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Eines der grössten Medienhäuser der Schweiz vollzieht einen umfassenden Wandel: Die Tamedia soll zukunftsfit gemacht werden. CEO Jessica Peppel-Schulz muss dabei einen Spagat schaffen: Qualitätsjournalismus fördern und gleichzeitig die Marge steigern. Doch für die Managerin ist das kein Widerspruch.
Wer das 2013 eröffnete Bürogebäude von Tamedia in Zürich betritt, hat nicht das Gefühl, dass das Unternehmen unter Druck steht: Der vom Japaner Shigeru Ban entworfene siebenstöckige Hochbau setzt stark auf Holz und Glas, er gilt als einer der besonders ambitionierten Ingenieur-Holzbauten der Welt. Das Besondere daran: Nichts dient der blossen Zierde; alle Teile, alle Stücke erfüllen einen Zweck, alles hat seinen Platz, und vor allem hat alles seinen Sinn.
In gewisser Weise steht das Gebäude damit sinnbildlich für das, was Tamedia mit einer massiven Umstrukturierung erreichen will – denn im August 2024 verkündete CEO Jessica Peppel-Schulz, die seit Ende 2023 im Amt ist, eine solche; was viele ohnehin bereits erwartet hatten. Das Zürcher Medienunternehmen zählt mit einem Umsatz von 446 Mio. CHF zu den Platzhirschen in der Schweiz, doch der Digitalisierungsdruck wirkt sich seit Jahren auf das Geschäft aus, insbesondere die Marge litt zuletzt deutlich.
Peppel-Schulz, die zuvor CEO bei der Vogue-Mutter Condé Nast für Deutschland war, wurde geholt, um die Transformation zu führen. Dabei hat die Deutsche aber nicht nur wirtschaftliche Kennzahlen im Blick, wie sie im Interview mit Forbes erzählt: «Wie kann ich Qualitätsjournalismus wirtschaftlich nachhaltig aufstellen und den Herausforderungen wie Fake News begegnen?» Peppel-Schulz sowie der Verwaltungsrat sind überzeugt, dass beides nur gelingen kann, wenn das Haus effizienter wird. Die Umstrukturierung umfasst den Abbau von rund 20 % der Stellen, konkret 290 Vollzeitstellen, die schrittweise Schliessung von zwei der insgesamt drei Druckereien sowie den Fokus auf einige wenige starke Marken, insbesondere bei den digitalen Inhalten. Die Entscheidung wurde von grossen öffentlichen Diskussionen und teils auch scharfer Kritik begleitet. Für Peppel-Schulz sind die Massnahmen aber alternativlos: «Wir haben allein beim Tagi (Tages-Anzeiger, Anm.) in den letzten zehn Jahren 50 Mio. Schweizer Franken Umsatz verloren. Unsere Aufgabe ist, Tamedia eine neue Substanz zu geben und unsere Organisation und unser Business resilient für die dynamischen Entwicklungen unserer Branche in der Zukunft aufzustellen.»
Das Ziel: Im Geschäftsjahr 2027 soll die Gewinnmarge, die zuletzt knapp über 2 % lag, wieder zwischen 8 und 10 % liegen. Es ist eine Mammutaufgabe, die Peppel-Schulz da zu stemmen hat – doch die Deutsche ist überzeugt, die Transformation schaffen zu können: «Wir setzen auf Transparenz und klare Kommunikation, um Vertrauen in den Wandel zu schaffen.»
In Zukunft soll die «neue Tamedia», wie Peppel-Schulz sie nennt, durch vier Schlagworte charakterisiert werden: «Leadership, Digital, Qualitätsjournalismus und unsere Talente – das sind unsere Pfeiler für die neue Tamedia.»
Immer wieder im Gespräch betont Peppel-Schulz, dass der Journalismus als Kern des Unternehmens bestehen bleiben muss. In Medienberichten wurde die Umstrukturierung immer wieder auch als Rückschlag für ebendiesen Qualitätsjournalismus bezeichnet; die Tamedia-CEO sieht das anders – denn für Peppel-Schulz muss sich unabhängiger Journalismus vor allem auch eigenständig finanzieren können. Eine Quersubventionierung durch andere Töchter der Tamedia-Mutter TX Group, etwa das margenstarke Classifieds-Geschäft TX Markets, lehnt sie ab: «Subvention bedeutet Stillstand. Unsere Zukunft liegt in der Transformation und Unabhängigkeit.»
Ein Teil der Transformation ist die Reduzierung von Komplexität. Zwar soll die Markenvielfalt der Tamedia im Printbereich bestehen bleiben, im Digitalen werden aber vier Marken der Tages- und Sonntagstitel gestärkt: Tages-Anzeiger, Berner Zeitung, Basler Zeitung und die Westschweizer 24 heures. Alle lokalen Digitalinhalte werden in diese Plattformen eingebettet. Während Peppel-Schulz aber die Zukunft im Digitalen sieht, sieht sie weiterhin einen wichtigen Platz für Printprodukte: «Unsere Sonntagszeitung verliert seit Jahren keine Leserschaft – Print wird weiterhin stark nachgefragt.»
