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Immer wenn ein Zug über die Gleise fährt, steckt dahinter hochkomplexe Signaltechnik. Sie sorgt dafür, dass Züge sich nicht in die Quere kommen und somit möglichst viele von ihnen gleichzeitig unterwegs sein können. Sonja Steffens arbeitet als Produktmanagerin der Sicherheitsplattform DS3 bei Siemens Mobility. Sie erzählt, warum Signaltechnik allerhöchsten Sicherheitsstandards genügen muss – und warum ihr in 30 Jahren bei Siemens Mobility noch nie langweilig geworden ist.
Sie sind Produktmanagerin für die Plattform DS3 bei Siemens Mobility – was ist das genau?
DS3 ist ein sehr softwaretechnisches Thema, ein richtiges Nerd-Thema. Das Kürzel steht für Distributed Smart Safe System; es ist eine softwarebasierte Plattform für sicherungstechnische Bahn-Applikationen wie etwa eine Stellwerkslogik. Diese Stellwerkslogik steuert den Bahnbetrieb und ist das in Software programmierte Gehirn einer Bahnanlage, für jeden Bahnkunden speziell entwickelt. Die Stellwerkslogik kennt die Zustände der gesamten Bahnanlage, also etwa aller Weichen und Signale, und sie weiß, wo sich Züge befinden und wohin sie fahren sollen.
Die DS3-Plattform dient speziell dazu, eine solche hochkomplexe Stellwerkslogik auf Standard-Servertechnologie laufen zu lassen, ohne dass spezifische Hardware-Entwicklungen notwendig sind. Das ist ein einzigartiger Technologiesprung in der Eisenbahnsignaltechnik, denn jahrzehntelang wurden Stellwerkslogiken immer auf speziell entwickelten proprietären Rechnerplattformen betrieben – und jetzt bringen wir die Stellwerkslogiken mit DS3 in die Cloud.
Wie sieht Ihr Job als DS3-Produktmanagerin aus?
Bei der DS3-Plattform geht es technisch um die Sicherheit und Verfügbarkeit der Bahn-Applikationen. Meine „Kunden“ sind hierbei nicht direkt die externen Kunden, also die Bahnbetreiber, sondern unsere Siemens-eigenen Bahnprodukte wie eben solche kundenspezifischen Stellwerkslogiken. Diese Stellwerkslogiken existieren natürlich schon – wir entwickeln diese ja seit Jahrzehnten für unterschiedliche Märkte und Kunden. Deshalb ist ein sehr wesentlicher Aspekt die Softwareportierung der existierenden Stellwerkslogiken auf die neue DS3-Plattform, denn wir wollen ja nicht alles neu entwickeln.
Hierzu stimme ich als Produktmanagerin die technischen Anforderungen der existierenden Stellwerkslogiken an die DS3-Plattform ab und bin für die Roadmap dieser Plattform verantwortlich, das heißt, dass die notwendigen Dinge in der DS3-Plattform entwickelt werden.
Stichwort Ausfallsicherheit: Signaltechnik muss also besonders sicher sein, korrekt?
Signaltechnik muss die allerhöchste Sicherheitsanforderungsstufe erfüllen und eine Stellwerkslogik ist sehr komplex. Der Fahrweg für einen Zug muss gesichert und überwacht werden und es müssen so viele Züge wie möglich gleichzeitig fahren können. Wenn irgendetwas in diesem System ausfällt – eine Signallampe, ein Weichenantrieb oder ein Ethernet-Switch –, muss der Ausfall vom System sicher erkannt werden und es muss sicher weiterlaufen. Das System darf sich nicht einfach abschalten. Diese Zusammenhänge sind sehr komplex und vielfältig.
Technologisch ist DS3 ein Quantensprung für die Signaltechnik; wir arbeiten nun schon seit neun Jahren an diesem Thema. Die Idee zu DS3 entstand 2013 im Zuge eines Forschungsprojekts. Damals hatten wir von Siemens Mobility als Experten für die Bahnindustrie gemeinsam mit Unternehmen wie Daimler und Airbus, Experten der Automobilindustrie und Flugzeugindustrie, zwei Jahre lang geforscht, wie man die Standard-Multicore-Technologie für sicherungstechnische Applikationen verwenden kann. Das Ergebnis unseres Forschungsteams für den Bahnbereich war damals ein technisches Konzept mit dem Namen Distributed Smart Safe System, kurz DS3. Nach dem Forschungsprojekt haben wir vier Jahre lang die allererste Version der DS3-Plattform entwickelt; vor zwei Jahren haben wir dann das allererste Stellwerk, unser DS3-Pilotprojekt, im sicherungstechnischen Betrieb bei einem Kunden eingeschaltet.
Dieses Pilotprojekt ist – auch heute noch – das allererste Stellwerk weltweit, bei dem die sicherungstechnische Stellwerkslogik auf Standardservern, also nicht sicheren Servern, läuft, ohne jegliche spezielle Hardware. Mittlerweile ist unsere zweite DS3-Plattform-Version kurz vor dem Abschluss. Diese wird dann 2023 in weiteren Bahn-Anwendungen zum Einsatz kommen.
Die U-Bahn in Wien mag ich besonders – das ist neueste Technologie aus unserem Haus.
Sonja Steffens
Wie sind Sie dorthin gekommen, wo Sie aktuell sind? Was fasziniert Sie an der Eisenbahnsignaltechnik?
