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Die Wiener Linien sind in puncto Klimaschutz einer der führenden Verkehrsbetriebe Europas. Doch damit gibt sich das Unternehmen nicht zufrieden: Mit einem umfassenden Maßnahmenpaket möchte man das Stadtbild Wiens nachhaltig verändern. Die gesetzten Schritte reichen von der großflächigen Nutzung von Solarenergie und der Errichtung eines Wasserstoffzentrums bis hin zur Erweiterung des U-Bahn-Netzes und zur Digitalisierung der Ticketsysteme. Zahlreiche wirksame Maßnahmen der „Greener Linien“ sollen helfen, die ambitionierten Klimaziele der Wiener Verkehrsbetriebe zu erreichen.
Bis zum Jahr 2040 will die Stadt Wien zur Gänze klimaneutral sein. Dass die Wiener Linien (mit täglich etwa 2,6 Millionen Fahrgästen das größte städtische Verkehrsunternehmen Österreichs) ein elementarer Baustein bei der Erreichung dieses Ziels sind, ist klar. Trotz zahlreicher bereits laufender Anstrengungen ist der Weg zur Klimaneutralität aber noch ein weiter. Alexandra Reinagl, Geschäftsführerin der Wiener Linien, ist sich der Herausforderungen bewusst: „Es ist ein sehr ambitioniertes Ziel und wir haben die Chance, einen bedeutenden Beitrag zu leisten. Mit den ,Greener Linien‘ schärfen wir das Bewusstsein bei den Wienerinnen und Wienern dafür, wie wichtig die Öffis im Kampf gegen die Klimakrise sind. Voran kommen wir nur, wenn alle mitmachen.“
Das Thema Nachhaltigkeit wird bei den Wiener Linien schon seit Langem großgeschrieben – denn wer öffentliche Verkehrsmittel nützt, schützt das Klima. Darüber hinaus gibt es viele weitere „Greener Linien“-Maßnahmen – von der Begrünung von Stationen und Haltestellen bis hin zur Ansiedlung von Bienen, um aus ungenutzten Grünflächen Lebensräume zu machen.
Analog zur enormen Dimension des Themas rund um den Klimaschutz sind auch die Pläne der Wiener Linien umfangreich. Es wird an vielen Stellschrauben gleichzeitig gedreht, um das Ziel eines (noch) grüneren Verkehrs so rasch wie möglich zu erreichen. Auch zu diesem Zweck steht man in einem engen Austausch zu anderen Verkehrsbetrieben in Österreich und Europa und versucht, voneinander zu lernen und sich zu beraten.
Doch Erfolgsrezepte aus anderen Ländern, etwa einen Umstieg auf E-Busse wie in den Niederlanden, lassen sich nicht immer einfach auf Wien umlegen. Das liegt unter anderem an der speziellen Topografie der Stadt, wie Reinagl erklärt: „Die Busse in Wien müssen auch Anhöhen wie den Laaer Berg oder den Kahlenberg abdecken. Das kann man nicht mit einer völlig ebenen niederländischen Stadt vergleichen.“ Es brauche hier entsprechend leistungsfähige Systeme. Neben den für die Fahrzeuge anspruchsvollen Routen ist auch der dichte Fahrplan ein Faktor. Was den Fahrgästen zugutekommt, entpuppt sich an anderer Stelle durchaus als Herausforderung: Die Busse fahren in dichten Intervallen und halten sich daher nur kurze Zeit in den Stationen auf, wodurch potenzielle Ladezeiten für E-Busse verkürzt werden. In Kombination mit den bisher noch sehr großen und schweren Batterien der E-Busse ist eine solche Lösung daher noch nicht auf allen Routen umsetzbar.
Der Wiener „heavy Traffic“ sorgt also dafür, dass man etwas weiter denken und Alternativen in Erwägung ziehen muss. Eine dieser Alternativen sind Busse mit Wasserstoffantrieb, wie sie in Wien nun im Rahmen eines Testbetriebs zum Einsatz kommen; ab 10. Jänner 2022 können auch die Fahrgäste den Bus testen. Im Norden Wiens wird ein Wasserstoffzentrum errichtet, während im Süden der Stadt ein Hotspot für E-Mobilität entsteht. Alexandra Reinagl ist vom eingeschlagenen Kurs überzeugt, wenn es auch nicht immer so schnell geht wie gewünscht: „Wir arbeiten mit Hochdruck an alternativen Lösungen für unsere Busflotte, doch das geht nicht von heute auf morgen. Wir haben über 500 Busse, aktuell gibt es noch keinen Anbieter in Europa, der uns entsprechend beliefern könnte. Da muss der Markt einfach noch nachziehen.“
Doch nicht nur die Busse der Wiener Linien, auch die zahlreichen Haltestellen und U-Bahn-Stationen werden zunehmend mit alternativen Energiequellen beliefert. So wird beispielsweise die Energie, die beim Bremsen eines U-Bahn-Zuges frei wird, über eine spezielle Anlage rückgespeist und für den Antrieb eines zeitgleich abfahrenden Zugs verwendet. Überschüssige Energie wird über die Brake-Energy-Anlage in das Wechselstromnetz der Wiener Linien weitergeleitet. Rolltreppen, Aufzüge und Leuchten in den Stationen werden so betrieben; sehr intensiv wird darüber hinaus auch die Nutzung von Solarenergie gefördert.
