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Gastein atmet auf: Dem Stillstand in der Region weicht mit den internationalen Investoren eine neue Aufbruchsstimmung. In Zusammenarbeit zwischen Gemeinden, Land und Unternehmern soll nun die Zukunft des Tals gestaltet werden.
„Unverwechselbar“ – dieses Wort fällt immer wieder als Beschreibung für Gastein. Und tatsächlich ist die Region – und insbesondere das 4.000-Einwohner-Dorf Bad Gastein – in seinem Erscheinungsbild ziemlich speziell, denn Besucher werden hier von architektonisch einzigartigen Hotels und Gebäuden aus der Zeit der Belle Époque empfangen, die das kosmopolitische Flair einer Großstadt versprühen – von Großstadt ist aber keine Spur, denn die alpine Ortschaft schlängelt sich eigentlich entlang eines Felsens quasi vertikal nach oben; durch das Zentrum tost zudem ein Wasserfall 250 Meter in die Tiefe. Als „in den Fels gebaut“ bezeichnet der in Gastein aufgewachsene Franz Schafflinger, Vorstand der Gasteiner Bergbahnen, den Ort.
Dass sich in diesen unvorteilhaften Bedingungen schon früh eine Siedlung bildete, hat mit dem Thermalwasser, das dem Felsen entspringt, zu tun. Bereits in der Kaiserzeit kamen wohlhabende Besucher, um sich hier zu erholen. Gerhard Steinbauer, seit 2004 Bürgermeister von Bad Gastein, sagt deshalb auch: „Die Geschichte des Tals baut auf dem Thema Gesundheit auf.“ Die historische Gästeliste reicht vom persischen Schah über Kaiser Wilhelm I. bis hin zu Thomas Mann und dem Keksfabrikanten Hermann Bahlsen. Doch nicht nur die warmen Quellen brachten den Gasteinern früh Wohlstand: Auch die Gold- und Silbervorkommen, die vor allem im 16. Jahrhundert zahlreiche Menschen anlockten, begründeten den Reichtum.
Doch in den letzten Jahren war vom früheren Prunk wenig zu spüren. Das Dorf war abseits des tosenden Wasserfalls still, die spektakulären Gebäude blieben immer öfter leer. Nicht alle Versuche, auch weiterhin Besucher anzulocken, funktionierten, zudem uferten bei einigen Großprojekten, etwa dem Kongresshaus, die Kosten aus.
Anfang der 2000er-Jahre hatte Bad Gastein schließlich fast zehn Millionen € Schulden, eine kaputte Infrastruktur und quasi keine Perspektiven. Als dann Investoren Interesse zeigten, flackerte bei vielen Hoffnung auf. Repräsentative Immobilien im Stadtkern wurden verkauft, die Investoren zeigten aber entgegen ursprünglichen Versprechungen keinerlei Interesse an einer nachhaltigen Entwicklung der Objekte. Die Immobilien wurden sich selbst überlassen, verfielen und verfestigten somit die „morbide Stimmung“ der damaligen Tage, wie sie nicht nur die Hotelbesitzerin Bibiana Weiermayer-Schmid wahrnahm.
Das Gasteinertal
... ist ein 40 Kilometer langes Tal im Pongau in Salzburg. Es besteht aus den Gemeinden Bad Gastein, Bad Hofgastein und Dorfgastein und umfasst insgesamt rund 13.000 Einwohner. Das Tal ist vor allem für seine Thermalquellen, das Skigebiet sowie die reiche Kulturgeschichte bekannt.
Wer das Gasteinertal heute besucht, bekommt jedoch das Bild einer blühenden Tourismusregion zu sehen: Die Orte sind voller Skitouristen, die Immobilien im Ortskern werden aktuell umgebaut, die Gasteiner Bergbahnen investieren über die nächsten Jahre 135 Millionen € in Infrastrukturprojekte, unter anderem ein rund 28 Millionen € teures Verkehrskonzept, das Besucher unterirdisch zu wichtigen Knotenpunkten bringen soll. Die morbide Stimmung hat sich in eine Aufbruchsstimmung verwandelt, die Gemeinde ist mittlerweile schuldenfrei, Unternehmer und internationale Geldgeber investieren Schulter an Schulter in die Region, um sie für die Zukunft fit und erfolgreich zu machen. Gastein gestaltet sich um, die Eintracht wirkt fast schon kitschig. Was ist da passiert?
