EIN QUANTUM ZUKUNFT

Im beschaulichen Innsbruck arbeiten der Wissenschaftler Wolfgang Lechner und „Under 30“-Listmakerin Magdalena Hauser an einer neuartigen Zukunft: Mit ihrem Start-up Parity QC wollen die beiden das weltweite Rennen rund um Quantencomputer mitgestalten. Dass das Unternehmen überhaupt existiert, grenzt – wie Quantencomputer überhaupt – an ein (mathematisches) Wunder.

Eigentlich hätte diese Geschichte vorbei sein müssen, bevor sie überhaupt begonnen hat – denn der Physiker Wolfgang Lechner hatte sich selbst mathematisch bewiesen, dass seine Idee nicht funktionieren kann. Grob gesprochen wollte Lechner, der an der Universität Innsbruck forscht, einen skalierbaren Quantencomputer entwickeln.

Das Modell, das er gemeinsam mit seinen Kollegen Philipp ­Hauke und Peter Zoller entwickelte, sollte grundlegende Einschränkungen von bis dahin entwickelten Quanten­computern beheben und es ermöglichen, sehr allgemeine Optimierungsprobleme mithilfe einer eigenen Softwarearchitektur zu lösen. „Trotz des Beweises habe ich weiter an meiner Idee gearbeitet. Ich weiß nicht, warum. Ich dachte mir nur: ‚Man muss das doch lösen können!‘“, sagt Lechner heute.

Und man konnte. Denn Lechner schaffte es nach vielen Monaten Arbeit schließlich, seine Methode in die Realität umzusetzen – und meldete seine Entdeckung 2015 zum Patent an. „Das war mit 263 Paragrafen das größte Patent, das die Universität Innsbruck je eingereicht hat.“ Wie bahnbrechend seine Arbeit war, zeigte sich, als Lechner seine sogenannte „LHZ-Architektur“ 2015 auf dem wichtigsten Branchentreff, der Quantum Annealing Conference (AQC) in Zürich, vorstellte.

Lechners Team wurde daraufhin von Interessenten aus der ganzen Welt eingeladen. Spätestens, als ihm ein Kaufangebot eines namhaften US-Unternehmens ins Haus flatterte, war ihm klar, dass er an etwas Großem dran war. „Wir erhielten das Angebot ja gar nicht mal für das Patent, sondern bereits für die Anmeldung zum Patent.“ Wer der ­interessierte Käufer war, will Lechner nicht sagen – dass es sich dabei um einen der ­Großen in der Quanten­computer-Entwicklung wie Google oder IBM handelt, liegt nahe – bestätigen will der Forscher jedoch auch das nicht.

„Wenn eine Anmeldung ­alleine schon zu einem Kaufangebot führt, sollte man erst mal schauen, was man damit selbst machen kann“, so Lechner – gesagt, getan: Ab 2017 baute er ein Research-Team im Bereich Quantum Optimization an der Uni Innsbruck auf, das heute 13 Leute umfasst. Zu diesem Zeitpunkt hatte der österreichische Investor Hermann Hauser bereits ein Auge auf die Arbeit des Forschers geworfen. Hauser war damals da­ran, seine Aktivitäten zu professionalisieren und in der Organisation „I.E.C.T. – Hermann Hauser“ zu bündeln. Er wollte Tech-Unternehmen in Österreich und insbesondere in Tirol ein Netzwerk bieten und sie auch finanziell fördern. Hausers Nichte Magdalena führte die Geschicke des I.E.C.T. – und sagt zu der Annäherung: „Dass Hermann (Hauser, Anm.) jemanden so lange beobachtet wie Wolfgang, ist sehr ungewöhnlich. Wir waren sehr froh, dass Wolfgang sich letztendlich für uns entschieden hat.“

Als Co-CEOs führen Wolfgang Lechner und Magdalena Hauser ihr Start-up, das mittlerweile zehn Mitarbeiter in Innsbruck umfasst.

