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Am 25. und 26. September lud Forbes - in Kooperation mit IBM und Pfizer - ein, die Chancen und Risiken datengesteuerter Medizin zu analysieren.
„Wenn Sie ein Klatschen hören, drehen Sie sich bitte zu der Person, die links oder rechts von Ihnen steht und beantworten Sie, warum Sie heute hier sind“, kaum ist die Aufforderung ausgesprochen, vibriert der Empfangsbereich des Hauptsaals im vierten Stock des Sofitel. So einiges war an diesem ersten Tag dem Prototyping gewidmet – der Beehive (Bienenstock) etwa als Begrüßungs- und Kennenlernritual für die Teilnehmer der Eventserie Forbes Impact zum Thema der datengesteuerten Medizin in Wien. 200 Teilnehmer sind der Einladung zum Impact Event am Montag und der Lecture am darauffolgenden Vormittag an der TU Wien gefolgt.
Ethical Hacker Ralph Echemendia rüttelte mit einer Rede zu Datensicherheit wach. „Durchschnittlich wissen 69 Prozent der Betroffenen gar nicht, dass sie gehackt wurden. 27 Tage dauert es, eine Cyberattacke zu lösen, und die Kosten pro Angriff belaufen sich für ein Unternehmen auf rund 7,2 Millionen Euro durchschnittlich. Ein Hack ist wie eine Naturkatastrophe, man kann ihn nicht verhindern, man kann nur versuchen ihn möglichst schnell zu entdecken und dagegen vorzugehen.“ Der Amerikaner betonte immer wieder die besondere Sensibilität von medizinischen Daten und Internet-of-Things-Devices (IoT). „Wir haben es getestet; man kann Herzschrittmacher hacken und könnte theoretisch tatsächlich jemanden damit töten.“ Medizinische Entscheidungen basierend auf Daten müssten so abgesichert sein, dass die Integrität der Daten sowie ihre Qualität garantiert sind; große und zugleich wichtige Herausforderung, bei der noch Handlungsbedarf besteht. Auch, so Echemendia weiter, sei das Mindset – das betrifft allerdings nicht nur das Gesundheitsökosystem – noch nicht bereit für die Spielregeln des Cyberspace. Wie gering das allgemeine Bewusstsein für Datensicherheit ausgeprägt ist, demonstrierte Echemendia in der Sekunde, in der er FTP-Server-Zugangsdaten etwa via Google aufspürte und prompt an die Wand projizierte.
Judy Sewards, Head of Digital Innovation bei Pfizer erzählte im Anschluss darüber, wie Technologie und Medizin verschränkt werden können, um bessere Ergebnisse für Patienten zu erzielen; etwa die investitionsintensive Medikamentenentwicklung positiv zu unterstützen – Pfizer ist mit 52,8 Milliarden US-Dollar 2016 das umsatzstärkste Pharmaunternehmen weltweit, demgegenüber stehen 7,8 Milliarden US-Dollar an Forschungsausgaben. Wie hoch das digitale Budget bemessen ist, verrät Judy Sewards nicht. Im Wesentlichen sucht sie nach den „Gamechangern“ für Pfizer und analysiert, wie Big Data oder Digital Health die Industrie verändern werden. „Wir haben so viele neue Datentypen: genetische Daten, digitale Daten; wir haben Technologien, die das Sammeln von Daten erleichtern. Und Datenverarbeitung wird immer schneller. Das meiste ist dabei außerhalb unserer Wände. Das kreiert einen sehr interessanten Raum für neue Kooperationen und Entdeckungen.“ Den meisten Impact macht sie dabei zum Beispiel bei chronischen Krankheiten – wie etwa Diabetes – aus, die über das Smartphone einfacher gemanagt werden, weil eine App den Zuckerspiegel dokumentiert und anzeigt. Auch im Forschungsbereich für Parkinson erkennt der Pharmariese Potenziale in der Nutzung von Smartphones, die Bewegungen messen und anzeigen können.
