Ladesäulenregister des BDEW (Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft) rund 40.000 öffentliche und teilöffentliche Ladepunkte. Im Juli werden aber schon eine Million Elektroautos auf deutschen Straßen unterwegs sein, sagte Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier kürzlich. Dieses Ziel wollte die Regierung eigentlich schon bis 2020 erreichen, bis 2030 sollen dann bis zu zehn Millionen E-Autos auf deutschen Straßen unterwegs sein, weshalb die Infrastruktur sehr schnell mitwachsen muss. Experten sind skeptisch: Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) sagt etwa: „Es läuft sehr schleppend, es geht nicht schnell genug.“
Von diesen Verfehlungen profitiert Wirelane. Erst kürzlich sammelte das Unternehmen in einer Finanzierungsrunde 18 Millionen € ein. Doch Schwaab, der selbst fünf Millionen € in sein Unternehmen investiert hat, will mehr, denn um die Energiewende wirklich mitgestalten zu können, muss er Wirelane richtig groß machen. „Wir tun, was wir tun, weil wir eine Veränderung damit bewirken können“, so Schwaab, als wir ihn zum Interview in Wirelanes Büro in München treffen – „und weil wir damit richtig viel Geld verdienen können.“
Der Druck, die Mobilität zu elektrifizieren, ist in Deutschland – der Heimat zahlreicher großer Automobilproduzenten – besonders stark spürbar. Neben US-Konzernen wie Tesla mischen auch die etablierten Hersteller im Rennen um die E-Mobilität mit: Volkswagen investiert in die Transformation hin zu E-Mobilität bis 2030 satte 35 Milliarden €, bei Daimler soll bis dahin die Hälfte aller Autoverkäufe auf elektrische Fahrzeuge entfallen; BMW will die Hälfte der Flotte bis 2030 elektrifizieren. Ein wichtiger Faktor in der Kaufentscheidung der Verbraucher: „Ob Autofahrer in Deutschland in eine flächendeckende Ladeinfrastruktur vertrauen, entscheidet darüber, ob diese Transformation gelingt“, sagt Hildegard Müller, Präsidentin des Verbands der Automobilindustrie (VDA).
Das Ganze passiert natürlich vor dem Hintergrund der Klimakrise. Deutschland will bis zum Ende des Jahrzehnts seine CO2-Emissionen um 65 % gegenüber 1990 verringern. Nachdem ein Viertel der Emissionen in Europa vom Verkehr verursacht wird, ist das ein logischer Hebel. Doch um steigende E-Auto-Zahlen vorweisen zu können, braucht es eben Ladepunkte. Laut Strategie der Politik soll es bis 2030 eine Million Ladestationen geben. Schwaab hält das Ziel für ausreichend – sofern man die privaten und halböffentlichen Ladepunkte wie jene auf Tankstellen oder an Bahnhöfen mitzählt. In Summe würde das zu einer flächendeckenden Versorgung mit Lademöglichkeiten führen, was wiederum die Basis für den vollständigen Wechsel hin zur Elektromobilität sei. „Das ist unser erklärtes Ziel und daran glaube ich fest“, sagt Schwaab.
Doch der Weg zur Elektromobilität bleibt ein steiniger. Nach Angaben der Bundesnetzagentur stehen den 3,6 Millionen Bewohnern Berlins gerade einmal 1.400 Ladepunkte zur Verfügung. Kemfert vom DIW sieht vor allem bürokratische Hindernisse auf dem Weg zu diesem Ziel: Man verheddere sich in Streitigkeiten, zum Beispiel um Genehmigungsanträge für die benötigten Flächen. Während monatlich knapp 60.000 E-Autos in Deutschland neu zugelassen werden, wachse die Anzahl der öffentlich zugänglichen Ladepunkte zu langsam. Hildegard Müller vom VDA sagt: „Wir brauchen rund 2.000 neue Ladepunkte – pro Woche. Gebaut werden zurzeit etwa 250.“ Die Bürgermeister und Landräte seien jetzt für die Koordination vor Ort gefragt, sie wüssten am besten, was an welchen Stellen gebraucht wird. „Den ambitionierten Zielen steht ein schleppender und vernachlässigter Auf- und Ausbau der Ladeinfrastruktur gegenüber. Diese Entwicklung muss schnellstmöglich umgedreht werden“, so Müller.
