Friedhof der Wolkenkratzer

New York City war stets die Heimat großer Konzerne – doch die Mitarbeiter sind heute nur schwer aus dem pandemiebedingten Homeoffice zu locken und die Unternehmen haben durch Corona gelernt, dass das effektive Arbeiten von zu Hause viel Geld spart. Viele Firmen haben permanente Fernarbeit oder hybride Arbeitsformen angekündigt und begonnen, ihren physischen Fußabdruck zu verkleinern. Diese Verschiebungen führen dazu, dass Bürogebäude zu gestrandeten Vermögens­werten werden. Was wird aus nagelneuen, teuren Wolken­kratzerstädten wie Hudson Yards?

Der Wolkenkratzer 50 Hudson Yards ragt 78 Stockwerke, über 300 Meter, in den Himmel über New York City. Die Sonne spiegelt sich in der gläsernen Fassade. Der 3,8 Mrd. US-$ teure Turm aus Stahl und Glas wurde im Oktober von New Yorks Bürgermeister Eric Adams feierlich eröffnet und ist Teil von Hudson Yards, einem 25 Mrd. US-$ schweren Bauprojekt im Westen Manhattans. „Die Er­öffnung von 50 Hudson Yards ist ein weiterer wichtiger Meilenstein für den anhaltenden wirtschaft­lichen Aufschwung von New York City“, sagte Bürgermeister Adams. „Einige der größten Unternehmen der Welt haben sich in dieses Gebäude ein­gemietet und senden damit ein klares Signal, dass sie Vertrauen in die Zukunft unserer Stadt haben und ihre Präsenz in der groß­artigsten Stadt der Welt ausbauen wollen.“ Der Tower erstreckt sich über einen gesamten Block und ist der viertgrößte Büroturm in New York City.

Der Entwickler Related Companies schreibt, dies seien die New Yorker Büros der Zukunft. Sie sollen Heimat und Hub für Tech-Unternehmen wie Meta und Hedgefonds wie Citadel werden. Auf der Website bewirbt der Immobilienentwickler zudem mit 50 Hudson Yards einen „neuen Standard für den Arbeitsplatz der Zukunft – von natürlichem Licht durchflutete Büros und Sky-­Lobbys“. Der Turm verfügt über Außenterrassen und bietet „einen atemberaubenden Blick auf den Hudson River“. 50 Hudson Yards wird eines der wenigen Gebäude an der West Side von Manhattan sein, in denen mehr als 500 Personen pro Etage Platz finden.

Aktuell sind immerhin 84 % der insgesamt rund 270.000 Qua­dratmeter (2,9 Millionen Squarefoot) Bürofläche in 50 Hudson Yards gemietet. – von sehr nam­haften Unternehmen wie dem größten Vermögensverwalter der Welt, Blackrock, der etwa 90.000 Qua­dratmeter belegen wird, und der Facebook-Mutter Meta, die 110.000 Quadratmeter angemietet hat. Zu den weiteren Mietern gehören Vista Equity Partners, Trust Financial, Service Now, Passkey und XTX Markets. Jeff T. Blau, CEO von Related Companies, sagt, die Nachfrage zeige, „dass New York City seinen Ruf als führendes globales Innovationszentrum wei­ter festigen kann“.

Doch nicht überall läuft es so gut wie in Hudson Yards. „Die Verfügbarkeit in der Innenstadt ist mit 20,2 % auf einem Rekordhoch“, sagt Franklin Wallach, Geschäftsführer bei der Maklerfirma Colliers. „Es handelt sich um ältere Gebäude in den Straßenschluchten der Wall Street; da sehen wir große Leerstände.“