Wie viel Potenzial in einer großflächigen Nutzung von Solarenergie für die Wiener Linien schlummert, zeigt ein bereits laufendes Pilotprojekt bei der U-Bahn-Station Ottakring. Bis 2025 sollen weitere 20 Öffi-Gebäude zu Solarkraftwerken werden. Mit der Kraft der Sonne werden in den Öffi-Stationen Beleuchtungen, Rolltreppen und Aufzüge betrieben. „Hier hat sich viel getan“, erklärt Reinagl. „Die Idee mit Solaranlagen auf unseren Dächern gab es schon länger, doch Faktoren wie Statik und die Beschaffenheit des Gebäudes müssen zuvor geklärt werden. Die Photovoltaik-Offensive ist ein großer Schritt in Richtung Klimaneutralität.“
Die Kraft der Sonne liefert in den jeweiligen Stationen einen Großteil des benötigten Stroms. Die U1-Station Alte Donau soll gar der erste Standort werden, der ab Frühjahr 2022 durch eine Solaranlage mehr Energie produzieren wird, als er verbraucht.
„Mit den ,Greener Linien‘ schärfen wir das Bewusstsein dafür, wie wichtig die Öffis im Kampf gegen die Klimakrise sind.“
Alexandra reinagl, Geschäftsführerin der Wiener Linien
Doch das Projekt, das zweifellos die größte Aufmerksamkeit auf sich zieht, ist der Öffi-Ausbau „U2 x U5“. Die neue U-Bahn-Linie U5 von Karlsplatz bis Frankhplatz soll ab 2026 das bestehende Netz ergänzen, die neue U2 wird ab 2028 bis zum Matzleinsdorfer Platz reichen. In einer zweiten Baustufe wird die U5 bis nach Hernals und die U2 bis zum Wienerberg verlängert. Die Erweiterung wird das bestehende Öffi-Netz stärken und hoch frequentierte Linien entlasten. Die enorme Dimension und Wirksamkeit des Infrastrukturprojekts zeigen die Daten: Der Ausbau von „U2 x U5“ sichert den Bedarf an Platz in den Öffis nachhaltig. Mehr als rund 300 Millionen zusätzliche und insgesamt 1,3 Milliarden Fahrgäste pro Jahr können dann mit den Wiener Linien umweltfreundlich unterwegs sein. Die Stadt Wien erspart sich dadurch 550 Millionen Pkw-Kilometer pro Jahr. Durch die mögliche Verlagerung vom Auto auf die Öffis liegt das Einsparungspotenzial des U-Bahn-Ausbaus „U2 x U5“ bei bis zu 75.000 Tonnen Kohlendioxid pro Jahr. Um die gleiche Menge CO2 aufzunehmen, müsste ein Wald mit sechs Millionen 30-jährigen Bäumen gepflanzt werden – das entspricht einem Wald, der so groß ist wie die Fläche der Wiener Bezirke eins bis elf.
Ein derart umfangreiches Vorhaben bringt naturgemäß auch Einschnitte und Veränderungen im Stadtbild mit sich. Auch anfangs unpopuläre Maßnahmen sind Teil eines Bauprojekts dieser Größenordnung und lassen sich nicht immer vermeiden.
Reinagl plädiert jedoch dafür, auch angesichts einzelner erforderlicher Schritte nicht den Blick auf das große Ganze aus den Augen zu verlieren: „Investitionen in unsere Öffis sind aktiver Klimaschutz, und sie schaffen zahlreiche Chancen für eine klimafitte Stadtplanung, da ein öffentliches Verkehrsnetz Platz viel effizienter nutzt als der Autoverkehr. Weniger Autos in der Stadt heißt mehr Platz für mehr Grünflächen und lebenswerte Grätzel“, so die Managerin.
Weiters setzt man beim Bau auf eine minimalinvasive Bauweise, die Lkw-Fahrten quer durch die Stadt möglichst vermeidet. Das gesamte Erdmaterial, das die Tunnelbohrmaschine aushebt, wird über einen zentralen Schacht am Matzleinsdorfer Platz abtransportiert. Das erspart 20.000 Lkw-Fahrten durch die Stadt und 75 Tonnen CO2.
Zusätzlich wird geprüft, welche Baustellen während der Bauarbeiten begrünt werden können, um auch auf diesem Weg etwas zum Cooling und Greening der Stadt beizutragen.