Ein Problem, das nicht nur Tamedia, sondern alle Medienhäuser bei der digitalen Transformation jedoch beschäftigt, ist die geringere Zahlungsbereitschaft und somit meist niedrigere Wirtschaftlichkeit von Digitalabonnenten. Während Angebote wie Spotify und Netflix mit sehr niedrigen Abopreisen im Markt sind, müssen Qualitätsmedien sich überlegen, wie sie mit Abopreisen von wenigen Franken ihre Struktur finanzieren können. Peppel-Schulz sieht Technologien wie künstliche Intelligenz als Möglichkeit, effizienter zu arbeiten – was jedoch Hand in Hand mit dem Ausbau von Qualitätsjournalismus gehen müsse. Dabei sieht sie die Flut an Content, der zunehmend auch von Maschinen erstellt wird, als Vorteil: «Qualitätsjournalismus wird ein Revival erleben, denn fundierte, faktenbasierte Geschichten sind wichtiger denn je. Das wird auch die Zahlungsbereitschaft für unsere Qualitätsmedien wieder steigern.“
Dabei ist Peppel-Schulz auch wichtig zu betonen, dass Sparen alleine nicht hilft: «Sparen können wir. Die Frage ist, wo und wie gut wir unser Geld gleichzeitig investieren. Es geht auch nicht darum, ein bestimmtes Sparpotenzial zu erreichen, sondern darum, eine sinnvolle und wirtschaftlich nachhaltige Organisation aufzubauen.» Denn trotz Stellenabbau und der Schliessung von Druckereien muss Tamedia laut Peppel-Schulz kontinuierlich in die Zukunft investieren – und die Vormachtstellung am Schweizer Markt beibehalten. «Technologie wird bei Tamedia grossgeschrieben. Unsere Investitionen in Innovationen, etwa in KI, sind schon heute beträchtlich und unterstreichen unsere Rolle als eines der führenden Medienhäuser in der Schweiz.» Gleichzeitig muss aber auch die Effizienz steigen: Laut Unternehmensangaben lag die Auslastung der drei hauseigenen Druckereien (die Standorte liegen in Bussigny nahe Lausanne, in Zürich und in Bern) nur noch zwischen 30 und 50 %. Die Schliessung von zwei Standorten – Bussigny soll Ende März 2025, Zürich Ende 2026 stillgelegt werden – sei alternativlos gewesen. Bern soll beibehalten und gestärkt werden.
Das Westschweizer Geschäft soll seine Relevanz im Portfolio behalten, so Peppel-Schulz. «Die Fragmentierung des Schweizer Markts ist eine Herausforderung, aber auch eine Chance für lokale Marken.» Überhaupt sieht die Deutsche die Vielfalt im Unternehmen und im Land als Vorteil an: «Die Diversität in der Schweiz, sei es durch Sprache oder regionale Unterschiede, ist eine unserer grössten Stärken.»
Peppel-Schulz beschäftigt sich seit vielen Jahren mit (digitaler) Transformation in Unternehmen. Ihre Karriere begann 2001 bei Hansenet/AOL. Sie hatte später auch Führungspositionen bei Kabel BW/Unitymedia und der UDG United Digital Group inne, bevor sie CEO von Condé Nast Germany wurde.
Dort sah sie sich mit sehr ähnlichen Herausforderungen konfrontiert, die sie auch heute beschäftigen: die Transformation von alten Geschäftsmodellen und ikonischen Marken, darunter auch Vogue; das Überführen in das digitale Zeitalter. In einem Interview mit Forbes sprach die Managerin schon damals von Leadership, Diversifizierung und der Digitalisierung des Geschäftsmodells. Das Transformationsprojekt lief unter dem Arbeitstitel «Beautiful Growth». Abschliessen konnte Peppel-Schulz es jedoch nicht: Der Verlagsriese schaffte die lokalen Geschäftsführungen ab und liess den Europamarkt aus London managen, um – wie ironisch – Kosten zu sparen. Nach einer Pause trat Peppel-Schulz im Oktober 2023 den CEO-Posten bei Tamedia an. Klarer Auftrag: transformieren.
In der Schweizer Medienbranche wurde der Umbau durchaus kritisch begleitet – der Schweizer Rundfunk sprach von einer «Zäsur für den Schweizer Medienmarkt» und sagte auch: «Der Journalismus verliert innerhalb der TX Group weiter an Bedeutung.» Die Neue Zürcher Zeitung titelte «Managerin Peppel-Schulz nährt Angst».
Die Börse dürfte die Massnahmen hingegen positiv bewerten: Die Aktie der TX Group stieg seit der Ankündigung um rund 16 %. Ob das vorwiegend auf die Umstrukturierung bei Tamedia, auf die rund 50 % des Konzernumsatzes entfallen, zurückzuführen ist, lässt sich natürlich nicht sagen. Peppel-Schulz hat jedenfalls bis 2027 Zeit, ihre ambitionierten Ziele zu erreichen. Neben wirtschaftlichen Zielen will die Managerin aber vor allem auch darauf achten, dass die Transformation für die Mitarbeitenden verträglich und positiv verläuft. «Transformation – ich spreche gerne von Human Digital Transformation – beginnt bei den Menschen. Es geht darum, Talente zu begeistern und ihre Kompetenzen für den Wandel zu nutzen», so die CEO.
Trotz aller Sparmassnahmen sollen daher Investitionen nicht nur in Technologien, sondern auch in die eigenen Mitarbeiter passieren: «Wir investieren nicht nur in Technologie, sondern auch in unsere Mitarbeiter, in ihre Veränderungsbereitschaft.» So will sich die CEO 2027 nicht nur an Margenzielen messen lassen, sondern vor allem auch an der Zufriedenheit der Mitarbeiter. «Der härteste KPI für mich ist die Zufriedenheit unserer Mitarbeiter – denn sie zeigt, ob wir erfolgreich sind.»
Jessica Peppel-Schulz studierte Volkswirtschaft in Hamburg. Ihre Karriere begann 2001 bei Hansenet/AOL; sie hatte später auch Führungspositionen bei Kabel BW/Unitymedia und der UDG United Digital Group inne, bevor sie CEO von Condé Nast Germany wurde.
Fotos: Gert Krautbauer