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Seit einem Jahrzehnt leitet Hikmet Ersek Western Union, das größte Unternehmen für Geldtransfers weltweit. Der österreichisch-türkische Geschäftsmann weiß, wie man sich über Grenzen hinweg bewegt – im digitalen Zahlungsverkehr wie auch in seinem Privatleben.
Wie aus dem Nichts taucht ein Kästchen auf, das uns wissen lässt, dass die Zeit für unser Videotelefonat fast abgelaufen ist. Auf der anderen Seite des Bildschirms sitzt Hikmet Ersek in einem Anzug in seinem Haus in Denver, Colorado. „Wenn wir uns persönlich für das Interview getroffen hätten, könnten wir jetzt überziehen. Oder Sie würden sagen: ‚Das reicht, ich habe andere Dinge zu tun!‘“, sagt der CEO von Western Union lachend. Ersek musste sich wie viele andere durch Corona an eine gänzlich neue Art des Arbeitens gewöhnen. Sein Tag ist nun mit Videotelefonaten gefüllt – manchmal sind es zehn pro Tag. „Die bedeutendste Veränderung für mich ist, dass ich nicht mehr weltweit unterwegs bin. Ich bin jetzt seit 35 Jahren im Geschäft, und genauso lange reise ich fast wöchentlich“, so Ersek. „Ich mag Menschen und verbringe gerne Zeit mit ihnen.“
Für ein Unternehmen, das sein Geschäftsmodell auf physischer Nähe zu den Kunden aufgebaut hat, macht Erseks Denken sehr viel Sinn. Unter seiner Führung wurde Western Union einer der größten Akteure im Geschäft für internationale Geldtransfers, insgesamt ist das Unternehmen in 200 Ländern tätig. 2018 bewegte Western Union über 300 Milliarden US-$ – das sind 34 Transaktionen pro Sekunde. Western Union steht für schnelle Geldüberweisungen ohne Bankkonto. Versender können entweder an einem physischen Standort von Western Union (seien es Supermärkte oder Postämter) oder online Geld einzahlen. Was eine Hilfestellung für zahlreiche Menschen ist, deren Verwandte und Freunde im Ausland leben, ist jedoch auch umstritten: Kritiker sagen, das Unternehmen profitiere von Flüchtlingen und Wanderarbeitern, die sich auf Western Union verlassen, um Geld an ihre Verwandten zu schicken.
„In meiner Pension gehe ich zurück nach Wien, das ist sicher.“
Hikmet Ersek, Western Union-CEO
Nach Angaben der Weltbank liegen die durchschnittlichen Kosten für eine Überweisung von 200 US-$ bei 6,8 %. Laut Sustainable Development Goals sollte dieser Wert bis 2030 auf weniger als 3 % sinken, damit das verfügbare Einkommen von Migranten erhöht wird. Banken sind mit 10,9 % Gebührenkosten immer noch die teuersten Kanäle für Überweisungen, während Geldtransferanbieter wie Western Union etwa 5,8 % verlangen. Während des gesamten Interviews verweist der 60-jährige Ersek auf seinen Hintergrund, der ebenso international ist wie das Unternehmen, das er nun seit über einem Jahrzehnt führt: Erseks Mutter ist Österreicherin und Katholikin, sein Vater ein türkischer Muslim; Erseks Frau ist halb Inderin und halb Österreicherin, seine Schwägerin ist aus Chile geflüchtet. „Ich nenne uns ‚Doppelzugehörige‘: Wir gehören zu mehreren Orten, und deshalb sehen wir die Welt aus unterschiedlichen Perspektiven“, sagt Ersek, in dessen Hintergrund eine riesige Weltkarte zu sehen ist. Es ist diese Mischung, das Schmelztiegel-Dasein, die Ersek als Manager ausmacht. Er sieht sich als Sprachrohr für die migrantische Bevölkerung, nicht nur durch seine Arbeit bei Western Union, sondern auch durch seine eigene Geschichte. „Ich sage immer, Immigration ist nicht das Problem, sondern die Integration“, so Ersek. In den letzten Jahren verfolgt er die Situation in Europa jedoch zunehmend besorgt: „Wir müssen Migranten das Gefühl geben, Österreicher zu sein, und sie nicht gegen uns stellen“, sagt Ersek. „Ich bin Österreicher. Ich bin Patriot. Ich bin aber kein Nationalist – das ist ein großer Unterschied.“
Trotz dieser Bedenken (und der Tatsache, dass er 8.000 Kilometer entfernt wohnt) bezeichnet Ersek Österreichs Hauptstadt immer noch als sein Zuhause. Er wurde zwar in Istanbul geboren, zog jedoch 1980 nach dem Ende der politischen Unruhen in der Türkei für sein Studium nach Wien. An der Wirtschaftsuniversität Wien absolvierte er sein Masterstudium der Volks- und Betriebswirtschaftslehre. Sein Leben finanzierte sich Ersek mit semiprofessionellem Basketball.