Eine Studie der New York Uni­versity und der Columbia University zeigt: Die physische Bürobelegung in den wichtigsten Märkten der USA fiel von 95 % Ende Februar 2020 auf 10 % Ende März 2020 und ist seither auf einem niedrigen Niveau geblieben, das erst Mitte September 2022 allmählich wieder auf gerade mal 47 % stieg. In gewisser Weise ist New York, der größte Büroflächenmarkt des Landes mit über 50 Mil­lionen Quadratmetern, besonders gefährdet: Hier ist es extra teuer. Stijn Van Nieuwerburgh, Professor für Immobilienwirtschaft an der Columbia Business School, rechnet der New York Times vor, dass Büroflächen in New York im Durchschnitt etwa 16.000 US-$ pro Jahr und Mitarbeiter kosten. „Das ist richtig viel Geld“, sagt er. „Die Unternehmen werden versuchen, das zu sparen. Wir sehen, dass viele Mieter ihre Mietverträge nicht verlängern und ganz ausziehen oder ihre Mietverträge zwar verlängern, aber für weniger Fläche unterschreiben.“ Van Nieuwerburgh hat gemeinsam mit Kollegen an der New York ­University eine Studie veröffentlicht, wonach der Wert von Büro­gebäuden in den USA in den kommenden Jahren um 39 % oder 454 Mrd. US-$ sinken könnte. In New York City könnte es zehn Jahre dauern, bis die Immo­bilien wieder den Wert von 2019 erreicht haben, so eine Anfang Oktober veröffentlichte andere Studie des National Bureau of Economic Research.

Korrigiert am 8.2.23: 270.000 Quadratmeter (2,9 Millionen Squarefoot)
In einer früheren Version des Artikels waren die Sqaurefoot nicht korrekt in Quadratmeter umgerechnet.

Denn die jüngsten Zahlen zur Büronutzung zeigen: Es ist kaum Besserung in Sicht. Das Haus­verwaltungsunternehmen Kastle Systems ermittelte den durchschnittlichen Anteil der Arbeitnehmer, die an einem durchschnittlichen Wochentag in den Büros in Manhattan anwesend sind, auf etwa 49 % der Büroangestellten, die an ihren Schreibtischen saßen – die Nachfrage nach Büroräumen ist demnach stark zurückgegangen. Festgestellt wurde zudem, dass nur 9 % der Arbeitnehmer wirklich fünf Tage pro Woche im Büro waren – eine Zahl, die wahrscheinlich noch niedriger wäre, wenn nicht die großen Banken und Wall-Street-­Firmen Anwesenheit vorschreiben würden. Die US-Bürovermietungs­branche könnte viel länger brauchen, um sich zu erholen, als die übrige Wirtschaft, da die Arbeit­nehmer auch nach Abklingen der Pandemie weiterhin von zu Hause aus arbeiten werden wollen.

Um sie ins Büro zu locken, braucht es attraktive, luftige Gebäude – Mitarbeiter wollen es modern, offen, weitläufig. Das können die alten Gebäude aus den 70ern und 80ern nicht bieten. Die Unternehmensberatung KPMG belegt derzeit rund 800.000 Quadratmeter Fläche in 345 Park Avenue, wo sich der weltweite Hauptsitz befindet, sowie in 560 Lexington Avenue und 1350 Sixth Avenue. Die Unternehmens­beratung plant, ihren Hauptsitz bis Ende 2025 an die West Side von Midtown Manhattan zu ver­legen und damit ihre Bürofläche um über 40 % zu reduzieren. Am neuen Hauptsitz, im brandneuen 58-­stöckigen Gebäude Two Man­hattan West, wird KPMG rund 450.000 Quadratmeter auf zwölf Etagen mieten. Die neuen Büro­räume werden den mehr als 5.500 in New York ansässigen Mitarbeitern einen mit modernster Technologie ausgestatteten Arbeitsplatz bieten. Das ist einer der größten Miet­verträge, die in diesem Jahr in New York City unterzeichnet wurden.