Auf die Familie Duval ist man in Gastein nicht gut zu sprechen. Der Wiener Franz Duval, der sein Vermögen mit Autogaragen machte, wurde einst als „Retter von Gastein“ gefeiert. In den 1990er-Jahren, als Bad Gastein um Bedeutung rang, kam Duval und kaufte mehrere Prunkimmobilien, darunter das Hotel Straubinger, das Badeschloss, das Haus Austria, das Postamt und das Kongresshaus – praktisch das gesamte Zentrum –, um einen Schnäppchenpreis von fünf Millionen €.
Er wollte renovieren – geschehen ist nichts. Bis 2017 standen die Gebäude einfach leer, wurden sich selbst überlassen, verfielen zunehmend und trübten das Ortsbild. Über die Motive des Wiener Geschäftsmanns lässt sich nur spekulieren. Gerüchten zufolge sei Duvals Familie im Zweiten Weltkrieg von Einheimischen an die Nazis verraten worden – er selbst habe sich auf diese Art rächen wollen. Belege gibt es keine; auch im Ort wird der Mantel des Schweigens um die Hintergründe gelegt. Zahlreichen Künstlern waren die Umstände egal – sie erkannten eine Chance, ihrer Kreativität freien Lauf zu lassen. Investoren ließen sich von Leerstand und engagierten Künstlern aber nicht anziehen.
Gerhard Steinbauer, der die Gemeinde 2004 als Bürgermeister übernahm, erinnert sich an seine ersten Tage. „Die Gemeinde hatte bei meinem Amtsantritt 9,5 Millionen € Schulden, die Infrastruktur war kaputt. Eigentlich war das ein hoffnungsloses Projekt.“ Steinbauer, im Brotberuf Lehrer, nahm die Herausforderung dennoch an. „Was wir in den letzten 15 Jahren geschafft haben“, so der ÖVP-Politiker, „ist schon besonders.“
Er legte viele Hebel um; das größte Problem, die ungenutzten Duval-Immobilien, blieb jedoch ungelöst – bis das Land Salzburg einschritt und 2017 drei der fünf Objekte für sechs Millionen € kaufte: das Hotel Straubinger, die alte Post und das Badeschloss. Angesichts des Kaufpreises und des Zustands der Immobilien kein Schnäppchen, für Gastein aber die Rettung. Die Objekte wurden renoviert und gingen ein Jahr später an die Münchner Hirmer-Gruppe. Bis 2023 muss die Immobiliensparte des Familienunternehmens laut Vertrag Hotels mit mindestens vier Sternen entwickeln, um die Nutzung sicherzustellen.
7,5 Millionen € waren der Kaufpreis, weshalb das Land nicht nur seine sechs Millionen € zurückbekommen hat, sondern auch die Investitionen, die bis zum Weiterverkauf passiert sind. „Das Land hat mit dieser Entscheidung wirklich Mut bewiesen“, sagt Steinbauer. „Da kann man nur dankbar sein.“
Der Verkauf hatte Signalwirkung: Das ebenfalls legendäre Hotel Mirabell wird von Immobilienunternehmer Christian Ebner renoviert, der selbst zugibt, dass seine Investition eine direkte Folge des Engagements der Hirmer-Gruppe war. Zudem entstanden im Hotel Miramonte und im Hotel Hirt hippe Unterkünfte, die das Angebot auch für ein junges, urbanes Publikum erweiterten. Dass die neuen Investoren aus der Nähe kommen, ist für Steinbauer positiv: „München ist ja quasi ein Vorort von Bad Gastein“, lacht der Politiker; Ebner selbst ist zudem Salzburger.
