Ein Leben für die Wand

Barbara Zangerl gilt als beste Allroundkletterin der Welt. Mit 19 Jahren schaffte sie als erste Frau beim Klettern in Absprunghöhe und ohne Seil einen der höchsten Schwierigkeitsgrade. In den letzten Jahren folgten freie Begehungen von einigen der schwierigsten Routen überhaupt, oft mit ihrem Kletter- und Lebenspartner Jacopo Larcher. Ein Blick in die Welt der hohen Wände.

Barbara Zangerl holt uns am Bahnhof Bludenz ab. Sie steigt kurz aus dem Auto aus und stellt sich mit einem kräftigen Handschlag vor: „Hi, Babsi.“ So nennen sie ihre Freunde – und so ist sie auch in der Kletterszene bekannt.

Zangerl gilt laut The Red Bulletin als „beste Allroundkletterin der Welt“, National Geographic kürte sie 2019 zur „Abenteurerin des Jahres“. Zu ihren größten Erfolgen zählen unter anderem die freie Begehung von „Magic Mushroom“ 2017 am El Capitan in Yosemite, Kalifornien, die freie Begehung von „Odyssee“, der schwierigsten Route auf der Eiger-Nordwand, im Jahr 2020, und die erste sturzfreie Begehung von „Eternal Flame“ am Trango Tower in Pakistan (siehe Bild links) im Jahr 2022.

Die Ehrungen der Medien bedeuten Zangerl deutlich weniger als die Liste ihrer Erfolge am Fels. „Für mich“, so die 35-Jährige, „kommen diese Titel immer überraschend. Es ist schon cool, wenn man von einem Magazin wie National Geographic ausgewählt wird. Gleichzeitig strebe ich diese Bekanntheit nicht an, sie ist mehr ein Nebeneffekt. Ich möchte die Projekte, die ich mir vornehme, bezwingen – der Sport begeistert mich einfach.“

Die gebürtige Tirolerin begann im Alter von 14 Jahren zu bouldern – so nennt man das Klettern in Absprunghöhe und ohne Seil; zur Sicherung dient eine Matte. „Ich habe in der Boulderhalle angefangen“, erzählt Zangerl, „bin aber bald viel draußen am Fels geklettert.“ Ihren ersten großen Erfolg hatte sie mit 19 Jahren, als sie als erste Frau weltweit einen Boulder („Pura Vida“ im Schweizer Bouldergebiet Magic Woods) im Schwierigkeitsgrad 8B schaffte. Doch rund ein Jahr später erlitt sie einen schweren Bandscheibenvorfall. „Am Anfang dachte ich, das ist nach zwei Tagen wieder weg. Es hat halt ein wenig gezwickt – wie immer, wenn man viel Sport macht“, erinnert sich Zangerl. Doch es ist anders gekommen: Fünf Jahre hat es gedauert, bis Zangerl wieder schmerzfrei klettern konnte – hohe Boulder meidet sie bis heute.

Durch ihre Rückenverletzung war Zangerl gezwungen, vom Bouldern aufs Seilklettern umzusteigen. Obwohl auf den ersten Blick ähnlich, sind Bouldern und Seilklettern zwei sehr verschiedene Disziplinen – Zangerl vergleicht den Unterschied mit Tennis und Tischtennis. Boulder-Routen sind in der Regel viel kürzer und kraftintensiver als Seilkletter-Routen. Dafür brauchen Seilkletterer eine bessere Ausdauer. Und je länger die Route ist, desto mehr spielt auch der Kopf mit: Ein Zug in der zehnten Seillänge fühlt sich anders an als derselbe Zug in Absprunghöhe (eine Seillänge ist in der Regel 30 bis 40 Meter lang, genau definiert ist diese nicht). Der entscheidende Unterschied zwischen Bouldern und Seilklettern war für Zangerl, dass ein Sturz ins Seil viel schonender für den Rücken ist, weil sich das Seil ein wenig dehnt und die Kraft des Falls abfedert.

