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Reinhold Messner war schon vieles: Bergsteiger, Abenteurer, Politiker. Macht er nun als Filmemacher den nächsten Schritt?
Wer so oft und so lange schweigt, hat am Ende vielleicht mehr zu sagen. Und so ist ein Gespräch mit Reinhold Messner insofern interessant, als die Frage noch kaum zu Ende gestellt ist, bevor einer der bekanntesten Abenteurer der Welt mit seiner Antwort loslegt. Diese Antworten bekommen wir von dem Südtiroler in seiner Heimat. Denn wir treffen Messner an diesem sonnigen Freitag in den Gemäuern von Schloss Sigmundskron (oder Castel Firmiano – je nachdem, wen man fragt). Die ausgedehnte, spätmittelalterliche Festungsanlage liegt, umgeben von grün bewaldeten Hügeln, unweit von Bozen und bildet seit 2006 das Zentrum des vom Bergsteiger initiierten und finanzierten Messner Mountain Museum (MMM). Neben dem Standort in Firmian bestehen sechs weiteren „Satelliten“, die sich alle dem Thema Berg sowie der Beziehung des Menschen zu diesem befassen.
Dass er sich gerade diesem Thema widmet, dürfte nicht weiter erstaunen. Seine Vita zeigt, wie präsent das Thema in seinem Leben war und ist: Er bestieg als erster Mensch (gemeinsam mit dem Österreicher Peter Habeler) ohne Flaschensauerstoff den Mount Everest; er stand als erster Mensch auf allen Gipfeln der vierzehn Achttausender; er erklomm als erster Mensch einen Achttausender (Nanga Parbat, Anm.) alleine; er erreichte als erster Mensch den Mount Everest im Alleingang (und erneut ohne Flaschensauerstoff). Zudem durchquerte der Südtiroler die Antarktis, Grönland und die Wüste Gobi, war als Politiker, Lehrer und Forscher tätig – und zuletzt als Museumsgestalter.
Doch wie würde sich Messner angesichts all dessen selbst beschreiben? „Ich würde sagen, ich bin ein Freelancer des Abenteuers. Ich gehe meinen Leidenschaften nach und tue das, was ich gerne tue.“ Was er gerne tut, ändert sich aber ziemlich regelmäßig. Aktuell beginnt er nach eigener Angabe sein siebtes Leben: „In meiner Kindheit war es das Klettern, dann habe ich die höchsten Berge der Welt bestiegen. Es folgte die Durchquerung der großen Sand- und Eiswüsten, bevor ich eine Periode im EU-Parlament verbrachte. Später habe ich die Bergvölker erforscht, dann dieses Museum auf die Beine gestellt. Und jetzt mache ich Filme.“ Kletterer, Bergsteiger, Abenteurer, Politiker, Forscher, Museumsgestalter und Filmemacher. Rastlos würden manche sagen, aktiv andere. Messner ist jedenfalls ein Mensch, der nicht nur weiß, was er will, sondern von sich und seinen Projekten auch vollends überzeugt ist. Das zeigt sich, als er über das MMM spricht: „Natürlich steckt der Ehrgeiz dahinter, das eine Museum zu machen. Ich habe mich nie mit weniger begnügt, wollte immer die Tour oder das Museum machen – etwas mit Alleinstellungsmerkmal. Ich denke, es ist legitim, sich an hohen Ansprüchen zu messen.“ Ist seines denn das beste Bergmuseum? Messner: „Das kann man nicht messen, aber es ist sicher das erfolgreichste Bergmuseum weltweit.“
Berühmt wurde Messner vor allem durch seine enorm hohe Präsenz in der Öffentlichkeit und den Medien, in denen er sein Tun, seine Gedanken und Meinungen ungewöhnlich offen reflektierte. Sein Talent zur Selbstvermarktung machte ihn zu einer Berühmtheit, die weltweit für große Höhen und das Überschreiten von Grenzen steht. Dennoch ist der Mann nicht ganz einfach zu greifen. Denn neben seinen zahlreichen Fans – während des Interviews kommen etwa zwei Kinder vorbei, die um ein Autogramm bitten – gibt es auch zahlreiche Kritiker. Immer wieder wird ihm beispielsweise vorgeworfen, sehr eitel zu sein (öffentlich etwa von der mittlerweile verstorbenen Bergsteigerikone Luis Trenker).