Angesichts dieser Zahlen wird klar: Die öffentliche Hand schafft die Transformation in Europa nicht. Das ist die Chance für Unternehmer wie Schwaab. Wirelane selbst will bis Ende 2021 insgesamt 2.500 eigene Ladepunkte in Deutschland verkauft haben. Über die App haben Fahrer aber deutlich mehr Auswahl: Sie können auf insgesamt 60.000 Ladepunkte in ganz Europa zugreifen. Dabei wird der Aufbau von der Politik gefördert. „Der Markt gibt das Wachstum her, selbst wenn wir unseren Job nur durchschnittlich gut machen“, sagt Schwaab. Dabei performe man bei Wirelane überdurchschnittlich, sagt der Gründer.
Der Hype rund um E-Autos befeuert auch die Konkurrenz. Ein Wirelane-Konkurrent ist zum Beispiel der Energieversorger EnBW, der größte Ladesäulenbetreiber Deutschlands. Nach Angaben der Bundesnetzagentur hat das Stuttgarter Unternehmen 2.855 Ladepunkte gemeldet. Siemens hat indes gerade einen Deal mit der BP-Tochter Aral abgeschlossen, um Ladesäulen an deren Tankstellen zu bauen. Und dann ist da natürlich Tesla: Das Unternehmen hat 1.000 Ladesäulen in Deutschland aufgestellt und breitet sich mit seiner Gigafactory Berlin weiter aus. Schwaab sieht das jedoch nicht als Bedrohung, sondern als Bestätigung. „The tide lifts all boats“, sagt er – es sei genug für alle da.
Auch, weil man sich am Markt mit scheinbar kleinen Details deutlich abheben kann. Im Fall von Wirelane ist das etwa das integrierte Kreditkartenterminal in der Ladesäule. „Das hört sich jetzt relativ banal an, aber da steckt ziemlich viel dahinter“, sagt Schwaab. Deutschland sei ein hochgradig reguliertes Umfeld, man müsse etwa das deutsche Eichrecht respektieren.
Sein Geld verdient Wirelane aber nur teilweise mit den Ladetransaktionen an sich. Zwar sind diese durchaus umsatzrelevant und auch für das Unternehmen wichtig, doch Schwaab hat sich auf ein weiteres Geschäft fokussiert, das deutlich profitabler ist: der Handel mit Treibhausgasquoten, kurz THQ. Wer von dem Start-up eine Ladesäule erwirbt, kann seine THG-Quote für sechs Jahre an das Unternehmen abgeben. Somit verkauft Wirelane die Ladesäulen quasi umsonst, bekommt aber die 80 % Förderung des Bundes – diese stammen aus der Kampagne „Ladeinfrastruktur vor Ort“. „Für uns bleibt dabei eine saftige Marge“, erläutert Schwaab. Ein Teil dieser Marge wird wiederum dafür verwendet, Kunden ihre Quote für weitere sechs Jahre abzukaufen. Diese Quote verkauft das Start-up dann an Mineralölkonzerne, die ihre Vorgaben nicht einhalten können und Wirelanes Zertifikate benötigen. „Da entsteht eine Überförderung, wenn man so will“, sagt Schwaab. Bis zu 20 Cent Erlös pro Kilowattstunde lassen sich so erzielen. Schwaab: „Das ist sehr, sehr viel.“
Das Modell gefällt auch den Investoren. Zu den Geldgebern in der jüngsten Finanzierungsrunde (über 18 Millionen €) gehören neben bestehenden Investoren wie dem Hightech-Gründerfonds auch Abacon Capital, das Investmentvehikel des Büll Family Office. Doch Schwaab hat auch selbst signifikant investiert: Fünf Millionen € steckte er bisher in Wirelane. „Ich verwalte nicht nur das Geld anderer Leute“, sagt Schwaab. Mit dem Geld soll vor allem das Team vergrößert werden.
Ein Blick in den Jahresbericht 2019 zeigt jedoch einen Jahresfehlbetrag von gut vier Millionen €. Profitabel ist das Start-up also trotz hoher Margen nicht – dieses Ziel soll erst 2023 erreicht werden. „Wir verlieren Geld; das ist aber auch so geplant“, sagt Schwaab. Die genauen Zahlen für 2021 will der Gründer nicht in der Öffentlichkeit verkünden, er prognostiziert aber einen Umsatz im hohen einstelligen Millionenbereich, für 2022 dann im zweistelligen Millionenbereich. Um entsprechend zu skalieren, sieht der Businessplan vor, diese Zahlen in den nächsten Jahren jeweils zu verdoppeln.
