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Vor 15 Jahren dachte sie nicht an Führungspositionen, heute belegt Timea Reicher in der Slowakei den ersten Platz auf der Forbes-Liste der einflussreichsten Managerinnen des Landes. Als Vorstandsmitglied und Chefin der Einzelhandel-Abteilung beim Ölkonzern Slovnaft sorgt Reicher dafür, Tankstellen zu einem Ort der Normalität zu machen – vor allem während der Pandemie.
Hätte man Timea Reicher vor 15 Jahren gefragt, ob sie einen Platz im Vorstand eines Unternehmens einnehmen kann, hätte sie wohl klar verneint. 2021 ist Reicher nun nicht nur im Vorstand von Slovnaft, einem der größten Unternehmen der Slowakei, sondern gilt auch als einflussreichste Managerin des Landes. Als Teil des MOL-Konzerns, eines führenden internationalen Öl- und Gasunternehmens, betreibt Slovnaft nicht nur die größte Raffinerie der Slowakei, sondern auch ein 254 Tankstellen umfassendes Einzelhandelsnetz.
Der Jahresumsatz von Slovnaft beträgt 2,7 Milliarden €. Reicher ist für das Retailgeschäft verantwortlich. In der Abteilung, die sie seit 2014 führt, will sie nicht nur das Tankstellennetz stetig weiterentwickeln, sondern auch das Serviceniveau erhöhen und die Digitalisierung sowie Ökologisierung vorantreiben.
TIMEA REICHER: “NAVIGATING UNCERTAIN TIMES”
Seit über einem Jahr leben wir alle nun mit der Covid-19-Pandemie. Wenn Sie zurückdenken: Was war Ihre Hauptaufgabe, als diese ausbrach?
Wir betreiben 254 Tankstellen in der Slowakei, und leider waren die Maßnahmen und Anweisungen der Regierung wirklich chaotisch. Sie sind es bis heute noch. Wir mussten verstehen, dass wir im Grunde der einzige Kommunikationskanal zu jenen sind, die unsere Tankstellen betreiben. Wir müssen uns um diese 2.000 Menschen kümmern, die rund um die Tankstellen für uns arbeiten. Es war also eine große Anzahl von Menschen, die wir über die aktuellen Maßnahmen und Entwicklungen informieren mussten. Wir wollten aber nichts versprechen, was wir dann nicht erfüllen können. Das war zu dieser Zeit wirklich schwierig.
Welche Fähigkeiten braucht man in einer solchen Phase, welche harten und weichen Skills?
Ich treffe gute und schnelle Entscheidungen auf der Grundlage von Fakten und Informationen. Das war also etwas, das mir nicht wirklich Probleme bereitet hat. Bei den Soft Skills liegt mir die Arbeit mit Menschen. Wenn wir durch die Pandemiesituation und diese neue Art, zu leben, wirklich gezwungen sind, auf diesen Onlineplattformen anders zu arbeiten, nehme ich das als Chance für etwas Neues. Wenn man nicht immer nur von den negativen Auswirkungen der Pandemie sprechen will: Sie brachte die Möglichkeit, dass ich mit meinem Team auf eine andere Art und Weise zu arbeiten begonnen habe. Das ist also offensichtlich der softe Teil, der am Ende des Tages ziemlich hart ist. (lacht)
Wie haben Sie denn die Zeit, seit Sie die Retail-Abteilung bei Slovnaft übernommen haben, erlebt?
Als ich die Abteilung übernahm, hatten wir teilweise mit einem schlechten Ruf zu kämpfen. Die Zusammenarbeit mit unseren Partnern hat nicht immer reibungslos funktioniert und unser Operating Model hat uns nicht ermöglicht, neue Standards zu setzen. Heute bin ich sehr froh über das, was wir erreicht haben. In den letzten Jahren haben wir zudem den Preis für die vertrauenswürdigste Marke unter den Tankstellen der Slowakei gewonnen. Nachdem ich verschiedene Positionen innehatte, habe ich verstanden, dass ich die Kombination aus Geschäft und Dienstleistung liebe. Das ist also etwas, das mir den Antrieb gibt, vorwärts zu gehen. Außerdem kann man genau sehen, was die Ergebnisse der eigenen Entscheidungen sind; also ob du eine gute oder eine weniger gute Entscheidung triffst. Man lernt aus seinen Fehlern.
Apropos Positionen: Wie verlief denn Ihr beruflicher Werdegang genau?