Stimmt das? Auch bezüglich seines Museumsprojekts wurde dem Bergsteiger vorgeworfen, vor allem sich selbst ein Denkmal bauen zu wollen. Also etwas, das seinen Namen auch über seinen Tod hinaus trägt. Der deutsche Stern zitierte gar Kritiker, die von einem „Messner-Mausoleum“ sprachen. Messner lächelt: „Ich hätte es am wenigsten notwendig, mir ein Museum zu bauen, ich habe mich bereits in anderen Bereichen verewigt. Ich habe Bücher geschrieben und Erstbegehungen gemacht. Die Eitelkeit – ach, lassen wir sie stehen. Man kann sie ja zum Glück nicht messen.“
Wir alle wünschen uns Anerkennung, wollen uns ausdrücken. Ich habe mich aber ausreichend ausgedrückt und zwar über das Bergsteigen.
Während Kritiker das MMM als „Disneyland“ bezeichneten, das die Südtiroler Kultur zerstöre, sieht der Erbauer selbst das ganz anders. Die Museen sollten den Bergtourismus, der in der Region auch heute noch rund elf Prozent der gesamten regionalen Wertschöpfung ausmacht, kulturell unterfüttern. Die Gesamtkosten betrugen Schätzungen zufolge rund 30 Millionen €. Messner selbst und das Land Südtirol teilten sich die Investition: Während die Region den Ausbau der Gemäuer finanzierte, muss er die Ausstellung ohne Subventionen 30 Jahre lang aufrechterhalten. Den Abschluss des Projekts bezeichnete er als seinen „15. Achttausender“.
Sehr wohl gibt der bald 74-Jährige jedenfalls zu, dass das Museum Bedürfnisse befriedigt: „Wir alle wünschen uns Anerkennung, wollen uns ausdrücken. Ich habe mich aber ausreichend ausgedrückt und zwar über das Bergsteigen.“
Reinhold Messner wächst in einer Großfamilie mit acht Geschwistern im Villnößtal in Südtirol auf. In den 1940er-Jahren gelten Bauernhöfe als Statussymbole, Familie Messner hatte jedoch keinen. Mit fünf Jahren steht der junge Reinhold auf seinem ersten Dreitausender, fängt an, Grenzen zu testen: „Ich komme aus einer sehr engen Welt – nicht nur geografisch, sondern auch moralisch. Bei uns haben drei oder vier Leute entschieden. Dagegen habe ich immer angekämpft.“ Er entdeckt die Extreme für sich. Er besteigt Berge, durchquert (Eis-)Wüsten, sein Erfolg verlangt große Opfer. So verliert er bei einer Besteigung seinen Bruder Günther. Vorwürfe, der Abenteurer hätte den Tod seines Bruders in Kauf genommen, um den Nanga Parbat erstmals zu überschreiten (auf einer anderen Route ab- als aufsteigen, Anm.) wurden jahrzehntelang erhoben. Der Fundort von Günther Messners Überresten bewies letztendlich die Unschuld des Bruders.
Reinhold Messner
... wurde 1944 in Südtirol geboren. Er stellte zahlreiche Rekorde im Bergsteigen auf und bezwang als erster Mensch alle vierzehn Achttausender. In weiterer Folge war er als Abenteurer, Buchautor, Politiker und Museumsdirektor tätig. Zahlreiche Interviews und öffentliche Auftritte machten ihn zu einer Berühmtheit. Messner hat vier Kinder.
