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Seit 1. Juli 2020 bietet die Familie & Beruf Management GmbH eine staatliche Zertifizierung im Bereich des mobilen Arbeitens an, was aufgrund der Coronakrise großen Anklang bei den Unternehmen findet. Wichtigster Fokus dabei: die hybride Arbeit.
Für viele war der Corona-Lockdown ein unerwartet großer Schritt in die Zukunft des Arbeitens. Ohne große Umschweife wurden Aufgaben „digital erledigt“ – etwas, das vorher vielen unmöglich schien. Und plötzlich stand eine Tür zu einer anderen Art des Arbeitens und der Vereinbarkeit von Beruf und Familie für mehr Menschen als je zuvor weit offen. Für viele Unternehmen führt hier auch kein Weg mehr zurück. Bestätigt wird diese Erkenntnis durch eine Studie, die im Auftrag der Familie & Beruf Management GmbH – der österreichischen Koordinierungsstelle für Vereinbarkeitsmaßnahmen (vertreten wird diese durch das Bundesministerium für Arbeit, Familie und Jugend) – in Auftrag gegeben und von der Markt- und Meinungsforschung Peter Hajek Public Opinion Strategies seit 2014 zum Thema Vereinbarkeit von Beruf und Familie regelmäßig durchgeführt wird. Digitalisierung, so heißt es dort, ermögliche eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie (58 % der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sind dieser Ansicht). Vor allem Personen mit Kindern unter zehn Jahren und pflegebedürftigen Angehörigen stimmten dem zu, ebenso wie Personen aus höheren Bildungsebenen. 56 % aller Befragten hoffen zudem, dass sich diese Entwicklung auch nach der Coronakrise fortsetzen wird. Mobiles Arbeiten ist, so die Studie weiter, für 80 % der Befragten wichtig bis sehr wichtig.
Seit 1. Juli wird Homeoffice bzw. mobiles Arbeiten als Schwerpunkt im Rahmen der staatlichen Zertifizierung „Beruf und Familie“ angeboten. Man folge damit vor allem dem Wunsch vieler Unternehmen, ihren Arbeitnehmern Rahmenbedingungen für moderne Arbeitsformen zu geben, sagt Elisabeth Wenzl, Geschäftsführerin der Familie & Beruf Management GmbH. Die Organisation bietet Zertifizierungen für Unternehmen, aber auch Unis und Gemeinden an, um
die Vereinbarkeitsthemen flächendeckend zu unterstützen bzw. auch zu etablieren. Aktuell sei das „hybride Arbeiten“, so Wenzl weiter, ein ganz zentrales Thema. „Da braucht es Spielregeln: nämlich wer, wann, wo, mit wem und warum an einem Projekt arbeitet.“ Im Rahmen dieser Kombination von digitaler und analoger Arbeit und Anwesenheit werde das aufgabenbezogene Arbeiten in den Fokus der Aufmerksamkeit gerückt werden müssen, sagt sie: „Wir werden alle lernen müssen, die Arbeit anders zu strukturieren – nämlich inwieweit diese sich für digitales bzw. analoges Tun eignet.“ Das sei ein für viele neuer Zugang, der andere Formen der Kommunikation erfordere und bei dem ihre Organisation die Unternehmen „von einem Ist zu einem Soll“ begleite, so Wenzl weiter. Das Thema sei dabei für alle Beteiligten so neu, dass heute noch nicht genau abzusehen sei, was künftig Schwerpunkte des hybriden Arbeitens in den Unternehmen – auch im eigenen – sein könnten.