Der Befreiungsschlag ermöglichte auch die Umsetzung weiterer Schlüsselprojekte. So soll ein neues Verkehrskonzept helfen, die Mobilität der Gäste vor Ort zu verbessern – denn Bad Gastein funktioniert eigentlich vertikal: Von einem zum anderen Ende des Ortes müssen rund 100 Höhenmeter überbrückt werden. Das wollen Bürgermeister Gerhard Steinbauer und Franz Schafflinger von den Gasteiner Bergbahnen mit einer revolutionären Idee ändern: einem unterirdischen Förderband. Aufzüge bringen an Knotenpunkten – etwa dem Bahnhof, dem Stadtzentrum oder der Seilbahn – die Gäste in die Tiefe. Dort laufen in beide Richtungen Förderbänder, wie man sie auch von Flughäfen kennt. „Ähnliche Projekte gibt es bereits, etwa im Grödnertal. Wir wissen also, dass
das funktioniert.“
Die Kosten belaufen sich auf 27,8 Millionen €, wobei diese durch Optimierungen der Trassen womöglich noch fallen könnten, so Steinbauer. 62,7 % der Kosten trägt die Gemeinde, die Bergbahnen unter der Führung von Franz Schafflinger decken 23,7 % ab. „Wir kommen damit auf rund 85 % Eigenkapital“, so Schafflinger. „Zudem wurde beschlossen, dass die Entwicklungsgesellschaft rund vier Millionen € als Fremdkapital aufnehmen darf.“
Es ist nur eines von mehreren Projekten, die Schafflinger verantwortet: Insgesamt investieren die Gasteiner Bergbahnen nämlich über die nächsten fünf Jahre 135 Millionen € in der Region. Den größten Brocken machte dabei nicht das Verkehrskonzept, sondern der Neubau der Seilbahn „Schlossalmbahn“ in Bad Hofgastein aus: 2018 fertiggestellt, kostete das Projekt 85 Millionen €. Neben der Seilbahn umfasst es auch einen Speicherteich sowie zusätzliche Pistenkilometer. Die Förderkapazität wurde dabei von 1.400 auf 3.000 Personen pro Stunde mehr als verdoppelt.
Für Schafflinger ist das kein Selbstzweck. Vielmehr sieht er Investitionen in wichtige Infrastruktur – etwa in das Verkehrskonzept oder die neue Schlossalmbahn – als Signal. „Große Investitionen in die Infrastruktur haben Signalwirkung. Sie symbolisieren einen Glauben an die Zukunft.“ Das dieser Glaube auch bei der Bevölkerung vorhanden ist, zeigte ein Experiment: Ursprünglich sollten 500.000 € über Crowdfunding für die Seilbahn eingenommen werden. „Der Erfolg überraschte uns jedoch“, so Schafflinger: Es wurden 1,5 Millionen € erreicht (die Maximalsumme laut Alternativfinanzierungsgesetz), weitere 1,1 Millionen € nahm man über eine Gutscheinaktion für Stammkunden ein.
Auch unter den Hoteliers ist die Aufbruchsstimmung nicht zu leugnen. Olaf von der Wettern, der für die schwedische Janus-Gruppe mehrere Hotels in Bad Gastein leitet und zugleich Obmann des Kur- und Tourismusverbands Bad Gastein ist, sagt etwa: „Wir haben als Region nun eine große Entwicklung vor uns. Und wenn man diese Entwicklung dann auch noch mitgestalten kann – dann ist das großes Kino.“
Im Hotel Salzburgerhof sitzend erzählt der gebürtige Deutsche, dass es zwar nie große Einbußen hinsichtlich der Nächtigungen gegeben habe. (Und tatsächlich: Bad Gastein lag seit der Saison 2014/15 stets bei rund 1,1 Millionen Nächtigungen pro Jahr, Bad Hofgastein kommt auf einen ähnlichen Wert; im Wintertourismus sind beide Gemeinden nahe den Top-20-Destinationen Österreichs.) Doch er betont, dass nun viel Potenzial gehoben werden könne. „Wir sind keine Destination für Massentourismus, wollen wir auch gar nicht sein. Aber sowohl quantitativ als auch qualitativ ist nun wieder Luft nach oben.“
Dass auf Bad Gastein in Zukunft eine Identitätskrise zukommen könnte – wenn die hippen, jungen Großstädter auf ältere Kurgäste und Skitouristen aus Skandinavien treffen –, sieht von der Wettern nicht als Gefahr: „Wir setzen auf Qualität, wir setzen aber auch auf Vielfalt. Das eine schließt das andere ja nicht aus.“ Die Betonung der Qualität ist auch strategisch: Während die Betriebe eine steigende Auslastung sehen, sinkt in Gastein – wie auch im Rest Österreichs – die Wertschöpfung. Höhere Qualität ist eine der Möglichkeiten, diesem Trend zu begegnen.