Der KPMG-Deal verdeutlicht die harte neue Realität für Gewerbeimmobilien. Solche Unternehmen seien nach wie vor bereit, viel Geld für moderne Büroflächen mit mehr Annehmlichkeiten, Außenbereichen und Energieeffizienz auszugeben, sagt David Falk, Präsident der NY-Tri-State-Region beim Beratungs- und Dienstleistungsunternehmen für Gewerbeimmobilien Newmark. Er ist seit drei Jahr­zehnten bei Newmark und kennt den Markt wie kaum ein anderer. Falk weist auf den einst prestige­trächtigen Korridor der 3rd Avenue zwischen der 42. und 59. Straße hin – hier ist der Leerstand besonders deutlich. Vor allem alte Ge­bäude stehen hier, gebaut in den 50er- bis 80er-Jahren. Die Straßen sind deutlich leerer als vor der Pandemie; 29 % der Fläche stehen laut der Brokerage-Firma Savills aktuell leer. Der Leerstand hat sich innerhalb eines Zeitraums von vier Jahren verdoppelt.

Nick Farmakis, Vizepräsident bei Savills, nennt diese Gebäude „Leave-behind Space“, also „zurückgelassene Flächen“. 11 Broadway zum Beispiel, ein Hochhaus an der Spitze von Manhattan, gleich beim berühmten Bullen gelegen, hat schuh­karton­große Büros mit fens­terlosen Räumen und alten Heizsystemen. Das passt nicht zu jungen, modernen Unternehmen der New-Work-Generation. Wenn Unternehmen sich entscheiden, in Manhattan zu bleiben, wollen sie neue Gebäude, sagt auch David Falk – und das gelte nicht nur für Tech-Unternehmen: „Gleich mehrere traditions­reiche Wall-Street-Anwaltskanzleien haben Mietverträge in neuen Gebäuden unterzeichnet, die zu ihrem Image passen und auch ihren Mitarbeitern eine aufregende neue Umgebung bieten“, so Falk.

Ein weiteres Beispiel ist die Musikstreaming-Plattform Spotify. Das schwedische Unternehmen beschäftigt 4.676 Mitarbeiter in den USA, davon 1.492 in NYC. Das New Yorker Büro liegt im Herzen des Finanzdistrikts im Four World Trade Center. „Auf mehreren Etagen haben wir genug Platz zum Arbeiten, Ausruhen und Spielen. Und nein, der Panoramablick über die Stadt wird uns nie langweilig, niemals“, schreibt das Unternehmen auf seiner Website. Spotify lässt sich den Spaß die hohe New Yorker Miete kosten, verschweigt aber die absolute Zahl. Mattias Stålhammar, Senior Director Global Workplace Services, sagt dazu: „Die Mieten in unseren strategischen Märkten steigen und sinken, aber unsere Mietverträge sind langfristig, sodass sich die Veränderungen in beiden Fällen nicht sehr stark auf uns auswirken.“ Es sei eine be­wusste Entscheidung, die Zentren beizu­behalten, um den Mitarbeitern, die Spotify „Bandmitglieder“ nennt, attraktive Büros zu bieten.

„Unsere physischen Räume fördern unsere Kultur, anstatt sie zu definieren“, sagt Anna Lundstrom, Vizepräsidentin HR bei Spotify. Mattias Stålhammar sagt speziell über New York, es sei das Zentrum von Kultur, Technologie und Unterhaltung: „Wir haben schon früh darauf gewettet, dass eines unserer technischen Zentren in New York City sein würde, und heute ist es unser größtes Büro mit den meisten Mitarbeitern.“ Und das preist Spotify so an: „Wir haben Musikräume zum Anhören von Musik, einen Workshop-Raum – und egal, wo du arbeitest, du hast immer einen fantastischen Blick auf die Stadt. Spotify würde es nicht anders haben wollen!“