Barbara Zangerl und Jacopo Larcher auf ihrer Expedition in Pakistan im Jahr 2022.

Heute ist Zangerl vor allem für ihre Erfolge im Alpinklettern (Klettern im Gebirge) und im Bigwall-Klettern (das Durchsteigen von hohen Bergwänden, die meistens nicht an einem Tag geklettert werden können, sodass der Athlet in der Wand biwakieren muss) bekannt. Ihre Arbeit als Röntgenassistentin im Spital wurde über die Jahre immer weniger. „Mittlerweile arbeite ich nur noch 30 % dort und mache hauptsächlich Nacht- oder Wochenenddienste“, so Zangerl.

Dennoch biete das einen angenehmen Ausgleich zu den Tagen, die sie in der Wand verbringt: „Als wir ‚Magic Mushroom‘ probiert haben, waren wir (Zangerl und ihr Kletter- und Lebenspartner Jacopo Larcher, Anm.) insgesamt elf Tage in der Wand. Die Route war natürlich einer meiner größten Erfolge – es war sicher die schwierigste Bigwall-Route, die ich je geklettert bin –, und mit der Begehung habe ich mir einen riesigen Traum erfüllt. Aber nach über einer Woche ist man dann auch froh, wieder unten am Boden zu sein, in einer Küche eine warme Mahlzeit zu kochen, in einem echten Bett zu schlafen – und normal aufs Klo gehen zu können, nicht immer nur mit einem Ziploc-Sackerl.“

Neben ihren Krankenhausdiensten spielt Zangerl ihr Geld über Sponsorenverträge herein. Ihre größten Partner sind die Outdoormarke Black Diamond, der Schuhhersteller La Sportiva und Vibram, das Unternehmen hinter dem Sohlengummi vieler Kletter- und Wanderschuhe. Ihre Partner finanzieren Zangerl das Equipment und die Expeditionen; im Gegenzug testet Zangerl die Produkte, bevor sie auf den Markt kommen, und tritt als Speaker bei Events auf. Reich wird Zangerl mit den Verträgen nicht. „Als Kletterin geht man, anders als in anderen Sportarten, nicht in Sportpension und hat ausgesorgt. Man muss sich nach der sportlichen Karriere schon etwas überlegen.“

Einige Kletterer produzieren deshalb auch selbst Content, etwa auf Youtube oder als Influencer auf Instagram und in anderen sozialen Netzwerken. Magnus Midtbø, ein norwegischer Kletterer, versorgt seine 2,07 Millionen Abonnenten regelmäßig mit Videos auf Youtube; Alex Honnold, der 2018 durch den Film „Free Solo“ auch außerhalb der Kletter-Community Bekanntschaft erlangte, hat drei Millionen Follower auf Instagram. Zangerl folgen dort knapp 80.000 Menschen.

Dass eine große Reichweite für viele in ihrem Feld ein Vorteil ist, weiß sie: „Wenn du eine größere Reichweite hast, hat das wahrscheinlich oft mehr Wert, als wenn du ein super Sportler bist.“ Doch die Kletterin kommt auf ihr voriges Statement zurück: Ihr Ziel sei es nicht, bekannt zu werden. Zangerl: „Mich interessiert es nicht, jeden Tag ein Video zu machen. Ich möchte, dass der Sport persönlich bleibt und einfach meine Leidenschaft sein kann.“

Barbara Zangerl (35) begann mit 14 Jahren zu bouldern. Rund sechs Jahre später erlitt sie einen schweren Bandscheibenvorfall und musste ans Seil wechseln. Seitdem hat die Tirolerin zahlreiche der schwierigsten Kletterrouten der Welt geschafft.

Fotos: Austin Siadak, Jonathan Faeth, Paolo Sartori

Erik Fleischmann,
Redakteur

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