Die Lebzelterin

Katharina Pirker führt das Familienunternehmen Pirker Lebkuchen im steirischen Mariazell in sechster Generation. Gemeinsam mit ihrem Mann Georg Rippel-Pirker baute sie die traditionelle Lebzelter-Marke, die seit 1846 zu Mariazell gehört wie das Amen ins Gebet, zum größten Arbeitgeber der Region aus.

Zur Besichtigung der großen Backstube in der Wiener Straße von Mariazell zieht Katharina Pirker den himmelblauen Blazer aus, wirft sich den weißen Arbeitskittel über und zieht Plastiküberzüge über ihre hochhackigen Stiefeletten. Für die Bilder in der Backstube setzt die Chefin die Arbeitshaube ab. Wir haben sie darum gebeten.

Von den insgesamt zwischen 150 und 200 Mitarbeitern, die für die Familie Pirker in Mariazell, in der Lebzelterei, der Wachszieherei, der Metsiederei, der Schnapsbrennerei sowie in Hotel und Gastronomie und in den Stores in Mariazell, Salzburg und Wien arbeiten, stehen hier, in der Lebzelterei, rund 65 Personen an Knet­maschinen, modernsten Ausrollwalzen, Arbeitstischen zum Ausstechen und Verzieren bestimmter Lebkuchenformen – Blätter, Tannenbäume, Herzen oder Sterne, das Weihnachtsgeschäft ist bereits im Gange – oder „befüttern“ das Laufband mit Lebkuchenwürfeln, die drei Meter weiter vorne mit feiner Schokolade glasiert und im modernen Gebläse getrocknet, um danach verpackt zu werden.

Mehr als 80 verschiedene Sorten werden bei Pirker Lebkuchen in Mariazell hergestellt und in die ganze Welt verkauft – „von Kanada bis nach Neuseeland“, so Pirker –, die Hauptabsatzmärkte sind aber Österreich, Deutschland und Italien. Von der Teigmischung bis hin zur Verpackung wird alles inhouse gemacht. „Von allen traditionell-handwerklichen Lebzeltereien“, sagt Katharina Pirker, „sind wir die modernste in Europa.“ Und tatsächlich ist in der 3.500 Quadratmeter großen Backstube mit der sogenannten „Erlebzelterei“ und angeschlossener Verpackung sowie einigen Lagerräumen einiges an Tech- und Hightech zu finden. Etwa eine Maschine unter einem mehr als mannshohen Glaskubus, in der das Lebkuchenkonfekt mittels Ultraschall geschnitten wird, bevor es zur Glasur kommt; oder ein Gewürzbord, über das mittels verschiedener Trichter per Knopfdruck die einzelnen, geheimen Gewürzmischungen in die Teige geführt werden können. „Früher haben meine Eltern immer abends oder in der Nacht die Gewürze abgewogen und in Säcken vermischt, die dann am nächsten Tag verarbeitet wurden“, sagt Pirker. Mit dieser patentierten Entwicklung ihres Mannes laufe das Beigeben der Ingredienzen und die Geheimhaltung der Gewürzrezeptur deutlich einfacher ab, sagt sie. Auch der Honig, der früher händisch in die Mischmaschinen geleert werden musste, kommt über ein an der Decke der Backstube befestigtes Rohrsystem, gleich neben dem Gewürzbord, zur Teigmischung.

Vieles sei an die modernen Zeiten angepasst worden, sagt Piker, und dennoch bleibt einiges an Handarbeit. So etwa werden die Eier immer noch per Hand aufgeschlagen. Auf die Qualität der Zutaten achte sie streng, Ei aus dem Tetra Pak, wie das häufig bei der industriellen Produktion von Süßspeisen und anderem zur Anwendung gelange, komme ihr nicht in die Lebkuchenmasse. Es mag rundherum viel Technik in die Backstube eingezogen sein, sagt sie, das Lebkuchen-Grundrezept, sei in ihrem Haus seit über 100 Jahren dasselbe, so Pirker stolz und bestimmt. Bedeutet demnach: Das wird sich auch in den kommenden hundert Jahren voraussichtlich nicht ändern. Durchschnittlich 260 Tonnen Honig werden jedes Jahr in den Pirker-Produktionen verarbeitet, der meiste davon kommt in den Lebkuchen. Und dieser hat, laut Stadtchronik, im Wallfahrtsort Mariazell eine über dreihundertjährige Tradition.