David Falk sagt, es gebe neben Hudson Yards einen weiteren Gewinner im Gemetzel des Immobilienmarktes: Industrious, ein Wework-Konkurrent. Industrious ist ein Anbieter von flexiblen Büroflächen und Co-Working-Spaces. Das Unternehmen wirbt damit, mehr Flexibilität zu bieten, weil es Räume für kürzere Zeiträume als traditionelle Vermieter anbietet. Zu den Industrious-Kunden im ganzen Land gehören Cisco, Lyft, Spotify, Heineken, Chipotle, Pinterest und Salesforce. 2020 sei auch für Industrious ein schwieriges Jahr gewesen, sagt CEO und Gründer Jamie Hodari; aber dann wurde ihm klar, dass die Nachfrage im Markt für kommerzielle Immobilien sich wandeln würde, hin zu flexiblen Modellen, weg von langfristigen Mietverträgen. Diese unflexiblen Fixkosten wollten in der Pandemie nur die wenigsten Unternehmen eingehen. Das verhalf Industrious zur Expansion. Das Unternehmen gab mitten in der Pandemie im November 2020 bekannt, dass es um ein gesamtes weiteres Gebäude am Herald Square in der West 37th Street expandiert. Damit ist die Fläche von Industrious in New York um knapp 5.000 Quadratmeter auf insgesamt 40.000 Quadratmeter gewachsen. Aktuell hat Industrious eine Warteliste für seine 22 Offices in New York City – das Unternehmen vermietet einzelne Büros für Selbstständige oder aber sogenannte Suites für größere Teams. „New York ist für uns bei Weitem die leistungsstärkste Großstadt des Landes, seit Covid begonnen hat, und sogar stärker als vor der Pandemie. Unser Umsatz pro Schreibtisch ist im Vergleich zu vor der Pandemie um 20 % gewachsen“, so Hodari.

„Die Verfügbarkeit in der Innenstadt ist mit 20,2 % auf einem Rekordhoch“, sagt Franklin Wallach, Geschäftsführer bei der Maklerfirma Colliers.

Das Heikle am Geschäfts­modell von Wework und Indus­trious aber ist: Oft gehen diese Unternehmen selbst langjährige Miet­verträge ein und können die Flächen dann nicht weiter­vermieten. Wework verlor dabei eine Menge Geld; die Prognosen über die Größe des Marktes waren zu optimistisch gewesen.

Jamie Hodari hat dieses Geschäftsmodell nach eigener Aussage „immer kritisch gesehen und es angepasst“: „In den ersten fünf Jahren des Unternehmens haben wir Mietverträge mit Ver­mietern abgeschlossen, genau wie andere Wettbewerber. Doch ich fing an, mich sehr unwohl zu fühlen mit dem Modell, denn es erinnerte mich an die Hotelbranche in den 60er- und 70er-Jahren, wo die Leute Pacht­verträge unterzeichneten und das in absoluten Pleiten für die Hotels endete.“

Was die Hotelbranche damals rettete, wende nun auch Industrious an, sagt Hodari – der Wework-­Zerfall sei der „Tritt in den Hintern“ für ihn gewesen, um das Modell auf Managementverträge umzustellen. Industrious unterschreibt keine Mietverträge mehr, alle Ausgaben und Einnahmen gehen weiter an den Vermieter oder Besitzer. In diesem Fall ist Industrious der Betreiber und wird je nach ab­fallendem Umsatz beteiligt. Das Risiko, wenn es schlecht läuft, liegt damit beim Eigentümer; das große Geld, wenn es gut läuft, aber auch. Industrious sieht sich nun nach eigenen Angaben einem großen Andrang gegenüber, hat in fünf Investmentrunden 422 Mio. US-$ eingesammelt. Das Unternehmen hat laut der Datenbank Privco eine Bewertung im Bereich von 500 Mio. bis eine Mrd. US-$. Industrious kaufte in den vergangenen Jahren fünf Un­ternehmen.

Während Industrious mit seinen flexiblen Modellen expandiert, leiden viele der Vermieter der klassischen Manhattan-Tower. Noch immer sind die Straßen in Man­hattan Midtown kaum voller als zu Lockdown-Zeiten, selbst zur ­Mittagszeit. Und obwohl es angenehm ist, dass die Straßen nicht mehr überfüllt und die Schlangen am Coffeestore kurz sind, hat es Manhattan doch sehr stark verändert, das Homeoffice.

Fotos: Sasha Charoensub

Sophie Schimansky,
Deputy Editor in Chief

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