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Seit 20 Jahren beschäftigt sich Alexander Osterwalder, CEO des Beratungsunternehmens Strategyzer, mit Innovation und Geschäftsmodellen und entwickelte das bekannte Konzept „Business Model Canvas“. In Zeiten von Covid-19 kommt seiner Expertise besondere Bedeutung zu: Was kennzeichnet resiliente Geschäftsmodelle – und wie kann ein Unternehmen unbesiegbar werden?
Als Steve Sasson 1975 die von ihm entwickelte digitale Kamera dem Management des Kameraherstellers Kodak vorstellte, wurde er lediglich belächelt. Die Auflösung betrug 0,01 Megapixel, und um ein Bild zu speichern, benötigte das Gerät 23 Sekunden. Kodak, das den Markt für Kameras damals dominierte und in den 90er-Jahren zu den wertvollsten Marken der Welt gehörte, sah das Potenzial nicht, Sassons Idee wurde nicht weiterverfolgt – ein Fehler: 2012 war Kodak insolvent.
„Kodak ist untergegangen, weil sich das Unternehmen nicht ausreichend stark transformiert hat. Je größer die Gefahr der Disruption am Markt, desto mehr muss sich ein Unternehmen verändern“, erklärt Alexander Osterwalder, der 2010 zusammen mit Alan Smith das Beratungsunternehmen Strategyzer mit Sitz in Zürich gegründet hat. Als wir ihn für das Interview anrufen, ist er gerade im Auto in der Schweiz unterwegs. Aufgrund von Corona seien seine Reisetätigkeiten eingeschränkt, erzählt er. Normalerweise ist er global unterwegs, berät Kunden wie Fujitsu, SAP und General Electric dabei, bestehende Geschäftsbereiche zu erweitern, die Umsetzung innovativer Ideen risikoärmer zu gestalten und Teams so zu organisieren, dass sie Wachstum generieren und wettbewerbsfähig bleiben. Das gelingt laut Osterwalder aber nur jenen, die innovativ sind und es auch bleiben. Dass dazu mehr gehört, als in neue Technologien wie Blockchain oder künstliche Intelligenz (KI) zu investieren, stellt er schnell klar: „Viele Unternehmer sagen: ‚Wir investieren in Blockchain und KI, wir erfinden die Zukunft!‘ Das Problem dabei: Wenn man KI und Blockchain nur dazu benötigt, um ein bereits sterbendes Geschäftsmodell zu verbessern, stirbt man einfach nur effizienter.“
Das Hauptproblem vieler Unternehmen bestehe darin, dass Innovation in der Organisationsstruktur oft nur eine untergeordnete Rolle spiele. Als Positivbeispiel seiner Erläuterungen nennt Osterwalder immer wieder Peter Ma und seine chinesische Ping An Insurance Group: 1988 als Konglomerat in den Sektoren Versicherung, Finanzen und Banking gegründet, startete Ma 2008 einen Transformationsprozess hin zum Tech-Unternehmen. So setzte er 2013 etwa Jessica Tan, eine Absolventin der Eliteuniversität MIT und ehemalige Partnerin beim Beratungsunternehmen McKinsey, als Chief Innovation Officer (CIO) ein, 2018 übernahm sie die Rolle als Co-CEO. Seit Beginn der Transformation fährt Ma den Kurs, 1 % des jährlichen Umsatzes in F&E (Forschung und Entwicklung) zu investieren. „Eine Innovationskultur kann nur die Geschäftsleitung umsetzen. Wenn Innovation keine Macht hat, hat sie keine Chance“, so Osterwalder.
