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Neha Narula forscht an Transaktionssystemen, die die Privatsphäre ihrer Nutzer wahren – denn sie sieht eine Gefahr darin, dass unser Finanzsystem von Intermediären dominiert wird, die (theoretisch) den Geldfluss von heute auf morgen stoppen könnten.
In den Jahren 1912/13 wurde am Otto-Wagner-Platz im neunten Wiener Gemeindebezirk ein imposantes Gebäude erbaut. Die schweren Holztüren des Haupteingangs sind nicht mehr dieselben, aber über ihnen prangt bis heute ein Relief des österreichischen Bildhauers Othmar Schimkowitz. Darunter steht „Oesterreichische Nationalbank“ – wir sind aber nicht hier, um mit Ökonomen zu sprechen.
Neha Narula ist eine der Keynote Speaker auf der „Advances in Financial Technologies“-Konferenz (AFT), die in besagtem Gebäude der Oesterreichischen Nationalbank (OeNB) stattfindet. Das Publikum lässt sich grob in zwei Gruppen einteilen: Zum einen sind hier Männer und Frauen, die man in einem Gebäude wie der OeNB erwartet – gekleidet in Anzüge und Blazer nicken sie zustimmend, während Narula über den idealisierten Nutzen von Bargeld spricht. Die andere Gruppe trägt Jeans und Hoodies – sie forschen zu den Technologien, die unser Finanzsystem am Laufen halten. Viele davon sind Fans der Krypto-Welt, die eine Dezentralisierung ebenjenes Finanzsystems befürworten, das wohl kein Gebäude in Österreich so gut verkörpert wie das der OeNB. Die AFT bringt beide Welten zusammen: Hier werden die jüngsten Entwicklungen bei Technologien im Zusammenhang mit neuen Finanzinfrastrukturen präsentiert. Das ist für Börsen relevant, aber vieles spielt sich in der Welt von Kryptowährungen und Blockchains ab.
Wie die AFT arbeitet auch Narula an dieser Schnittstelle. Die US-Amerikanerin ist gelernte Informatikerin, spezialisiert auf die Technologien hinter Geldtransaktionen. Sie ist Direktorin der Digital Currency Initiative beim MIT Media Lab, einer Fakultät des Massachusetts Institute of Technology (MIT) mit verschiedenen Forschungsgebieten, wo sie zu Distributed Systems (Netzwerken unabhängiger Computer, die zusammenarbeiten, um eine gemeinsame Aufgabe zu erfüllen), Kryptowährungen und der Blockchain forscht.
Heute, fast zehn Jahre nach dem Beginn ihrer Forschungsarbeiten, sieht Narula ein Problem mit Geld: Es wird vermittelt, in der Regel von Banken. „Wenn wir heute Geld verwenden, wird es von Banken oder Zahlungsdienstleistern vermittelt“, erklärt die Informatikerin, die nach einem langen Tag mit mehreren Vorträgen merkbar müde ist. Geld fließt nicht von den Händen einer Person in die Hände einer anderen, sondern muss zuerst durch die Türen und Schranken von Finanzinstitutionen. „Und was heißt das? Na ja, das heißt: Etwas könnte schiefgehen“, so Narula weiter. Möchte ein Käufer etwa mit digitalem Geld bezahlen – und fast jedes Geld ist heutzutage digital –, können diese Vermittler die Transaktion blockieren. „Mit Bargeld können sie das nicht machen“, sagt Narula, was sie als eine Stärke gegenüber digitalem Geld sieht.
Bargeld hat dafür andere Schwächen: Es geht leicht verloren, wird nicht überall akzeptiert, ist kostspielig zu lagern. In ihren Forschungsprojekten versucht Narula, ein System zu bauen, das das Beste aus beiden Welten verbindet: ein digitales System, das aber die Privatsphäre und Autonomie seiner Nutzer wahrt.