Ich studierte Volkswirtschaftslehre an der Universität für Wirtschaft in Bratislava. Nach dem Abschluss im Jahr 1998 habe ich beschlossen, die Welt zu sehen; um Englisch zu lernen, ging ich nach London. Als ich zurückkam, arbeitete ich für viele kleine Unternehmen, um Erfahrung zu sammeln. 2006 begann ich dann den Executive MBA an der WU Executive Academy in Wien, der in Kooperation mit der University of Minnesota stattfand. Ich wollte immer ein Aufbaustudium machen und der MBA war etwas, das gute Möglichkeiten bot. Für mich war 2006 also ganz wesentlich, weil ich im gleichen Jahr begonnen habe, bei Slovnaft zu arbeiten. Ich fing dort als Corporate Manager an und verschaffte mir einen ziemlich guten Überblick über das Unternehmen. Parallel habe ich mein Studium gemacht, was nicht ganz einfach war, weil einige meiner Kollegen und Schulkameraden eine Teilzeitbeschäftigung hatten, ich hingegen Vollzeit arbeitete. Diese Zeit meines Lebens ging wirklich schnell vorbei – Zeit, mich auf mein Privatleben zu konzentrieren, gab es kaum.
Wenn man beginnt, eine Abteilung zu leiten, muss man das Mindset der Mitarbeiter verändern.
Was passierte nach Ihrem Abschluss?
Ich beendete meinen MBA im Jahr 2007 und wechselte 2009 in eine andere Abteilung bei Slovnaft, in der ich Leiterin des Asset- und Servicemanagements wurde. Meine Aufgabe war es, dafür zu sorgen, dass die internen Dienstleistungen ordnungsgemäß funktionieren – Facility-Management, der Fuhrpark, das Informations- und Dokumentenmanagement und die Lagerverwaltung. Nach drei Jahren und einer kurzen Unterbrechung durch meinen Mutterschaftsurlaub hat man mir angeboten, Direktorin der Abteilung für Corporate Services zu werden. 120 Leute arbeiteten in dieser Abteilung, die sich um die Beschaffung, Realisierung von Investitionen sowie das Asset- und Servicemanagement kümmerten.
In dieser Position war ich die erste Frau. 2013 wurde ich dann in den Vorstand des Unternehmens berufen, 2015 übernahm ich die Position als Head of Retail. Ich hatte nur zwei Tage Zeit, mich zu entscheiden – diese Position hatte aber insgesamt mit Sicherheit den größten Einfluss auf mein Leben und meine Karriere.
Was haben Sie aus Ihrer Zeit an der Executive Academy mitgenommen?
Ich denke, dass ich durch den MBA einen guten Überblick über Unternehmen und ihre Arbeit bekommen habe. Als Student ist man noch so unerfahren, jede Information ist neu für einen. Durch die Kombination mit praktischen Jobs, die man auf der Executive Academy hat, lernt man, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren. Wenn man dann nach dem Studium ins Unternehmen kommt, fallen alle Puzzleteile genau an ihren Platz – das ist etwas, was mir die Executive Academy mitgegeben hat. Und natürlich – nicht zu vergessen – die Kollegen, die ich kennengelernt habe. Auch wenn wir nicht täglich in Kontakt sind, kann ich sie immer treffen oder anrufen, und ich denke, das ist eine Art von Networking, auch wenn man natürlich aktuell sehr wenig Zeit dafür hat.
Was war in Ihrer Karriere die bisher größte Herausforderung?
Wenn man beginnt, eine Abteilung zu leiten, muss man das Mindset der Mitarbeiter verändern. Dann fängt man an, Fragen zu stellen und den Leuten zu zeigen, ihren Job vielleicht auf eine andere Art zu machen. Das ist etwas, das viel Energie, Geduld und Zeit erfordert. Und natürlich muss man nach einer gewissen Zeit bewerten, ob man mit demselben Team arbeiten möchte – oder ob Veränderungen notwendig sind. Ich kannte einige der Kollegen schon und wusste, dass bei einigen die Chemie nie stimmen wird. Da muss man sich dann einfach verabschieden. Aber das ist wirklich hart – meine größte Herausforderung bisher. Ich hatte einige Nächte, in denen ich nicht geschlafen habe. Denn es geht da um einen Menschen, und so etwas hat Einfluss auf sein Leben. Doch auf lange Sicht ist eine Trennung dann besser für alle Parteien.
