FROM WIESBADEN WITH LOVE

Obwohl er noch kein Album veröffentlicht hat, sind seine Konzerte ausverkauft. Kelvyn Colt wechselt in seinen Liedern ohne Qualitätsverlust zwischen Deutsch und Englisch und will Hip-Hop mit Liebe und Inklusivität neu prägen.

Europaweit sind monolinguale Menschen – also solche, die nur eine Sprache sprechen – mittlerweile in der Minderheit, denn 19 % aller Europäer sind bi­­lingual, sprechen also zwei Sprachen, 25 % sind trilingual und 10 % sprechen mehr als drei Sprachen. Dennoch war unsere Welt die längste Zeit von Monolingualität dominiert. Filme, Musik, Medien – alles passiert in Deutschland auf Deutsch, in Frankreich auf Französisch, in ­England auf Englisch. Es gibt meist nur „ent­weder oder“, selten „sowohl als auch“.

Und so kommt es, dass eine neue Generation von Künstlern Sprachen so nutzt, wie sie diese im Alltag erleben – nämlich als Werkzeuge, die man auch abwechselnd verwenden kann. Der Spanier Kidd Keo rappt neben Spanisch auch akzentfrei auf Englisch, und auch in Deutschland gibt es einen vergleichbaren Kandidaten: Kelvyn Colt. In seinem Song „Down Like Dah“ fällt nach einem englischsprachigen Teil etwa folgende Zeile: „Neue Welle Rap in Deutschland / überrascht, dass Kelvyn Colt auch Deutsch kann.“ Immer wieder wechselt Colt mühelos zwischen Deutsch und Englisch und stiftet dadurch nicht nur Irritation, sondern erntet viel Zuspruch bei seinen Zuhörern. Denn er ist in beiden Sprachen zu Hause, bleibt in beiden Sprachen im Takt. Es wirkt nicht unnatürlich – weil es eben nicht unnatürlich ist.

Kelvyn Colt ist das Cover der Juni-Ausgabe 2019 „30 Under 30“ (Deutschland)

Es ist dieses Unerwartete, Unorthodoxe und Ungewöhnliche, das Kelvyn Colt ausmacht. Der Mann ist eigentlich ein lebender Widerspruch: ein deutscher Musiker, der nicht in Deutschland lebt und vorrangig auf Englisch musiziert. Ein Rapper, der nicht Partys und Autos, sondern Depressionen und Liebe thematisiert. Ein aus Wiesbaden kommender Deutsch-Nigerianer, der sich in der ganzen Welt zu Hause fühlt. „Viele Leute fragen sich: Was ist seine Daseinsberechtigung?“, sagt Kelvyn Colt, als wir ihn im Rahmen der „Forbes 30 Under 30“-Events in Wien zum Interview treffen. Mit 14 Millionen Streams auf Spotify, 327.000 monatlichen Hörern, sieben Millionen Views für zwei Youtube-Videos (auf dem Kanal von Colors, einer Plattform für aufstrebende Künstler) sowie ausverkauften Konzerten in halb Europa ist Kelvyn Colt mittlerweile zu groß, um nur eine Randerscheinung zu sein. Auch, weil der 25-Jährige für seine Fans all das verkörpert, wonach sie suchen: jemanden, der in mehreren Kulturen lebt, der „ihre“ Themen anspricht, der neben cooler Mucke auch eine Message unter seinen Zuhörern verbreiten will.

Doch der Beweis, dass Deutschland, Europa und die Welt tatsächlich bereit sind für einen Musiker wie Kelvyn Colt, steht trotz Aufwärtstrend noch aus. Seine Daseinsberechtigung hat Kelvyn Colt. Doch hat er auch das Zeug zum globalen Superstar?

Kelvyn Colt, Rapper, Forbes 30 Under 30 2019, Deutschland Liste

Kelvyn Colt
... wuchs als Kelvyn Ajala in Wiesbaden auf. Nach einem nicht erfolgreichen Versuch, Rechtswissenschaften zu studieren, ging Colt nach London, wo er an der University of Buckingham das Studium Business Enterprise betrieb. Zeitgleich arbeitete Colt in London an seiner Karriere als Musiker. Aktuell lebt er aus seinem Koffer und treibt mit seinem Unternehmen Triple Black Heart Gang seine Musikkarriere voran.

When he gets angry or passionate, Kelvyn Colt switches back to English. Even though he’s a German native, having been born and raised as Kelvyn Ajala in Wiesbaden, English is his first language. It’s the language that was spoken at his childhood home, it’s where he feels most comfortable. His mother is German, his father, an orphan from Nigeria, came to Germany at the age of 19. He “was a true hustler”, as his son describes it today. Colt’s mother graduated from high school, did her “Fremdsprachenkorres­pondentenausbildung” (a word so quintessentially German Colt switches back to German for it) – and had her first son at the age of 20. “My life was always up and down”, says Colt. His parents made a living off their jobs. Then they wanted more and opened a restaurant. Things looked up for the family – until the restaurant had to file for bankruptcy. But like many working-class parents, Colt’s parents were committed to providing a better life for their son. After high school, Colt started to study law. He quickly realized it wasn’t for him, however – he wanted to make music, hoped to do so in the United States. But his parents would only let him go away if he went to university. US universities were out of reach financially, so Colt chose the University of Buckingham. It was a pragmatic choice on his way to making music full-time: Buckingham is only 90 minutes away from London, so close enough to explore the city’s music scene. And: The undergraduates degrees there only lasted for two instead of the usual three years.