Nach ihrem Bachelor-Abschluss im Jahr 2003 (sie studierte Mathematik und Informatik am Dartmouth College in Hanover, USA) arbeitete Narula sechs Jahre lang als Softwareentwicklerin bei Google. „Aber ich wollte zurück zur akademischen Forschung, also habe ich einen PhD in Informatik gemacht“, sagt Narula, die ihren Master am MIT abschloss, bevor sie 2015 den PhD von derselben Universität bekam.
Während die Absolventin auf Jobsuche war, stolperte sie in den Nachrichten über Bitcoin. Narula informierte sich über die technischen Schwierigkeiten, die die Kryptowährung damals zu bewältigen hatte. „Ich bin in den Kaninchenbau gefallen. Das Thema hat mich sehr interessiert – nicht nur die technischen Aspekte, sondern auch die Geld-Perspektive“, so Narula. Seitdem macht sie sich Gedanken darüber, wie wir in Zukunft unsere Einkäufe bezahlen.
Die Forscherin sieht zwei mögliche Richtungen, in die sich das Finanzsystem bewegen könnte; die Realität wird wohl in der Mitte liegen. Die erste Möglichkeit ist, dass neue Technologien – Kryptowährungen, Blockchain oder Ähnliches – das Finanzsystem dezentralisieren und demokratisieren. Sie schaffen neue Wege, in Unternehmen zu investieren, und schützen die Privatsphäre von Individuen. Hat man sein Geld verdient, kann man damit machen, was man will – wie mit Bargeld.
Das andere Extrem: Digitales Geld (etwa in Form von digitalem Zentralbankgeld, auf Englisch Central Bank Digital Currency, CBDC) wird von Staaten missbraucht. Sie schreiben Menschen vor, wie viel Geld sie für welche Art von Gütern ausgeben dürfen, und überwachen Transaktionen. Der Intermediär wird zum Bösewicht.
Dass keines dieser Szenarien eintreten wird, ist Narula klar. Doch sie zeigen ein Dilemma auf. In ihrer Keynote auf der AFT spricht Narula über einen Trade-off zwischen Sicherheit und Privatsphäre: Eine stärkere Überwachung von Geldflüssen könnte sicherstellen, dass weniger Geld für illegale Zwecke fließt. „Wenn man die Geldströme hinter Menschenhandel stoppt, wird es weniger Menschenhandel geben“, sagt Narula schonungslos auf der Bühne. Zum Teil werde genau das versucht. Doch, fährt sie fort, diese Überwachung sei teuer und relativ ineffektiv. Und es sei schwierig zu sagen, wann sie zu weit geht. In unserem Gespräch fügt sie hinzu: „Wir müssen daran denken, dass das Bezahlen nicht das Verbrechen ist. Das Verbrechen ist das Verbrechen. Kriminalität zu stoppen, indem man die Bezahlung davon stoppt, ist schwierig und kostet viel Geld.“
Narula möchte Plattformen schaffen, die die Privatsphäre ihrer Nutzer wahren. Mit ihrem aktuellen Projekt „Hamilton“ möchte die Informatikerin einen Transaktionsprozessor für CBDCs entwerfen, der möglichst wenige Nutzerdaten speichert, den Schlüssel zum Geld in den Händen der Nutzer lässt (im Jargon „Self-Custody“) und effizient skaliert. Die ersten Ergebnisse haben Narula und ihr Team bereits in einem wissenschaftlichen Papier präsentiert, auch wenn noch viele Fragen offen sind. Und anders als manche der Hoodie-Träger im Konferenzsaal denkt Narula nicht, dass sich das Finanzsystem von Intermediären befreien sollte. Sie sagt: „Es geht nicht darum, zentrale Institutionen abzuschaffen – es geht darum, eine neue Plattform zu schaffen, die mehr Menschen Zugang bietet und offener ist.“
Neha Narula ist Direktorin der Digital Currency Initiative beim MIT Media Lab und Vortragende an der MIT Sloan School of Management. Sie sitzt im Innovation Advisory Council der Federal Reserve Bank of New York und seit Juli im Verwaltungsrat von Block, einem Mobile-Payments-Unternehmen aus San Francisco.
Fotos: Gianmaria Gava