2019 startete das Start-up ­Parity ­QC, das auf Lechners Funda­mentalpatent aufbaut. Hermann Hauser ist als Investor gemeinsam mit Business Angel Herbert Gartner an Bord. Sie investierten eine mittlere sechsstellige Summe für 23,75 % der Anteile; die ­Universität Innsbruck hält 11,875 %, ebenso wie die Akademie der ­Wissenschaften. Gründer Wolfgang Lechner ist mit 47,5 % der größte Anteilseigner, Magdalena Hauser, die 2018 auf der „Under 30 DACH“-Liste von Forbes stand und neben Lechner als CEO agiert, hält die restlichen 5 %. Das Jungunternehmen hat sich eine der größten Zukunftsbranchen ausgesucht, denn Fortschritte von Quantencomputern könnten unser Leben fundamental verändern.

Unsere digitale Welt baut auf zwei Zuständen auf: 0 und 1. Denn Bits, auf denen unsere gängigen Computersysteme basieren, ­können ausschließlich entweder den Wert 0 oder 1 annehmen. Jede App, ­jedes Smartphone, jeder PC basiert auf Millionen dieser Bits, jeweils als Kombination aus Nullen und Einsen. Das Problem dabei ist, dass ­unsere Welt so nicht funktioniert. Es gibt Grauzonen, Zwischentöne, die Natur kennt mehr als zwei ­einander ausschließende Zustände. Meist basiert unsere Welt auf ­Unsicherheit. Diese Unsicherheit wird selbst von Supercomputern nicht abgedeckt. Physiker haben daher begonnen, die Grenzen des Möglichen zu testen, und ein neues Feld begründet: Quantenmechanik. Um Rechen­operationen durchzuführen, die Unsicherheit einbeziehen, braucht es neue Rechner: Quantencomputer. Sie basieren auf Qubits, die im Gegensatz zu normalen Bits auch zu „Superpositionen“ fähig sind: Statt nur im Zustand 0 oder 1 zu existieren, können sie auch 0 und 1 ­zugleich sein – oder ­jeder Zustand im Spektrum.

Ein oft genanntes Beispiel ist ein Münzwurf, dessen ­Ergebnis ­binär ist: Kopf oder Zahl. Doch ­während die Münze sich in der Luft dreht, nimmt sie in gewisser ­Weise beide Formen zur gleichen Zeit an – und kann Kopf und Zahl, beides oder alles dazwischen sein. Während Bits also eine auf dem Tisch liegende Münze sind, sind Qubits die sich in der Luft drehende Münze. Hinzu kommt, dass Bits stets unabhängig voneinander agieren. Wenn zwei Münzen geworfen werden, ist das Ergebnis voneinander unabhängig. Qubits hingegen können verschränkt sein (in der Literatur „Entanglement“ genannt, Anm.), wodurch eine Verbindung zwischen ihnen ­entsteht – wenn eine Münze Kopf zeigt, tut es die zweite Münze automatisch auch.

Dadurch können Informationen auch unter Unsicherheit ­verschoben werden. Mehrere verschränkte Qubits ermöglichen Antworten auf Rechenoperationen, für die die besten Computer Millionen Jahre benötigen würden. Eine vielversprechende Anwendungsmöglichkeit liegt in der Entdeckung und Entwicklung neuer Medikamente: Diese Prozesse dauern heute oft zehn Jahre und mehr, da klassische Computer die notwendigen Vergleiche bei Molekülen lediglich bis zu einer gewissen Größe durchführen können. Quantencomputer könnten diesen Prozess dramatisch verkürzen und so die Kosten deutlich reduzieren. Andere Use Cases sind neuartige Batterien für ­Elektroautos oder die Lösung des jahrzehnte­alten „Travelling Salesman“-Problems: Welche ­Route führt jeweils einmal durch eine Vielzahl an Städten und dann wieder zum Ausgangspunkt – auf dem kürzesten Weg? ­Normale Computer haben damit massive Schwierigkeiten – Quantencomputer nicht.

Wolfgang Lechner und Magdalena Hauser
...gründeten Parity QC 2019. Das Start-up will ein Betriebssystem für Quantencomputer anbieten.

