Digitalisierung ist der Schlüssel

Es mag einige wundern, dass in Zeiten von künstlicher Intelligenz und Chat GPT viele Branchen in Europa noch immer nicht in der Digitalisierung angekommen sind. Für Under 30-Listmaker Swen Koller ist das nichts Neues: Mit Bravo holte er die Schweizer Gastronomie- und Lebensmittelbranche ins digitale Zeitalter – jetzt ist sein nächster Schritt die Automatisierung mittels KI.

Ein Chatbot im Kundendienst bei Fluglinien, eine Spracherkennungs­software bei Telefonaten mit dem ­Finanzamt oder Daten­verarbeitung mithilfe von künst­licher Intelligenz auf Social-Media-Plattformen: Die meisten Branchen mussten in den letzten Jahren in Sachen Digitalisierung und künstliche Intelligenz nachziehen. Swen Koller, Co-Gründer von Bravo, hat die Chancen, die in KI stecken, schon 2017 erkannt: „Damals steckten im Vergleich zu heute sowohl die künstliche Intelligenz allgemein als auch die Sprachmodelle noch in den Kinder­schuhen, aber ich war damals schon überzeugt, dass es in diesen Bereichen großes Potenzial gibt“, erzählt Koller.

So entschied sich der Schweizer nach seinem BWL-Studium in St. Gallen, am Imperial College in London Informatik zu studieren, um seine Interessen für das Unternehmertum und für Digitalisierung und künstliche Intelligenz zu kombinieren. „Ich hatte immer schon ein großes Interesse an ­Informatik, und beim BWL-Studium haben mir ­einfach die technischen Aspekte ­gefehlt“, erklärt Koller.

Im Jahr 2020 gründete er sein erstes Start-up Bravo, das sich der ­Digitalisierung der Lebens­mittel- und Gastro-Branche widmen sollte. Genau dort sah er den größten Aufholbedarf: „Es gibt sehr viele kleine Unternehmen, sowohl auf der Gastro­nomie- als auch auf der Zu­liefererseite. Diesen kleinen Unternehmen fehlt es häufig an IT-Teams, um selbst solche Automatisierungslösungen zu entwickeln“, erklärt Koller. Mit Bravo schaffte es das junge Team, genau diese Lücke zu schließen. Dabei verbindet das Unternehmen Restaurants mit Lebensmittelgroßhändlern und digitalisiert den Bestellungsprozess der Restaurants, um effizientere Einkäufe zu gestalten und mittels genauerer Daten sogenannten Foodwaste zu reduzieren. Zwei Jahre nach der Gründung wurde Bravo von über 1.000 Unternehmen in der Schweiz aktiv genutzt und erreichte im Zuge dessen auch den ersten Platz bei der Venture Competition von ETH Zürich und McKinsey. Dabei erhielt das Unternehmen ein Preisgeld von 50.000 CHF.

2022 konnten Koller und sein Mitgründer Oliver Girstmair außer­dem den Exit feiern: Die beiden ­verkauften Bravo an das B2B-E-Commerce-Software-Unternehmen Sensational. Heute hat Koller nur noch eine Beratungsrolle bei Bravo inne.

„Mein Involvement bei Bravo wurde nach der Akquise des Unter­nehmens und der Integration in Sensational immer weniger wichtig, und gleichzeitig hat mich meine Leidenschaft für das KI-Thema nie so richtig losgelassen. Ich wollte mir daher die Zeit nehmen, in diesem Bereich noch etwas zu machen“, ­erklärt Koller.

Aktuell belegt Koller ein Engineering-Studium an der Universi­tät Harvard und arbeitet dort an ­einigen Projekten rund um künstliche Intelligenz und Automatisierungsprozesse. In den Bereichen Marketing, E-Commerce und Kunden­interaktion sieht der Schweizer die größten Chancen für Automatisierungs­prozesse. So entwickelte Koller in den letzten Jahren für das Schweizer E-Commerce-Unternehmen Brack einen Shopping-Assistant- und Customer-Support-Bot. „Viele Kundeninteraktionen können durch KI deutlich verbessert werden“, ist Koller sicher.

Die Größe des globalen Chatbot-Markts wird für das Jahr 2024 auf 7,01 Mrd. US-$ geschätzt und soll bis 2029 auf 20,81 Mrd. US-$ wachsen. Sowohl die Nachfrage als auch die Kundenzufriedenheit stieg in den letzten Jahren enorm an – so bevorzugen laut dem amerikanischen Portal PSFK bei einfachen Fragen 74 % einen Chatbot gegenüber einer persönlichen Beratung durch einen Mitarbeiter des Kunden­centers.

Auch Koller sieht vor allem in der Kombination von künstlicher Intelligenz und der Beratung durch Mitarbeiter im Kundenservice zahlreiche Möglichkeiten: „Ich glaube, es gibt aus früheren Einsätzen von Chatbots viel verbrannte Erde, ­einfach weil die Technologie noch nicht ausgereift genug war. Heute ist die Technologie so gut, dass wir ­Lösungen entwickeln können, die Kunden tatsächlich gerne verwenden. Ich erwarte daher, dass wir uns relativ schnell an gute Chat- und Voice-Bots gewöhnen werden.“

„Allgemein möchte ich als Unternehmer mit meinen Produkten und Projekten einen positiven Impact haben“, so Swen Koller.

Koller erhofft sich vor allem in den Branchen, in denen es um die Vereinfachung von Daten­erfassungsprozessen geht, eine nachhaltige Entwicklung in ­Richtung künstliche Intelligenz für die Zukunft. So arbeitet der Gründer auch an einem Projekt im medizinischen Bereich, der ­weltweit mit Personalmangel zu kämpfen hat. „Gerade Backoffice-Aufgaben im Healthcare-Bereich können von ­einer KI sehr gut übernommen werden und damit ­einen Engpass an Mitarbeitern über­brücken“, so Koller.

Hier sieht er vor allem in ­Europa viel Aufholbedarf, da viele Branchen und Unternehmen noch nicht einmal in der Digitalisierung angekommen seien: „Hier in den USA sind die Digitalisierung und der Einsatz künstlicher In­telligenz schon viel weiter fortgeschritten. Deshalb sehe ich als Unter­nehmer in Europa großes Potenzial, etwas zu verändern“, erklärt Koller und fügt hinzu: „Gleichzeitig kommt man in den USA viel schneller und einfacher an Finanzierungen. In ­Europa gibt es viele gute Ideen, die aber leider oft nicht ausreichend ­finanziert werden.“

In Zukunft will Swen ­Koller auf jeden Fall wieder unter die Start-up-Gründer gehen; ob das nun in den USA oder in Europa ­passiert, steht noch nicht fest. Er sieht in ­beiden Regionen Vor- und Nachteile. „Allgemein möchte ich als Unternehmer mit meinen Produkten und Projekten einen positiven Impact haben“, so der Gründer.

Swen Koller ist Gründer von Bravo, einem Unternehmen, das Lebens­mittelgroßhändler digital mit Restaurants verknüpft und dabei Bestellprozesse vereinfacht. 2022 wurde Bravo an die Sensational AG verkauft. Heute hat Koller nur noch eine Beratungsfunktion bei Bravo inne und konzentriert sich in den USA neben seinem Studium in Harvard auf die Zukunft von digitalen Auto­matisierungsprozessen mittels künstlicher Intelligenz.

Lela Thun,
Redakteurin

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