Wirelane ist bei Weitem nicht die erste Unternehmensgründung für den 42-jährigen Schwaab. Er studierte Politikwissenschaft in München, Genf und Barcelona, in „seinem“ Sektor arbeitete er jedoch nie. Vielmehr ging er gleich nach dem Studium unter die Unternehmer: 2005 gründete er die E-Commerce-Plattform Rebelio, die er 2007 an NYSE Euronext Loyaltouch verkaufte. 2013 folgte die nächste Gründung – und der nächste Exit: Schwaab baute die Ticketplattform Kinoheld auf, deren Mehrheitsanteile 2015 an den Eventdienstleister Eventim gingen; seit Mitte Oktober 2018 hält das Unternehmen 100 % der Anteile an Kinoheld.
Doch nicht nur E-Commerce, auch die Energiewirtschaft kennt Schwaab gut. Seit 13 Jahren ist er mit seinem Unternehmen Plain Energy im Bereich Solarkraft aktiv. Plain Energy betreibt in mehreren Ländern Solarparks. „Ich habe meinen Platz hier gefunden“, so der Gründer über die Energiebranche, „ich will hier nicht mehr weg.“ Deshalb arbeitet er weiter an seiner Vision, eine lückenlose Ladeinfrastruktur für E-Autos aufzubauen. Bis das erreicht ist, will Schwaab keine Pause einlegen. Ihm würde sonst langweilig werden – er habe ja nur drei Kinder, sagt er lachend.
Wenn er tatsächlich mal nicht arbeitet, bringt er seiner Tochter Skateboardfahren bei oder er nimmt an Triathlon-Wettbewerben teil, hat da seinen Ehrgeiz aber mittlerweile reduziert. Distanzen über 225 Kilometer absolvierte er früher, das gehe heute nicht mehr. „Das ist Schmarrn“, so der Münchener. „Man kann nicht drei Kinder haben, ein Unternehmen in dieser Intensität führen und parallel auch noch Extremsport betreiben.“ Trotzdem verschwimmen die Grenzen zwischen Ambition, Vision und Manie bei Schwaab immer wieder mal, wie er selbst sagt – vor allem in Phasen, in denen viel bewegt und umgesetzt wird.
Constantin Schwaab
... studierte Politikwissenschaft in München, Genf und Barcelona. Er gründete 2005 die E-Commerce-Plattform Rebelio und 2015 den Tickethändler Kinoheld – beide Unternehmen verkaufte er. Zudem startete Schwaab 2007 Plain Energy, einen Betreiber von Solarparks.
2016 gründete er in München das Start-up Wirelane.
So wie eben jetzt. Denn neben dem Aufbau der Ladeinfrastruktur hat Schwaab konkrete Pläne für die nächsten Schritte von Wirelane.
So plant das Start-up einen Börsengang. Dafür wurde mit Abacon Capital bereits ein Investor an Bord geholt, der durchaus Erfahrung mit Pre-IPO-Finanzierung hat. Abacon begleitete etwa den US-Konkurrenten Chargepoint in New York an die Börse. Schwaabs Plan ist, Wirelane bis Ende 2023 listen zu lassen – sobald die Profitabilität erreicht wurde. Schwaabs Kalkulation geht so: Mit einem Umsatz im niedrigen zweistelligen Millionenbereich erhält Wirelane eine niedrige dreistellige Unternehmensbewertung. Unter dieser Schwelle sei der Aufwand, die Berichtspflichten an der Börse einzuhalten, schlicht zu groß. Der Druck an den Kapitalmärkten ist selbst für etablierte Unternehmen wie Tesla enorm hoch. Doch Schwaab lässt sich nicht abschrecken.
Und Elon Musk? Der ist für Schwaab noch immer Vorbild: „Musk ist ein Impulsgeber für eine ganze Generation von Unternehmern. Auch wir haben uns viel von ihm abgeguckt.“ Und wer weiß – vielleicht kommt es ja bald auch wieder zu einem persönlichen Treffen der beiden E-Mobilitätsfans …
Text: Sophie Schimansky
Fotos: Dirk Bruniecki
Dieser Artikel erschien in unserer Ausgabe 7–21 zum Thema „Smart Cities“.