Der 46-jährige Schweizer beschäftigt sich seit 20 Jahren mit Innovation und zukunftsträchtigen wie wettbewerbsfähigen Geschäftsmodellen. In St. Gallen geboren, zogen seine Eltern mit ihm und seiner Schwester schon früh nach Kanada. Nach fünf Jahren folgte die Rückkehr in die Schweiz, Osterwalder begann mit 19 Jahren an der Universität Lausanne Wirtschaft zu studieren, wechselte dann zu Politikwissenschaft und arbeitete schließlich neben seiner Dissertation in Management Information Systems an der Universität Lausanne als Journalist beim Schweizer Wirtschaftsmagazin Bilanz und gründete mit Netfinance.com ein Portal, das Financial Literacy förderte. Als er bemerkte, dass seine Dissertation mit Fokus auf designwissenschaftliche Ansätze zur Konzeption von Geschäftsmodellen auf reges Interesse stieß und oft zitiert wurde, entschloss er sich 2009 gemeinsam mit seinem Doktorvater Yves Pigneur, die Ergebnisse in einem Buch zu veröffentlichen. Statt eines klassischen Verlags entschieden sie sich, das Buch über eine Crowdfunding-Kampagne zu finanzieren und selbst zu veröffentlichen. Der Erfolg ließ nicht lange auf sich warten: 2010 wurden die Rechte schließlich an Wiley verkauft, das Buch wurde klassisch vertrieben, in 36 Sprachen übersetzt und über 1,5 Millionen Mal verkauft. Die Tageszeitung USA Today zählte das Werk mit dem Titel „Business Model Generation“ zu den zwölf besten Wirtschaftsbüchern aller Zeiten. „So etwas kann man nicht voraussehen, da braucht es auch ein bisschen Glück“, so Osterwalder. „Wir waren mit unserem Konzept zur Strukturierung von Geschäftsmodellen nicht die Ersten – doch wir waren wohl die Rigorosesten und diejenigen, die die meiste Energie in die Einfachheit des Modells gesteckt haben.“
Alexander Osterwalder
...promovierte in Management Information Systems an der Universität Lausanne. 2010 gründete er das Beratungsunternehmen Strategyzer und brachte zudem bisher fünf Bücher über Innovation und zukunftsträchtige Geschäftsmodelle heraus.
Mit Alan Smith, der für die grafische Aufbereitung des Modells zuständig war, gründete Osterwalder dann schließlich Strategyzer. Derzeit beschäftigt das Unternehmen über 30 Mitarbeiter und kann je nach Projekt auf ein Netzwerk aus 100 internationalen Beratern zurückgreifen. In Zeiten von Corona verdoppelten sich die Aufträge, die sich nach Unternehmensangaben umsatzmäßig im sechs- bis siebenstelligen Bereich befinden. Vor allem Pharmaunternehmen investieren derzeit stark; das sei der größte Markt. Aufgrund der stark gestiegenen Nachfrage will Osterwalder die Mitarbeiterzahl verdoppeln in den nächsten zwölf Monaten.
Während der Pandemie veröffentlichte der Unternehmer zusammen mit Alan Smith, Yves Pigneur und Fred Etiemble sein mittlerweile fünftes Buch: „The Invincible Company“. Und das scheinbar zur rechten Zeit angesichts einer Pandemie, die die größte wirtschaftliche Krise der letzten Jahrzehnte hervorbrachte. Denn das Buch handelt davon, wie jedes Unternehmen unbesiegbar werden kann – dies, indem die bestehenden Geschäfte analysiert und in überlegene Geschäftsmodelle verwandelt werden sowie neues Wachstum durch Transformation und Innovation generiert wird. „Man darf nicht arrogant werden – man muss davon ausgehen, dass das Geschäftsmodell, das heute funktioniert, sterben wird. Man muss sich immer wieder neu erfinden. Zudem darf man sich nicht nur auf technische Innovation und neue Produkte oder Services verlassen, sondern muss sich auch auf neue Geschäftsmodelle fokussieren. Auch sollte man sich nicht mehr nur über eine Branche wie Pharma oder Banking definieren – das ist ein auslaufendes Modell. Apple bietet etwa nicht nur ein iPhone an, sondern ein ganzes Ökosystem an Unterhaltung.“ Die hundertprozentige Sicherheit, unbesiegbar zu sein, gebe es dabei aber nie, betont er. Vielmehr nähere man sich mit seinem „Rezept“ dem Ideal an. Doch wie lange dauert eine solche Transformation? „Je nach der Bereitschaft des Managements und je nach Umfang unterschiedlich lang. Manchmal geht es sehr schnell. Bei einer Transformation des ganzen Unternehmens – wie bei Ping An – dauert es länger, dort waren es sechs Jahre. Aber das ist Champions-League-Niveau – das bekommen nicht alle hin.“
Text: Andrea Gläsemann
Fotos: Strategyzer / Barbara Hess
Dieser Artikel erschien in unserer Ausgabe 11/12–20 zum Thema „Security“.