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Live EO wollte von Anfang an hoch hinaus – 2017 von den beiden Studenten Sven Przywarra und Daniel Seidel gegründet verfolgt das Start-up das Ziel, Satellitendaten mittels maschinellen Lernens besser nutzbar zu machen. Vier Jahre später zählen die Berliner einige der größten Infrastrukturnetzwerke der Welt zu ihren Kunden.
Alljährlich schreibt die Deutsche Bahn Preise für herausragende Leistungen und Innovationen unter ihren Partnerfirmen aus. Preisträger des prestigeträchtigen Supplier Innovation Awards im Sommer 2021: das Berliner Start-up Live EO. Das Unternehmen sorgte von Anfang an mit dem Vorhaben für Aufsehen, große Infrastrukturnetzwerke mittels Satellitendaten überwachen zu wollen. Das flächendeckende Monitoring eines Schienennetzes wie jenem der Deutschen Bahn –mit 33.000 Kilometern Länge das umfassendste Europas – war dadurch nämlich erstmals möglich.
Gründer Sven Przywarra studierte Wirtschaftsingenieurwesen an der Technischen Universität Berlin und wollte schon früh im Bereich Raumfahrt arbeiten. „Ich fand die Unternehmen aber immer ein wenig langweilig. Ich wollte etwas, das mehr Impact für die Menschen hat“, sagt er heute. Auf einer Konferenz lernte er dann Daniel Seidel kennen. „Wir machten unabhängig voneinander die Beobachtung, dass es eigentlich unglaublich ist, wie jeder Fleck der Erde, jedes Asset, jedes Grundstück gemonitort wird, aber niemand diese Daten nutzt. Wir stellten uns dann die Frage, wer am meisten von solchen Daten profitieren könnte.“
Seine Satellitendaten bezieht Live EO von privaten wie öffentlichen Akteuren, etwa von Planetlabs, Airbus oder auch der Europäischen Kommission. Neben optischen Daten werden von Live EO auch Radardaten gesammelt; all dies geschieht über eine API-Schnittstelle, im Falle kommerzieller Anbieter wird dafür bezahlt. Das Ziel ist, die Abläufe so weit wie möglich zu automatisieren: „Wenn man so will, bauen wir hier eine Fabrik für Satellitendatenanalyse. Und die effizientesten Fabriken sind jene mit gut funktionierender Automatisierung“, erklärt Przywarra.
Alle gesammelten Daten werden dann kombiniert und daraus ein Data Stack erstellt. Durch die Kombination verschiedener Daten erhält Live EO einen hervorragenden Datensatz, der jenen der einzelnen Betreiber qualitativ überlegen ist. Das schiere Vorhandensein dieser Daten nütze Unternehmen aber noch nicht, erklärt Przywarra. „Es handelt sich um riesige Mengen an Rohdaten, die für den Endnutzer in der Form nicht brauchbar sind. Man kann sich das vorstellen wie den Rohstoff eines Impfstoffs: Nur weil man ihn hat, kann man noch lange nicht den Impfstoff herstellen.“ Der wahre Wert entsteht vielmehr in der Prozessierung und Analyse der Daten. Hier kommt der Algorithmus von Live EO ins Spiel, der die Datenmengen mittels maschinellen Lernens strukturiert und auswertet. „In der Prozessierung passiert sehr viel. Der echte Wert liegt in der Generierung von Insights für die Nutzer“, erklärt Przywarra. „Die Daten werden mittels vorab trainierter Algorithmen – die auch speziell für den Kunden trainiert werden können – ausgewertet. Dieser Ansatz hilft uns, automatisch zu identifizieren, wo beispielsweise entlang eines 100.000 Kilometer langen Schienennetzes potenzielle Gefahren durch Vegetation liegen. Ohne Automatisierung wäre das nicht möglich.“
Das Vegetation Management ist neben den Bereichen Ground Deformation und Third Party Interaction aktuell das Hauptanwendungsgebiet der Dienste des Berliner Start-ups. Der Fokus liegt hier vor allem auf der Überwachung großer Infrastrukturnetzwerke und der potenziellen Gefährdung durch die umliegende Vegetation. Neben der Deutschen Bahn hat das Unternehmen mittlerweile Großkunden auf allen Kontinenten gewonnen.
