Fragen statt Antworten

Die Black Lives Matter-Bewegung hat Proteste auf der ganzen Welt ausgelöst. Doch was können und sollten wir als deutschsprachiges Wirtschaftsmagazin zum Diskurs beitragen? Und wie sollten Führungskräfte reagieren?

Sie lesen den mittlerweile fünften Entwurf dieses Leitartikels, den ich tatsächlich zu Papier bringe. Im Kopf habe ich in den letzten zwei Wochen deutlich mehr Varianten „geschrieben“ – und zum ersten Mal seit Langem gelingt es mir nicht, die richtigen Worte zu finden. Der Tod von George Floyd ließ einen die längste Zeit schwelenden und immer wieder aufkochenden Konflikt in den USA explodieren. Mittlerweile hat die „Black Lives Matter“-Bewegung nicht nur in den USA, sondern weltweit zu Protesten geführt. Medien und Organisationen zeigten sich solidarisch. Forbes-Media-CEO Mike Federle schrieb in einem offenen Brief: „Was wir gerade miterleben, ist nicht im Einklang mit meinen Werten und mit den Werten ­unseres Unternehmens.“ Doch während ich seine ­Worte – und die Stellungnahmen anderer Unternehmen und Persönlichkeiten – lese, überlege ich, wie viel tatsächlich getan wurde, um im Kampf gegen Rassendiskriminierung einen Teil beizutragen.

Was wurde in den letzten Jahren unternommen, um die Probleme von Schwarzen und People of Color (POC) in den USA, aber auch von Türken, Kroaten, Serben, Albanern und Schwarzen in der DACH-Region zu lösen? Wie viele POC sind Mitglieder der Leadership-Teams der Unternehmen, die sich nun solidarisch zeigen? Wieso sind nur 0,8 % schwarze Menschen unter den Milliar­dären in den USA? Und wie viele POC sind es in der DACH-Region überhaupt? Null?

Auch persönliche Fragen beschäftigen mich: Kann ich als 30-jähriger Weißer, der in seinem Leben noch nie ernsthaft diskriminiert wurde, überhaupt etwas zu diesem Diskurs beitragen? Darf ich? Soll ich? Oder ist es schlimmer, zu schweigen? Sollte ich Menschen – in unserem Team oder von außerhalb – mit anderen ­Erfahrungswelten um Rat fragen? Oder ist es gerade als weißer Mann, der sich ernsthaft mit dem Thema auseinandersetzen will, meine Verpflichtung, auf Missstände aufmerksam zu machen? Welche „Fettnäpfchen“ muss ich vermeiden? Was können wir als deutschsprachiges Wirtschaftsmagazin zu dieser Problematik beitragen, das Mehrwert bietet?

Dann lese ich, dass Alexis Ohanian, Gründer der Social-News-Seite Reddit und Ehemann der schwarzen US-Tennisspielerin Serena Williams, auf die Geschehnisse reagierte, indem er seinen Vorstandsposten bei dem von ihm mitgegründeten Unternehmen aufgab und forderte, eine schwarze Person solle ihn ersetzen. Müssen weiße CEOs und Führungskräfte es ihm gleichtun? Oder haben wir alle viel eher die Verpflichtung, unsere eigenen Organisationen von innen zu verändern und uns damit der Verantwortung zu stellen, die viele von uns lange mehr oder weniger ignoriert haben?

Was ist mit Menschen mit Migrations­hintergrund in Deutschland, Österreich und der Schweiz? Sie werden nicht von Polizisten erschossen, müssen aber dennoch täglich mit Fremdenhass umgehen. Sind ihre Stimmen wichtiger oder weniger wichtig als jene der Betroffenen in den USA? Müssen wir erst über die Herausforderungen hierzulande diskutieren, bevor wir die Situation
in den USA kritisieren dürfen?

Das Thema ist zu sensibel und zu komplex, als dass es hier auf einer Seite behandelt werden könnte. Vielleicht ist das ja für sich eine Aussage. Vielleicht drücke ich mich nur davor, das Falsche zu sagen. Was ich weiß, ist, dass wir als Medium die Chance haben, Erfolgsgeschichten von Menschen aller Herkunft sichtbar zu machen – um so einen kleinen Teil beizutragen, dass reale Veränderung stattfindet. Denn bei allen Fragen ist eines klar: Es wird höchste Zeit, dass sich etwas ändert.

Bei dem Text handelt es sich um den Leitartikel unserer Mai-Ausgabe 2020 „Geld“.

Klaus Fiala,
Chefredakteur

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