Viel Aufmerksamkeit erhielt Google 2019, als es das Erreichen von „Quantum Supremacy“ verkündete – dass also ein Quantencomputer erstmals die Leistung eines normalen Computers übertroffen hätte. Konkurrent IBM widersprach dieser Behauptung zwar umgehend, doch die Diskussion zeigt, wie weit die Technologie gediehen ist.

Solche Versprechen ziehen ­natürlich Geld an. Tech-Riesen wie Google und IBM forschen intensiv an der Technologie, Unternehmen wie Daimler, Volkswagen und Airbus erhoffen sich Anwendungsmöglichkeiten. Die USA investieren eine Milliarde US-$ für Forschungs-Hubs in den Bereichen künstliche Intelligenz (KI) und Quantencomputing; die EU macht im Rahmen von Quantum Technologies ­Flagship die gleiche Summe locker. China will unbestätigten Gerüchten zu­folge satte zehn Milliarden US-$ investieren. Auch private ­Investoren haben Blut geleckt: 2015 gab es in den USA nur zwei Deals über vier ­Millionen US-$ in dem Bereich – in den ersten fünf Monaten 2020 erhielten einschlägige Start-ups laut dem Daten­anbieter Pitchbook hingegen bereits rund 300 Millionen US-$.

„Wir sind keine normale Firma“, sagt Lechner. „Wir müssen ­extrem viele Dinge neu entwickeln.“ Vieles der Arbeit des Start-ups drehe sich nicht unbedingt um Software-Engineering, sondern um fundamentale Mathematik. Zehn Mitarbeiter arbeiten für das Innsbrucker Start-up, darunter Quantenphysiker, die programmieren können – und Programmierer, die etwas von Quantenphysik verstehen. Statt sich in das Wettrennen um die Hardware einzuschalten, will Parity QC ein Betriebssystem für Quantencomputer bauen: „Parity OS“. Lechner: „Wir verstehen das Wort Betriebssystem im ehrlichsten Sinn: als Interface zwischen Hardware und User.“ Bereits ­heute ist das Produkt in der Lage, erste Probleme zu benchmarken. Doch die Lösung muss stetig weiterentwickelt und verbessert werden.

„Unser Ziel ist es, den einen Schlüssel in der Hand zu halten, den alle verwenden können“, sagt Hauser. „Unser Geschäftsmodell funktioniert nur international, ­unsere Kunden sitzen in den USA, Asien und Europa.“ Ultimativ soll mit allen Herstellern kooperiert werden. Geld verdienen will das Unternehmen auf zwei Arten: Die LHZ-Architektur, die auf Lechners Patent aufbaut, soll als Hardwarelizenz verkauft werden, Kostenpunkt: jedenfalls sechsstellig; das Betriebssystem Parity OS soll wiederum als Software-as-a-Service-Modell funktionieren, wo Hardwarehersteller oder End­user für die Nutzung im Abo bezahlen. Wann Quantencomputer in der breiten Masse ankommen werden, ist schwer abzuschätzen. Klar ist für Lechner nur, dass Optimierungs­probleme – in allen Unternehmen vorhanden – der erste Anwendungsfall sein werden. Der Weg dorthin ist jedoch unklar: „Es ist noch eine offene Frage, ob es den universellen Quantencomputer je geben wird. Womöglich läuft es auf verschiedene Lösungen hinaus, die auf gewisse Optimierungsprobleme spezialisiert sind und die man dann anpassen und verbessern kann“, so Hauser. Ihm ist wichtig, mehr als ein erfolgreiches Start-up zu bauen: „Wir wollen ein Ökosystem sein. Unsere LHZ-­Architektur ist eine riesige Plattform, die fundamentale Probleme löst. Davon könnten alle profitieren.“

Text: Klaus Fiala
Fotos: Günther Egger

Dieser Artikel erschien in unserer Ausgabe 9–20 zum Thema „Women“.

Klaus Fiala,
Chefredakteur

Up to Date

Mit dem FORBES-NEWSLETTER bekommen sie regelmässig die spannendsten Artikel sowie Eventankündigungen direkt in Ihr E-mail-Postfach geliefert.