Seit Anfang 2016 ist der Erste Campus am Wiener Hauptbahnhof das Headquarter der Erste Group, an dem alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus 25 Standorten, die zuvor in der ganzen Stadt und um diese herum verstreut gearbeitet hatten, an einem Platz vereint wurden. Die mit dem Einzug eingeführten neuen Arbeitsmethoden für die rund 4.500 Mitarbeiter an diesem Standort mussten geübt werden – das papierlose Büro ebenso wie die Neuheit, dass man sich täglich seinen Arbeitsplatz neu aussuchen durfte. Anfangs sicher keine ganz einfache Umstellung, ist diese Arbeitsweise heute den meisten Erste-Bankerinnen und -Bankern in Fleisch und Blut übergegangen. Unbestritten ist, dass die Erste Group in ganz vielen Bereichen ein sogenannter „First Mover“ ist. Das trifft auch auf die Zertifizierung mittels staatlichen Gütezeichens für „familienfreundliche Arbeitgeber/innen“ zu. Die Erste Group wurde 1999 als allererstes Unternehmen in Österreich mit diesem Gütezeichen von „Familie und Beruf“ ausgezeichnet – und erneuert dieses seither alle drei Jahre offiziell und intern, wenn man so möchte, laufend. „Wir sehen diese Zertifizierung einfach auch als Selbstverpflichtung. Es ist uns ein Anliegen, uns in Sachen Familienfreundlichkeit laufend selbst zu prüfen“, sagt Monika Sternathova, HR-Expertin und in Österreich für die Diversity-Agenden der Erste Group zuständig. Vereinbarkeit von Beruf und Familie war und ist dort seit jeher keine graue Theorie im Human-Resources-Department. Die Gruppe ist etwa bekannt dafür, überdurchschnittlich viele Angebote für ihre Mitarbeiter zur Verfügung zu stellen – aktuell werde der zweite Kindergarten geplant, und viele Maßnahmen mehr, zählt die HR-Expertin auf. Zwei Tage Homeoffice pro Woche für alle nach Absprache mit der Führungskraft waren lange vor Corona schon Teil der Arbeitskultur. Der Vorgeschmack auf die vielen Möglichkeiten, die ein Arbeitsplatz der Zukunft bieten könnte – so, wie ihn die meisten Menschen im Rahmen des Lockdowns erfahren haben –, war für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Erste Group also nicht mehr neu. „Innerhalb von zwei Tagen waren wir alle zu Hause, das ist wirklich schnell gegangen“, sagt Sternathova. „Unsere ganze Infrastruktur – jeder hat einen eigenen Laptop und ein eigenes Handy – ist so aufgestellt, dass man von überall aus arbeiten kann.“ In Spitzenzeiten waren in Österreich bei der Erste Group rund 11.000 Leute zu Hause, erzählt sie. Wir wollen wissen, wie das mit der aktuellsten Zertifizierung für mobiles Arbeiten war.
„Bei jeder neuen Zertifizierung wählen die Unternehmen ein ihnen zentrales Thema, das sie bearbeiten wollen“, holt die HR-Expertin der Erste Group aus. „Und das mobile Arbeiten stand eng im Zusammenhang mit dem Bereich der Kommunikation. Das haben wir zum Anlass genommen, die Best-Practice-Beispiele, die es in diesem Unternehmen gibt, zu zeigen.“ Unter dem Motto „Glaub an dich“ werden regelmäßig Erfahrungsberichte und Porträts von Kolleginnen und Kollegen kommuniziert, auch und gerade zum Thema Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben. Auch gebe es jetzt einen Blog für Eltern kleiner Kinder und vieles mehr. „Das alles hat im Zuge des Lockdowns eine starke Eigendynamik bekommen, das war schön zu sehen“, sagt Sternathova. „Und es gab viel mehr! Wir haben allen Eltern betreuungspflichtiger Kinder eine dreiwöchige Freistellung angeboten, die man auch stundenweise konsumieren konnte.“ Als Mutter zweier Kinder wisse sie aus eigener Erfahrung, wie hilfreich hier nur eine Stunde sein kann, so die HR-Expertin – ein Angebot, das stark genutzt wurde und für das das Unternehmen extreme Flexibilität beweisen musste.
