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„Wenn ich zu einem EU-Koordinierungsgespräch gehe, bin ich häufig die Jüngste, die einzige Frau und die einzige schwarze Person“, erzählt die deutsche Diplomatin Tiaji Sio – genau diesen Umstand will sie in Zukunft ändern.
Tiaji Sio ist erst 24 Jahre alt, hat aber Großes vor: Mit ihren Initiativen Diplomats of Color und Diversitry will die junge Diplomatin das
deutsche Auswärtige Amt sowie die Bundesministerien attraktiver für People of Color (PoC) machen. Denn laut dem deutschen Nachrichtenmagazin Der Spiegel liegt der Anteil von Menschen mit Migrationshintergrund in der breiten Bevölkerung bei etwa 26 % – in der Verwaltung wird der Anteil aber nur auf ungefähr 12 % geschätzt. Im Jänner 2021 berichtete die Zeitung Tagesspiegel, dass Berlin als erstes Bundesland eine Migrantenquote in der Höhe von 35 % in der öffentlichen Verwaltung plant – ein Vorstoß, der wegen angeblicher Verfassungswidrigkeit nach kurzer Zeit von der Berliner SPD vom Tisch genommen wurde. Statt auf Quoten soll in Zukunft auf Gerechtigkeit im Einzelfall gesetzt werden.
Der Kampf um mehr Diversität geht für Sio jedenfalls weiter. Als 24-jährige deutsche Diplomatin will sie, dass die deutsche Bundesverwaltung so bunt und vielfältig ist wie die deutsche Gesellschaft. Für Sio ist der erste Schritt dabei, auf die fehlende Diversität aufmerksam zu machen: „Man muss zuerst einmal erkennen, dass es dieses Problem in der eigenen Organisation gibt. Sobald das anerkannt wird, kann man sich überlegen, wie man die Umstände konkret verbessern kann“, sagt sie.
Diplomats of Color besteht seit 2019. Damals gründete Sio die Plattform, heute wird die ehrenamtliche Initiative von einem festen Kernteam von sechs Personen geführt – wer darüber hinaus Zeit und Lust hat, sich zu engagieren, ist willkommen. Insgesamt sind rund 120 Menschen Teil des Netzwerks. Die Idee für die Initiative entstand, als Sio ihre Karriere beim Auswärtigen Amt begonnen hatte: „Ich habe mich beim Auswärtigen Amt beworben und arbeite jetzt in einer Behörde mit, die sehr weltoffen und global vernetzt ist. Dabei ist die Belegschaft selbst als Gruppe aber deutlich homogener als etwa mein schulisches Umfeld damals in Frankfurt, in dem Menschen unterschiedlichster Herkunft anzutreffen waren. Daher mache ich mich für mehr Repräsentation der gesellschaftlichen Vielfalt im öffentlichen Dienst stark. Insbesondere auf höheren Hierarchie stufen ist der Anteil von Menschen mit sichtbarer Migrationsgeschichte, ähnlich wie der Frauenanteil, noch verhältnismäßig gering“, sagt Sio. Aus der Suche nach Gleichgesinnten, die ebenfalls mehr über die Gründe für dieses Ungleichgewicht wissen wollten, entstand mit der Zeit dann ein festes Netzwerk.
Schnell war klar, dass das Problem vielschichtig ist. Es beginne, so die junge Diplomatin, in der Rekrutierung: „Gehört man einer Minderheit an, fühlt man sich oft von Ausschreibungen für öffentliche Ämter nicht angesprochen. Im Auswärtigen Amt sind alle Ausschreibungen mittlerweile so formuliert, dass sie gezielt Menschen unterschiedlichen Hintergrunds ansprechen. Das ist ein erster – wenn auch nicht der einzige notwendige – Schritt, um künftig sicherzustellen, dass sich auch in Führungspositionen die gesellschaftliche Vielfalt widerspiegelt.“ Um solche Probleme zu lösen, ist laut Sio „die höchstinstanzliche öffentliche Anerkennung der Situation“ schon der erste wichtige Schritt. Danach bräuchte man etwa einen externen Auditierungsprozess, der sich der Förderung von Diversität widmet. „Lösungsansätze gibt es, aber die Umsetzung bleibt eine Herausforderung. Dafür braucht es Veränderungsmanagement. Daher setzen wir uns als Diplomats of Color dafür ein, diese Prozesse schneller voranzubringen.“ Um auf die dringende Notwendigkeit, nun mehr Tempo aufzunehmen, hinzuweisen, spricht Sio das erste Gleichstellungsgesetz an, das 1958 in Deutschland verabschiedet wurde – 63 Jahre später sind nach wie vor nur 23 % der Führungspositionen im Auswärtigen Amt von Frauen besetzt.