Seit dem 12. Jahrhundert wird in der berühmten Wallfahrtskirche in der Steiermark eine romanische Marienfigur als „Magna Mater Austriae“ („Große Mutter Österreichs“) verehrt; bis zu einer Million Menschen pilgern dafür jährlich zur berühmtesten Wallfahrtsstätte Österreichs, die wie etwa Lourdes zu den sieben „Shrines of Europe“ zählt.

Und der Lebkuchen wiederum ist eng mit der Wallfahrt verbunden, erzählt Pirker aus der Geschichte des Ortes. „Früher sind die Pilger nach tagelangem Fußmarsch oder mit den Pferdekutschen in Mariazell angekommen und brauchten für ihren Weg nach Hause einen Proviant, der nicht gekühlt werden musste, nahrhaft und lange haltbar war“, erzählt sie. Dafür ist der Lebkuchen gut geeignet – vor allem der Honig erfüllt alle drei Kriterien, sagt sie. Und man konnte den Daheimgebliebenen ein kleines Präsent mitbringen – auch als Beweis, dass man den Wallfahrtsort tatsächlich erreicht hat, grinst sie.

Noch heute werden manche Lebkuchensorten deshalb übereinander gestapelt verpackt, erklärt Katharina Pirker zur reichen Geschichte des Produktes, wobei der Lebkuchen ganz oben in der Packung verziert ist und die restlichen nicht. Der verzierte ist das Mitbringsel, die anderen sind als Wegzehrung gedacht, erklärt sie. Und weil die Lebzelter genug Honig zur Hand hatten, holt sie erneut zur Geschichte ihres Handwerks aus, erzeugten sie Honigwein, ebenfalls für die Wallfahrer. Aus dem Bienenwachs wurden Kerzen hergestellt. Diese drei Handwerke gehören bis heute zusammen, gemeinsam praktiziert werden sie nur noch selten bis kaum, so Pirker abschließend.

„Sehen Sie wo die vielen Menschen sich so angeregt unterhalten, zusammenstehen und Spaß haben, und wo überall das Licht brennt? Die schauen alle grad bei uns vorbei.“ Katharina Pirker

Neben dem Lebkuchen-, Kerzen- und Met-Sortiment, ist die Mariazeller Gegend auch für ihren Kräuterbitter bekannt. „Eigentlich profan und dennoch logisch“, sagt Katharina Pirker, „auch der wurde den Pilgern kredenzt, wenn diese nach beschwerlicher Pilgerreise im Gasthaus gut und viel gegessen hatten.“ Später dann habe ihr Vater damit begonnen, Schnaps zu brennen. Darunter sind heute mit internationalem Gold prämierte Brände. „Die sind wirklich ausgezeichnet, unsere Schnäpse – es fehlt uns aktuell einfach die Zeit, sie besser zu vermarkten“, erzählt Pirker im hauseigenen Shop, der zwischen Pirkers Mariazellerhof, Pirker am Hauptplatz und Pirkers Erlebzelterei, wo auch die neue Backstube seit 2014 untergebracht ist, liegt.

Geht man durch den Stadtkern des Wallfahrtsortes, ist der Name Pirker eigentlich allgegenwärtig. Im Laufe der sechs Generationen, also seit dem Jahr 1846, die die Familie ihren Betrieb in dieser Region auf- und stets ausgebaut hat, ist, wenn man so sagen möchte, doch einiges zusammengekommen. Mittlerweile ist ihr Unternehmen der größte Arbeitgeber in der Region und erwirtschaftet einen durchschnittlichen Jahresumsatz von mehr als 10 Mio. €, so die Unternehmerin. „Wobei der Lebkuchen 65 % vom Gesamtumsatz ausmacht und davon 40 % online und 60 % stationär in unseren Pirker-Shops, den vieren in Mariazell und jeweils einem in Salzburg und Wien verkauft werden“, so Pirker weiter. Einiges aus dem Sortiment sei darüber hinaus bei ausgesuchten Vertriebspartnern, wie Meinl am Graben oder Delikatessengeschäften erhältlich. Ganz besonders wichtig sei auch die Pirker Eigenmarke beim Lebensmittelhändler Spar gewesen, sagt sie, die landesweite Bekanntheit sei damit enorm gestiegen – und auch der Vertrieb nach Ungarn und Norditalien, so Pirker weiter, was zu einer weiter steigenden Produktion führte – und letztlich zu einer notwendigen Erweiterung der Geschäfts- und Produktionsflächen.