So war Live EO die erste Firma, die das US-amerikanische Netz von Hochspannungsleitungen vollständig auf Gefahren hin untersuchte – in den USA können mehr als 50 % der Stromausfälle auf Probleme mit der umliegenden Vegetation zurückgeführt werden. Etwa sechs Milliarden US-$ werden Jahr für Jahr in dieses Vegetation Management investiert. Das nun erstmals mögliche Monitoring des über 900.000 Kilometer langen Netzes an freiliegenden Stromleitungen soll den Überwachungsprozess deutlich effizienter machen und dabei helfen, Kosten einzusparen.
„Aktuell sind unsere Kunden hauptsächlich Betreiber großer Infrastrukturnetzwerke“, erklärt Przywarra. „Natürlich stellen wir uns aber laufend die Frage, welche Bereiche hinzukommen können. In Zukunft ist auch der öffentliche Sektor ein möglicher Partner, wir blicken aber auch auf viele andere Bereiche wie beispielsweise das Versicherungswesen oder Mining. Unser Ziel ist es, bis zum Jahr 2030 insgesamt eine Milliarde Assets zu monitoren, von Brücken über Häuser und Fabriken bis hin zu Stromnetzen oder Pipelines“, so der Gründer.
Dabei hätten die Anfänge bescheidener kaum sein können. „Wir hatten am Anfang etwa 200 € auf unserem Firmenkonto, waren beide noch Studenten und konnten auf keinerlei sonstige finanzielle Unterstützung zurückgreifen. Wir haben dann einfach mit dem Coden begonnen und uns auf unsere Ziele konzentriert“, so Przywarra.
Sven Przywarra
...will mit seinem Start-up Live EO das lückenlose Monitoring von Infrastrukturnetzwerken auf der ganzen Welt ermöglichen.
Gemeinsam mit Seidel ging er dann schnell in die Kundenansprache über, um erste Umsätze zu generieren, erzählt der CEO heute. Eine große Hilfe sei schließlich die Teilnahme an Accelerator-Programmen gewesen, darunter der Copernicus Accelerator der Europäischen Kommission, das High-Tech Seed Lab in Berlin oder die DB Mindbox der Deutschen Bahn. „Das hat uns unglaublich geholfen – am Anfang ist das Delta, das man bei der Firmengründung mit relativ geringen Beträgen schaffen kann, einfach enorm. Da machen einige Tausend Euro einen großen Unterschied aus“, so Przywarra. Neben der finanziellen Unterstützung war auch das Feedback von großem Wert: „Wir konnten überall wertvolle Kontakte knüpfen, die uns bis heute helfen. Es geht bei diesen Programmen nicht nur ums Geld“, erzählt der Gründer.
Heute hat Live EO 70 Mitarbeiter, wovon etwa 50 % im Tech-Bereich tätig sind. Seit Anfang des Jahres betreibt das Unternehmen zudem neben der Zentrale in Berlin auch ein Büro in New York und trägt der Bedeutung des nordamerikanischen Markts für das Start-up damit Rechnung.
Der DB Supplier Innovation Award im heurigen Sommer war ein vorläufiger Höhepunkt der Erfolgsgeschichte von Live EO. Seit der Teilnahme am DB-Mindbox-Programm sei man in engem Austausch mit der Deutschen Bahn geblieben, sagt Przywarra: „Sie haben uns sehr dabei geholfen, das Produkt so weiterzuentwickeln, dass es sinnvoll ist und in der heutigen Form zur Anwendung gebracht werden kann.“ Mit dem Gewinn hat der Gründer aber dennoch nicht gerechnet: „Die Finalisten waren alle sehr stark und hatten tolle Produkte. Die Arbeit mit Satellitendaten ist in dieser Form völlig neu, nicht nur ‚cutting edge‘, sondern sogar ‚bleeding edge‘. Das macht den Erfolg umso wertvoller für unser junges Unternehmen und hat unsin unserem Weg bekräftigt.“
Text: Silvan Mortazavi
Fotos: Jörg Klaus
Dieser Artikel erschien in unserer Ausgabe 10–21 zum Thema „Under 30“.