Ob der Lockdown trotz gelernter moderner Arbeitsmethoden dennoch Einfluss auf die Kultur des Unternehmens hatte? Sternathova: „Meine persönliche Wahrnehmung ist, dass wir auf eine Art familiärer geworden sind. Jeder hat in gewisser Weise Einblicke in den privaten Wohn- und Arbeitsbereich der Kolleginnen und Kollegen – im wahrsten Sinne des Wortes – bekommen. Das hat etwas im Umgang miteinander verändert, denke ich. Wir waren alle gefordert und haben in Wahrheit – das zum Thema mobiles Arbeiten und Homeoffice – viel mehr gearbeitet als viel weniger. Entsprechende Bedenken gab es ja auch.“
Besonders gefordert seien vor allem auch die Kolleginnen und Kollegen „an der Front“, also in den Filialen, gewesen, so Sternathova. „Ich habe mit einem Filialleiter gesprochen, um mir seine Erlebnisse und Eindrücke schildern zu lassen.“ Noch immer, so die HR-Expertin,
sei keine Normalität eingekehrt; auch wenn die ganz extremen Phasen wie zu Beginn der Coronakrise – zunächst mit den extremen Bargeldabhebungen bis hin zum Einbruch der Börsen – fürs Erste überstanden seien. „Wir haben es geschafft, dass alle Filialen durchgehend geöffnet waren und auch 90 % der Geschäftsfälle remote abgewickelt werden konnten.“ Man denke an die vielen Kreditanträge, für die es in der Krise enorm viele neue Regelungen gebraucht hat. „Sie müssen sich vorstellen, in welcher Geschwindigkeit hier gearbeitet worden ist und wie extrem unsere Kolleginnen und Kollegen in den Filialen gefordert waren“, so Sternathova wertschätzend.
Sie hoffe zudem sehr, ergänzt Sternathova, dass das Thema Frauen in der Führung durch die Lockdown-Phase sichtbarer geworden ist. „Wir forcieren den Bereich ja seit vielen Jahren stark“, sagt sie. 2012 habe man begonnen, aktiv daran zu arbeiten – „32 % weibliche Führungskräfte hatten wir damals, mittlerweile stehen wir bei 42 %.“ Das seien die Zahlen der Erste Bank Oesterreich – „leider nicht die aus der Gruppe“. Gut Ding braucht – auch mit Nachdruck – manchmal leider auch Weile. „Ich hoffe, dass gesehen wurde, welches Ausmaß die Hausarbeit und die Kindererziehung hat“, sagt Sternathova; sie will Optimistin sein. Eine Umfrage zum Thema Arbeitsplatz der Zukunft wurde gerade gruppenweit abgeschlossen, erzählt sie noch zum Schluss. „Auf diese Ergebnisse – die stark vom Lockdown beeinflusst sein werden – bin ich schon wirklich gespannt.“
Der Lockdown hat auch für die Spar Gruppe das Potenzial des Möglichkeitsraums aufgezeigt – ein Kraftakt, der in Nicole Berkmann, Konzernsprecherin der Spar Gruppe, selbst nach 26 Jahren im Unternehmen Stolz und Bewunderung für all ihre Kolleginnen und Kollegen hervorruft. Unglaubliches sei geleistet worden, sagt sie, und die Krise habe gezeigt, dass man gut vorbereitet und professionell aufgestellt war. Einerseits betreffe das die Marktmitarbeiter, die etwa zwei Drittel der gesamten Belegschaft ausmachen – in Österreich sind insgesamt 47.000 Menschen für Spar tätig, in der gesamten Gruppe mit Niederlassungen in Italien, Slowenien, Ungarn, Tschechien und Kroatien sind es 88.000 Mitarbeiter. Bereits im Februar habe man von den Kollegen in Italien erste Informationen über die Schwere der Situation bekommen, „entsprechend rasch konnten wir handeln und uns auf den Krisenmodus vorbereiten“, so Berkmann. Als Nahversorger hatte man zunächst vor allem damit zu tun, nach den enormen Hamsterkäufen die Regale wieder vollzubekommen. Es mussten aber auch die Verwaltungsmitarbeiter in den Großhandelszentralen ins Homeoffice geschickt werden. Berkmann: „Innerhalb von zwei Tagen war die Hauptzentrale in Salzburg mit normalerweise rund 1.000 Leuten plötzlich menschenleer.“
Hybrides Arbeiten braucht Spielregeln. Wir unterstützen Unternehmen dabei, diese zu finden.