Der letzte Zukauf zur „Pirker-Gruppe“ fand 2017 mit dem ehemaligen Hotel Schwarzer Adler am Hauptplatz von Mariazell statt; heute birgt es Pirkers Steirische Gourmet-Snackbar, die wie eine moderne Brasserie anmutet.

Die wahrscheinlich wichtigere Akquisition für das Familienunternehmen fand aber mit der Übernahme des ehemaligen Kongresshauses im Jahr 2014 statt. Geplant war das im ersten Schritt so eigentlich nicht, erinnert sich die Unternehmerin zurück. Man war auf der Suche nach einem geeigneten Ort für eine dringend notwendig gewordene größere Backstube, sagt sie, habe auch schon über eine Backhalle im Nachbarort nachgedacht, weil in Mariazell einfach vieles verbaut ist, so Pirker weiter. Es sei ihr Mann gewesen, der nach einem Spaziergang durchs Zentrum mit der Idee nach Hause gekommen war, den Ankauf des Kongresszentrums anzufragen; dieses schien nie ganz auf Hochbetrieb gekommen zu sein. Charmant war darüber hinaus, dass das riesige Gebäude in der Wiener Straße einst die erste geschäftliche Adresse der Familie Pirker war, jene von Katharina Pirkers Urgroßeltern.

Fast 10 Mio. € gingen in den Erwerb und den Umbau der Immobilie mit heute 3.500 Quadratmetern Fläche, die neben der Backstube und mit der Erlebzelterei eine Besuchergalerie untergebracht hat, durch die jährlich Tausende an Schaulustigen und Interessierten sowie Schulklassen laufen – alles Wissenswerte rund um die Lebzelterei wird hier auf spielerische Art mitgegeben. Und man kann den Bäcker- und Konditormeistern hier beim Arbeiten zuschauen – vom Mischen der Zutaten bis hin zum fertigen Lebkuchen, der dann auch vor Publikum verziert wird. Es haben sich auch Besucher in den Galerien oberhalb der Backstuben eingefunden, die dem Geheimnis der Rezepturen der Familie auf die Spur kommen wollten, erzählt Katharina Pirker von so manch ungeschicktem Industriespion, der mit dem Fernglas versucht hat, Backtemperaturen herauszufinden.

Neben dem Eingang zur Erlebzelterei führt ein langer Steg auf eine sehr große Terrassenfläche, die möglicherweise für gastronomische Zwecke geplant worden war und aktuell noch ungenutzt ist. „Auf dieser Fläche könnte ich mir gut einen Eislaufplatz vorstellen“, sagt Pirker. „Das fehlt uns noch in Mariazell“ – und diese Aussicht könnten dann nicht nur ihre Mitarbeiter ein paar Stockwerke darunter in der Backstube genießen, sondern alle, die hier ein paar Runden auf ihren Schlittschuhen drehen möchten. Die Unternehmerin sieht überall geschäftliche Möglichkeiten. Das ist nicht abzustreiten und wohl familiär bedingt.

Sie sei, erzählt Pirker aus ihrer Kindheit und Jugend, „im Betrieb aufgewachsen“. Ihre Eltern hatten ihr Stammhaus ursprünglich hinter der Kirche und haben später den Pirkers Mariazellerhof, heute mit Shop, Kaffeehaus und 13 Gästezimmern, eröffnet. Sie selbst stand oft mit ihrem Großvater, der den Eltern ausgeholfen hat, in der Backstube und habe Lebkuchen gebacken, erinnert sie sich. Und auch heute werden die Muster auf dem Herrenlebkuchen so angebracht, wie Katharina Pirkers Großvater das eingeführt hat: mit den Gabelzinken und schwungvoll aus dem Handgelenk.

