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Das biopharmazeutische Unternehmen kämpft seit acht Jahren vor Gericht um den Nachweis einer Einflussnahme und fehlenden Unparteilichkeit bei der Europäischen Arzneimittel-Agentur.
2016. Nach Jahren harter Arbeit und Forschung ist PharmaMar, ein europäisches Biotechnologie-Unternehmen mit Sitz in Spanien, weltweit führend in der Entdeckung, Entwicklung und Vermarktung von Arzneimitteln marinen Ursprungs zur Behandlung von Krebs, bereit, ein revolutionäres neues Medikament auf den Markt zu bringen, Plitidepsin, das Patienten mit multiplem Myelom helfen kann. Die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) hat jedoch entgegen aller Erwartungen die Genehmigung ihres Inverkehrbringens verweigert. Nach fast zweijährigem Versuch die Behörde zur Vernunft zu bringen, klagte PharmaMar vor dem Gericht der Europäischen Union. Das Urteil kam 2020, dem Unternehmen wurde Recht gegeben und es wurde festgestellt, dass die EMA in einem Interessenkonflikt mit einem anderen Pharmaunternehmen stand. Dennoch gab es in der Folge erneut eine seltsame Wendung: Deutschland und Estland legten Berufung ein, die Niederlande und die EMA schlossen sich ihnen später an. Nun wird der Fall in seiner Gesamtheit erneut geprüft. Was passiert im europäischen biopharmazeutischen Sektor? Gibt es versteckte Interessen an den Entscheidungen der EMA? Der CEO von PharmaMar, José María Fernández Sousa-Faro, erzählt uns, wie das Unternehmen diese juristische Odyssee erlebt hat.
Ein bereits 8 Jahre andauernder Rechtsstreit geht weiter, wie haben Sie ihn im Unternehmen erlebt?
Wir erlebten ihn mit der Überzeugung, dass wir taten, was wir tun mussten, obwohl es sich um lange Prozesse handelt. Die Entwicklung einer Arzneimittels ist mit einem enormen Aufwand verbunden, an dem in diesem Fall ein Team von mehr als 100 Personen über fast zehn Jahre beteiligt war. Als das Produkt nach allen erforderlichen Studien bei Patienten positive Ergebnisse in der Behandlung des multiplen Myeloms zeigte, so dass e von den beiden von der EMA benannten Bericht erstattenden Ländern zur Zulassung empfohlen und auch in Australien
zugelassen wurde, machte sich mit der Ablehnung durch die EMA bei PharmaMar Frustration breit. Uns ist kein anderer Fall einer Ablehnung durch die EMA bekannt, bei der die beiden Bericht erstattenden Länder der EMA das Produkt für genehmigungsfähig hielten.
Der Fall hat auch zu einer Vertrauenskrise gegenüber der EMA und deren internen Machtverhältnisse geführt. An welchem Punkt begannen Sie zu vermuten, dass es versteckte Interessen an der Verweigerung der Genehmigung für Plitidepsin gibt?
Die Verweigerung der Zulassung kam völlig unerwartet. Die Haltung des Vorsitzenden des Ausschusses für Humanarzneimittel (CHMP) der EMA, des Schweden Tomas Salmonson, war so unverhohlen und rücksichtslos, dass wir vom ersten Moment an vermuteten, dass etwas nicht stimmte. Die Behörde entsprach weder der Zeit noch der Form, man fälschte das Ausstellungsdatum eines Dokuments, die Protokolle des Prüfungsprozesses und wir glauben, dass es neben vielen anderen Dingen eine eindeutige vergleichende unerlaubte Handlung gab. Dies veranlasste uns, die EMA vor dem Gerichtshof von Luxemburg zu verklagen.
Welche Rolle hat Schwedens enormes Gewicht in der Agentur gespielt?
Schweden hat seit seiner Gründung den größten Einfluss auf die Entscheidungen der EMA. Tomas Salmonson war etwa 19 Jahre lang in verschiedenen Funktionen im CHMP der EMA gewesen, zusammen mit vielen seiner Kollegen, wie Jonas Bergh, ebenfalls ein Schwede, der ebenfalls 19 Jahre im wissenschaftlichen Beirat der Agentur war, was überraschenderweise eine unbezahlte Position ist. Altruismus? Eines ist klar: Schweden ist das Land, das am häufigsten Berichterstatter oder Mitberichterstatter bei Dossiers zur Bewertung onkologischer Arzneimittel für den menschlichen Gebrauch war, weit vor Ländern mit jeweils mehr als 60 Millionen Einwohnern wie Frankreich, Deutschland, dem Vereinigten Königreich oder Italien, das sechsmal mehr Einwohner als Schweden stellt.
2020 entschied der Gerichtshof der Europäischen Union zu Ihren Gunsten... Was hat Ihrer Meinung nach Deutschland, Estland und die Niederlande veranlasst, Rechtsmittel gegen das Urteil vor dem EuGH einzulegen?
