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Vor 25 Jahren hatte Gregor Demblin einen folgenschweren Unfall. Wusste er damals bereits, dass er Jahre später eine erfolgreiche Firma gründen würde, durch die er vom damaligen Ereignis sogar profitieren sollte? Wir haben den Unternehmer gefragt.
Griechenland, Sommer 1995. „Die Sonne stand schon tief, als wir zurück an den Strand kamen. Völlig überhitzt hatte ich nur einen Wunsch: So schnell wie möglich ins Meer!“ Ein schneller Hechtsprung mitten in die Wellen hinein endet für Gregor Demblin fatal – der junge Österreicher ist ab diesem Zeitpunkt nämlich querschnittsgelähmt. Kaum ein körperlicher Schaden ändert das Leben eines Menschen so radikal – innerhalb eines Augenblicks ist man für die Bewältigung des Alltags von anderen abhängig; vieles, was bis zu jenem Moment selbstverständlich erscheint, endet.
Wie schwer ein Mensch getroffen wird, hängt letztendlich von zwei Faktoren ab: Einerseits entscheidet die Höhe der Schädigung im Rückenmark. Eine Verletzung im Halsmarkbereich trifft alle vier Gliedmaßen. Was noch schlimmer ist: Die Rumpf- und Zwischenrippenmuskulatur sind beeinträchtigt, und die Atmung. Die Medizin spricht dann von einer Tetraplegie. Der zweite Faktor ist das Ausmaß der Schädigung. „Solange es einem gut geht, glaubt man gar nicht, was man alles verlieren kann. Ich habe innerhalb eines Augenblicks alles verloren“, sagt Demblin heute. Doch es ist nicht das Ende, sondern der Anfang von etwas Neuem für den damals 18-Jährigen, der Jahrzehnte später zahlreiche Auszeichnungen erhält. Denn 2009 steigt er mit seinem Unternehmen Career Moves, welches heute Teil der Myability Social Enterprise GmbH ist, zum Unternehmer auf. Unter myability.jobs findet sich heute sogar die laut eigenen Angaben größte Jobplattform für Menschen mit Behinderung im deutschsprachigen Raum.
All jene Informationen führen zur heutigen Geschichte von Gregor Demblin, dem Chief Visibility Manager der Firma Myability (übersetzt in etwa „meine Fähigkeit“) – nur so lässt sich verstehen, welche Willensleistung der heute 44-Jährige zeigte und was ihn antreibt. Denn als Folge seiner Verletzung drohen Demblin Depressionen, völlige Resignation oder gar Schlimmeres. Dazu kommen körperliche Beschwerden: Demblin verbringt ein Jahr in der Reha und erkennt, dass sich sein Zustand nicht mehr ändert. Es ist, wie es ist. Neue Hoffnung findet er anderswo: Mit Myability berät er heute andere Unternehmen in Fragen der Inklusion. „Ich habe die Vision einer chancengerechten Welt für Menschen mit Behinderung. Dann soll es keinen Unterschied mehr machen, ob jemand einen Rollstuhl benutzt oder eine Brille trägt.“
Den aktuellen Wandel sieht Demblin als Chance: „Technologie gibt uns die Chance, das Leben von Menschen mit Behinderung massiv zu verbessern.“ Ein Beispiel: In seiner Erinnerung ist Demblin vor über 20 Jahren der Erste an der Universität Wien, der seine Abschlussarbeit per Sprachsoftware diktiert. „Das war damals unendlich kompliziert“, sagt er. Heute haben Technologien, die uns im Alltag nützlich sein können, große Fortschritte gemacht.
Doch mit der Inklusion ist es so eine Sache: Mal ist sie angeblich zu teuer, dann zu langwierig. Die spannende Aufgabe lautet: Wie lässt sich das verändern? Gregor Demblin und seine Mitarbeitenden agieren als Türöffner, als Überzeugende, die Skeptiker in den Unternehmen einfach mitnehmen. Inklusion soll zur gelebten Realität werden.