Ich bin vor 30 Jahren rein zufällig hier gelandet. Während meiner Ausbildung an der Siemens-Technik-Akademie in München habe ich meinen Mann kennengelernt, er kommt aus Braunschweig. Deswegen hat es mich dann nach Braunschweig gezogen, wo der Verkehrstechnik-Bereich von Siemens angesiedelt ist. Ich hatte damals von Eisenbahnen keine Ahnung und eigentlich auch kein besonderes Interesse daran, aber ich war technisch interessiert und fand es sofort sehr spannend. Es war damals also reiner Zufall – im Nachhinein gesehen ein Glücksfall. Besonders faszinieren mich die Zusammenhänge von Sicherheit und Funktionalität. Wir müssen die eisenbahntechnische Funktionalität kennen, etwa unter welchen Bedingungen eine Weiche umgestellt werden darf. Und wir müssen die besonderen Anforderungen zur Erreichung der Sicherheitsziele berücksichtigen; dafür haben wir einen eigenen Entwicklungsprozess und besonderes Qualitätsmanagement.
Eine sicherungstechnische Bahn-Applikation hat heute einen Umfang von nur 16 Megabyte Programmcode. Wir sind also nicht nur Programmierer, sondern vor allem Signaltechniker.
Was erleben Sie als Frau in dieser doch sehr männerdominierten technischen Welt?
Der Frauenanteil liegt in meinem Umfeld bei nur rund zehn Prozent und ich empfinde das sogar als Vorteil. Ich bin immer überall gern gesehen und werde respektvoll behandelt. Die Stimmung um mich herum ist immer sehr gut und freundschaftlich-kollegial. Manches Alphatier-Gehabe von Männern, ich nenne sie „Silberrücken“, gibt es natürlich, das kann ich schon beobachten, es betrifft aber nie mich selbst. Ich kann so eine Situation recht einfach verbessern, indem ich mich an der Diskussion beteilige, das funktioniert meistens sehr gut. Wenn Frauen dabei sind, dann verhalten sich Männer kollegialer und anständiger – auch untereinander. Selbst die Männer sagen, dass Frauen das Klima im Projekt und im Umgang miteinander verbessern.
Ich fühle mich also ausgesprochen wohl in dieser Männerwelt, aber ein paar Frauen mehr könnte die Eisenbahnsignaltechnik wirklich sehr gut gebrauchen – das wäre schon toll.
Gibt es denn besondere Möglichkeiten oder Förderprogramme für Frauen?
Grundsätzlich gibt es für alle jungen Nachwuchskräfte ein sogenanntes Special Resource Program. Das ist ein zweijähriges Traineeprogramm mit drei Stationen mit je acht Monaten Dauer, eine Station davon ist im Ausland. Das hilft, um fundiertes Wissen aufzubauen und um auch selbst herauszufinden, was einem am meisten liegt. Zusätzlich gibt es verschiedene Initiativen, um gerade Frauen zum gegenseitigen Austausch und übergreifender Zusammenarbeit zu ermutigen, wie etwa ein Frauennetzwerk. Bei Mobility gibt es daneben auch eine eigene Gender Equity Task Force, welche sich monatlich zu verschiedenen Themen trifft und Direktabstimmungen mit der Geschäftsführung führt. Und, zu guter Letzt, Frauenförderung bedeutet auch den Ausbau der betriebsnahen Kinderbetreuung.
Welche Jobmöglichkeiten bietet Siemens Mobility?
Bei Siemens Mobility kümmern wir uns um alles, was das Signaltechnik-Herz begehrt: Hardware, Software, an der Strecke, auf dem Fahrzeug, Nahverkehr und Fernverkehr. Daraus machen wir Produkte und ganze Systeme. Diese werden von uns weltweit verkauft – und natürlich nicht nur verkauft, sie werden dann auch jahrzehntelang weiterentwickelt, umgebaut und gewartet.
Wir sind international aufgestellt, Braunschweig ist der weltweit größte Signaltechnik-Standort überhaupt, und auch unsere Regionalgesellschaften in Österreich, der Schweiz, Spanien und Großbritannien sind mit eigenen Entwicklungsbereichen stark aufgestellt. Man kann sich bei uns in alle Richtungen weiterentwickeln, sich jederzeit verändern, bei Interesse auch internationale Erfahrungen machen. Die Jobmöglichkeiten bei Siemens Mobility sind nahezu unbegrenzt –
es ist ein Arbeitgeber auf Lebenszeit. Ich habe in den 30 Jahren mehrere verschiedene Jobs gehabt und mir war wirklich noch nie langweilig. Es ist immer genug zu tun.
Zum Schluss einen persönlichen Rückblick: Was war ein ganz besonderes Highlight in Ihrer Karriere?
Jedes Mal, wenn eine Neuentwicklung nach mehrjähriger Entwicklungszeit endlich zum ersten Mal bei einem Kunden eingeschaltet wird, ist das ein besonderes Highlight. Dazu gehört für mich insbesondere die erfolgreiche Einschaltung des ersten DS3-basierten Stellwerks vor zwei Jahren, weil wir dafür sieben Jahre gearbeitet haben und es technologisch wirklich ein Quantensprung ist – und weil das Stellwerk seit über zwei Jahren, also bis heute, perfekt läuft. Das freut mich riesig und darauf bin ich wirklich sehr stolz.
Sonja Steffens ist seit über 30 Jahren bei Siemens Mobility in Braunschweig tätig; sie ist Produktmanagerin der Sicherheitsplattform DS3. Siemens Mobility ist seit mehr als 160 Jahren führend bei nahtlosen, nachhaltigen, zuverlässigen und sicheren Transportlösungen.
Fotos: Gianmaria Gava