Das Gericht Luxemburg stimmte uns zu und die EMA wurde angeklagt und wegen Interessenkonflikts mit einem schwedischen Pharmaunternehmen "XNK Therapeutics AB", das das Medikament "CellProtect" für dieselbe Krankheit, das multiple Myelom, entwickelte, zur Kostenübernahme verurteilt. Die Europäische Kommission, von der die EMA abhängig ist, hatte das Recht, gegen diese Entscheidung Beschwerde einzulegen, tat dies aber nicht und akzeptierte das Urteil. Zu jedermanns Überraschung legten Estland und Deutschland Berufung ein, und später schlossen sich die Niederlande und die EMA der Berufung an – ein verzweifelter Schachzug mit dem Ziel der Umgehung der Europäischen Kommission, die untersuchen sollte, ob das geschehen ist. Das Überraschendste ist, dass sich Estland im Gegensatz zu Deutschland und den Niederlanden bei der Abstimmung, die für die Zulassung von Plitidepsin negativ ausfiel, der Stimme enthalten hat, was darauf hindeutet, dass es sich eher um eine politische als um eine technische Entscheidung handelte. Das lässt uns fragen: Was hat Estland veranlasst ,sich der Zulassung eines Medikaments gegen diese Krankheit zu widersetzen? Was hat sich zwischen Estland und der EMA abgespielt? Das Geschehen steht ganz im Gegensatz zu der Zulassung als Arzeimittel, die wir 2018 in Australien erhielten, wo Patienten keine andere Behandlungsalternative für diese unheilbare Krankheit hatten. Deshalb kann der Grund, warum auch Deutschland und die Niederlande Berufung eingelegt haben, nur politischer Natur sein, von der EMA verdächtig als verzweifelter Schritt gelenkt.
Nun hat der Gerichtshof das Rechtsmittel angenommen, so dass das Urteil aufgehoben ist und die Sache an das Gericht zurückgeht und erneut geprüft werden muss. Was bedeutet das genau?
In gewisser Weise ist das Verfahren wieder am Anfang. PharmaMar wird seine Klage gegen die EMA fortsetzen. Da der Fall in seiner Gesamtheit neu verhandelt wird, bedeutet dies, dass der Interessenkonflikt erneut geprüft wird und darüber hinaus die Verletzung des Grundsatzes der ordnungsgemäßen Verwaltung, die Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes, die Verletzung der Begründungspflicht und die Verletzung der Verteidigungsrechte. Aus unserer Sicht ist es eine neue Chance, erneut die Nachlässigkeit zu demonstrieren, mit der die EMA gehandelt hat.
Das ist vielleicht der besorgniserregendste Teil des Falles, denn es gibt viele europäische Patienten mit multiplem Myelom, die im Laufe der Jahre von Plitidepsin hätten profitieren können....
Ein zusätzliches Medikament sollte beim multiplem Myelom immer willkommen sein. Tatsächlich wurde eine Studie mit australischen Patienten veröffentlicht, denen Plitidepsin als Behandlung am Lebensende verabreicht wurde, was dessen Wirksamkeit zeigt. Andererseits hat die Tatsache, dass es in Europa nicht zugelassen ist, seine Entwicklung als antivirales Medikament gegen Covid-19 behindert, da wir gezwungen waren, die Entwicklung ganz von vorne zu beginnen, was dazu geführt hat, dass wir zu spät kamen. Und das, obwohl die Zeitschrift „Science“ 2022 veröffentlicht hat, dass es das stärkste antivirale Mittel gegen die Krankheit ist.
In Australien wurde es 2020 genehmigt, hat das in irgendeiner Weise dazu gedient, den investierten Aufwand zu kompensieren?
In keiner Weise, die Schäden sind irreparabel. Jede Arzneimittelentwicklung kompensiert nur die Investitionen und Risiken, die im Hinblick auf die weltweite Kommerzialisierung eingegangen werden. PharmaMar ist ein globales Unternehmen, das sich zum Ziel gesetzt hat, den größten Nutzen für Patienten überall auf der Welt zu generieren. Es ist schade, dass es in Europa so viele Hindernisse gibt, vor allem für europäische Unternehmen mit innovativen Produkten. Besorgniserregend ist, dass dies auch mit einem anderen unserer Medikamente gegen kleinzelligen Lungenkrebs passiert ist. In den USA erhielten wir die beschleunigte Zulassung der FDA, genauso wie es die schweizer, kanadischen und australischen Zulassungsbehörden getan haben... aber hier in Europa hat uns die EMA mitgeteilt, dass wir eine zusätzliche Studie durchführen mussten, um die Zulassung beantragen zu können. Aus diesem Grund sollten wir mit der Agentur analysieren, was in Europa eigentlich schief läuft. In den letzten 15 Jahren ist die Zahl der zur Zulassung eingereichten onkologischen Medikamente in China von 3% auf 23% gestiegen, in den USA liegt sie stabil bei über 40% und in Europa ist diese Zahl von 26% auf 21% gesunken. Das könnte uns denken lassen, dass wir in Europa nicht die notwendige Unterstützung haben.
Wenn wir ins Jahr 2018 zurückgehen könnten, würden Sie diesen ganzen Prozess noch einmal durchgehen?
Kein Zweifel. Wir würden wieder genauso handeln, aber mit Nachdruck, denn jetzt haben wir mehr und stärkere Beweise dafür, wie sich die EMA verhält, und wir wissen auch, dass andere Verfahren einschließlich Interessenkonflikten vor den Gerichten in Luxemburg anhängig sind.