Der Transfer von 4.400 Mitarbeitern in Österreich ins Homeoffice war in jedem Fall bemerkenswert: Die Unternehmens-IT besorgte zusätzliche Notebooks, und alle, die keine mehr bekamen, durften ihren Stand-PC abbauen und nach Hause nehmen. Zudem wurden all jene, die noch keines hatten, mit einem Mobiltelefon versorgt, und jene, die zu schwachen Internetzugang zu Hause hatten, mit sogenannten Cubes ausgestattet. So kam es auch nicht zu IT-Sicherheitslücken. Die Umstellung und auch die Umstellungsgeschwindigkeit seien enorm gewesen – an Effizienz habe man nichts eingebüßt, sagt Berkmann: „Eher im Gegenteil: Hatten wir vor Corona 200 Video-Calls am Tag, waren es während Corona 1.200 täglich.“ Für den Remote-Arbeitsmodus sollte es fortan – anders als in der Vergangenheit – durchgehend transparente Regelungen geben. „Wir hatten natürlich schon vor Corona die Möglichkeit, ins Homeoffice zu gehen“, sagt Berkmann, „man konnte sich das immer mit den jeweiligen Bereichsleitern ausmachen.“ Allerdings auch mit dem Ergebnis, dass es keine durchgehenden Regelungen im Unternehmen hinsichtlich des Teleworkings gab, so Berkmann weiter. „Das hat zuweilen – auch berechtigt – zu Unmut geführt.“ Das möchte man mit dem aktuellen Re-Zertifizierungsverfahren mit „Familie und Beruf“ nun ändern. In Sachen Vereinbarkeit sei man bereits von 2013 bis 2019 an allen österreichischen Standorten zertifiziert worden; das Thema mobiles Arbeiten ist aus aktuellem Anlass nun dazugekommen. So eine Zertifizierung soll laut Berkmann ja auch das Unternehmen als Gemeinschaft unterstreichen, um das, was geleistet wird und wurde, auf eine Art wertzuschätzen, die von allen Kollegen gleichermaßen als gerecht wahrgenommen wird. „Dafür braucht es einfach auch Transparenz.“
Wobei hier nicht nur bei der Spar Gruppe, sondern ganz allgemein Herausforderungen in Sachen mobiles Arbeiten anstehen. Berkmann: „Ich sehe ein Leadership-Thema in diesem Feld. Uns Führungskräften stellt sich die Frage: Wie führe ich ein Team, das zum Teil remote arbeitet und zum anderen Teil nicht, und das vor allem zwischen diesen Arbeitsweisen flexibel wechselt?“ Für das Führen in hybriden Teams werde es Schulungen brauchen, so die Konzernsprecherin weiter. Jetzt gehe es einmal darum, Basisrichtlinien zu schaffen sowie eine rechtliche Absicherung zu diskutieren und festzumachen. Berkmann erwartet, dass diese „neue Normalität“, von der heute so viele sprechen, sich im Rahmen des hybriden Arbeitens in ein bis zwei Jahren einpendeln könnte.
Sowohl Berkmann als auch Sternathova und Wenzl sehen die Zusammenarbeit als Work in Progress, zu dem jedes Unternehmen seine Erfahrungen und sein Wissen beitragen kann und soll – für die Zukunft des Arbeitens, und zwar zum Wohle aller.
Text: Heidi Aichinger
Fotos: David Visnjic, beigestellt
Dieser Artikel erschien in unserer Forbes Daily "Health & Wealth".