Immer sonntags habe sie für die Belegschaft und für ihre Eltern Gugelhupf gebacken und bereits damals mit unterschiedlichen Geschmäckern experimentiert, so Pirker weiter, womit sich die eingangs erwähnte Sortenvielfalt von über 80 erklären lässt. Katharina Pirker hat ein Faible für neue Geschmackskombinationen, sie ist kreativ. Während andere darüber klagen, wie schwer es sei, Neues ins Leben zu holen, haut Pirker ihre Ideen fast mühelos raus: vom veganen Lebkuchen ohne Honig und Ei über einen mit Dinkelmehl für Gluten-unverträgliche Lebkuchenliebhaber und die zahlreichen Füllungen und unterschiedlichen Glasuren – Pirkers Kombinationsfreude ist offensichtlich: „Vanille- oder Champagnertrüffel, Preiselbeere oder Orange – zu Lebkuchen passt so vieles“, sagt sie. Am Weg zur Backstube werden im Café-Restaurant Pirker am Hauptplatz auch ungewöhnliche Eissorten angeboten; darunter Lebkuchen mit Whiskey. „Die Sorte schmeckt und kommt auch gut an“, so Pirker im Vorbeigehen. Katharina Pirker hat ausgeprägten Geschäftssinn, so viel ist klar.

Eigentlich wollte sie ja Chefin der Österreich Werbung werden, antwortet sie auf die Frage, ob für sie die Übernahme des Familienbetriebs vorgesehen bzw. schon früh klar war. Ihre ältere Schwester sollte den elterlichen Betrieb übernehmen. Sie selbst hatte sich nach der Gesellenprüfung in der Lebzelterei für ein Betriebswirtschaftsstudium in Wien entschieden, danach noch die Konzessionsprüfung nachgelegt und dachte nach ihren ersten gelungenen Karrierejahren im Tourismus nicht unbedingt daran, zurück nach Mariazell zu gehen, auch wenn sie ab und zu im Betrieb ausgeholfen hatte. Als ihre ältere Schwester nicht übernehmen konnte, so Pirker, und ihre jüngere Schwester noch viel zu jung für eine Übernahme war, entschloss sie sich 2004 dazu, gemeinsam mit ihrem Mann, den sie während des Studiums kennengelernt hatte, in den Betrieb einzusteigen und diesen letztlich zu übernehmen.

Heute zeigt sich, schaut Pirker gleichzeitig auf die Leistungen ihrer Vorfahren zurück und nach vorne in ihre unternehmerische Zukunft, wie aufgeschlossen die Familie neuen, auch technischen Errungenschaften gegenüber war. Ihr Vater hat etwa gemeinsam mit der Wirtschaftsuniversität in Wien seinen Onlineshop, den ersten digitalen Lebensmittelshop im Land aufgebaut und etabliert. Noch heute rangiert die Familie Pirker in Sachen Lebensmittel-Onlineshop unter den top drei in Österreich. „Da war schon vieles an Vorarbeit notwendig“, sagt Pirker rückblickend. „Denn noch früher“, erzählt sie weiter, „haben meine Eltern allen Kunden und Hotelgästen jahrzehntelang kleine Heftchen mitgegeben, wo unsere Produkte abgebildet waren, und die Leute mittels Bestellkärtchen, Lebkuchen ordern konnten.“ Auch telefonisch konnte bestellt werden. Man konnte so auch abseits der Wallfahrtssaison, die meistens von Mai bis Oktober geht, das Geschäft am Laufen halten, erinnert sich Pirker an Zeiten zurück, wo es noch keine Christkindlmärkte in Mariazell gegeben hat.

Heute sei eigentlich fast immer – außer nach dem Jahreswechsel im Januar – Lebkuchen-Saison, so Pirker. Die Mariazeller Gegend ist mit Bürgeralpe, dem Erlaufsee, der Basilika das ganze Jahr über zum beliebten Ausflugsziel geworden. „Die Menschen kommen nach Mariazell, wenn es ein gutes Jahr war, um sich zu bedanken, oder, wenn es ein nicht so gutes Jahr war, um für ein besseres zu bitten – und der Rest will vielleicht einfach nur sichergehen, dass alles so bleibt, wie es ist. Sicher ist sicher – und kommt auch“, sie lacht verschmitzt. Denselben Schalk zeigte Pirker bei der Besichtigung eines Lebkuchen-Nachbaus des Stadtkerns von Mariazell, durch den Figuren in Blaskapellenformation streifen, und in dem Grüppchen von kleinen Menschenfiguren vor ein paar Häusern aufgestellt sind, die sich allesamt sichtlich amüsieren. „Sehen Sie, wo die vielen Menschen sich so angeregt unterhalten, zusammenstehen und Spaß haben, und wo überall das Licht brennt?“, fragt sie schelmisch. „Die schauen alle grad bei uns vorbei.“

Fotos: Katharina Gossow

Heidi Aichinger,
Herausgeberin

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