Wenn es um das Auswärtige Amt geht, dreht sich die Diskussion um nichts Geringeres als die Repräsentation Deutschlands auf der globalen Bühne – denn zum Amt gehören noch die 227 Auslandsvertretungen. Hier könne Deutschland zum globalen Diskurs rund um Diskriminierung und strukturellen Rassismus beitragen, so Sio. Sie bricht auch mit Stereotypen: „Wenn ich zu einem Koordinierungsgespräch der Europäischen Union gehe, bin ich häufig die Jüngste, die einzige Frau und die einzige schwarze Person. Am Anfang haben sich die Leute gefragt, wer ich denn wohl sei, weil sie für die Repräsentantin Deutschlands ein anderes Bild hatten. Für mich ist das Schöne daran, aktiv zu einem realistischen Deutschland-Bild beizutragen.“
Die gebürtige Frankfurterin hat sich schon immer für Gerechtigkeit interessiert. Ihre Berufswünsche als Kind? Polizistin und Richterin. In der achten Klasse reiste sie im Rahmen eines Schüleraustauschs nach Indien: „Das war ein Schlüsselmoment, denn ich merkte, wie unterschiedlich Lebensrealitäten sein können – und dass ich mich für eine gerechtere Welt einsetzen will“, so Sio. Gleich nach dem Abitur ging es für sie an die Akademie Auswärtiger Dienst, dann an die Universität Edinburgh, wo sie ein Masterstudium in International Relations absolvierte. Seit 2018 arbeitet Sio beim Auswärtigen Amt und damit rund um den Globus – so war sie bereits im Senegal, in Mosambik, in Deutschland und in Vietnam stationiert.
Tiaji Sio
...ist deutsche Diplomatin. 2019 gründete sie die Initiative Diplomats of Color, um auf die fehlende Diversität im Auswärtigen Amt aufmerksam zu machen.
Das Auswärtige Amt ist eines von 14 deutschen Bundesministerien. Das Problem der fehlenden Vielfalt existiert laut Sio aber überall. Daher gründete sie 2021 ein weiteres Projekt namens Diversitry mit. Als „ministeriumsübergreifen des BIPoC Netzwerk“ (dabei steht BIPoC für „Black, Indigenous and People of Color“) setzt sich Diversitry für ein „stärkeres Bewusstsein und für konkrete Diversity-Maßnahmen der Bundesverwaltung“ ein. Zu den Aufgaben des Netzwerks zählt es, Ressourcen und Best Practices bereitzustellen, ressortübergreifende Initiativen zu koordinieren und strategische Planung sowie politische Kampagnen zu führen.
Die Reaktionen auf die beiden Initiativen waren laut Sio bisher sehr positiv. Auch von höchster Instanz gab es Zugeständnisse: Diplomats of Color wird vom deutschen Außenminister Heiko Maas öffentlich unterstützt. Für die Zukunft hofft Sio, dass es in Deutschland bald eine rechtliche Grundlage für die Förderung von Diversität geben wird. Konkret wäre das ein Diversitätsgesetz, das die Vielfalt in der Gesellschaft auch in der Verwaltung widerspiegelt – und zwar nicht nur bezogen auf eine Diversitätsdimension. Sio wünscht sich ein rechtliches Regelwerk, das Diversität als vielschichtigen Begriff definiert.
Für Sio geht die Reise jedenfalls weiter: Nach ihrem Aufenthalt in Vietnam wird sie in Harvard das zweijährige Masterprogramm Public Administration absolvieren. „Der öffentliche Dienst liegt mir sehr am Herzen. Meine neu gewonnenen Erkenntnisse möchte ich anschließend wieder in den Auswärtigen Dienst einbringen“, sagt Sio.
Text: Sophie Spiegelberger
Fotos: Benjamin Jenak, Lam Nguyen
Dieser Artikel erschien in unserer Ausgabe 5–21 zum Thema „Travel & Tourism“.