Colt chose Business Enterprise, as “every musician is an entrepreneur” in his eyes. As part of the course, he had to start a business. Without any contacts in the music industry, Colt had relied on promoting himself for the longest time. This was also the focus of his company: He developed a social media tool that was comparable to a recent form of the now discontinued Instagram tool Instagress. “I wanted a business that runs itself so I could focus on my music.” Colt’s solutions helped social media accounts to interact with others organically, so they could gain reach and followers. In the end, he says his business was the only one in the course that actually turned a profit in the end.

This job turned into a freelance marketing gig, in which Colt worked with some larger brands and started earning some serious money. At the same time, Colt was still working as a shopfloor salesman for Michael Kors. He tried to climb the corporate ladder – but failed. “One day, I finally got to the head office, but no one wanted to spare even five minutes to talk to me, because in their eyes, all I was was a salesman.” Colt quit his job and began to pursue music full-time.

Die Menschen konsumieren Musik heute anders. Ich bin einfach noch nicht an einem Punkt angelangt, wo ein Album Sinn ergibt.

Es sei heutzutage einfacher denn je, an der Musikbranche teilzunehmen, so Colt. Durch Tools wie Spotify und Instagram habe jeder Zugang zu Öffentlichkeit und der damit verbundenen Reichweite. Zugleich sei es aber schwerer denn je, aus der enormen Geräuschkulisse, die so viel Teilnahme von Mu­­sikern aller Art erzeugt, herauszustechen. Auch, weil er sich selbst mit dem Thema Unternehmertum befasst hat, überlegt sich Colt daher genau, wann was notwendig ist, um den nächsten Schritt in seiner Karriere zu machen.

Dass er beispielsweise 1.000 Tickets pro Konzert verkauft (wie zuletzt bei einem Auftritt in Berlin) und obendrauf jede Menge Merchandise, obwohl er noch kein einziges Album veröffentlicht hat, sei eine bewusste Entscheidung: „Die Menschen konsumieren Musik heutzutage ganz anders. Ich bin noch nicht so weit, dass ich das Gefühl habe, dass es der richtige Zeitpunkt ist, ein Album zu veröffentlichen.“ Überhaupt zeigt sich an Colt als Vertreter einer neuen ­Musikergeneration, welche Relevanz Streaming als Einkommensquelle und als neuer Trendsetter der Musikbranche mittlerweile hat.

So würden viele Künstler Musik machen, um auf einflussreiche Playlists aufgenommen zu werden, die wiederum ihre Reichweite deutlich steigern können. Colt: „Das versuche ich zu vermeiden.“ Da Colts Texte vorrangig Englisch sind, bleiben ihm die reichweitenstarken Deutschrap-Playlists auf Spotify (etwa „Modus Mio“ mit 1,1 Millionen Followern) verwehrt. Das sei aber auch ein Vorteil, so Colt: „Meine Zahlen sind nicht playlist-based, sondern fan-based.“

Und: Colt pocht darauf, dass sein Tun und seine Musik eine Message haben müssen. Das findet natürlich auch bei Millennials Anklang, ­denen Künstler, die nur gut klingen, oder Marken, die nur cool sind, zu wenig sind. Und es gefällt den Medien. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung beschrieb Colt als „grundsympathischen Typ, interessiert und reflektiert“, die deutsche Vogue betitelte den Artikel „Kelvyn Colt ist die (deutsche) Zukunft des Hip Hop“, Noizz spricht vom „bi­lingualen Rap-King“, Vice sagt: „London und ­Berlin haben ein Kind gezeugt“.

Kelvyn Colt, Rapper, Forbes 30 Under 30 2019, Deutschland 3

To ensure that his success doesn’t fade in the fast-paced music business, Kelvyn Colt leads his operation not like a career, but like a company. While he himself is the founder of the so-called “Triple Black Heart Gang” (the name of the operation behind Colt), his manager Line Rindvig leads the business. “We see Kelvyn as a brand, he’s a business and I run this business.” Colt employs an unusually large team of eight people. Besides himself – Colt is referred to as the artist and the art director – and Rindvig (his manager), there’s his DJ/Producer, a person dedicated to fan and brand activations, a video­grapher, a head of touring, a German tour manager, a video­grapher and a publicist. For now, the bet’s paying off. Colt is known for his strong relationship with his fans. This goes beyond streaming, with TBHG also organizing meetups. At the same time, his numbers are growing, while his concerts are selling out most of the time. Also, Colt’s closed deals for collaborations with Reebok, Havana Club and Louis Vuitton amongst others and received the YouTube Germany Music Artist To Watch 2019 Award. Still, Colt’s not done. “I don’t know if I’ll ever have the feeling of having made it. The world is such a big place, there’s still so much to do.”

Rindvig agrees: “We operate in a total of four territories – Germany, France, the United Kingdom and the United States. We have partners in each territory who work locally with us on building Kelvyn’s profile, streaming numbers and fan base. In Germany, we are happy with the growth of his fan community and profile but are still struggling to get recognized by and within the German music scene.” Ironically, the (supposed) future of a genre that has mostly defined itself through money, cars and bling bling does not want to define his success by commercial measures.

Rather, Colt wants to have impact and influence his community by promoting positivity, inclusiveness and love. In many ways, Colt is the antithesis to rap music. Or its future. And if ­nothing else, he’s doing something new. “I’m basically the first to do what I’m doing: English-speaking rap out of Germany. We’re paving the way for other artists.”

Kelvyn Colt ist Mitglied der Forbes DACH 30 Under 30-Liste 2019. Mehr über Kelvyn Colt lesen.

Der Artikel ist in unserer Juni-Ausgabe 2019 „30 Under 30“ erschienen.

Klaus Fiala,
Chefredakteur

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