John Crawford, EMEA Healthcare Systems Solutions Leader bei IBM konnte vor allem anhand einer historischen Perspektive deutlich machen, dass datengesteuerte Medizin uns schon lange umgibt. „In den 1940er- und 50er-Jahren hat man zum ersten Mal den Zusammenhang von Rauchen und Lungenkrebs untersucht und Big Data verwendet, um Ursache und Wirkung zu hinterlegen. Florence Nightingale (1820–1910, gilt als Begründerin der modernen westlichen Krankenpflege, Anm.) arbeitete auch mit Big Data und überzeugte damit die Regierung von medizinischer Versorgung.“ John Crawford beobachtet Gesundheitssysteme – IBM Watson Health ist zwar die prominenteste, dennoch nur eine von mehreren Software-Lösungen, die die medizinische Versorgung weiter verbessern sollen. „Anstatt Daten nur für Epidemiologie oder Forschung zu verwenden, kann man sie jetzt direkt in die Hände von Ärzten geben. Dass das möglich ist, beruht auf mehreren Faktoren. Die mobile Revolution sammelt und liefert Daten. Die analytische Revolution macht Algorithmen an Datensätzen anwendbar. Es gibt unterschiedlichste Datensätze, die man aggregieren und kombinieren kann. Zudem sorgt der IoT-Trend zu einem vermehrten Sensoren-Aufkommen, die man sehr vielfältig und individuell einsetzen kann. Und obendrein haben wir Künstliche Intelligenz und Machine Learning und noch weitere aufregende Mischungen unterschiedlicher Technologien, die es uns erlauben noch mehr zu machen“, fasst Crawford die Transformation des Gesundheitssektors zusammen und schickte damit die Teilnehmer in den zweiten Teil des Nachmittagsprogramms: einen Workshop, in dem in Gruppen erarbeitet wurde, wie die Utopie und wie die Dystopie der digitalen Gesundheit wohl aussehen könnten; überraschend war, dass sich mehr Gruppen – sieben von acht – für die Utopie entschieden.
Die Dystopie sah dafür umso dunkler aus: Patientendaten werden manipuliert und so Krankheiten vorgetäuscht, um Krankenhäusern mehr Geschäft zuzutreiben. Das Fazit zur digitalen Transformation des Gesundheitswesens fiel im Falle der Experten dann doch ein wenig anders aus: Teils ist sie schon im Gange, teils muss sie noch an Fahrt gewinnen. Vor allem das Datenthema veranschaulichte das sehr gut. Michaela Fritz, Vizerektorin des Bereiches Forschung und Innovation an der Meduni Wien, ergänzte das Panel am Abend um die wissenschaftlich-universitäre Perspektive. Als Medizinische Universität und in Verbindung zum größten europäischen Krankenhaus sitze man auf einem riesigen Berg an Daten: Schließlich gehen dort jährlich eine Million Patienten ein und aus, so Fritz. „Big Data bietet unheimlich viel Potenzial. Zum Beispiel kann man aus umfassenden Datensätzen Komorbiditäten, also Begleiterkrankungen erkennen. Man kann aber auch personalisierte Medizin anbieten; in Kombination mit genetischen Daten, die auf den Patienten und auf die Diagnose perfekt zugeschnittene Therapie“, so Fritz. An zwei Punkten herrschte Einigkeit: Die Regulierung ist zu langsam und nicht mehr zeitgemäß. Die Chancen für Forschung und Behandlung überwiegen die Risiken im Zusammenhang mit dem vermehrten Aufkommen von Daten. Und: dass immer mehr Daten gesammelt werden, ist unausweichlich; in Zukunft werde der Patient sich seiner Rolle viel bewusster sein und im Zentrum einer neuen, demokratisierten Gesundheitsökonomie stehen, in der das Wissen über die eigene Gesundheit und Behandlungsmöglichkeiten, im Vergleich zu heute, ausgewogener verteilt sein werden.
Fotos: David Visnjic