Ist es denn auch eine Hürde, eine der wenigen Frauen auf Vorstandsebene zu sein?
Es ist mir nie in den Sinn gekommen, dass das etwas ist, was ich bedenken muss. Unser Geschäft ist hauptsächlich von Männern dominiert, aber ich hatte nie irgendwelche negativen Gefühle dabei. Ich bin eine Frau mit vielen Männern im Raum – solange man aber weiß, warum man in seiner Position ist, und die wichtigen Fragen beantworten kann, ist das nicht relevant. Ich bin zudem nicht mehr das einzige weibliche Vorstandsmitglied bei Slovnaft, es gibt noch eine weitere Kollegin (seit April 2020 ist die Ungarin Zsuzsanna Éva Ortutay ebenfalls im Vorstand, Anm.).
Timea Reicher
...ist seit 2006 bei Slovnaft tätig und seit 2013 Mitglied im Vorstand. Sie absolvierte ein BA in Volkswirtschaftslehre an der WU in Bratislava sowie einen MBA an der WU Executive Academy in Wien.
Nicht erst seit Corona gibt es in Ihrer Branche zahlreiche Umwälzungen. Wie sehen Sie die Zukunft im Öl- und Energiesektor?
Das ist eine schwierige Frage. Wir wissen, dass jetzt alle auf „grün“ wechseln. Diese Änderungen zwingen uns, unseren Job anders zu machen. Wir müssen viel offener für alternative Kraftstoffe sein – das haben wir in unserer Strategie bis 2030 bedacht. Und natürlich müssen wir unsere Raffinerie so aufstellen, dass wir unsere Wertschöpfungskette umweltfreundlich gestalten, also CO2-Emissionen reduzieren. Aktuell können wir Menschen es uns noch leisten, auf der Straße zu fahren und zu reisen. Wir wollen aber gerne ein Konzept verfolgen, bei dem wir Kilometer statt Liter verkaufen. Da muss sich das Mindset in der Bevölkerung verändern. Wir werden den Kunden weiterhin helfen, sich von A nach B zu bewegen – aber es sollte egal sein, ob das mit Diesel, Strom oder Wasserstoff passiert.
Neben der Nachhaltigkeit ist auch Digitalisierung ein heißes Thema. Auf welche Art betrifft Sie das?
Die IT-Reform ist definitiv eines der größten Projekte innerhalb unserer Abteilung. Wir haben den Auftrag, ein IT-System respektive einen IT-Prozess inklusive Support zu schaffen, der eine Basis für alle Einzelhändler innerhalb der MOL-Gruppe bildet. Wir wechseln gerade von einem zeitintensiven manuellen IT-Prozess zu einem automatisierten datengetriebenen System. Eines der letzten Projekte, die wir umgesetzt haben, ist das Fresh-Corner-Konzept (dort werden qualitativ hochwertige Produkte angeboten, Anm.) in den Tankstellen. Mittlerweile ist es in 95 % unserer Filialen präsent. Zudem wollen wir organisch und über Akquisitionen wachsen – was wir beispielsweise
mit dem Kauf des Lukoil-Netzwerks in der Slowakei gemacht haben (die Bestätigung der slowakischen Wettbewerbsbehörde für den Kauf steht noch aus, Anm.).
Was bedeutet das alles für Slovnaft und Ihre Arbeit selbst?
Unser Treibstoff war schon immer für seine sehr gute Qualität bekannt. Nun müssen wir aber auch in unseren Shops entsprechende Standards bieten. In den letzten Jahren haben wir den Kundenservice verändert, indem wir höhere Qualität bei Lebensmitteln, Kaffee, Hotdogs et cetera anbieten. Es gibt immer etwas Neues, neue Geschmäcker, neue Zutaten – und neue Wege, mit unseren Kunden zu kommunizieren.
Zum Abschluss: Wo sehen Sie sich in fünf Jahren?
Im Urlaub, weil ich ziemlich müde bin – aber das sollte eigentlich kein lang-, sondern ein kurzfristiges Ziel sein! (lacht) Ich sehe mich jedenfalls weiterhin im Einzelhandel. Es ist spannend, was in den sechs Jahren, seit ich diese Position übernommen habe, alles passiert ist. Ich denke, die Ergebnisse sprechen für sich.
Text: Naila Baldwin
Fotos: Slovnaft
Diese Advoice erscheint in unserer April-Ausgabe 2021 „Geld“.