Laut der Europäischen Strategie zugunsten von Menschen mit Behinderungen (mittlerweile in der „Strategie für Menschen
mit Behinderungen“ aufgegangen) ist das Problem größer, als die meisten vermuten: „Jeder sechste Mensch in der Europäischen Union hat eine leichte bis schwere Behinderung. Das sind rund 80 Millionen Menschen, die oft durch Barrieren an der vollen Teilhabe an Gesellschaft und Wirtschaft gehindert werden.“ Weiter heißt es in dem Papier: „Bei Menschen mit Behinderungen liegt die Armutsquote um 70 % über dem Durchschnitt.“ Das bedeutet aber auch: Hier gibt es einen gigantischen Markt, Unternehmen von den Fähigkeiten und Möglichkeiten dieser Menschen zu überzeugen. Gregor Demblin nutzt die Chancen, die andere übersehen.
Er schreibt: „Barrierefreiheit bedeutet, dass Menschen mit und ohne Behinderung gleichberechtigt an der Gesellschaft teilhaben, doch der Begriff ist umfassender: Gebrauchsgegenstände, Dienstleistungen, Medien und Freizeitangebote müssen so gestaltet sein, dass sie für alle ohne fremde Hilfe zugänglich sind.“ Was fehlt? „Ein strategischer Zugang zum Thema Behinderung und Barrierefreiheit, zur Bewusstseinsbildung und zum Know-how-Aufbau“, so Demblin. Anders gesagt: Ein Zugang zur „Zielgruppe als potenzielle Kundschaft oder Mitarbeitende“. Über 250 Partnerunternehmen aus dem DACH-Raum nutzen die Dienste von Myability heute. Im Fokus steht stets der soziale Impact für Menschen mit Behinderungen.
Gregor Demblin
...studierte Philosophie und gründete 2009 Career Moves, die erste inklusive Jobplattform Europas.
Wenn wir über Inklusion sprechen, gibt es da immer noch zahlreiche Erlebnisse, die zeigen, dass wir noch einiges zu tun haben. Die New York Times erzählt von einem Fall: Da ist der Sohn Autist und möchte die zweite Klasse einer Regelschule besuchen. Die Rektorat tut viel, um dem Jungen das zu ermöglichen: Er wird in einer kleineren Klasse als üblich beschult, man gewährt ihm wöchentlich fünf Stunden Sprachtherapie und 180 Minuten mit einem Sonderschullehrer. Eine Vollzeithilfskraft wird eingestellt, welche in einer speziellen Kommunikationstechnik geschult wird. Doch es reicht nicht – am Ende des Jahres wird entschieden, dass der Junge in eine Sonderklasse für autistische Kinder gehört. Was lässt sich bei diesem Fall besser machen – und wie schwierig ist dann erst die Situation für Menschen mit Handicap, die auf dem ersten Arbeitsmarkt Fuß fassen wollen und sich nicht mit einer schlecht bezahlten Stelle in einer „Behindertenwerkstatt“ abfinden möchten?
Die größte Plattform nach Art von Myability gibt es in den USA: „Disabled Person“ vermittelt Jobs für Menschen mit Behinderung. Die Organisation ist gemeinnützig und verlangt Geld für Jobschaltungen. Das Motto: „Community, not Profit driven“.
Demblin hat eine andere Mission. Als Unternehmer will er Geld verdienen. Das tut Myability heute als Full-Service-Unternehmensberatung rund um die Themen Inklusion und Disability-Management. Mit 30 Mitarbeitern – fast die Hälfte hat selbst eine Behinderung – steigerte das Team den Umsatz in den letzten fünf Jahren jährlich um durchschnittlich mehr als 50 %. Auch 2020 erzielte Myability ein positives Ergebnis. Doch wovon träumt Demblin, wenn er an seine Zukunft denkt? „Ich hoffe, dass Exoskelette eines Tages so gut werden, dass ich mit meinen Kindern in die Berge gehen kann.“
Text: Matthias Lauerer
Fotos: Myability
Dieser Artikel erschien in unserer Ausgabe 7–21 zum Thema „Smart Cities“.