Der Verlust von sieben Zehen machte es ihm unmöglich, seine Höhepunkte zu übertreffen. Er widmete sich neuen Aufgaben, durchquerte 1989/90 die Antarktis und 1993 Grönland. Zwischen 1999 und 2004 war Messner im EU-Parlament für die ökosoziale Südtiroler Partei „Verdi Grüne Vërc“ tätig, bevor er 2004 die Wüste Gobi durchwanderte. Nun, nachdem er das MMM an seine Tochter übergeben hat, arbeitet er an einem Dreiteiler über den Alpinismus: „Die erste Phase war der Eroberungsalpinismus. Da ging es darum, als Erster auf dem Gipfel zu stehen. In der zweiten Phase ging es um freiwillig gesuchte, schwierige Wege. Dann kam in den faschistischen Ländern der heroische Alpinismus, während dessen man die Bergsteiger zu Helden machte – als Beispiele für Krieger. Es folgte der Verzichtsalpinismus, den ich wesentlich geprägt habe. Wenn im Alpinismus alles möglich ist, geht er nur weiter, wenn man auf Technologie verzichtet.“
Heute, so Messner, existiere vor allem der Pistenalpinismus. Menschen erkauften sich ein Renommee, indem sie den Mount Everest wie Touristen besteigen. Überhaupt sieht Reinhold Messner große Unterschiede zwischen seinem und dem Leben der meisten Menschen. „Ein Mensch, der heute in einer urbanen Welt lebt, ist eingebettet in einer Sicherheit, die ich als Pseudo-Sicherheit bezeichne. Menschen haben das Gefühl, dass sie sicher sind. Ich gehe freiwillig in eine unsichere Welt hinaus, um zu sehen, wie Menschen dort ticken. Das ist aber heute nicht mehr notwendig und daher eigentlich eine absurde, dekadente Tätigkeit.“
Dass 2050 rund 70 Prozent der Menschen in Städten leben werden, sei laut Messner weder gut noch schlecht, sondern eine Tatsache. Eine Veränderung der Gesellschaft sei jedenfalls gewiss, sagt unser Gegenüber, bevor er ins Thema springt: „Es gibt ja Regierungen, die sich überlegen, die Peripherie aufzugeben, weil sie teuer ist. Wir Südtiroler leben alle auf dem Land, weil es nur eine größere Stadt gibt. Bei uns versucht man, die Bevölkerung verteilt zu halten, ich lebe ja auch auf dem Berg.“
Als ehemaliger EU-Abgeordneter einer linksorientierten Partei hat Messner keine Freude mit den aktuellen Entwicklungen in der EU oder etwa in Bezug auf die österreichische und deutsche Regierung: „Es ist leicht, mit Flüchtlingen so umzugehen, wenn man keine Außengrenzen hat. Von Solidarität für Europa sehe ich nichts.“ Selbst fühlt sich Messner neben seiner regionalen Identität als Europäer: „Ich fühle mich nicht als Italiener oder Deutscher. Ich bin Südtiroler und Europäer und brauche ein ungezäuntes Südtirol.“ In der starken regionalen Identität mit einem europäischen Überbau sieht Messner ein potenzielles Modell für die Europäische Union. Nationalstaaten sollten aufgelöst, Regionen hingegen gestärkt werden – Südtirol könnte dabei laut Messner Vorbildfunktion haben: „Wir sind die Zukunft von Europa, sprechen drei Sprachen und haben kein nationales Selbstbewusstsein. Das ist ein großes Glück.“ Ganz zufällig gewählt dürfte auch das Zentrum seines Museums nicht sein. Denn auf Schloss Sigmundskron fanden sich 1957 über 30.000 Südtiroler ein, um gegen die Nichteinhaltung des Gruber-De-Gasperi-Abkommens zu protestieren, also die Autonomie und Selbstbestimmtheit der Region (der vom österreichischen Außenminister Karl Gruber und dem italienischen Ministerpräsidenten Alcide De Gasperi im Rahmen der Pariser Friedenskonferenz 1946 geschlossene Vertrag garantiert den Schutz der kulturellen Eigenart der deutschsprachigen Bevölkerung in der Region Trentino-Südtirol und bildet die Basis der heutigen Autonomie Südtirols, Anm.). Für Messner ist diese regionale Unabhängigkeit ein hohes Gut: „Unsere Autonomie ist ein Prozess, ein langer Weg, der weitergeht. Wir wollen nicht aus der EU. Falls Italien aus der EU geht, sind wir eben Europäer.“
Eigenverantwortung sei heutzutage aber nicht mehr jedermanns Sache: „Der Bürger schiebt dem Staat mehr und mehr Verantwortung zu. Für mich ist der größte Wert aber das selbstbestimmte Leben. Sobald ich in die Wildnis gehe, trage ich jede Verantwortung selbst.“ Diese Selbstbestimmtheit treibt Messner auch in seiner aktuellen Lebensphase. „Ich habe ja schon als Regisseur gearbeitet. Nun fange ich an, Filme auch zu produzieren. Dann bin ich zwar alleine verantwortlich, aber freier.“ Doch obwohl er mit dem Filmemachen gerade
erst beginnt, wird auch diese Lebensphase ein Ende finden: „Ich werde das nicht ewig machen.“ Was steht als Nächstes an? „Das weiß ich noch nicht. Ich entscheide das immer erst, wenn ich eine Periode abgeschlossen habe.“ Reinhold Messner macht sich also – wie eigentlich sein ganzes Leben – auch jetzt wieder Gedanken über seinen nächsten Schritt. Ob schweigend oder sprechend, weiß man bei ihm nie ganz sicher. Fest steht nur eines: „Die Ideen gehen mir nicht aus.“
Dieser Artikel ist in unserer Sommer-Ausgabe 2018 „Stadt – Land – Berg“ erschienen.