Um ein Schicksal wie in Tourismus-Hotspots wie Hallstatt zu vermeiden, will Bibiana Weiermayer-Schmid darauf achten, dass das Verhältnis von Einwohnern zu Gästebetten im Rahmen bleibt. Aktuell sieht die Obfrau des Kur- und Tourismusverbands Bad Hofgastein keine Probleme, kämen doch auf rund 7.000 Einwohner in ihrem Ort ebenso viele Gästebetten. „Wir haben aktuell ein Verhältnis von 1:1.“ Doch Weiermayer-Schmid betont, dass die Region „gesund wachsen“ wolle, ein Verhältnis von 1:1,5 sei denkbar und möglich. Dass andere Orte Werte von 1:6 oder 1:7 erreichen – das sei eine Situation, die Weiermayer-Schmid vermeiden möchte. Schafflinger stimmt dem zu: „Wenn sich Gäste und Einheimische treffen, dann ist das genau dieser Austausch, der Mehrwert bringt.“
Mit den Yoga-Tagen sowie der Ausrichtung der Trailrunning-Weltmeisterschaft will Weiermayer-Schmid Akzente setzen, die auch für ein jüngeres, sportaffines Publikum reizvoll sind. Denn egal, ob alt oder jung, für die Obfrau ist die Tradition der Region genauso ihre Zukunft. Gesundheit soll somit auch in den nächsten Jahren ein wichtiges Thema für das Tal bleiben. Sie wolle den „sportaffinen Wellness- und Gesundheitstouristen“ ansprechen, so Weiermayer-Schmid. Und auch Steinbauer betont diesen Fokus: „Die Geschichte des Ortes baut auf dem Thema Gesundheit auf.“ Neben diesem Angebot ist es für den in Gastein geborenen Schafflinger aber die generelle Vielfalt, die die Region bietet: „Unser Ziel ist es, Vielfalt für den Gast zu schaffen.“
Der Zeitplan, den man sich für die Umsetzung der großen Projekte gesteckt hat, ist ambitioniert: Die Hirmer-Gruppe will ihre Hotels Anfang 2023 eröffnen, zur gleichen Zeit soll auch das Verkehrskonzept der Gemeinde Bad Gastein fertig sein. Doch Gastein muss auch in der Zukunft Herausforderungen meistern. Eine solche ist die Thematik des Wohnraums, insbesondere jene der Zweitwohnsitze, die viele Tourismusgemeinden beschäftigt: Vermögende Ausländer kaufen sich Wohnungen, melden diese als Zweitwohnsitze an, nutzen sie dann aber selten oder nie. Das verknappt in einem sowieso schon natürlich begrenzten Ort den Wohnraum, weshalb die Preise steigen und Einheimische oft keine andere Wahl haben, als wegzuziehen.
Steinbauer ist bestrebt, solche Entwicklungen zu verhindern: 2016 stoppte er zwei Hotelbauprojekte (die Baubehörde verhängte eine dreijährige Bausperre, um prüfen zu können), weil er versteckte Aparthotels vermutete, die wiederum als Zweitwohnsitze genutzt werden könnten. Die Projektbetreiber berufen sich auf das Gesetz; alle Vorgaben seien eingehalten worden.
Dass das Land Salzburg die entsprechenden Gesetzestexte kürzlich anpasste – eben, um die Problematik zu entschärfen –, erleichtert die Fälle nicht. „Wenn man sich die Pläne ansieht, ist zu bezweifeln, dass es sich dabei um ein Hotel handelt“, sagte Steinbauer 2016 zum Kurier. Doch Steinbauer sieht sich durch die Umstände in seiner Linie bestätigt: „Wir haben hier fast keine Option, Bauland auszuweiten. Durch solche Vorgehensweisen werden somit lediglich die Preise in die Höhe getrieben.“ Einheimischen dann noch leistbaren Wohnraum zu verschaffen, sei schwer bis unmöglich.
Auch abseits dessen bleiben Fragen ungelöst. So gehören das Hotel Austria und das Kongresshaus weiterhin der Familie Duval – was genau mit diesen Objekten passieren soll, ist unklar. Entscheidend ist aber vermutlich etwas anderes: Es herrscht wieder Optimismus im Gasteinertal. Es wird investiert, sei es Zeit oder Geld, und die Menschen glauben, dass die nächsten Jahre viel Wachstum und Erfolg bringen werden.
Und wer die Geschichte der Region betrachtet, sieht, dass die nun anstehenden Herausforderungen gegenüber den bereits gelösten eine einfache Übung sein dürften. Für 2025 wünschen sich die hier ansässigen Akteure jedenfalls eine blühende Region, ein revitalisiertes Zentrum von Bad Gastein und ein gutes Image. Steinbauer ist zuversichtlich: „Das ist heute kein naiver Wunsch mehr, sondern wird langsam, aber sicher Realität.“ Auch von der Wettern freut sich auf die nächsten Jahre: „Ich hoffe, dass sich die Arbeit der letzten Jahre ausgezahlt hat und wir vielleicht ein kleiner Teil dabei waren, um den Aufschwung der Region zu ermöglichen.“
Text: Klaus Fiala
Fotos: Verena Voetter, Gastein Tourismus