Zeitweise trainierte er sechs bis sieben Stunden pro Tag, während er sich frühmorgens oder spätabends in den Unterricht schleppte. Ersek heuerte schließlich bei Europay/Mastercard an – sein erster Ausflug in die Finanzdienstleistungsbranche. Damals versuchte das Team noch, eine einfache Frage zu beantworten: Werden Geschäfte und Restaurants Kreditkarten akzeptieren? Zehn Jahre später wechselte er zu General Electric Capital und wurde schließlich zum National Executive in Österreich und Slowenien ernannt.
Hikmet Ersek
... wurde in Istanbul geboren und studierte in Wien. Seit 2010 ist er CEO des US-amerikanischen Zahlungsdienstleisters Western Union.
Heute sieht der Markt für Zahlungsverkehr jedoch ganz anders aus als jener, den Ersek nach seinem Abschluss kennenlernte. Mobile Angebote florieren, und auch Western Union hat in den letzten Jahren versucht, seine digitalen Kompetenzen auszubauen: durch Partnerschaften mit Unternehmen wie Amazon etwa, oder die jüngst abgeschlossene Übernahme eines 15-%-Anteils an einer Mobile-Wallet-Tochter der Saudi Telecom Company für 200 Millionen US-$. Es ist ein Versuch, seinen Platz zu behaupten, denn die Konkurrenz wächst. Neben den europäischen Fintech-Start-ups Revolut und Transferwise finden sich auch US-Konkurrenten wie Remitly und Moneygram. Gleichzeitig kämpft Western Union auch mit der wachsenden Diskussion über Digitalwährungen von Zentralbanken und Facebooks Libra-Projekt. „Kryptowährungen müssen reguliert werden wie alle anderen Währungen auch“, sagt Ersek. „Wenn Kryptowährungen von Unternehmen verwendet werden, ohne reguliert zu werden, bin ich kein Fan davon. Es könnte sofort zu einem Bereich werden, in dem Geldwäsche und Schwarzgeld stattfinden.“
Die Ironie: Western Union hat eine ähnliche Vergangenheit hinter sich. 2017 wurde das Unternehmen in eine Geldwäscheuntersuchung verwickelt, was Western Union schließlich in einem Vergleich 586 Millionen US-$ kostete. Jahrelang wurde das Netzwerk des Unternehmens von Betrügern und Kriminellen mittels gefälschten Einkäufen, betrügerischen Gewinnspielen und Zahlungen an Menschenhändler missbraucht. Western Union wurde vorgeworfen, ein Auge zuzudrücken, selbst wenn es klare Anzeichen gab, dass die eigenen Mitarbeiter beteiligt waren. „Mein größtes Augenmerk lag darauf, diese Dinge zu bereinigen und unsere Compliance-Programme zu verbessern. Wir haben dafür 5 bis 6 % unseres Umsatzes investiert. In den fünf Jahren bis 2019 entfielen rund 25 % in unserer Belegschaft auf Stellen im Bereich Compliance“, so Ersek.
In Wirklichkeit machen wir eine Nische in der Nische.
„Das war definitiv ein herausforderndes Jahr“, sagt er über 2020. „Wir haben uns für unsere Kunden eingesetzt, damit die Regulierungsbehörden Western Union als essenziellen Service anerkennen. Es ist wichtig, dass die Menschen ihren Liebsten Geld schicken, damit diese zum Arzt oder ins Krankenhaus gehen oder besorgen können, was auch immer sie benötigen.“ Das Unternehmen litt darunter, dass die Menschen zu Hause blieben, Migranten in den Gastländern keine Arbeit mehr fanden und die Gesamtzahl der Transaktionen zurückging. Western Union verzeichnete erst im dritten Quartal einen Aufschwung, als der Umsatz von 1,1 Milliarden US-$ im Vorquartal auf 1,3 Milliarden US-$ stieg.
Das laut Weltbank bevorstehende schwache Wirtschaftswachstum, abwertende Währungen und Visabeschränkungen, die die Jobaussichten für Migranten und Flüchtlinge einschränken, könnten den Ausblick für Ersek jedoch trüben. Laut Weltbank könnte all das zu einem Rückgang von 14 % bei den Überweisungsströmen führen, wobei die am stärksten betroffenen Regionen in Europa und Zentralasien sein dürften. Es ist eine Prognose, der Ersek widerspricht: „Ich glaube, dass sie zu pessimistisch sind.“
Dennoch: Pandemie hin oder her, Menschen müssen Geld überweisen. Ersek scherzt, wenn er sagt, dass er irgendwann „in den nächsten 100 Jahren“ in Pension gehen wird. Auch wenn der Zeitpunkt noch nicht klar ist, eines steht fest: „Ich gehe zurück nach Wien, das ist sicher.“
Text: Olivia Chang
Fotos: Western Union
Dieser Artikel erschien in unserer Forbes Daily "Wiener Wirtschaft".