Für die laufende Kommunikation mit den AnrainerInnen im Umfeld der U-Bahn-Baustellen setzen die Wiener Linien auf eigene GrätzelbetreuerInnen. Sie sind die Schnittstelle zwischen Baustelle und BewohnerInnen und haben ein offenes Ohr für die Anliegen der AnrainerInnen. Mit zahlreichen Vor-Ort-Terminen in den Bezirken wird laufend aktiver Dialog angeboten.
Ein zentraler Bestandteil der Klimaschutz-Ambitionen der Wiener Linien ist auch der Plan, durch ein hervorragendes Angebot den Besitz eines eigenen Autos für die BewohnerInnen der Stadt nach und nach obsolet zu machen. Das ambitionierte Ziel ist es, dass in 15 Jahren kein eigenes Auto mehr notwendig sein soll, sondern für alle Notwendigkeiten alternative Angebote zur Verfügung stehen.
Dies soll aber keineswegs bedeuten, Autos völlig zu verbannen, so Reinagl: „Manchmal ist ein Auto natürlich sehr praktisch, etwa um einen Ausflug ins Umland zu machen, auf Skiurlaub zu fahren oder große Möbel zu transportieren. Doch dafür kann man sich auch ein Auto ausborgen und muss nicht mit einem eigenen Fahrzeug wertvollen öffentlichen Raum besetzen.“ Abgesehen davon ist es an bestimmten neuralgischen Punkten durchaus sinnvoll, den öffentlichen Verkehr mit dem geteilten Individualverkehr zu verknüpfen. Insbesondere an diesen Punkten, die in Zusammenarbeit mit den Bezirken und mittels Bewegungsanalysen identifiziert werden, soll ein Angebotsmix verfügbar sein, der in Zukunft auch via WienMobil-App buchbar sein wird.
Außerdem wird mit weiteren möglichen Lösungen experimentiert: So werden für das Problem der „ersten und der letzten Meile“ Fahrradabstellboxen getestet, mit deren Hilfe die Menschen ihre Fahrräder sicher an U-Bahn-Stationen zurücklassen können. Zudem sind weitere Öffi-Projekte in weniger gut erschlossenen Stadtgebieten in Planung. „Wir probieren vieles aus und sehen, was gut klappt und wo wir noch nachschärfen müssen. Es gibt all diese Möglichkeiten, man muss den Leuten mehr Öffi-Angebote machen und zeigen, dass Mobilität auch so möglich ist, wenn man sich nur ein wenig umorganisiert. Es gilt, für jeden Bewegungszweck den richtigen Modus zu finden“, ist Reinagl zuversichtlich.
„Investitionen in unsere Öffis sind aktiver Klimaschutz. Weniger Autos
in der Stadt heißt mehr Platz für mehr Grünflächen und lebenswerte Grätzel.“
Alexandra Reinagl, Geschäftsführerin der Wiener Linien GmbH
Ein Bereich, in dem es noch viel Aufholbedarf gibt, ist jener der betrieblichen Mobilität. Zwar gibt es in Wien bereits mehr JahreskartenbesitzerInnen als zugelassene Autos, doch sind von allen Neuzulassungen mittlerweile fast 70 % Firmenfahrzeuge. Auch hier müsse man ansetzen, so Reinagl: „Die Leute müssen einen Anreiz haben, etwas zu ändern. Hier sind auch die Unternehmen gefordert, das sollte eine Mischung aus Push- und Pull-Faktoren sein.“ Neben einem Eintreten für strengere Dienstwagenvorschriften oder einem Überdenken steuerlicher Begünstigungen soll ein attraktives Alternativangebot Anreize für einen Umstieg schaffen. Reinagl ist überzeugt, dass maßgeschneiderte Produkte und viel Überzeugungsarbeit hier zu einem Umdenken führen werden: „Die Kommunikation muss aber auch in den Unternehmen passieren. Wir liefern Angebote und können begleiten – umsetzen müssen es aber die Firmen.“
Wer mit den Wiener Linien fährt, ist bereits heute zu 80 % mit Strom aus erneuerbarer Energie unterwegs, Tendenz steigend. Viele Wienerinnen und Wiener nutzen das Angebot und wissen um seine Vorteile. Doch Alexandra Reinagl weiß auch, dass noch ein weiter Weg zu gehen ist: „Das Ziel ist eine noch lebenswertere und grünere Stadt. Wir tun, so viel wir können, doch wir sind auch auf das Zutun der Menschen angewiesen. Als ,Greener Linien‘ wollen wir das Thema noch stärker in der Gesellschaft verankern. Die größte Fahrgemeinschaft Österreichs umweltfreundlich zu befördern geht nur, wenn die Menschen mitmachen.“
Text: Silvan Mortazavi
Fotos: Manfred Helmer, DnD Landschaftsplanung
Diese Advoice erschien in unserer Forbes Daily "Grüne Wirtschaft".